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Neuntes Kapitel.

Es währte nicht lange, so entdeckten unsere Reisenden den Brückenkopf oder das Vorwerk, auf welchem die Zugbrücke, wenn sie herabgelassen war, ehedem geruht hatte. Die Brücke selbst war längst verfallen. Ein leidlicher Uebergang aus Tannenbäumen und Brettern, der wahrscheinlich erst vor kurzem gemacht worden war, bildete den Zugang zum Haupttor, und von ihm aus ging es zu einem Saale, der anscheinend zum Obdach für sie eingerichtet worden war, so gut die Umstände es gestatteten. Ein großes Feuer aus wohlgetrocknetem Holze brannte lichterloh im Kamin. Am Ende des Gemaches war ein Holzvorrat aufgestapelt, der groß genug war, das Feuer zu unterhalten, auch wenn die Reisenden eine Woche lang dort geblieben wären. In der Mitte des Saales standen zwei oder drei lange, schon gedeckte Tische, und, als man sich genauer umsah, fand man in einem Winkel mehrere große Packkörbe, die kalte Speisen im mundrechten Zustand enthielten. Der ehrliche Solothurner blinzelte, als er sah, wie die jungen Leute das Abendessen aus den Körben packten und die Tafel damit belasteten.

»Nun,« sprach er, »diese armen Männer von Basel haben ihre Ehre gerettet, denn wenn sie's uns am Willkommen gebrechen ließen, so haben sie doch für eine reiche Mahlzeit gesorgt.«

»Ach, Freund,« sprach Arnold Biedermann, »das beste Mahl ist nichts wert, wenn der Wirt es unter seiner Würde hält, mitzuspeisen. Doch nach seinen bedenklichen Worten scheint es geraten zu sein, über Nacht sorgsam Wache zu halten, ja ich schlage vor, daß etliche unserer jungen Gesellen von Zeit zu Zeit die alten Ruinen umgehen. Der Platz ist fest und wehrfähig, und auch dafür sind wir unsern Quartiermeistern Dank schuldig. An Eure Pflicht denn, Ihr Burschen! untersucht die Ruine sorgfältig, – sie birgt vielleicht noch mehr als uns.«

Alle billigten diesen Vorschlag. Die jungen Männer griffen nach Fackeln, von denen ein großer Vorrat zu ihrem Gebrauche dalag, und unternahmen eine strenge Durchforschung der Ruine.

Der größte Teil der Feste war noch viel verfallener und verödeter als der, den die Baseler Bürger zur Bequemlichkeit unserer Gesandtschaft hergerichtet hatten. An etlichen Stellen fehlte die Bedachung, und einige Gemächer lagen voller Schutt. Der Lichtschimmer, das Blinken der Waffen, der Schall der Menschenstimmen und Fußtritte scheuchten aus düstern Schlupfwinkeln Eulen, Fledermäuse und andere garstige Nachttiere. Die Späher stellten fest, daß der tiefe Graben ihren Zufluchtsort rings umgab und sie folglich gegen jeglichen Angriff von außen gesichert waren; denn den Haupteingang konnte man leicht verrammeln und mit Schildwachen besetzen. Auch überzeugten sie sich davon, daß wohl ein einzelner sich hier verborgen hätte halten können, keinesfalls aber eine der ihren an Zahl gleiche Schar.

Sodann bezogen sechs Jünglinge unter Rudolf von Donnersberg Wache vor dem Gebäude. Beim ersten Hahnenschrei sollten sechs andere sie ablösen. Im Innern der Feste wurden ähnliche Vorsichtsmaßregeln getroffen. Ein alle zwei Stunden abzulösender Posten sollte am Haupttor und zwei andere an der entgegengesetzten inneren Seite des Gebäudes stehen, obgleich der Graben Sicherheit genug zu gewähren schien. Hierauf wurden aus einer Menge Heu und Stroh, das man in der weitläufigen Feste aufgeschichtet hatte, die Lagerstätten hergerichtet – ganz behagliche Betten für Leute, die im Kriege oder auf der Jagd oft mit weit schlechterem Nachtlager sich begnügt hatten.

Die Aufmerksamkeit der Baseler war sogar soweit gegangen, daß sie für Anna von Geierstein ein bequemes Obdach in einem Gemach hergerichtet hatten, das ehedem wahrscheinlich die Speisekammer der Feste gewesen war. Man betrat es vom Saal aus, und außerdem hatte es eine Tür, die in die Ruinen führte. Diese Tür war vor kurzem erst in aller Eile, doch mit großer Sorgfalt aus Quadern und Trümmergestein hergestellt worden. Die Steine waren freilich nicht mit Mörtel verbunden, doch durch ihr Eigengewicht so festgelegt, daß ein Versuch, sie einzurennen, nicht nur die in der Kammer, sondern auch die im Saale sofort hätte aufwecken müssen. In diesem kleinen Gemache standen zwei Feldbetten, und auf dem Herde glühte ein großes Feuer, Wärme und Behaglichkeit verbreitend.

»Wir sollten unsere Baseler Freunde bemitleiden, nicht aber Unwillen gegen sie hegen,« sprach Biedermann, als er dies sah, »Sie haben für uns getan, was sie bei ihrer Angst um die eigene Haut irgend konnten. Das ist keine Kleinigkeit, meine Herren, denn keine Leidenschaft ist so unaussprechlich selbstsüchtig wie die Furcht. – Anna, mein Kind, Du bist müde. Geh in die für Dich eingerichtete Kammer und Liesl soll Dir von diesen Speisen nachbringen, was für Dich zum Abendbrot am zuträglichsten ist.« – Indem er so sprach, führte er seine Nichte in das Nebengemach, wo er mit einer Art von Wohlgefallen umherblickte und dem Mädchen eine gute Nacht wünschte; doch eine Wolke auf Annas Stirn schien zu weissagen, daß ihres Oheims Wünsche nicht erfüllt werden würden. Von dem Augenblicke an, wo sie das Schweizerland verlassen, hatte sie traurig dreingeschaut; ihr ganzes Wesen verriet geheime Angst oder versteckten Kummer. Dies entging ihrem Ohm nicht, doch schrieb er es ihrem Schmerz zu, sich von ihm trennen zu müssen und den stillen Aufenthaltsort zu verlassen, an welchem sie so manches Jahr ihrer Jugend zugebracht hatte.

Allein Anna von Geierstein hatte kaum das Gemach betreten, als sie heftig zu zittern begann; alle Farbe schwand aus ihren Wangen, sie sank auf eines der Feldbetten mit allen Anzeichen tiefinnerster Unruhe. »Wollte Gott, wir wären jetzt in Geierstein!« rief sie in schmerzlichem Tone. – »Wir werden dort sein, sobald wir unser Geschäft ausgerichtet haben,« sagte der ehrliche Landammann, »doch lege Dich jetzt auf Dein Ruhebett, Anna, –iß ein wenig und trinke ein Paar Tropfen Wein, so wirst Du morgen so fröhlich wie an einem Schweizerfeiertage erwachen, wenn die Schalmei das Morgenglöckchen klingen läßt.«

Anna wünschte ihrem Oheim gute Nacht.

Arnold Biedermann küßte seine Nichte und kehrte in den Saal zurück, wo seine Amtsgenossen mit Ungeduld seine Ankunft erwarteten, um sich zu Tisch zu setzen.

Es war Arthurs Absicht, sich zu den Jünglingen zu gesellen, denen die Pflicht oblag, im Innern des Gebäudes oder um die Jagdfeste her Wache zu stehen. Er hatte sich in diesem Sinne mit Sigismund, dem dritten Sohne des Landammannes, besprochen. Nun wollte er nur rasch noch einen Blick von Anna von Geierstein erhaschen und bemerkte auf des Mädchens Antlitz einen so tiefen, feierlichen Ausdruck, daß er darüber alles andere vergaß und sich mit vieler Besorgnis fragte, weshalb wohl das Mädchen plötzlich so traurig gestimmt sei. Die liebliche, offene Stirn, die Augen, die reine, ihrer selbst sich bewußte Unschuld ausdrückten, die Lippen, die stets bereit zu sein schienen, nur in Güte und voll Vertrauen so reden, wie das Herz es ihnen eingab, hatten sich in diesem Augenblick in Charakter und Ausdruck völlig verändert. Ermüdung hätte wohl die Rosen von des Mädchens Wangen verscheuchen, ihr Auge trüben und ihre Stirn bewölken können; aber der Blick tiefer Bekümmernis, mit dem sie dann und wann zu Boden sah und bald darauf wieder starr und erschrocken sich umschaute, mußte seine Ursache in Gemütsbewegungen ganz anderer Art haben. Der junge Philippson heftete voll innigen Mitleids und unverhohlener Zärtlichkeit den Blick auf Anna von Geierstein, und die geräuschvolle Umgebung schien um ihn her zu verschwinden. Ihm war, als weile in der einsamen Feste kein Wesen, als nur er und das Mädchen, um das er sich härmte. Vergebens aber fragte er sich nach den Gründen ihrer Bestürzung und Trauer. Während er sie so betrachtete, erhob Anna die Blicke in einer jener Anwandlungen tiefinnerster Unruhe, und während sie den Saal furchtsam überschaute, als erwarte sie mitten unter ihren wohlbekannten Reisegefährten irgend eine fremde, unwillkommene Erscheinung zu gewahren, fiel ihr Auge auf den starren, ängstlich fragenden Blick Arthur Philippsons. Eine tiefe Röte überzog ihre Wangen, und auch Arthur errötete, denn beide hatten das Gefühl, sich verraten und wider Willen etwas bekannt zu haben, was sie lieber voreinander geheim gehalten hätten. Der junge Mann zog sich sogleich zurück, und im selben Augenblick schlug die männliche Stimme des von Donnersberg an sein Ohr.

»Wie, Kamerad, hat unsere Tagereise Dich so sehr ermüdet, daß Du stehenden Fußes einschläfst?« rief Rudolf. – »Der Himmel verhüte das, Hauptmann,« sagte der Engländer, indem er aus seinen Träumereien auffuhr und den andern mit dem Titel anredete, den die Jünglinge ihm einmütig beigelegt hatten: »Der Himmel verhüte, daß ich schlafe, so sich nur das Geringste zeigt, das auf Gefahr deuten könne!« – »Wo gedenkst Du beim Hahnenruf zu sein?« fragte der Schweizer. – »Wohin die Pflicht mich ruft oder Eure Erfahrung mich sendet, edler Hauptmann,« versetzte Arthur. »Allein mit Eurer Erlaubnis übernehme ich bis Mitternacht oder bis zum Morgenrot gern Sigismunds Posten auf der Brücke. Ihr wißt, er hat sich auf der Gemsjagd den Fuß verstaucht, der ihn noch jetzt schmerzt, völlige Ruhe ist für ihn das beste Heilmittel.« – »Er, möge Bedenken tragen, der Ruhe zu pflegen,« flüsterte der von Donnersberg. »Der alte Landammann ist nicht der Mann, der kleine Unfälle als Entschuldigung gelten läßt. Leute, die unter seiner Botmäßigkeit stehen, müssen so wenig Hirn wie ein Bullochs und so starke Glieder wie ein Bär haben und gegen alle Schwächen der Menschheit so unempfindlich sein wie Blei oder Eisen.« – Arthur erwiderte in gleichem Tone: »Ich bin eine Zeitlang des Landammanns Gast gewesen, habe aber von einer solchen Strenge nichts bemerkt.« – »Ihr seid ein Fremder,« sagte der Schweizer, »und der alte Mann ist zu gastfrei, als daß er Euch den geringsten Zwang auferlegen sollte. Auch nehmt Ihr als Freiwilliger an unseren Jagden und Kriegspflichten teil, und wenn ich Euch bat, beim ersten Hahnenruf mit mir auszuziehen, so geschah es nur in der Voraussetzung, daß Ihr selbst damit einverstanden seid.« – »Ich stelle mich für jetzt unter Euren Befehl,« sagte Philippson. »Ich werde mich beim Hahnenruf auf der Brücke ablösen lassen und dann mit Freuden meinen Posten gegen einen wichtigeren vertauschen.« – »Tut Ihr damit nicht mehr, als Eure Kräfte vermögen?« fragte Rudolf. – »Ich tue nichts mehr, als was Ihr tut,« entgegnete Arthur. »Nahmt doch auch Ihr Euch vor, bis zum Morgen zu wachen.« – »Wahr,« versetzte der von Donnersberg, »aber ich bin ein Schweizer.« – »Und ich,« antwortete Philippson rasch, »bin ein Engländer.«

»Ich meinte das nicht in dem Sinne, in welchem Ihr es nehmt,« sagte Rudolf lachend; »ich meinte nur, daß mich die Sache näher angeht als Euch, denn als Fremdling seid Ihr nicht weiter beteiligt an den Dingen, die uns jetzt beschäftigen.–« »Allerdings bin ich hier ein Fremdling,« entgegnete Arthur, »doch habe ich Eure Gastfreundschaft genossen, und daher steht mir's zu, solange ich bei Euch weile, Eure Mühen und Gefahren zu teilen.« – »Sei es denn so,« sagte Rudolf von Donnersberg. »Ich werde meine erste Runde um die Zeit vollendet haben, wo die Schildwachen innerhalb der Feste abgelöst werden sollen, und bereit sein, die zweite Runde in Eurer Gesellschaft zu machen.« – »Ich bin's zufrieden,« sprach der Engländer. »Und jetzt will ich auf meinen Posten, denn Sigismund wird denken, ich käme meiner Zusage nicht nach.«

Sie eilten zusammen an das Tor, wo Sigismund herzlich gern Waffe und Dienst dem jüngeren Philippson überließ, indem er die Meinung bestätigte, die dann und wann von ihm gehegt wurde – nämlich, daß er der schläfrigste und mutloseste der Söhne Geiersteins wäre. – Rudolf konnte sein Mißbehagen nicht unterdrücken. – »Was würde der Landammann sagen,« fragte er, »wenn er Dich sähe, wie Du gelassen Posten und Partisane einem Fremden überläßt?« – »Er würde sagen, daß ich wohl daran tat,« antwortete der Jüngling sonder alle Scheu, »denn er erinnert uns fortwährend daran, dem Fremden in allen Stücken zu Willen zu sein: und der Engländer übernimmt ganz aus freiem Willen die Wache. Hört also Eure Dienstpflicht! Ihr habt jeden aufzuhalten, der herein will. Zeigen sich Fremde, so habt Ihr Lärm zu machen. Doch dürft Ihr diejenigen von den Unsrigen, die Euch bekannt sind, ohne Anruf und Lärm hinauslassen.« – »Hol' Dich der Henker, Du träger Gesell!« rief Rudolf, »Du bist der einzige Schlummerkopf Deiner Sippschaft!« – »So bin ich der einzige Kluge von ihnen allen,« versetzte Sigismund, »Wenn es weise ist, zu essen, wenn uns hungert, so kann es keine Torheit sein, sich schlafen zu legen, wenn man müde ist,« Mit diesen Worten und nach Herzenslust gähnend, hinkte die abgelöste Schildwache davon.

»Und doch steckt Kraft in diesen schlotternden Gebeinen und Mut in dem trägen, schlummernden Geiste,« sagte Rudolf zu dem Engländer. »Aber es wird Zeit, daß ich, der ich die andern tadle, mein eigen Werk nicht versäume. Hierher, Ihr Wachtkameraden, hierher!« – Der Berner pfiff bei diesen Worten, und sechs junge Männer, die er sich zur Begleitung auf seinem Rundgang ausgewählt hatte, kamen heraus. Zwei von ihnen führten jeder einen großen Kettenhund oder Bullenbeißer, die, sonst nur zur Jagd gebraucht, doch auch geeignet waren, einen Hinterhalt aufzuspüren. Den einen Hund führte ein Bursche, der etwa zwanzig Schritte weit vor der Wache herging, an einer Leine; der zweite Hund gehörte Rudolf von Donnersberg und gehorchte diesem aufs Wort. Drei seiner Gefährten schritten dicht neben Rudolf her, und die beiden anderen, von denen einer das Horn eines Bergstieres als Jägerhorn trug, folgten ihm. Diese kleine Truppe schritt über die Brücke und ging dem Waldrande zu, der unfern der Jagdfeste lag, und wo sich gar wohl ein Feind hätte verstecken können. Der Mond war jetzt aufgegangen, sodaß Arthur von der Erhöhung herab, auf der er als Posten stand, die leise dahinschreitende Wachrunde im hellen Silberlicht verfolgen konnte, bis sie sich im Dunkel des Waldes verlor.

Als er sie nicht mehr sehen konnte, kehrten seine Gedanken sogleich zu Anna von Geierstein und zu dem seltsamen Ausdruck der Besorgnis zurück, der an diesem Abend ihr schönes Angesicht verfinstert hatte. Wieder sah er sie erröten, und er zitterte fast vor dem Gedanken, diesem Erröten die günstige Bedeutung zu geben, mit der ein selbstzufriedener junger Liebhaber sich ohne Bedenken geschmeichelt hätte. Kein Aufsteigen noch Niedersinken des Tagesgestirns war jemals den Augen des Jünglings so lieblich erschienen, als jenes Erröten ihm jetzt in der Erinnerung vorschwebte; auch vermochte kein begeisterter Schwärmer, kein poetischer Träumer je so mancherlei erdichtete Formen im Zuge und Fluge der Wolken wahrzunehmen, als Arthur aus den mancherlei Andeutungen von Teilnahme, die über das schöne Angesicht des Schweizermädchens hingeschwebt waren, wundersame Andeutungen von sich herzuleiten wußte.

Bei alledem fuhr durch seine Träumereien plötzlich der Gedanke, daß es ihn wenig bekümmern könnte, was denn wohl die Ursache von Annas Umwandlung sein mochte. Vor nicht langer Zeit hatte er das Mädchen zum ersten Male gesehen – bald mußte er wieder von ihr scheiden. Sie konnte für ihn nichts weiter sein als eine Erinnerung an einen schönen Traum, und er konnte in ihrem Andenken für nichts anderes gelten, als für einen Fremdling aus fernem Lande, der eine Zeitlang im Hause ihres Onkels weilte, den jedoch wiederzusehen, sie niemals erwarten konnte. Als sich diese Vorstellung in die Bilderreihe seiner romantischen Träume drängte, die ihm die Seele bewegten, war es, als wenn man einem tapferen Renner die Sporen in die Flanken gedrückt hätte. In dem Torweg, wo der junge Kriegsmann Wache hielt, wurde es ihm plötzlich zu enge. Er stürzte vor über die Bretterbrücke und betrat hastig einen Teil des Brückenkopfes, auf welchem das andere Ende des Brückenlagers ruhte. – Hier maß er mit langen und schnellen Schritten den engen Raum, auf den die Pflicht des Schildwachhaltens ihn beschränkte, als hätte er ein Gelübde getan, auf dem kleinsten, ihm zugemessenen Platze die möglichst größte Anstrengung zu vollführen. Dieses heftige Auf- und Abgehen beschwichtigte in der Tat sein stürmisches Gemüt, brachte ihn zu sich selbst zurück und erinnerte ihn an die zahlreichen Gründe, die es ihm untersagten, sich in Anna von Geierstein zu verlieben, so bezaubernd das Mädchen auch war.

»Gewiß,« dachte er indem er seinen Schritt mäßigte und seine Partisane schulterte, »gewiß ist mir Vernunft genug geworden, meinen Stand und meine Pflichten im Auge zu behalten, meines Vaters gedenken, dem ich alles in allem bin, und mir vorzustellen, was für eine Schmach mir daraus erwachsen müßte, wenn ich die Zuneigung eines offenherzigen, zutrauensvollen Mädchens gewönne, das ich niemals glücklich machen könnte, auch wenn ich ihrer Liebe meine Lebensbahn opferte. Nein,« sprach er zu sich selbst, »sie wird mich bald vergessen, und ich will darauf bedacht sein, an sie nur zu denken wie an einen lieblichen Traum, der für einen Augenblick die Nacht voll Mühseligkeiten und Gefahren erhellte, in der mein Dasein, wie es scheint, verfließen soll.«

Bei diesen Worten stand er still, und wie er sich an seine Waffe lehnte, trat unwillkürlich eine Träne in seine Augen und stahl sich seine Wange hinab. Doch er bekämpfte diese Regung der Wehmut und rief sich seine Dienstpflicht als Schildwache ins Gedächtnis zurück, die er im Drange seiner Erinnerungen fast vergessen hatte. Allein, wie groß war sein Erstaunen, als er nun hinausblickte in die mondbeleuchtete Landschaft und über die Brücke her, nach dem Walde hin, die Gestalt Annas von Geierstein schreiten sah!


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