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Dreizehntes Kapitel.

Kaum färbte das Morgenrot den Horizont, so war Arthur Philippson schon auf den Beinen, um alles zur Abreise herzurichten. Es war keine schwierige Aufgabe für ihn, die sauber geschnürten Ballen, die seines Vaters Waren enthielten, von den plumpen Bündeln zu trennen, in denen das Gepäck der Schweizer steckte. Als alles fertig war, weckte der junge Engländer seinen Vater und zog sich dann zurück, während der Vater, seiner täglichen Gewohnheit nach, das Gebet des heiligen Julian, des Schutzpatrons der Reisenden, hersagte und sich hierauf zur Reise ankleidete. Man wird sich nicht wundern, daß indes der jüngere Philippson, das Herz voll von dem, was sich in der verflossenen Nacht ereignet hatte, die Blicke auf die Tür des Schlafzimmers heftete, wo das wundersame Mädchen weilte. Die Frage, ob er das Mädchen selbst gesehen oder einen Geist, der ihre Gestalt angenommen, ließ ihm keine Ruhe.

»Ich werde sie niemals wiedersehen,« dachte er bei sich, »das ist wohl mehr als gewiß; und niemals werden sich mir die Geheimnisse enthüllen, von denen sie umgeben ist. Doch daß ich etwas ausgeplaudert habe, wodurch sie diesem derben Burschen, dem Rudolf von Donnersberg, in die Hände gegeben ist, das werde ich zeit meines Lebens bereuen.« – So stand er, bis sein Vater ihn rief.

Indem sie mit Vorsicht durch die Gruppen von Schlafenden, welche umherlagen, hinschritten, wendete der ältere Philippson, als sie die Tür des Saales erreicht hatten, sich noch einmal um und murmelte ein unfreiwilliges Lebewohl, indem er auf das Strohlager blickte, auf welchem die hohe Gestalt des Landammannes und der Silberbart seines beständigen Begleiters von den ersten Strahlen der Morgensonne erhellt wurden. Ebenso rief, doch nur für sich selbst, Arthur der liebreizenden, tapferen, doch auch geheimnisvollen Anna ein Lebewohl zu.

Bald befanden sie sich vor dem äußeren Tore; und der Sohn nahm den Zaum des Maultieres in die Hand und führte es gemächlichen Schrittes dem Ziele ihrer heutigen Wanderung zu, indem der Vater neben ihm herschritt.

Indem wir die beiden Reisenden ihres Weges nach La Ferette ziehen lassen, versetzen wir uns an das östliche Tor jener auf einem Hügel gelegenen Grenzburg, von der aus man einen Ueberblick nach allen Seiten, vornehmlich aber nach Basel hin, hat. La Ferette gehört eigentlich nicht zu den Besitzungen des Herzogs von Burgund, war ihm aber als Unterpfand für eine bedeutende Geldsumme übergeben worden, die Karl vom Kaiser Sigismund von Oesterreich zu fordern hatte. Da La Ferette nun infolge seiner Lage der günstigste Platz war, den Handel zu überwachen und die Schweizer zu schikanieren, die der Herzog haßte und verachtete, so dachte er nicht daran, die Feste wieder abzutreten. Die Lage von La Ferette war zwar an sich fest, doch waren die Bollwerke, von denen es umgeben war, keineswegs darauf eingerichtet, eine förmliche Belagerung lange auszuhalten. Die Morgenstrahlen hatten seit länger als einer Stunde die Spitze des Kirchturms von La Ferette beschienen, als ein langer, dürrer, ältlicher Mann, in ein Frühgewand gehüllt, das von einem breiten Gürtel mit einem Schwert an der linken, einem Dolch an der rechten Seite, zusammengehalten wurde, sich dem äußeren Wartturme des östlichen Tores näherte. An seinem Barett steckte eine Feder, die in ganz Deutschland das äußere Merkmal adeliger Abkunft und ein hoch in Ehren gehaltenes Abzeichen aller derer war, die das Recht hatten, es zu tragen.

Die kleine Schar Landsknechte, die in der letzten Nacht hier Posten gestanden hatte, griff bei seiner Ankunft zu den Waffen, und stellte sich auf wie eine Wache, die mit gebührenden Ehrenbezeigungen einen bedeutenden Befehlshaber empfängt. Archibald von Hagenbachs Angesicht, denn der Kommende war der Vogt selbst, drückte Verdrießlichkeit und Mißmut aus. Sein Kopf schwindelte ihm, sein Puls schlug fieberhaft, seine Wange war bleich – Beweise, daß er die vorige Nacht, seiner Gewohnheit nach, zwischen Weinkrügen und Maßkannen zugebracht hatte. Nach der Eile, in der die Landsknechte antraten, und nach ihrem ehrfürchtigen Schweigen zu schließen, waren sie gewohnt, bei solchen Gelegenheiten seine üble Laune zu verspüren. Er warf nunmehr einen lauernden, unzufriedenen Blick auf sie, als suchte er einen Gegenstand, an dem er seinen Grimm auslassen könnte und fragte dann »nach dem schleichenden Hunde Kilian.«

Sofort erschien Kilian, ein derber, ungeschlachter Knappe, ein Bayer von Geburt und seinem Range nach der Leibknappe des Vogts.

»Was Neues von den Schweizern, Kilian?« fragte Archibald von Hagenbach, »Ihrer rüstigen Gewohnheit nach sollten sie schon zwei Stunden auf dem Wege hierher sein. Hätten die Bauernklötze sich's einfallen lassen, es den Edelleuten nachzutun und bis zum Hahnenschrei bei den Humpen zu sitzen?« – »Mein Six, es mag wohl so sein,« antwortete Kilian; »die Baseler Bürger tischen ihnen sattsam auf zum Schmaus. Sie nahmen sie zwar nicht in die Stadt auf, allein durch einen zuverlässigen Kundschafter erfuhr ich, daß sie ihnen eine Herberge in Grafenlust herrichteten, und Braten und Gebäck dorthin brachten, der Krüge mit Rheinwein, der Fässer mit Bier, der Branntweinkannen gar nicht zu gedenken.«

»Dafür sollen die Baseler Rede stehen, Kilian,« sagte der Vogt, »Meinen sie, ich soll mich ihretwegen immer zwischen den Herzog und dessen Laune stellen? Was hast Du weiter von dem Nachtlager der Schweizer zu berichten? Ich sollte meinen, ein alter Reitersmann wie Du hätte bei der Mahlzeit, die sie, wie Du erzähltest, hielten, ihnen die Flügel ein wenig gestutzt.« – »Ebensogut hätte ich einen ergrimmten Igel mit bloßen Fingern zerquetschen können,« sagte Kilian, »ich kundschaftete selbst um Grafenlust herum – da gab es Schildwachen auf den Burgmauern, einen Posten auf der Brücke, und überdies eine Wachtrunde von Schweizerbuben, die wacker auslugte. So war da nichts zu machen, sonst, da mir Euer alter Groll bekannt ist, hätte ich ihnen eins versetzt, ohne daß sie hätten wissen sollen, woher es kam.« – »Gut, um so besser wollen wir über sie herfallen,« sprach der Hagenbacher, »sonder Zweifel kommen sie in reichem Prunke mit all ihrem Schmuck, mit den Silberketten ihrer Weibsen, mit ihren eigenen Schaumünzen, mit Ringen aus Blei und Kupfer! Ha! die niederträchtigen Bauern, die nicht wert sind, daß ein Mann von edlem Geblüt sie von ihrem Plunder erleichtert.« – »Sie führen bessere Ware als Plunder bei sich, so meine darüber eingezogene Kundschaft mich nicht völlig täuscht,« erwiderte Kilian; »es reisen nämlich englische Kaufleute unter ihrem Schutz.«

»Englische Kaufleute!« rief der Hagenbacher, indem seine Augen vor Freude funkelten; »englische Kaufleute Kilian! ist's ein langer Zug von Maultieren?« – »Ei, edler Herr, ein Zug ist's nicht – nur zwei Männer, wie ich erfuhr, mit kaum so vielem Gepäcke, als ein Maultier trägt; doch dieses wenige soll von unendlichem Werte sein; Seide und Sammet, Spitzen, Pelzwerk, Perlen und Diamanten, wohlriechende Spezereien aus dem Morgenland und Goldarbeiten aus Venedig.« – »Entzücken und Paradies! Sprich kein Wort mehr!« rief der habsüchtige Ritter von Hagenbach, »all das ist unser, Kilian! Traun, das sind eben die Männer, von denen wir zu zweienmalen in einer Woche des verwichenen Mondes träumten. Ha! zwei Männer von mittlerer Gestalt – ja, wohl noch etwas kleiner – mit sanftem, rundem Gesicht, deren Magen gespickt ist, wie der Bauch eines Rebhuhnes, und deren Geldsäcklein gespickt sind wie ihr Magen. – He, was sagst Du zu meinem Traum, Kilian?« – »Es hätten Euch darin auch noch zwanzig derbe junge Recken erscheinen sollen, die Streitaxt und Partisane gut zu führen wissen.« – »Desto besser, Bursch, desto besser!« rief der Vogt, indem er sich die Hände rieb. »So plündern wir englische Marktkrämer und sperren zugleich Schweizer Mondstiere ins Joch! Holla! Schönfeldt!«

Ein Rottmeister trat vor. – »Wie viele Mannschaft hat heut die Wache?« – »Etwa sechzig,« war Schönfeldts Antwort. – »Laßt sie alle unter die Partisane treten; hört Ihr? Doch blast keine Trompete, sondern ruft einzeln jeden herbei, daß er so still wie möglich sich aufstelle, und das hier am Osttore. Sagt den Schuften, daß Beute zu machen sei – und daß sie ihren Anteil haben sollen. – Ich sage Dir, Kilian,« fuhr der entzückte Vogt fort, indem er sich wieder seitwärts zu seinem Helfershelfer wandte, »das kommt sehr erwünscht. Herzog Karl will den Schweizern eine Schmach antun; es soll aber nicht so aussehen, als geschehe es auf seinen Befehl, auch soll es kein Verstoß gegen eine friedfertige Gesandtschaft genannt werden können. Wer ihm diesen Dienst erweist und der Sache den Anstrich zu geben versteht, als sei nur ein Irrtum geschehen, der verdient sich des Herzogs Dank.« – »Ich meine,« antwortete Kilian, »wir dürfen uns nicht allzusehr auf Herzog Karl verlassen. Bedenkt, es ist eine friedliche Gesandtschaft – und die Kaufleute sind Engländer. Beginnt Karl Krieg mit Ludwig, wie das Gerücht verlautbart, so hat er nichts mehr zu wünschen, als daß die Schweizer fein still sitzen und England ihm beistehe, England, dessen König mit großer Heeresmacht über das Meer herzieht. Nun könnt's Euch begegnen, Herr Hagenbacher, daß Euretwegen heute morgen noch die Kantone sich gegen den Herzog rüsten und der befreundete Engländer dem Burgunder zum Feinde wird.« – »Ich sorge drob nicht,« sagte der Vogt, »übrigens habe ich dabei keinen Fußbreit Erde zu verlieren.«

»Aber ein Leben habt Ihr doch zu verlieren?« sagte der Knappe. – »Nun ja, ein Leben!« versetzte der Ritter; »ein lumpig Recht, hier herum zu kriechen, ein Recht, das ich alltäglich bereit sein mußte, aufzuopfern – bald für Krontaler, bald für Kreuzer – und meinst Du nun, ich sollte damit hinter dem Berge halten, wo es Edelstoffe, Perlen aus dem Morgenlande, Goldarbeiten aus Venetia gilt? Nichts da, Kilian, diese Engländer müssen ihre Ballen hier lassen, damit Archibald von Hagenbach milderen Wein trinken kann als den dünnen Moseler. Auch tut's nicht minder Not, daß Kilian einen besseren Koller bekomme und ein Dukatenbeutlein ihm am Gürtel klingle.« – »Meiner Six!« rief Kilian, »dieses Euer letztes Wort nimmt mir alle Bedenken, und ich gebe alle Widerrede auf, zumal es mir übel ansteht, mit Euch, edler Herr, zu streiten.« – »Ans Werk denn!« sprach der Vogt.

Doch da erklangen, von einer dumpfen Stimme hinter ihnen gesprochen, die nachdrücklichen Worte aus der heiligen Schrift: »Ich habe den Gottlosen blühen sehen in seiner Macht, gleich einem Lorbeerbaume; allein ich kehrte wieder, und er war nicht mehr; ja, und als ich ihn suchte, war er nicht mehr zu finden.« – Ritter Archibald von Hagenbach wandte sich finster um und begegnete den dunklen, Böses weissagenden Blicken des Pfarrherrn zu St. Paul, der in seiner Amtskleidung dastand. – »Wir haben Geschäfte, Pater,« sprach der Vogt, »und wollen Euer Gewäsch ein andermal hören.« – »Ich komme auf Euren Ruf, Herr Vogt,« sagte der Priester, »denn nimmer würde ich mich da eingedrängt haben, wo mein Gewäsch, wie Ihr es nennt, nichts fruchtet.« – »Ja, ich flehe um Euern Segen, ehrwürdiger Pater,« sagte der Hagenbacher. »Es ist wahr, ich ließ Euch rufen, um Eure gütige Verwendung bei Unserer lieben Frau und dem heiligen Paulus in etlichen Angelegenheiten zu erbitten, die sich diesen Morgen ereignen dürften und bei denen ich mein Schäfchen scheren will.«

»Herr Archibald,« antwortete der Priester gelassen, »begehrt Ihr etwa von einem Priester, daß er Gebete für den glücklichen Ausgang Eurer Plünderungen und Räubereien gen Himmel sende?« – »Ich verstehe Euch, Pater,« versetzte der raubgierige Vogt, »und gelobe daher feierlich, daß ich bei glücklichem Ausgang des Abenteuers der Kirche St. Paul ein Altartuch und ein Silberbecken stiften will, je nachdem, wie die Beute ausfällt. Unsere heilige Jungfrau soll eine Perlenschnur für die Feiertage haben, und Dir, Priester, sollen zwanzig und etliche schwere englische Goldstücke für die Mühewaltung zufallen, daß Du den Vermittler machst zwischen uns und den guten Heiligen, mit denen in eigener unheiliger Person zu unterhandeln, wir uns allerdings viel zu unwürdig erachten. Und jetzt, Herr Pfarrer verstehen wir uns, denn ich habe wenig Zeit zu verlieren, ich weiß, Ihr denkt hart von mir, allein Ihr seht, der Teufel ist nicht so arg, wie er beschrieben wird.«

»Wir verstehen einander?« versetzte der Priester von St. Paul, indem er des Vogts Worte fragend wiederholte. »Ach, mit nichten, und ich fürchte, es werde nimmer geschehen. Hast Du Dein Lebtag nicht reden hören von Berchthold, dem heiligen Eremiten, und welche Worte er sprach zu der feindseligen Königin Agnes, die mit so grausamer Strenge den Mord ihres Vaters, des Kaisers Albrecht rächte? – Wisse, daß Agnes, die Tochter des ermordeten Albrecht, nachdem sie Ströme von Blut vergossen hatte, um des Vaters blutigen Tod zu rächen, zuletzt die reiche Abtei Königsfeld stiftete und in Person eine Wallfahrt zu der Zelle des Eremiten machte und ihn bat, er möchte ihrer Abtei die Ehre erzeigen, seine Wohnung darin zu nehmen. Jedoch wie lautete seine Antwort? Höre sie und zittere! »Hebe Dich weg, ruchloses Weib,« sprach der heilige Mann; »Gott will nicht durch Blutschuld verehrt sein und verwirft die Gaben, die durch Gewalttat und Räuberei erworben wurden. Der Allmächtige liebt Gnade, Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit, und nur von denen, die diese üben, will er angebetet sein!« Und somit, Archibald von Hagenbach, bist Du einmal, zweimal, dreimal gewarnt worden. Wandle, wie es einem Manne geziemt, über den der Spruch gesprochen wurde und der die Vollstreckung des Urteils zu erwarten hat!« – Nachdem der Priester von St. Paul mit dräuender Stimme und zürnender Gebärde diese Worte gesprochen hatte, ging er seines Weges, Hagenbach rief nach einem Becher Wein, um seinen Groll hinunterzuspülen; und als er eben ausgetrunken; erklang das Horn des Turmes und kündete an, daß Fremde sich dem Tore näherten.


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