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Siebentes Kapitel.

Während die englischen Reisenden eine Woche auf Geierstein zubrachten, wurden im Schweizerlande Sitzungen oder Reichstage abgehalten. Bedrückt durch die Abgaben, die von dem Herzoge von Burgund ihrem Handel auferlegt und manchmal aufs grausamste eingetrieben wurden, verlangte man den Krieg, da man bisher stets siegreich gewesen war und Reichtum dabei geerntet hatte. Andererseits waren aber auch viele Gründe vorhanden, einen Krieg mit einem der begütertsten, hartnäckigsten und mächtigsten Fürsten zu vermeiden– denn ein solcher war Karl von Burgund sonder Frage. Jeder Tag brachte aus dem Binnenlande die erneute Kunde, daß Edward IV. von England, die Absicht hegte, seine Ansprüche auf die Provinzen Frankreichs, die seine Vorfahren so lange Zeit hindurch ihr eigen genannt hatten und deren Verlust ganz England als Schmach empfand, wieder geltend zu machen. Es schien, als ob dies das einzige wäre, was, nachdem er seine inneren Feinde bezwungen, noch zu seinem Ruhm fehlte.

Die jüngste, zuverlässigste Kunde lautete, daß der König von England im Begriff wäre, in Person nach Frankreich hinüberzukommen – da er Calais bereits inne hatte, bot ein solcher Ueberfall keine Schwierigkeiten – und ein an Zahl und Kriegszucht so gewaltiges Heer mitzubringen, wie noch nie eines unter einem englischen Monarchen in Frankreich eingedrungen war. Alle Rüstungen seien bereits getroffen, und Edwards Antwort könnte täglich erwartet werden. – Ohne Zweifel würde es das klügste Verfahren von Karl von Burgund gewesen sein, wenn er im Bündnisse gegen seinen furchtbaren Nachbar, der sowohl sein Erbfeind als sein persönlicher Widersacher war, alle Ursachen zum Hader mit der schweizerischen Eidgenossenschaft, jenem armen, aber höchst kriegslustigen Volke, vermieden hätte, das bereits in wiederholten Siegen erkannt hatte, daß sein keckes Fußvolk die seither als Kern der europäischen Kampfheere betrachtete Ritterschaft nicht nur im Zaum zu halten, sondern sogar zu überwältigen imstande war. Aber Karl von Burgund, dem das Geschick den starrsinnigsten und schlauesten Monarchen seiner Zeit zum Feinde gegeben hatte, ließ sich in seinen Handlungen jederzeit von Leidenschaft und Laune bestimmen, ohne an eine bedächtige Erwägung der Umstände, in denen er sich befand, zu denken. Hochfahrend, stolz und übermütig, ohne deshalb jedoch der Ehre und Großmut zu ermangeln, verschmähte Karl ein Bündnis mit dem verachteten Jäger- und Hirtenvolk, und statt den Helvetischen Kantonen zu schmeicheln, wie sein listiger Gegner es tat, oder ihnen mindestens keine Ursache zum Hader zu geben, benützte er jede Gelegenheit, ihnen seine Geringschätzung zu zeigen, und machte kein Hehl aus seinem langgenährtem Verlangen, die wiederholten Siege wettzumachen, die sie über die Lehnsherren erfochten hatten, das Blut der Edlen an ihnen zu rächen und ihren Dünkel zu demütigen. Da der Herzog von Burgund im Elsaß Besitzungen hatte, war ihm mancherlei Gelegenheit geboten, seiner Erbitterung gegen die schweizerische Eidgenossenschaft Luft zu machen. – Das Städtchen und kleine Schloß La Ferette, das etwa sechs Stunden Weges von Basel liegt, diente zum Zwischenplatze des Handels von Bern und Solothurn, den beiden Hauptstädten der Eidgenossenschaft. Dorthin entsendete der Herzog seinen Statthalter oder Vogt, der zugleich Verwalter der Einkünfte war und dazu geschaffen schien, die Plage und Geißel der umwohnenden Freisassen zu sein.– Archibald von Hagenbach, ein deutscher Adliger, dessen Besitztum in Schwaben lag, galt allgemein für einen der wildesten und ruchlosesten Raubritter. Diese Wegelagerer übten, weil sie ihre Burgen vom heiligen römischen Reiche zu Lehen trugen, auf ihrem oft kaum eine Geviertmeile großen Gebiete völlige Gewaltherrschaft aus, erhoben Zölle und Wegegelder von Durchziehenden und verhafteten, verhörten und verurteilten diejenigen, die, wie sie behaupteten, sich auf ihrem winzigen Grund und Boden vergangen hatten, befehdeten sich untereinander, zogen auch gegen die freien Städte des Reiches und plünderten ohne Erbarmen die fahrenden Handelsleute. – Archibald Hagenbach, als einer der ärgsten Verfechter des Faustrechts, hatte wegen zahlreicher Unbilden flüchten müssen und war beim Herzog von Burgund in Dienst getreten, der ihn auch willig aufnahm, da der Ritter ein Mann von hoher Herkunft und großer Tapferkeit war; ja, Karl nahm ihn um so lieber auf, als er in einem Manne von Hagenbachs Wildheit, Raubsucht und hochfahrendem Wesen den gewissenlosen Vollstrecker der königlichen Willkür gefunden zu haben glaubte. Die Kaufleute von Bern und Solothurn führten nun heftige Beschwerde über Hagenbachs Bedrückung. Er erhöhte nach Belieben die Zölle, und wer sie nicht anstandslos entrichtete, wurde eingekerkert. Die deutschen Handel treibenden Städte klagten bei dem Herzoge gegen dieses feindselige Verfahren des Vogts von La Ferette und baten den durchlauchtigen Herrn, ihn des Amtes zu entsetzen; allein der Herzog behandelte ihre Vorstellungen mit Verachtung. Die Schweizer gingen mit ihren Beschwerden noch weiter und behaupteten, Hagenbach habe das Völkerrecht verletzt. Doch auch sie fanden kein Gehör.

Der Reichstag der Eidgenossenschaft beschloß endlich eine feierliche Gesandtschaft, deren wir zu wiederholten Malen Erwähnung taten, abzuschicken. Etliche dieser Deputierten stimmten mit dem besonnenen und einsichtsvollen Arnold Biedermann in der Hoffnung überein, daß der Herzog sich einer so feierlich getroffenen Maßregel nicht verschließen werde; andere aus der Gesandtschaft, die minder friedliche Absichten hegten, waren entschlossen, durch dreistere Vorstellung den Weg zum Kriege zu bahnen.

Arnold Biedermann war ein energischer Verfechter des Friedens, solange friedliches Verhalten sich mit der Unabhängigkeit des Landes und der Ehre der Eidgenossenschaft vertrug; der jüngere Philippson entdeckte jedoch bald, daß der Landammann in der Familie der einzige war, der so gemäßigte Gesinnungen hegte. Seine Söhne, durch die heftige Beredsamkeit und den überwiegenden Einfluß Rudolfs von Donnersberg bestimmt, der wegen persönlicher Tapferkeit und dank der Verdienste seiner Ahnen unter den Jünglingen der Eidgenossenschaft in hohem Ansehen stand, waren alle für den Krieg.

Sobald bei den Beratschlagungen der Vogt von La Ferette genannt ward, hieß er gewöhnlich nur der Grenzkettenhund von Burgund oder der Elsasser Bullenbeißer; und man erklärte offen heraus, daß, wenn Archibald nicht von der schweizerischen Grenze entfernt würde, seine Feste ihm keinen Schutz gegen den Ingrimm der bedrückten Einwohner von Solothurn, besonders aber derer von Bern, gewähren dürfte.

Diese allgemeine Stimmung der Schweizer für den Krieg war dem älteren Philippson durch seinen Sohn hinterbracht worden, und er war sich nun nicht schlüssig, ob er nicht lieber mit Arthur allein reisen solle, statt mit diesen kecken Gebirgssöhnen, deren zügelloses Benehmen ihn leicht in große Unannehmlichkeiten bringen konnte, wodurch aller Zweck seiner Reise vereitelt worden wäre; da jedoch Arnold Biedermann bei seiner Familie und seinen Landsleuten in hohen Ehren stand, so meinte der englische Kaufmann, daß im ganzen der Einfluß Arnolds imstande sein würde, seine Begleiter so lange im Zaume zu halten, bis die große Frage, ob Krieg, ob Frieden, entschieden wäre, und vor allen Dingen so lange, bis sie die Aufgabe ihrer Reise erfüllt und eine Audienz beim Herzog von Burgund erlangt hätten. Dann wollte er sich von ihnen trennen, um fürderhin nicht mehr für Handlungen gewissermaßen mit verantwortlich zu sein.

Nach zehn Tagen langte die Gesandtschaft, die beauftragt war, beim Herzog über die Bedrückungen Archibalds von Hagenbach Beschwerde zu führen, endlich auf Geierstein an, von wo aus die Reise angetreten werden sollte. Es waren ihrer drei, außer dem jungen Berner und dem Landammann von Unterwalden. Einer war, wie Arnold, ein Grundeigentümer aus den Waldstätten, der wie ein einfacher Alphirt gekleidet war, aber durch die Schönheit und die Form seines langen silberfarbenen Bartes auffiel. Nicolaus Bonstetten hieß er. Melchior Sturmthal, Bannerträger von Bern, ein Mann mittleren Alters und ein Krieger von ausgezeichnetem Mute, und Adam Zimmermann, ein Abgeordneter von Solothurn, der bedeutend älter war, vervollständigten die Zahl der Gesandten. Die Abgeordneten reisten zu Fuß, ihre Stecken in der Hand, Pilgrimen gleich, die nach einem Wallfahrtsort zogen. Zwei Maultiere, mit etwas Gepäck beladen, wurden von etlichen jungen Burschen, den Söhnen oder Vettern der Mitreisenden, geführt. Leute, die in so wichtiger Angelegenheit reisten, konnten zu jener Zeit, und bei dem gänzlich ungeregelten Zustand des Landes jenseits ihrer Grenze, keinesfalls ohne Bedeckung bleiben. Es gab damals noch Wölfe in den Bergen, und auf den Ebenen trieben sich Rotten von Kriegsknechten, die diesem oder jenem Banner entlaufen waren, und ganze Banditenhaufen herum, die die Grenzen von Elsaß und den deutschen Ländern unsicher machten. Deshalb war die Gesandtschaft von ungefähr zwölf auserlesenen Jünglingen aus den verschiedenen Schweizerkantonen begleitet, und Arnolds drei älteste Söhne, Rüdiger, Ernst und Sigismund, waren unter der Zahl; doch beobachteten sie keine kriegerische Ordnung, sondern bildeten etliche Streifpartien von fünf oder sechs Mann und durchspürten so die Feldwege, Wälder und Engpässe, durch die der Weg der Abgeordneten führte. Bei der langsamen Gangart der Alten hatten sie Zeit, Wölfe und Bären zu erlegen oder gelegentlich ein Gemstier auf den Klippen zu jagen. Ein besonderer Ruf aus einem großen Stierhorn war das verabredete Zeichen, auf das sich alle bei etwaiger Gefahr an einem und demselben Punkte zusammenzufinden hatten. – Rudolf von Donnersberg, obschon um vieles jünger als mancher der mit im Zuge befindlichen Jünglinge, hatte den Oberbefehl über diese Leibwache der Gesandten erhalten.

Natürlich zog Arthur Philippson die Gesellschaft und die Jägerei der jungen Gesellen der ernsten Unterhaltung und dem langsamen Weiterschreiten der Väter aus der Gebirgsrepublik vor. Allein, es war für ihn eine starke Versuchung vorhanden, sich auch öfters bei dem hinterherziehenden Gepäck aufzuhalten; denn im Nachtrab der Gesandtschaft befand sich, zusammen mit einem andern Schweizermädchen, Anna von Geierstein.

Die beiden Mädchen ritten auf Eseln, die kaum mit dem Trabe der Maultiere Schritt halten konnten. Arthur Philippson hätte daher die Dienste, die Anna ihm erwiesen, einigermaßen wieder wettmachen können, indem er dem Mädchen durch rege Unterhaltung die langwierige Reise verkürzte. Aber er durfte es nicht wagen, eine Höflichkeit zu erzeigen, die die Landessitte zu verbieten schien; denn weder einer der Vettern noch Rudolf von Donnersberg kümmerten sich um das Mädchen. Die Bekanntschaft mit Anna von Geierstein vertraulicher zu gestalten, wollte Arthur jedoch schon deshalb vermeiden, um weder seinem Vater zu mißfallen, noch den Unwillen des alten Biedermann zu erregen. Somit beschränkte sich Arthur darauf, wenn Halt gemacht wurde, dem Mädchen einige Aufmerksamkeiten zu erweisen, die zu Rüge und Tadel keinen Anlaß geben konnten.

Mittlerweile hatte der ältere Philippson andere, ernstere Gegenstände in Erwägung zu ziehen. Er war, wie der Leser schon ersehen haben muß, ein Mann, der die Welt kannte und bereits eine ganz andere Rolle darin gespielt hatte, als die war, in der er jetzt auftrat. Beim Anblick von Beschäftigungen, die auch er früher betrieben, wurden längst entschwundene Gefühle in ihm wach und rege. Das Bellen der Hunde, das von den rauhen Höhen und aus den düstern Wäldern widerhallte, die jungen tapferen Jäger, die, wenn sie ihr Wild aufspürten, sich zwischen himmelhohen Klippen und tiefen Abgründen zeigten, wo kaum noch Raum für den Fuß zu sein schien, die Hörnerklänge und das Halali, lockten ihn immer wieder, teil an dem verwegenen, jedoch herzerfrischenden Sport zu nehmen. Doch er unterdrückte dieses Gelüst und erforschte mit lebhaftem Interesse Sitten und Meinungen seiner Reisegefährten. Sie schienen allesamt einen Anflug von eben jener offenherzigen und reinen Einfachheit zu besitzen, durch die Arnold Biedermann sich auszeichnete, obgleich die andern nicht so ernst, im Denken geübt und einsichtig waren, wie der Landammann.

In Gegenwart des älteren Philippson sprach man freimütig über die Anmaßungen des Herzogs von Burgund, erörterte die Mittel, die dem Schweizerlande zu Gebote standen, seine Unabhängigkeit zu behaupten, und beteuerte die feste Entschlossenheit, auch der äußersten Gewalt, die die Welt gegen sie aufbringen könnte, lieber Trotz zu bieten, als sich der geringsten Schmach zu beugen.

Nach drei Tagen kam die Gesellschaft in die Nähe Basels, damals eine der größten Städte an der Südwestgrenze Deutschlands. Hier wollten sie für die kommende Nacht Quartier nehmen, durften sie dort doch auch einer freundlichen Aufnahme gewärtig sein. Freilich war damals die Stadt nicht Mitglied der schweizerischen Eidgenossenschaft, der sie erst im Jahre 1501 beitrat; allein sie war eine freie kaiserliche Stadt und stand in regem Verkehr mit Bern, Solothurn und andern Städten des Schweizerlandes. Die Gesandtschaft sollte ja einen Frieden zum Abschluß bringen, der der Stadt Basel ebenso willkommen sein mußte wie den Schweizern, und so erwarteten unsere Reisenden zu Basel eine freundliche Aufnahme.

Das folgende Kapitel wird zeigen, inwieweit diese Erwartungen in Erfüllung gingen.


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