Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Nein, wenn Euch milde Worte nicht bewegen,
So will ich auf Soldatenart Euch lieben,
Der Lieb' Natur zuwider, mit Gewalt.

Die beiden Veronesen.

Das Gemach, worein Lady Rowena gebracht worden war, zeigte Spuren von roher Pracht und Verzierung, und es konnte als ein besonderer Beweis von Achtung angesehen werden, daß man ihr hier ihren Aufenthalt angewiesen hatte. Front-de-Boeuf's Gattin aber, für welche diese Einrichtung ursprünglich gemacht worden, war jedoch längst todt, und die wenigen Zierrathen, womit es ihr Geschmack versehen hatte, waren nach und nach verfallen, und durch die Zeit beschädigt worden. Die Wandbekleidung hing an manchen Orten zerrissen herunter, und an andern hatte sie von der Sonne gelitten, oder war durch das Alter fast ganz unscheinbar geworden. Indessen blieb das Zimmer doch immer das beste und passendste zur Aufnahme der sächsischen Dame.

Es war ungefähr um die Mittagsstunde, als de Bracy, zu dessen Vortheil eigentlich das ganze Unternehmen vollbracht worden war, bei der Lady erschien, um seinen Anschlag auf ihre Hand und ihren Besitz weiter zu verfolgen. De Bracy hatte sich auf eine geckenhafte Art nach dem Geschmacke der Zeit geputzt. Den grünen Rock und die Larve hatte er abgelegt. Sein langes, üppiges Haar floß in zierlichen Locken auf den reich mit Pelz verbrämten Mantel herab. Den Bart hatte er sich sorgfältig scheeren lassen, sein Wamms reichte bis auf die Hälfte der Schenkel, und der Gürtel, der es umschloß, und an dem zugleich das gewichtige Schwert hing, war mit goldener Stickerei verziert. Der wunderlichen Gestalt der Schuhe zu jener Zeit haben wir bereits früher gedacht, und die Spitzen von denen, welche Moritz de Bracy jetzt trug, konnten sich mit denen der galantesten Herren messen. Dieser Putz wurde allerdings noch gehoben durch die Wohlgestalt und das Benehmen des Geschmückten, dessen Sitten auf gleiche Weise die Anmuth eines Höflings und das Ungezwungene eines Kriegers erkennen ließen.

Er grüßte Rowena durch Abnehmen seines Sammtbaretts, welches mit einer goldenen Stickerei geziert war, den heiligen Michael darstellend, wie er den Drachen unter seine Füße tritt.

Er lud die Lady dabei recht artig zu einem Sessel ein, und da sie noch immer stehen blieb, zog der Ritter den Handschuh von seiner rechten Hand ab und wollte sie zum Sitze führen. Allein Rowena lehnte durch eine Bewegung diese Höflichkeit ab und versetzte: »Wenn ich mich in Gegenwart meines Kerkermeisters befinde, – und alle Umstände lassen es mich nicht anders ansehen – so geziemt es der Gefangenen stehend ihr Urtheil zu erwarten.«

»O, schöne Rowena!« erwiederte de Bracy, »Ihr seid in Gegenwart Eures Gefangenen, nicht Eures Kerkermeisters, und aus Euren schönen Augen muß de Bracy das Urtheil empfangen, das Ihr von ihm erwartet.«

»Ich kenne Euch nicht, Herr,« sagte die Lady mit dem vollen Stolze beleidigter Schönheit und Würde; »ich kenne Euch nicht, und die ungeziemende Vertraulichkeit, womit Ihr das Geschwätz eines Troubadours an mich richtet, entschuldigt schlecht die Gewaltthat des Räubers.«

»Dir selbst, schönes Mädchen,« erwiederte de Bracy in seinem vorigen Tone, »Dir selbst und Deinen Reizen mußt Du es zuschreiben, wenn ich vielleicht die schuldige Achtung verletzte. Ich habe Dich zur Königin meines Herzens und zum Leitstern meiner Augen erlesen.«

»Ich wiederhole es Euch, Ritter, ich kenne Euch nicht, und ich denke, es sollte sich Niemand, der Kette und Sporen trägt, so zu einer schutzlosen Dame eindrängen.«

»Daß ich Euch unbekannt bin,« sagte de Bacy, »ist allerdings ein Unglück für mich; doch laßt mich hoffen, daß de Bracy's Name nicht ungenannt geblieben ist, wenn Minstrels und Herolde die Thaten des Ritterthums gepriesen haben, sei es in den Schranken oder auf dem Schlachtfelde.«

»So überlaß es auch den Minstrels Deinen Ruhm zu preisen,« versetzte Rowena, »denn für ihren Mund paßt das besser als für den Deinen; aber sage mir, wer von ihnen wird denn im Gesange oder in einem Turnierbuche den denkwürdigen Sieg preisen über einen alten Mann, von wenig furchtsamen Dienern begleitet, dessen Beute ein unglückliches Mädchen war, wider ihren Willen in das Schloß eines Räubers geschleppt.«

»Ihr seid ungerecht, Lady Rowena,« sagte der Ritter, sich vor Beschämung in die Lippen beißend, und einen Ton annehmend, der ihm natürlicher war, als der affectirte der Galanterie. – »Ihr seid frei von Leidenschaft, also könnt Ihr die Entschuldigung einer fremden nicht annehmen, und wenn diese auch durch Eure eigene Schönheit erzeugt worden wäre.«

»Ich bitte Euch, Herr Ritter,« sagte Lady Rowena, »gebt doch eine Sprache auf, die längst in dem Munde herumziehender Minstrels entwürdigt worden ist; Ihr nöthigt mich wirklich zum Sitzen, wenn Ihr Euch solcher Gemeinplätze bedient, von denen jeder elende Schwätzer einen solchen Vorrath besitzt, daß er von jetzt bis Weihnacht damit ausreichen kann.«

»Stolzes Mädchen,« sagte de Bracy erzürnt, da er sah, daß ihm seine Artigkeit nichts als Spott zuzog; »stolzes Mädchen, nun will ich stolz mit Dir reden. Mit Bogen und Schwert um Dich zu werben, dünkt Dir passender, als durch wohlgewählte Ausdrücke einer artigen Rede. Bis jetzt bin ich nur der Regung meines eigenen Charakters gefolgt.«

»Eine artige Rede,« sagte Rowena, »wenn sie angewandt wird, schlechte und gemeine Handlungen zu verhüllen, gleicht dem Wehrgehänge eines Ritters um die Brust eines niedrigen Sclaven. Ich wundere mich nicht, daß Euch mein sittsamer Anstand zu reizen scheint – es wäre auch besser für Eure Ehre gewesen, wenn Ihr den Anzug und die Sprache eines Geächteten beibehalten hättet, als daß Ihr Handlungen eines solchen unter dem Scheine artiger Reden und Sitten verbergen wollt.«

»Ein guter Rath, Lady,« sagte de Bracy, »also in der kühnen Sprache, welche am besten kühne Handlungen rechtfertigt, sage ich Dir: Du wirst dieses Schloß nicht anders verlassen, denn als Moritz de Bracy's Weib. Ich bin nicht gewohnt mich in meinen Unternehmungen stören zu lassen, auch braucht ein normännischer Edelmann sein Benehmen gegen ein sächsisches Mädchen, das er durch das Anerbieten seiner Hand auszeichnet, wohl nicht ängstlich zu rechtfertigen. Du bist stolz, Rowena, um so besser passest Du zu meinem Weibe. Durch welches andere Mittel könntest Du denn zu dem ehrenvollen Range einer Fürstin erhoben werden, als durch eine Vermählung mit mir? Wie anders möchtest Du aus dem engen Kreise eines ländlichen Meierhofs Dich losmachen, wo die Sachsen ihre Schweine hüten, die ihren Reichthum ausmachen, um Deinen Platz wie Du es verdienst, unter Allem, was England an Schönheit Ausgezeichnetes, oder durch Macht Erhabenes besitzt, einzunehmen?«

»Herr Ritter,« erwiederte Rowena, »der Meierhof, von dem Ihr so verächtlich sprecht, ist der schützende Aufenthalt meiner Kindheit gewesen, und glaubt mir, wenn ich ihn jemals verlassen sollte, so wird es nur an der Hand eines Mannes geschehen, der die Wohnung und Lebensweise nicht verachtet, in der ich erzogen worden bin.«

»Ich errathe Eure Meinung, Lady,« sagte de Bracy, »ob Ihr gleich glaubt, sie liege zu tief für meine Fassung. Aber träume nicht, daß Richard Löwenherz je seinen Thron wieder einnehmen, noch weniger aber, daß Wilfred von Ivanhoe, sein Liebling, Dich zu seinem Fußschemel leiten wird, um hier als die Braut seines Günstlings bewillkommt zu werden. Ein anderer Bewerber möchte eifersüchtig werden, wenn er die Saite berührte, allein mein fester Entschluß läßt sich durch eine so kindische und hoffnungslose Leidenschaft nicht ändern. Wisse denn, daß dieser Nebenbuhler sich ebenfalls in meiner Gewalt befindet, und daß es blos bei mir steht, ihn an Front-de-Boeuf zu verrathen, dessen Eifersucht noch verderblicher werden kann, als die meinige.«

»Wilfred hier?« sagte Rowena verächtlich, »das ist eben so wahr, als Front-de-Boeuf sein Nebenbuhler ist.«

De Bracy sah ihr einen Augenblick ins Gesicht, dann sagte er: »Weißt Du das wirklich nicht? Wußtest Du auch nicht, daß er in der Sänfte mit dem Juden reiste? Eine recht passende Begleitung für den Kreuzfahrer, dessen mächtiger Arm das heilige Grab erobern wollte!« Bei diesen Worten lachte er verächtlich.

»Und wenn er hier wäre,« versetzte Rowena, sich selbst zu einem gleichgültigen Tone zwingend, ob sie schon innerlich eine Angst empfand, die sie nicht unterdrücken konnte – »worin soll er denn Front-de-Boeufs Nebenbuhler sein? oder was hat er weiter zu fürchten, als eine kurze Gefangenschaft und ehrenvolle Auslösung nach der Sitte der Ritterschaft?«

»Rowena,« sagte de Bracy, »theilst Du denn auch den gemeinsamen Irrthum Deines Geschlechts, als ob keine Nebenbuhlerschaft stattfinden könne, als blos wegen seiner Reize. Weißt Du nicht, daß es eine Eifersucht der Ehre und des Reichthums gibt, so gut wie der Liebe; und daß unser Wirth, Front-de-Boeuf, den, der sich seinen Ansprüchen auf die schöne Baronie von Ivanhoe widersetzen wollte, schnell und unbedenklich aus dem Wege räumen wird, eben so gut, als wenn ich ein blauäugiges Mädchen vorzöge? Nimmst Du aber meinen Vorschlag an, so soll der verwundete Kämpfer von Front-de-Boeuf nicht das Geringste zu fürchten haben, ob er gleich ein Mann ist, der sich nie mitleidig bewiesen hat.«

»Rette ihn um des Himmels willen!« sagte Rowena, indem ihre Festigkeit bei dem schrecklichen Gedanken an das ihrem Geliebten bevorstehende Schicksal zu unterliegen schien.

»Ich kann und will es,« versetzte de Bracy, »denn wenn Rowena de Bracy's Braut werden will, wer dürfte es wagen, Gewaltthätigkeit gegen ihren Verwandten, den Sohn ihres Beschützers, den Gespielen ihrer Jugend auszuüben? Doch mit Deiner Liebe mußt Du seinen Schutz erkaufen. Ich bin kein so romantischer Thor, das Glück eines Menschen zu befördern, oder dessen Untergang zu verhindern, der wahrscheinlich als ein wirksames Hinderniß zwischen mir und der Erfüllung meiner Wünsche steht. Brauche Deinen Einfluß bei mir zu seinem Besten, und er ist gerettet, – weigerst Du Dich, so stirbt Wilfred, und Du bist Deiner Freiheit selbst um nichts näher.«

»Deine Rede,« versetzte Rowena, »hat in ihrer gefühllosen Kälte etwas, das sich nicht mit dem Entsetzen vereinen läßt, welches sie auszudrücken scheint. Ich glaube weder, daß Dein Vorsatz so abscheulich, noch daß Deine Macht so groß ist.«

»Schmeichle Dir denn mit diesem Glauben, bis Dich die Zeit eines Andern belehren wird. Dein Liebhaber liegt verwundet im Schlosse. Was kann es dem Front-de-Boeuf kosten, ihn aus dem Wege zu schaffen? Ein Dolchstoß oder Gift, und Wilfred ist auf letztere Art noch dazu ohne Blutvergießen aus der Welt geschafft! Auch Cedric« –

»Also auch Cedric,« sagte Rowena, die Worte wiederholend, »mein edelmüthiger Vormund und Beschützer! Ich verdiente das Ungemach, das ich erlitt, denn ich vergaß seines Schicksals über dem seines Sohnes.«

»Auch Cedric's Schicksal hängt von Deinem Entschlusse ab,« sagte de Bracy, »und ich überlasse Dich Dir selbst ihn zu fassen.«

Bis hierher hatte sich Rowena mit unerschüttertem Muthe bei der Versuchung benommen, allein der Grund war der, daß sie die Gefahr nicht für so ernst und nahe hielt. Ihr natürlicher Charakter war, so wie ihn Physiognomiker immer bei zarten weiblichen Wesen annehmen, sanft, furchtsam und weich, allein durch ihre Erziehung hatte er einen Zusatz von Stärke und Kraft bekommen. Gewohnt Alle, Cedric selbst (der sonst gegen Andere nicht sehr nachgebend war) ihren Wünschen sich fügen zu sehen, hatte sie einen Muth und ein Selbstvertrauen erhalten, welches durch die stete Zuvorkommenheit des Kreises, in dem man lebt, entsteht. Sie konnte gar nicht begreifen, wie man ihrem Willen widerstreben, noch weniger, wie man gar nicht darauf achten könnte.

Ihr Stolz und ihre Gewohnheit zu herrschen war daher nur ein angenommener Charakter, und der sie sogleich verließ, als sich ihre Augen für ihre eigene, so wie für die Gefahr ihres Geliebten und ihres Beschützers öffneten, und als sie fand, daß sich ihr Wille, dessen leiseste Aeußerung sie sonst als einen Befehl für Andere zu betrachten gewohnt war, sich im Gegensatz mit dem eines kraftvollen, stolzen und entschlossenen Gemüths befand, das sich im Vortheil über sie fühlte und kein Bedenken trug, dies zu benutzen.

Nachdem sie sich im Kreise umgesehen hatte, als suchte sie eine Hülfe, die sie nirgends fand, und nach einigen abgebrochenen Ausrufungen, erhob sie ihre Hände zum Himmel und brach in laute, jammervolle Klagen aus. Es war unmöglich ein so schönes Geschöpf in solcher Angst ohne Empfindung zu sehen, und de Bracy blieb nicht ungerührt, ob er gleich mehr verlegen als gerührt war. Er war nun schon zu weit gegangen, um zurückzutreten, und doch ließ sich in Rowena's gegenwärtiger Verfassung weder durch Gründe noch durch Drohungen etwas ausrichten. Er schritt daher im Gemache auf und nieder, bald das erschreckte Mädchen vergeblich ermahnend, sich zu fassen, bald zweifelhaft, wie er selbst sein ferneres Benehmen einrichten sollte.

»Laß ich mich,« dachte er, »durch die Klagen und Thränen des Mädchens rühren, so verliere ich alle die schönen Hoffnungen, um die ich so viel gewagt habe, und fühle den Spott des Prinzen Johann und seiner muntern Kameraden obendrein. Und doch passe ich schlecht zu der Rolle, die ich spiele. Ich kann in ein so schönes Gesicht nicht schauen, wenn es von Schmerz entstellt wird, noch in diese Augen, wenn sie in Thränen schwimmen. O! hätte sie doch ihren ursprünglichen Stolz beibehalten, oder hätte ich einen größern Antheil von Front-de-Boeuf's dreifach gehärtetem Herzen erhalten.«

Durch solche Gedanken bewegt, konnte er Rowena blos bitten, ruhig zu sein, und sie versichern, daß sie für jetzt noch keinen Grund zu der Verzweiflung habe, der sie sich überlasse. Allein gerade in dem Versuche dieser Tröstung wurde er durch die kühnen, gewaltigen Töne des Hornes unterbrochen, welche zu gleicher Zeit alle andern Bewohner des Schlosses erschreckt hatten. Unter Allen war vielleicht de Bracy am wenigsten damit unzufrieden, denn seine Unterredung mit der Lady Rowena war bis auf den Punkt gekommen, wo er es eben so schwer fand, sie abzubrechen, als sein Unternehmen weiter zu verfolgen.



 << zurück weiter >>