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Neuntes Kapitel.

»Ein später Ritt«, sprach der Abt, als der Ritter vor dem Kloster vom Pferde sprang; »darf ich nach dessen Ursache fragen, nachdem wir erst vor kurzem mit dem Schloßhauptmann bestimmte Vereinbarung getroffen haben?«

Man sah es dem Abte an, daß er sich der Aufforderung eines Herrn fügte, gegen den er keinen Ungehorsam wagte, vor dem er aber auch Verdruß, soweit ihm solcher gestattet war, nicht verstecken mochte.

»Man hegt Verdacht, Herr Abt,« erwiderte Sir Aymer, »daß hartnäckige Feinde von uns Engländern sich wieder mit Plänen zu Rebellion und Aufstand tragen. Mir selbst ist im Laufe der Nacht manches Verdächtige vor die Augen gekommen. Zweck meiner Herkunft, Herr Abt, ist die Frage an Euch, ob Ihr als Entgelt für mancherlei Gunst durch englische Fürsten dazu beitragen wollt, diese feindseligen Pläne aufzudecken.«

»Gewiß soll das geschehen«, versetzte der Abt mit bewegter Stimme; »ich glaube, Ihr zweifelt nicht, Herr Ritter, daß alles, was mir bekannt ist, soweit Euch dessen Mitteilung nützlich sein kann, zu Eurem Befehl steht.«

»Zurzeit müssen, wie Euch ja doch bekannt ist, Herr Abt, alle Reisende im Lande von uns mit Argwohn überwacht werden und sich fortwährender Behelligung für ausgesetzt halten. Wie denkt Ihr beispielsweise über den Jüngling, den eine Person namens Bertram, seines Zeichens Sänger, unter dem Namen Augustin bei Euch einquartiert hat unter dem Vorgeben, es sei sein leiblicher Sohn?«

Der Abt blickte den Ritter verwundert an.

»Nach allem, was ich von dem Jüngling gesehen und gehört habe, Herr Ritter, ist derselbe von ausgezeichnetem Charakter. Etwas anderes ließ sich auch in Betracht des höchst ehrenhaften Mannes, der ihn meiner Fürsorge übergab, gang und gar nicht erwarten.«

»Freilich, Herr Abt, habe ich Euch,« erwiderte der Ritter zu nicht geringer Überraschung des Abtes, welcher gemeint hatte, durch seine Antwort dem Ritter gegenüber in Vorteil zu kommen, »den Jüngling empfohlen. Indessen ist dem mir vorgesetzten Herrn Schloßhauptmann das über den Jüngling erstattete Zeugnis, das mir als genügend erschien, ungenügend, und deshalb ist mir der Auftrag geworden, bei Euch, Herr Abt, weitere Erkundigung einzuziehen. Daß uns die Angelegenheit von Wichtigkeit erscheint, könnt Ihr wohl denken, da wir Euch zu solch ungewohnter Stunde in Unruhe setzen.«

»Ich kann bei meines Ordens Heiligkeit beteuern,« versetzte der Abt, »daß ich keinerlei Zeichen böser Gesinnung an dem Jüngling bemerkt habe, obgleich ich seine Aufführung auf das sorgfältigste überwache.«

»Merkt genau auf meine Fragen, Herr Abt,« sprach der Ritter, »und gebt mir kurz und bestimmt Antwort, der Wahrheit gemäß: Welchen Verkehr hat der Jüngling mit den Bewohnern dieses Klosters und mit Leuten außerhalb des Klosters unterhalten?«

»So wahr ich ein Christ bin,« antwortete der Abt, »habe ich nichts wahrgenommen, was zu Verdacht irgendwelchen Anhalt geben könnte. Augustin zeigt, im Gegensatz zu Jünglingen, die ich draußen in der Welt beobachtet habe, entschiedene Vorliebe für die Gesellschaft unserer frommen Schwestern im Kloster.«

»Klatschsucht wird nach Gründen hierfür nicht in Verlegenheit sein«, warf der Ritter leicht hin.

»Nicht bei den Schwestern von Saint-Bride,« versetzte der Abt, »denn ihre Schönheit wurde entweder vom Zahn der Zeit oder durch irgendwelchen Unglücksfall zerstört, ehe sie Zuflucht hier in der Abtei suchten.«

»Mir liegt durchaus fern,« sagte hierauf der Ritter, »der frommen Schwesterschaft anderen Einfluß auf den Jüngling als aufmerksame Behandlung und freundliche Rücksicht auf seine Bedürfnisse unterzuschieben.

»Darin tut Ihr auch Recht, Herr Ritter; weder Schwester Beatrice noch Schwester Ursula geben Euch Ursache zu anderer Denkweise. Mit Eurer Erlaubnis, Herr Ritter,« setzte der Abt hinzu, »will ich jetzt nachsehen, in welchem Zustande der Jüngling zurzeit sich befindet, und will ihm sagen, daß er vor Euch zu erscheinen habe.«

»Ich bitte darum, Herr Abt,« entgegnete der Ritter, »und will hier Eure Rückkehr erwarten. Ich will den Knaben entweder hier verhören oder nach dem Schlosse hinaufbringen, je nachdem es die Umstände als ratsam erweisen.«

Der Abt verbeugte und entfernte sich. Er blieb lange fort, und schon begann der Ritter argwöhnischen Gedanken zugänglich zu werden, als der Erwartete mit verlegener Miene eintrat.

»Verzeihung, bitte, daß ich Euer Gnaden so lange warten ließ,« begann der Abt ängstlich, »mich hat aber allerhand unnützer Förmlichkeitskram auf seiten des Jünglings über Gebühr aufgehalten. Indessen ist er jetzt bereit, sich Euer Gnaden zu zeigen.«

»Ruft ihn her!« erwiderte der Ritter kurz.

Abermals verstrich eine beträchtliche Zeit, bis der Abt halb mit Schelten, halb mit Bitten die als Jüngling verkleidete Dame zum Eintritt in das Sprechzimmer bestimmt hatte. Mit verweintem Gesicht und eilfertig übergeworfenem Pilgergewand erschien sie. Aber das Gewand war mit solchem Geschick angefertigt, daß es ihre Erscheinung durchaus veränderte und ihr Geschlecht vollständig verbarg. Da es sich mit den Gesetzen der Höflichkeit nicht vertrug, mit dem Pilgerhut auf dem Haupte zu erscheinen, hatte sie besondere Sorgfalt auf ihr Lockenhaar verwandt, das auf dem Scheitel geteilt rechts und links der Stirn in breiten Strähnen lag. Wohl erschienen dem Ritter die Züge ihres Angesichts höchst lieblich, aber sie standen zu dem angenommenen Charakter, den sie bis zum Äußersten festzuhalten entschlossen war, in keinerlei Widerspruch. Als sie sich dem Ritter gegenübersah, wurde ihr Wesen kühner und entschlossener als bisher.

»Euer Gnaden,« sprach sie ihn an, ehe er selbst das Wort hatte nehmen können, »sind ein englischer Ritter, also zweifelsohne im Besitz aller Tugenden, die sich für solch edle Stellung geziemen. Ich bin ein unglücklicher Knabe, durch mancherlei Gründe, die ich geheim halten muß, zur Reise nach diesem gefahrvollen Lande gezwungen. Kein Wunder, daß sich Argwohn gegen mich richtet, daß man in mir jemand vermutet, der in Komplotte verwickelt ist, die ich doch von Grund meines Herzens verabscheue und die so vollständig meinen Interessen zuwiderlaufen, daß es Unsinn für mich ist, mich mit Erwägungen und Betrachtungen darüber zu befassen. Nichtsdestoweniger steht Ihr, all meiner feierlichen Beteuerungen nicht achtend, im Begriff, gegen mich als einen Schuldigen zu verfahren. Ich kann hiergegen nichts tun, Herr Ritter, als Euch zu verwarnen, daß Ihr in Gefahr steht, Euch eines großen und grausamen Unrechtes schuldig zu machen.«

»Das zu vermeiden werde ich bemüht sein,« versetzte der Ritter, »indem ich den Fall vollständig der Entscheidung des Schloßhauptmanns Sir John de Walton überantworte. Meine Pflicht richtet sich einzig und allein auf die Aufgabe, Euch in seine Hände und zum Schlosse hinauf zu liefern.«

»Muß das geschehen?« fragte Augustin.

»Ohne Frage und ohne Säumen,« antwortete der Ritter, »sofern ich mich keiner Pflichtverletzung schuldig machen will.«

»Wenn ich mich nun verpflichtete, Euren Verlust durch eine große Geldsumme, durch einen Landbesitz wettzumachen –?«

»Kein Geld, kein Land, selbst angenommen, Ihr könntet darüber verfügen,« versetzte der Ritter, »könnte mir Ersatz sein für Schmach und Schande! Zudem Knabe, wie sollte ich einem solchen Versprechen, wenn mich Habsucht wirklich bestimmen sollte, vertrauen können?«

»Also muß ich mich bereit halten, Euch zum Schlosse hinauf und zu Sir John de Walton zu begleiten?«

»Es ist unvermeidlich,« antwortete der Ritter, »und Euer Interesse gebietet, mich nicht warten zu lassen, da ich sonst zur Gewalt schreiten müßte.«

»Von welchen Folgen wird mein Erscheinen im Schlosse für meinen Vater begleitet sein?« fragte der Jüngling.

»Das wird lediglich von Euren und seinen Aussagen abhängig sein«, erklärte der Ritter; »wie aus dem Schreiben Eures Vaters, das Euch Sir John de Walton überbringen ließ, hervorleuchtet, habt ihr beide ein Geheimnis zu offenbaren. Besser für Euch wird es sein, glaubt mir, Euch den Folgen längeren Verzuges nicht auszusetzen. Hin- und Herreden zu gestatten verträgt sich mit meinen Instruktionen nicht; Euer Schicksal, glaubt mir, hängt einzig und allein ab von Eurer Aufrichtigkeit.«

»So bleibt mir nichts übrig, als mich zum Aufbruch nach dem Schlosse vorzubereiten«, sagte der Jüngling; »indessen bin ich von meiner schweren Krankheit noch immer nicht genesen; Abt Hieronymus, berühmt durch sein ärztliches Wissen, wird Euch bestätigen, daß ich ohne Gefahr für mein Leben solche beschwerliche Tour nicht machen kann, daß ich seit meinem Eintritt ins Kloster noch keine Bewegung im Freien gemacht habe aus Furcht, meine Krankheit durch Ansteckung auf meine Mitmenschen zu übertragen.«

»Der Jüngling spricht die Wahrheit«, pflichtete der Abt bei,

»Und glaubt Ihr, ehrwürdiger Vater,« wandte sich der Ritter an den Abt, »daß für den Knaben Gefahr im Verzuge sei, wenn ich ihn meiner Absicht gemäß heute nacht noch zum Schlosse hinaufführe?«

»Allerdings,« versetzte der Abt, »denn leicht kann es geschehen, daß sich ein Rückfall einfindet, bei welchem dann für Weitertragung der Krankheit durch Ansteckung erhöhte Gefahr besteht.«

»Dann müßt Ihr Euch gefallen lassen, Knabe, Euer Zimmer für die Nacht mit einem Armbrustschützen zu teilen«, entschied der Ritter.

»Dagegen kann ich nicht Einspruch erheben,« sagte Augustin, »sondern nur wünschen, daß die Gesundheit des Mannes durch meine Nähe nicht Gefahr leide.«

»Er wird seiner Pflicht nicht minder gerecht werden, wenn er vor der Tür seinen Posten bezieht,« äußerte der Abt, »und wenn der Knabe, was durch die Anwesenheit einer Wache in seinem Zimmer doch wohl nicht ausgeschlossen sein möchte, sich ruhig ausschlafen kann, so wird er morgen um so standhafter sein.«

»Sei es so!« sprach der Ritter, »vorausgesetzt, daß Ihr Bürgschaft übernehmt, daß der Gefangene sich dem Transport nicht während der Nacht durch Flucht entzieht!« »Das Zimmer hat keinen anderen Eingang, als den Euer Armbrustschütze überwachen wird«, erwiderte der Abt; »um Euch ganz zufriedenzustellen, will ich die Tür in Eurer Gegenwart abschließen. Irgendwelche weltliche Bürgschaft zu leisten würde aber gegen die Regeln meines Ordens verstoßen.«

»Ich will mich Euren Worten fügen, Herr Abt, weil ich sowohl Euch als dem Jüngling vertrauen zu dürfen meine«, sagte der Ritter; »bis zur Dämmerstunde dürft Ihr noch hier weilen, Knabe, dann aber müßt Ihr bereit sein, mich auf das Schloß hinauf zu begleiten.«

Als das erste Frühlicht den Horizont färbte, rief die Klosterglocke, von Saint-Bride zum Gebet. Hierauf führte der Abt den Ritter vor Augustins Zelle. Die Schildwache meldete, es sei die ganze Nacht über in der Zelle mäuschenstill gewesen. Der Ritter klopfte. Keine Antwort. Er klopfte lauter. Die gleiche Stille.

»Was bedeutet das?« fragte der Abt; »sollte mein junger Patient von Ohnmacht befallen sein?«

»Das werden wir schnell sehen!« rief der Ritter. .. »Brecheisen und Hebel herbei, ihr Leute!« schrie er – »und leistet die Tür Widerstand, so schlagt sie in Stücke!«

Der laute Schall und finstere Ton seiner Stimme rief Mönche und Nonnen zur Stelle. Im Nu war sein Befehl vollzogen und die Tür aus den Angeln gehoben. Die Zelle aber war leer.


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