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Sechstes Kapitel.

Der ältere von unseren beiden Reisenden schlief, wiewohl er ein starker, an Mühsal gewöhnter Mann war, fester und länger als gewöhnlich an dem Morgen, der jetzt zu dämmern begann. Aber seinem Sohne Arthur lag etwas auf dem Herzen, das seinem Schlummer frühzeitig ein Ende machte.

Der Zweikampf mit dem kecken Schweizer, einem tüchtigen Abkömmling aus einem berühmten Kriegsstamme, war ein Geschäft, das nach den Begriffen der damaligen Zeit nicht auf die lange Bank geschoben werden durfte. Er verließ das Lager, das er mit dem Vater teilte, so behutsam wie möglich, um jenen nicht zu wecken, obgleich der Vater sich nicht weiter darüber gewundert hätte, daß sein Sohn so früh aufstand, denn das war er an ihm gewöhnt. Jedoch der alte Mann, den die Anstrengungen des gestrigen Tages ermüdet hatten, schlief fester als sonst, und Arthur, sein gutes Schwert am Gurt, schritt über den Rasen, der vor des Landammannes Wohnung lag.

Die Sonne küßte eben die Spitze der Gewaltigsten unter den Bergen, während das Gras unter des Jünglings Füßen noch im Schatten lag. Allein Arthur blickte nicht auf. Nachdem er eilig die Felder und das Gehölz durchschritten, die des Landammanns Behausung von der alten Feste Geierstein trennten, trat er in den Burghof von der Seite ein, von wo aus das Schloß das ebene Land überblickte; und in demselben Augenblick zeigte sich auch schon sein fast riesenhafter Gegner, der im bleichen Morgenlicht noch länger und stärker erschien als am Abend vorher. Er schritt über die gefährliche Brücke, die über dem Waldstrom hing; denn er hatte einen andern Weg als der Engländer benutzt.

Der junge Kämpe aus Bern trug über den Schultern eines jener ungeheuren doppelgriffigen Schwerter, deren Klinge fünf Fuß Länge maß, und die mit beiden Händen geschwungen wurden. Diese Schwerter waren bei den Schweizern fast allgemein gebräuchlich. Die Spitze schlug gegen seine Ferse, der Griff aber ragte noch ein gutes Stück über seinen Kopf hinaus. Ein zweites Schwert gleicher Gattung trug er in der Hand. – »Du bist pünktlich,« rief er Arthur Philippson mit einer Stimme zu, die das Gebrause des Wasserfalles übertönte. »Aber ich konnte mir's wohl denken, daß Du ohne doppelgriffiges Schwert kommen würdest. Hier ist das meines Vetters Ernst,« setzte er hinzu, indem er die Waffe, die er in der Hand trug, so auf den Boden hinwarf, daß das Heft dem jungen Engländer zugekehrt dalag. »Sieh zu,« fuhr er fort, »Fremdling, daß Du es nicht entweihest, denn mein Vetter würde Dir das nimmer verzeihen. Oder Du kannst auch das meinige bekommen, so es Dir lieber sein sollte.«

Der Engländer blickte mit einiger Ueberraschung auf die ihm ganz fremde Waffe. »In allen Ländern,« sprach er, »wo man die Ehre kennt, ficht der Herausforderer mit der Waffe des Geforderten.«

»Wer auf einem Schweizerberg kämpft, ficht mit einem Schweizer Flamberg,« antwortete Rudolf. »Denkst Du, unsere Hände verstehen sich auf die Handhabung von Federmessern?« – »Und die unsrigen verstehen sich nicht darauf, Riesenschwerter zu schwingen,« sagte Arthur. – »Reut Euch der Tausch mit dem Handschuh?« fragte der Schweizer, »wenn dem so ist, so fleht um Gnade, und Ihr könnt unversehrt heimkehren.« – »Nimmer, hochfahrender Mensch,« erwiderte der Engländer, »bitte ich Dich um Gnade. Ich dachte soeben nur an einen Kampf zwischen einem Hirten und einem Riesen, in welchem Gott demjenigen den Sieg verlieh, der noch schlechtere Waffen hatte, als mir an diesem Tage zugefallen sind. Ich will fechten, so wie ich hier stehe, mein eigenes gutes Schwert soll auch mir jetzt in meiner Not dienen, wie es seither getan.«

»Es sei! doch schilt mich nicht, denn ich habe Dir gleiche Waffen angeboten,« sagte der Bergbewohner. »Und jetzt höre mich an. Dies ist ein Kampf um Leben und Tod – jener Wasserfall donnert den Schlachtgesang zu unserm Gefecht. – Ja, alter Brüller!« fuhr er fort, indem er sich umsah, »es ist lange her, daß Du kein Kampfgetöse vernahmst, – und Du, Fremdling sieh ihn Dir an, bevor wir beginnen; denn so Du fällst, übergebe ich Deinen Leichnam seinen Fluten.«

»Und so Du fällst, stolzer Schweizer,« antwortete Arthur, »da Deine Anmaßung Dir wohl zum Verderben gereichen dürfte, so will ich Dich in der Kirche zu Einsiedeln bestatten lassen, wo der Priester eine Messe für Deine Seele lesen soll. Dein doppelgriffig Schwert soll über Deinem Grabe aufgehängt werden, und eine Schrift dem Wanderer berichten: Hier liegt ein junger Bär aus Bern, den Arthur, der Engländer, erschlug.« – »Im ganzen Schweizerlande, wieviel Felsen es auch hat,« entgegnete Rudolph spöttisch, »findet der Stein sich nicht, der solche Inschrift tragen wird. Schicke Dich an zum Kampfe!«

Der Engländer warf einen ruhigen und erwägenden Blick rings auf den Kampfplatz – einen Burghof, der zum Teil frei lag, zum Teil mit größeren oder kleineren Trümmerhaufen bedeckt war. »Mich dünkt,« sprach er zu sich selbst, »ein Meister seiner Waffe, der in Florenz das Fechten gründlich gelernt hat, ein freies Herz, eine gute Klinge, eine feste Hand und eine gerechte Sache mögen es wohl aufnehmen mit zwei Fuß geschliffenen Stahles.«

Rudolf hatte anfänglich geglaubt, sein Gegner wäre ein weibischer Gesell, der vor ihm weichen würde, sobald er seine fürchterliche Waffe entblößte und schwänge. Allein die feste, und wachsame Stellung, die der Jüngling eingenommen hatte, erinnerte den Schweizer an die Mangelhaftigkeit seines eigenen unhandlichen Kampfgeräts, und er nahm sich vor, jede Uebereilung zu vermeiden, durch die seinem anscheinend ebenso kühnen wie umsichtigen Feinde ein Vorteil erwachsen konnte. Er zog sein ungeheures Schwert aus der Scheide – eine Arbeit, die etwas Zeit erforderte und seinem Gegner einen furchtbaren Vorteil gewährt hätte, wenn Arthur als Mann von Ehrgefühl es nicht verschmäht hätte, einen noch nicht zum Kampf gerüsteten Gegner anzugreifen. Der Engländer blieb unbeweglich stehen, bis der Schweizer seinen breiten, in der Morgensonne blitzenden Flamberg drei oder viermal geschwungen hatte, als wollte er dessen Gewicht und seine Gewandtheit erproben. Dann stellte der Schweizer sich auf Schwerteslänge seinem Feinde gegenüber, ergriff die Waffe mit beiden Händen und trat auf ihn zu, indem er die Klinge gerade ausgestreckt hielt. Der Engländer dagegen hatte sein Schwert in einer Hand und hielt es quer vors Gesicht, so daß er zu gleicher Zeit zu Stich, Stoß und Abwehr bereit war.

»Schlag zu, Engländer!« rief der Schweizer, nachdem sie etwa eine Minute lang einander gegenüber gestanden hatten.

»Das längste Schwert sollte wohl den ersten Streich führen,« sagte Arthur; und die Worte waren kaum über seine Lippen, als die Klinge des Schweizers sich erhob und mit einer Schnelligkeit niedersauste, die bei ihrer Schwere und riesigen Größe ganz erstaunlich war. Die geschickteste Parade hätte nichts vermocht gegen die Wucht dieses Hiebes, mit dem der Berner Kämpe den kaum begonnenen Kampf auch gleich zu enden hoffte, aber der junge Philippson konnte sich auf sein richtiges Augenmaß und die Geschmeidigkeit seiner Glieder verlassen. Bevor die Klinge herabfuhr, brachte er sich durch einen schnellen Seitensprung in Sicherheit, und ehe noch der Schweizer sein Schwert wieder heben konnte, erhielt er schon eine freilich nur leichte Wunde am linken Arm. Wütend über den Fehlschlag und über die Wunde, erhob der Schweizer nochmals seinen Flamberg, und nun prasselte auf seinen Gegner ein Hagel von Hieben mit so erstaunlicher Gewalt und Schnelligkeit herab, daß der junge Engländer alle Geschicklichkeit aufbieten mußte, um diesen Schlägen zu entrinnen, von denen jeder einzelne hingereicht hätte, einen Felsblock zu spalten. Philippson sprang gewandt hin und her und wartete nur auf den Augenblick, bis sein ergrimmter Feind sich müde gearbeitet hätte oder sich in seiner Kampfeswut eine Blöße geben würde. Das letztere geschah auch bald, denn bei einem besonders wuchtigen Hieb strauchelte der Schweizer über einen großen Stein, der im langen Grase versteckt lag, und erhielt, ehe er wieder feststand, von seinem Gegner einen derben Stoß an den Kopf. Im Futter seiner Mütze steckte aber eine kleine Stahlkappe, so daß er unverwundet blieb und, aufspringend, den Kampf mit unverminderter Wut, jedoch, wie es dem jungen Engländer schien, mit kürzerem Atem und vorsichtiger geführten Streichen fortsetzte.

So fochten sie mit gleichem Glücke, als eine ernste Stimme, die das Geklirr der Schwerter und das Brausen des Wasserfalles übertönte, in herrschendem Ton ausrief: »Bei Eurem Leben – haltet inne!«

Die beiden Fechter senkten ihre Schwerter, und die Unterbrechung eines Kampfes, der sicherlich ein tödliches Ende genommen hätte, kam beiden nicht unerwünscht. Sie blickten zur Seite und der Landammann stand vor ihnen und zeigte seine breite, ausdrucksvolle, vom Zorne gerunzelte Stirne.

»Was, Jungen!« rief er, »seid Ihr Gäste des Arnold Biedermann, und entehrt sein Haus durch Gewalttaten!« – »Arthur,« sprach der ältere Philippson, der gleichzeitig mit ihrem Gastfreunde herangeschritten war, »welche Raserei? Liegt Dir nichts Wichtigeres ob, als Zank und Kampf mit dem ersten, besten Prahlhans und Tollkopf?« – Die Jünglinge blickten einander an und stützten sich auf ihre Waffe, – »Rudolf Donnersberg,« sprach der Landammann, »gib mir Dein Schwert, mir gib es, dem Eigner dieses Bodens, dem Haupte dieser Familie und der obrigkeitlichen Person dieses Kantons.« – Und was noch mehr ist,« antwortete Rudolf unterwürfig: »Euch, der Ihr Arnold Biedermann seid, auf dessen Befehl jeder Bewohner dieser Berge sein Schwert entblößt oder in die Scheide steckt.« Mit diesen Worten übergab er seinen doppelgriffigen Flamberg dem Landammann.

»Nun bei meinem Ehrenwort,« sagte Biedermann, »es ist dies dasselbe Schwert, mit dem Dein Vater Stephan so rühmlich bei Sempach, Schulter an Schulter mit dem berühmten Arnold von Winkelried, focht! Schmach über Dich, daß Du es gegen einen schutzlosen Fremdling zogst! Und Ihr, junger Herr,« wollte der Schweizer, gegen Arthur gewendet, fortfahren, als dessen Vater in dem Augenblicke sagte: »Arthur, überliefere Dein Schwert dem Landammanne.« – »Es wird nicht nötig sein, Herr,« sagte der junge Engländer; »denn was mich betrifft, so halte ich unsern Streit für geschlichtet. Dieser wackere Edelmann berief mich hierher, um, wie ich glaube, meinen Mut zu erproben: ich muß von seiner Ritterlichkeit und Waffentüchtigkeit das beste Zeugnis ablegen; und da ich hoffe, er werde nichts Schmähendes über mein männliches Betragen zu äußern haben, so meine ich, daß unser Zwist lange genug gedauert hat,« – »Zu lange für mich,« rief Rudolf freimütig; »der grüne Ärmel meines Wamses, den ich mir aus Liebe zu den Waldkantonen in dieser Farbe anfertigen ließ, ist jetzt so dunkelrot gefärbt als hätten ihn Färber von Ypern oder Gent unter den Händen gehabt. Allein von Herzen vergebe ich dem braven Fremden, daß er mir eine Lehre erteilt hat, die ich nicht so bald vergessen werde. Hier ist meine Hand, wackerer Fremdling! Du hast mich ein Fechterkunststück gelehrt, und wenn wir unser Frühstück eingenommen haben, wollen wir, so Dir's recht ist, in den Wald gehen, wo ich Dich ein Jägerstückchen lehren will. Ist Dein Fuß nur zur Hälfte so gewandt wie Deine Hand, und ist Deinem Auge nur ein wenig von der Festigkeit Deines Herzens zuteil geworden, so sollst Du nicht viele Jäger finden, die es Dir zuvor täten.«

»Diese beiden Burschen hätten ein böses Spiel gespielt,« sagte der ältere Philippson, »wenn Ihr, mein würdiger Gastfreund, nicht ihr Vorhaben durchkreuzt hättet. Doch darf ich fragen, wie Ihr noch zu rechter Zeit etwas davon erfuhrt?« – »Das danke ich der Fee meines Hauses,« antwortete Biedermann, »die der gute Engel meiner Familie zu sein scheint; ich meine, meine Nichte Anna, die bemerkt hatte, daß die beiden Wagehälse einen Handschuh austauschten, und die Worte »Geierstein« und »Tagesanbruch« von ihnen gehört hatte. Ja Herr, es ist eine eigene Sache um eines Weibes Scharfsinn.« – »Ich hätte wohl Lust,« sagte der Engländer, »in Eurer Gegenwart dem Mädchen, dem ich so sehr verpflichtet bin, meinen Dank abzustatten.« – »Dazu habt Ihr in diesem Augenblick die beste Gelegenheit,« sagte der Landammann und damit rief er durch die Baumgruppen des Mädchens Namen.

Anna von Geierstein hatte auf einem Hügel in einiger Entfernung gestanden und sich hinter einem Reisighaufen verborgen. Sie erschrak, als sie den Ohm rufen hörte, doch gehorchte sie sogleich, und indem sie den beiden Jünglingen, die vorausgeschritten, aus dem Wege ging, gesellte sie sich, einen Pfad durch das Gehölz einschlagend, zu dem älteren Philippson und dem Landammann. – »Mein würdiger Gast und Freund wollte mit Dir reden, Anna,« sagte der Landammann, nachdem der Morgengruß gegeben und erwidert worden war. Das Schweizermägdlein errötete auf Stirn und Wangen, als Philippson sie mit folgenden Worten anredete: »Es begegnet uns Kaufleuten bisweilen, meine schöne, junge Freundin, daß wir für den Augenblick nicht die Mittel besitzen, unsere Schulden zu tilgen; allein mit Recht ist derjenige unter uns als der niedrigste der Menschen zu betrachten, der diese seine Schulden nicht anerkennt. Genehmigt deswegen den Dank eines Vaters, dessen Sohn Ihr erst gestern vom Tode gerettet habt. Heute morgen nun hat Eure Klugheit ihn abermals aus großer Gefahr befreit. Macht mir die Freude und nehmt diese Ohrringe an!« fügte er hinzu, indem er ein Schmuckkästchen hervorzog und öffnete. »Sie sind freilich nur von Perlen, allein sie wurden dennoch nicht für unwürdig gefunden, in den Ohren einer Gräfin –«

»Und wären deswegen,« unterbrach ihn der Landammann, »nicht am Platze bei einer Schweizerdirne aus Unterwalden, denn das und nichts weiter ist meine Nichte Anna, so lange sie unter meinem Dach weilt. Doch schlagen Dirnen,« fügte er hinzu, indem er gutmütig lächelte und einen der Ohrringe dicht vor Annas Gesicht hielt, »dergleichen Schmuck nicht gern aus. Deshalb, Anna, überlasse ich es ganz Deiner eigenen Einsicht, ob Du das kostbare Geschenk unseres rechtschaffenen Gastes annehmen und tragen willst oder nicht.« – »Da Ihr es mir erlaubt, mein teuerer Ohm und Freund,« sagte das junge Mädchen errötend, »so will ich unserm Gast nicht den Kummer bereiten, abzulehnen, was er mir so freundlich anbietet; doch mit seinem und Eurem Gutbefinden, will ich diese prächtigen Ohrgehänge dem heiligen Schrein Unserer lieben Frau zu Einsiedeln weihen, um der Mutter Gottes dadurch unsern gemeinschaftlichen Dank für die Gnade auszudrücken, mit der sie uns bei den Schrecknissen des gestrigen Sturmes und bei dem Zwischenfall dieses Morgens hilfreich gewesen ist.«


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