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Zwölftes Kapitel.

»Und Anna von Geierstein?« fragte Arthur Philippson nach kurzem Schweigen. – »Ihre Mutter,« antwortete der Schweizer, »war Sybille von Arnheim, eben jenes Kind, bei dessen Taufe die Mutter starb, verschwand, oder wie Ihr es sonst nennen wollt. Die Herrschaft Arnheim, die nur an männliche Erben übergehen durfte, fiel an den Kaiser zurück. Seit dem Tode ihres letzten Herrn ist die Feste nie wieder bewohnt gewesen und, wie ich hörte, inzwischen zur Ruine geworden.«

»Ergab sich denn auch etwas Uebernatürliches,« fragte der Engländer, »mit der jungen Freiin Sybille, die nachher dem Bruder des Landammannes angetraut wurde?« – »Es heißt, die Kinderwärterinnen hätten um Mitternacht Frau Hermionen, die letzte Freiin von Arnheim, neben der Wiege des Säuglings weinend sitzen sehen, und was dergleichen Geschichten mehr sind. Allein hier folge ich minder zuverlässigen Berichten, als die sind, aus denen meine Erzählung stammt,« – »Und auf wessen Zeugnis habt Ihr Euch bei dieser Erzählung verlassen?«

»Damit will ich dienen,« antwortete der Schweizer. »Wisset, daß Gottlieb von Donnersberg, eben jener Lieblingspage des letzten Arnheimers, der Bruder meines Vaters war. Nach seines Herrn Tode zog er sich nach seinem Geburtsort Bern zurück. Mit eigenen Augen und Ohren sah und hörte er den größten Teil dieser düstern, geheimnisvollen Geschichte. Solltet Ihr jemals die Stadt Bern besuchen, so werdet Ihr den ehrlichen alten Mann kennen lernen.« – »Ihr meint also,« fragte Arthur, »daß die Erscheinung, die ich in dieser Nacht gesehen habe, mit der geheimnisvollen Ehe des Großvaters der Anna von Geierstein zusammenhänge?« – »Ei,« versetzte Rudolf, »denkt doch nicht, daß ich eine so seltsame Sache auszudeuten vermöchte. Ich beging wohl die Ungerechtigkeit, Eure Aussage betreffs der Erscheinung, die Ihr diese Nacht gesehen habt, zu bezweifeln, aber ich darf eben doch daran erinnern, daß in des jungen Mädchens Geblüt ein Teil ist, von dem man meint, daß er nicht von Adam, sondern auf mehr oder minder geradem Wege von einem jener Elementargeister abstamme, von denen man so in neuerer wie altersgrauer Zeit erzählte. Doch kann ich mich irren, wir werden sehen, wie Anna sich diesen Morgen zeigt, und ob sich auf ihrem Antlitz die Blässe und Erschöpfung wahrnehmen lassen, die von durchwachter Nacht zeugen. Ist dies nicht der Fall, so dürfen wir jedenfalls annehmen, daß entweder Eure Augen Euch seltsam betrogen haben oder sich in der Tat eine gespenstische Erscheinung gezeigt hat, die nicht von dieser Welt war.«

Hierauf erwiderte der Engländer nichts. In demselben Augenblicke wurden sie von dem Wachtposten auf der Notbrücke angerufen. – »Warum fragst Du zweimal nach dem Losungswort, Sigismund?« fragte Rudolf.

»Ich bin durch einen Spuk auf meinem Posten erschreckt worden,« antwortete der Bursche. »Hört an, Hauptmann, wie's war! Ich fand es etwas langweilig, hinauf in den breiten Mond zu gucken, drum zog ich mir die Kappe über die Ohren, denn ich versichere Euch, der Wind blies scharf; dann pflanzte ich mich fest auf meine Füße, eines der Beine ein wenig vorgestemmt, stützte meine beiden Hände auf meine Partisane, die ich aufrecht vor mich hinstemmte, um mich darauf zu lehnen, und schloß die Augen.« – »Schlossest die Augen, Sigismund, und das auf Deinem Posten?« rief Donnersberg. – »Seid außer Sorge deshalb,« antwortete Sigismund. Ich hielt dafür die Ohren offen. Da kam etwas auf die Brücke geschlichen, so leis und verstohlen wie eine Maus. Ich starrte hinaus in dem Augenblick, wo es mir gegenüberstand – und als ich so hinstarrte, was meint Ihr, wen ich sah? Anna von Geierstein!«

»Es ist unmöglich,« sagte der Berner. – »Das hätte ich auch sagen mögen,« bemerkte Sigismund; »denn ehe Anna in ihr Gemach ging, habe ich hineingeguckt, und es ist alles so schön drin hergerichtet, daß eine Königin oder Prinzessin dort hätte schlafen können. Warum sollte daher die Dirne auch ihre gemütliche Kammer, die ringsumher von ihren guten Freunden bewacht wird, verlassen haben, um in den Wald zu wandern? Und doch! sie kam vom Walde her. Ich sah sie, als sie das Ende der Brücke erreicht hatte, und wollte schon nach ihr schlagen, indem ich meinte, es sei der Gottseibeiuns in des Mädchens Gestalt. Allein ich erinnerte mich, daß meine Hellebarde kein Birkenreis ist, um Knaben und Mädchen damit zu züchtigen.«

»Hast Du die Gestalt oder den Spuk, wie Du es nanntest, angeredet?« fragte der Berner. – »Das ließ ich fein bleiben, Hauptmann. Auch blieb mir keine Zeit dazu, denn der Spuk flog an mir vorüber wie eine Schneeflocke vor dem Wirbelwind. Ich schritt der Gestalt in die Feste nach, rief sie bei Annas Namen, da wachten die Schläfer auf, die Mannschaft griff zu den Waffen, und es gab eine Verwirrung, als ob Archibald von Hagenbach mit Schwert und Lanze unter uns gekommen wäre. Und wer sollte aus Annas Gemach ebenso bestürzt und ebenso schlaftrunken, wie wir alle, anders herausgekommen sein, als Anneli selbst? und da sie behauptete, sie hätte ihre Kammer während der Nacht durchaus nicht verlassen, so fielen alle über mich her. Da aber sagte ich ihr meine Meinung; »Fräulein Anna,« sprach ich, »alle Welt weiß, von wem Ihr stammt, und wenn Ihr noch einmal vor mir Eure Doppelgängerei treibt, so setzt Euch eine Eisenkappe aufs Köpfchen, denn ich werde Euch Länge und Gewicht einer Schweizer Partisane zu fühlen geben.« Dennoch schrien alle: »Schäm Dich!« und mein Vater trieb mich wieder hinaus, als wäre ich der Kettenhund gewesen und hätte mich von der Wacht auf dem Hofe herein an den Feuerherd geschlichen. Doch nun, Hauptmann, schickt einen heraus, der mich ablöse. So es morgen etwas zu tun gibt – und ich glaube, es wird was geben – so sind ein Mundvoll Speise und eine Minute Schlaf ein köstlich Vorbereitungsmittel, und ich stehe hier schon zwei tödlich lange Stunden Wache.« – Dabei gähnte der junge Recke ganz gewaltig, als wollte er die Gründe seines Gesuches rechtfertigen. – »Du sollst augenblicklich abgelöst werden, Sigismund,« antwortete Donnersberg, »damit Du schlafen kannst, ohne von Träumen gestört zu werden. Vorwärts, Ihr Männer!« rief er den andern zu, die unterdessen herangekommen waren, »begebt Euch zur Ruhe! Arthur von England und ich werden dem Landammann und dem Bannerherrn Bericht von unserer Wachtrunde erstatten.«

Die Runde zog nun in die Jagdfeste ein und gesellte sich bald zu ihrem schlummernden Genossen. Rudolf Donnersberg ergriff Arthurs Arm und flüsterte ihm ins Ohr, während sie dem Saale zuschritten: »Das sind seltsame Ereignisse! Was meint Ihr, wie berichten wir darüber der Gesandtschaft?« – »Das muß ich Euch anheimstellen,« versetzte Arthur, »Ihr seid unser Wachthauptmann. Ich habe meine Pflicht getan, indem ich Euch erzählte, was ich sah – oder doch zu sehen glaubte – an Euch ist es, zu entscheiden, inwieweit man es dem Landammanne mitteilen kann.« – »Ich werde erst mit Anna selbst reden,« sprach der Berner hastig, »Ihr schweigt jedenfalls über das alles, nicht wahr? und auch darüber, was Ihr in Betreff unserer Hilfsmänner aus Bern gesehen und gehört habt?« fragte Rudolf. »Was dies betrifft,« antwortete Arthur, »so werde ich meinen Vater nur darauf aufmerksam machen, daß das Gepäck in La Ferette untersucht und vielleicht gar konfisziert werden könne.« – »Das ist unnütz,« sprach Rudolf »denn ich hafte mit Haupt und Hand für die Sicherheit seiner Habe.« – »Ich danke Euch in seinem Namen,« entgegnete Arthur, »allein wir sind friedliche Reisende, die ein Handgemenge zu vermeiden wünschen, auch wenn wir vollauf sicher sein könnten, siegreich daraus hervorzugehen.« – »Das sind die Gesinnungen eines Handelsmannes, nicht aber die eines Kriegers,« sagte Rudolf in kaltem, schneidendem Tone; »doch ist das Eure Sache. Handelt nach Gutdünken, doch vergeßt nicht, daß Ihr ohne uns in La Ferette nicht nur Hab und Gut, sondern auch das Leben verlieren könntet!«

Indem er so sprach, traten sie in das Gemach ihrer Reisegefährten. Die Genossen ihrer Wachtrunde hatten sich bereits, am untern Ende des Gemaches neben ihre Kameraden zum Schlafe gelegt. Der Landammann und der Bannerträger von Bern hörten Donnersbergs Bericht an. Der Berner wickelte sich sodann in seinen Mantel, streckte sich auf die Streu und lag nach wenigen Minuten in festem Schlafe.

Arthur blieb etwas länger wach, um einen ernsten Blick auf die Kammertür Annas von Geierstein zu werfen und über die wundersamen Ereignisse dieser Nacht nachzusinnen. Allein diese bildeten ein verworrenes Geheimnis, zu dem er den Schlüssel nicht finden konnte. Er erinnerte sich sodann, daß er sofort Rücksprache mit seinem Vater halten müsse, und legte sich zu diesem Zwecke neben seinem Vater nieder, dessen bequemere Lagerstätte ein wenig abseits hergerichtet worden war. Philippson schlief fest, erwachte jedoch, als sein Sohn ihn berührte und ihm in englischer Sprache ins Ohr flüsterte, daß er ihm wichtige Nachrichten im geheimen mitzuteilen hätte. »Ich erfuhr,« sagte Arthur, »als ich die Wachtrunde mitmachte, daß der Vogt zu La Ferette höchst wahrscheinlich Eure Waren und Euer Gepäck anhalten werde, um dafür den Zoll zu begehren, den der Herzog von Burgund einzutreiben befiehlt. Auch erfuhr ich, daß die schweizerischen Jünglinge, die uns begleiten, entschlossen sind, dieser Gewalttat Widerstand zu leisten. Sie glauben stark genug dazu zu sein.« – »Beim heiligen Georg, das darf nicht geschehen,« sagte der ältere Philippson. »Wenn wir dem Herzog einen Vorwand zur Fehde geben, die Biedermann möglichst zu vermeiden strebt, so würden wir dem wackeren Alten nur schlecht vergelten, was er uns Gutes getan hat. Jegliche Erpressung, wie ungerecht sie auch sein möge, will ich freudig zahlen. Nur meine Papiere kann ich mir nicht nehmen lassen – das würde mir den Hals brechen. Ich fürchtete gleich, daß es so kommen würde, und deshalb zog ich ungern mit der Schar des Landammannes. Wir müssen uns jetzt von ihnen trennen. Der raubsüchtige Vogt wird zuverlässig nicht Hand an die Abgeordneten legen, die unter dem Schutze des Völkerrechts an den Hof seines Gebieters ziehen. Sind wir aber noch bei ihnen, so wird's zum Streite kommen, da es diese Jünglinge so sehr danach gelüstet. Das soll nicht sein, also ziehen wir allein weiter oder bleiben zurück, bis sie vorweg sein werden. Ist jener von Hagenbach nicht der unklügste Mensch, so werde ich schon ein Mittel finden, ihn, soweit es uns allein betrifft, zu beschwichtigen. Unterdessen muß ich den Landammann wecken,« setzte er hinzu, »und ihn von meinem Entschlusse in Kenntnis setzen.«

In einer Minute stand Philippson neben Arnold Biedermann.

»Werter Freund und Wirt,« sprach er, »wir haben für gewiß gehört, daß unser armseliger Warenvorrat bei unserm Durchzug durch La Ferette einer Verzollung oder Wegnahme ausgesetzt sein wird, und herzlich gern möchte ich jeglichen Anlaß zum Hader so Euretwegen wie meinetwegen vermeiden.« – »Ihr zweifelt doch nicht, daß wir Euch beschützen können und werden?« fragte der Landammann. »Ich wünsche nichts so sehr wie den Frieden; doch selbst der Herzog von Burgund darf und soll, soweit meine Macht es hindern kann, meinem Gaste kein Leid zufügen.« – »Somit könnten wir Anlaß zum Hader geben, mein werter Gastfreund,« versetzte Philippson, »und deshalb will ich zeitiger, als ich es wünschte, von Euch Abschied nehmen. Erwägt, mein rechtschaffener und würdiger Wirt, daß Ihr ein Gesandter seid, der Frieden sucht, und daß ich ein Handelsmann bin, der nach Gewinn auszieht. Krieg oder Gezänk, woraus Krieg entstehen könnte, ist Eurem Vorhaben so verderblich wie dem meinigen. Ich gestehe Euch freimütig, daß ich bereit und imstande bin, ein bedeutendes Lösegeld zu zahlen, und sobald Ihr voraus gereist seid, werde ich über die Summe verhandeln. Archibald von Hagenbach wird doch lieber mit mir etwas glimpflicher umgehen, als seine Beute dadurch gänzlich zu verlieren, daß er mich nötigt, wieder umzukehren und einen andern Weg einzuschlagen.« – »Ihr redet verständig, Herr Engländer,« sagte der Landammann, »und ich danke Euch dafür, daß Ihr mir meine Pflicht ins Gedächtnis rieft. Bei alledem dürft Ihr keiner Gefahr ausgesetzt sein. Das Volk zu Basel ist leider zu furchtsam, um Euch in Schutz zu nehmen; das Kriegsvolk würde auf den ersten Wink des Vogts Euch ergreifen, und ebensowenig mögt Ihr in der Hölle, als von diesem Hagenbach Gerechtigkeit und Milde erwarten.« –

»Es gibt Beschwörungen,« sagte Philippson, »die, wie es heißt, selbst die Hölle erzittern machen, und ich habe Mittel in Händen, selbst diesen von Hagenbach zu sänftigen, sobald ich nur eine geheime Unterredung mit ihm erlangen kann.« – »So das der Fall ist,« sagte der Landammann, »und Ihr Euch notwendigerweise von uns trennen müßt, wofür ihr, ich leugne es nicht, verständige und triftige Gründe beigebracht habt: warum solltet Ihr Grafenlust nicht zwei Stunden vor uns statt nach uns verlassen? Die Straße wird sicherer sein, wenn wir hinterher ziehen, und wahrscheinlich werdet Ihr, wenn Ihr früher reist, den Vogt noch nüchtern und in der Verfassung finden, Eure Gründe anzuhören. Jedoch wenn er sein Frühbrot mit Rheinwein niedergeschwemmt hat, den er jeden Morgen trinkt, bevor er die Messe hört, so vergißt er selbst seinen Geiz über seiner Tollheit. – Ich beabsichtigte in der ersten Stunde nach Tagesanbruch weiterzuziehen und werde dies nun bis zur zweiten Stunde verschieben. Ihr, Herr Philippson, werdet inzwischen La Ferette erreichen, wo Ihr, wie ich hoffe, Eure Angelegenheiten alsdann mit dem Hagenbacher zu Eurer Zufriedenheit werdet abgemacht haben, um wieder zu uns zu stoßen, wenn wir durch Burgund ziehen.« – »Wenn unsere gegenseitigen Zwecke unser gemeinsames Reisen gestatten, würdiger Landammann,« sagte der Handelsmann, »so werde ich mich höchst glücklich schätzen, weiterhin Euer Gefährte zu sein. – Und jetzt genießt der Ruhe wieder, der ich Euch entzogen habe.« – »Gott segne Euch, verständiger und treuherziger Mann,« sprach der Landammann, indem er sich erhob und den Engländer umarmte. »Sollten wir niemals wieder zusammenkommen, so werde ich doch stets des Kaufmannes gedenken, der sich jedes Gedankens an Gewinn entschlug, um nur auf dem Pfade der Klugheit und des Rechttuns zu bleiben. Leb' auch Du wohl, tapferer junger Mann,« sprach er zu Arthur gewendet, »Du hast unter uns gelernt, auf einem helvetischen Felsrand festen Fußes zu stehen; allein niemand kann Dich so gut wie Dein Vater belehren, den richtigen Weg zwischen den Morästen und Abgründen des menschlichen Lebens zu wandeln.«


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