Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Sir John de Walton hielt es in Anbetracht der jüngsten Vorgänge für angezeigt, seinem Offizierkorps so viel Zerstreuung zu gewähren, als Schloß und Örtlichkeit zuließen, und sie durch Aufmerksamkeit und Höflichkeit für ihre Unzufriedenheit zu beschämen.

»Was meinst du, junger Freund,« sprach er Sir Aymer an, als er ihn zum ersten Male nach seiner Rückkehr auf das Schloß wiedersah, »wenn wir eine der hierzulande eigentümlichen Jagden veranstalteten? In den Wäldern in unserer Nähe haust noch das wilde kaledonische Rind, das sonst nirgendwo mehr zu finden ist als im Moorlande an der kahlen, zerklüfteten Grenze des einstigen Königreichs von Strathclyde. Es gibt nur wenig Jäger noch, die mit solchem Weidwerk Bescheid wissen; aber sie schwören, daß keine Jagd an Aufregung und Strapazen auf der ganzen britischen Insel derjenigen auf dies wildeste und stärkste und kühnste aller Jagdtiere gleichkomme.«

»Tut ganz nach Belieben, Sir John de Walton,« versetzte Sir Aymer mit Kälte, »indessen möchte ich nicht empfehlen, um solcher Jagd willen die ganze Garnison in Gefahr zu setzen. Ihr kennt die Verantwortlichkeit Eurer Stellung selbst zur Genüge und habt gewiß sorgfältig überlegt, bevor Ihr solchen Vorschlag verlauten laßt.«

»Allerdings kenne ich meine Pflicht,« erwiderte hierauf gelassen de Walton, »indessen scheint es mir, als ob der Kommandant dieses schlimmen Schlosses unter anderem Mißgeschick, in Übereinstimmung mit den Reden der alten Leute im Lande, einer Art von Zauber untertan sei, der es ihm unmöglich macht, seine Offiziere dadurch an sich zu fesseln, daß er ihnen Zerstreuungen schafft. Noch vor wenigen Wochen würden Eure Augen bei solchem Vorschlage geblitzt haben, Sir Aymer; und welches Benehmen zeigt Ihr jetzt? Ein Gesicht schneidet Ihr, als müsse man, um wilde Stiere zu scheuchen, sich zuvor einer Pilgerfahrt zum Grabe eines Märtyrers unterziehen.«

»Ihr urteilt nicht gerecht, Sir John«, antwortete der junge Ritter; »in unserer dermaligen Situation sind, meine ich, der Rücksichten mehr als persönliche zu nehmen, und obgleich die schwerere Verantwortlichkeit auf Euch als dem Älteren ruht, Sir de Walton, so fühle ich doch, daß auch der auf mich fallende Teil schwer genug ist, um alles auf das sorgfältigste zu erwägen. Darum vertraue ich, daß Ihr mit Nachsicht meine Meinung hören und ertragen werdet, wenn es auch scheinen mag, als bezöge sie sich auf denjenigen Teil der uns gemeinschaftlich obliegenden Pflichten, der hauptsächlich Eurer Fürsorge untersteht. Die Ritterschaftswürde, die mich gleich Euch ehrt, und nicht minder wohl der mir von dem königlichen Plantagenet erteilte Ritterschlag verschaffen mir, deucht mir, Anspruch auf Berücksichtigung meines Einspruchs.«

»Verzeiht, Ritter de Valence«, sprach Sir de Walton; »ich vergaß, daß ich in Euch einen von König Edward höchstselbst zum Ritter geschlagenen Kameraden vor mir habe, und daß ohne Zweifel besondere Gründe vorliegen mußten, Euch mit solcher Würde so frühzeitig zu bekleiden. Ganz ohne Frage überschreite ich deshalb meine Pflicht, wenn ich solchem Kameraden gegenüber von eitler Zerstreuung spreche.«

»Sir John de Walton,« versetzte de Valence, »solche Worte sind, meine ich, schon zu oft gewechselt worden, als daß es gut sei, immer wieder auf sie einzugehen. Mich leitet bei meinem Einspruch lediglich die Rücksicht auf die Notwendigkeit, zu solchem Jagdzug Schotten aufzubieten, deren schlimme Gesinnung leider wir doch zur Genüge kennen. Sollten die freundschaftlichen Bande, die uns bisher umschlossen, durch unglückliches Zusammentreffen von Umständen sich lockern, ohne daß ich im Grunde ersehen könnte, warum dies notwendig sein müsse, so gibt das noch immer keinen Grund ab, daß wir nicht nach wie vor in allem Verkehr die höflichen Bedingungen festhalten, die zwischen Rittern und Edelleuten Brauch sind!«

»Ihr mögt recht haben, Sir Aymer,« erwiderte de Walton mit steifer Verbeugung, »wenn Ihr von Eurem Standpunkt aus in Zweifel zieht, daß das alte Verhältnis zwischen uns einen Riß bekommen habe. Für mich liegen die Dinge indessen so, daß ich niemals einem feindlichen Gefühl gegen Euch Raum in meiner Brust gestatten könnte. Ihr seid mein Kriegs- und Ritterschaftsschüler gewesen, seid mit dem Grafen von Pembroke nahe verwandt, der mir ein gütiger und ständiger Beschützer ist: dies also sind Umstände, die sich von mir nicht so schnell von der Hand weisen lassen. Seid Ihr, wie sich aus Euren Andeutungen schließen läßt, durch ältere Rücksichten weniger gebunden, so habt Ihr Eure Wahl zu treffen, wie sich unsere Beziehungen zueinander künftighin regeln sollen.«

»Mein Verhalten gegen Euch, Sir Walton, wird bedingt werden durch Euer Verhalten gegen mich. Ihr könnt unmöglich aufrichtiger hoffen als ich, daß unsere soldatischen Pflichten gewissenhafte Erfüllung finden, ohne unserem anderen Verkehr irgendwie Eintrag zu tun.«

Nach diesem Gespräch schieden die Ritter voneinander. Wiederholt standen sie in seinem Verlauf auf dem Punkte, daß es zu einer herzlichen Aussprache hätte kommen können; indessen gelang es keinem von beiden, das Eis zu brechen, das sich immer schnell wieder bildete; keiner wollte der erste sein, dem anderen entgegenzukommen, obgleich jeder von Herzen dazu bereit war, weil bei beiden der Stolz alle anderen Gefühle zu stark überwog. Daher kam es, daß sie auseinandergingen, ohne auf den eigentlichen Gegenstand ihres Gesprächs, den Jagdzug, zurückzukommen. Dies geschah aber, und zwar auf schriftlichem Wege, kurz nachher durch Sir de Walton. Der Schloßhauptmann unterrichtete seinen Leutnant, daß der Jagdzug gegen die wilden Stiere im benachbarten Tale beschlossene Sache sei, und lud ihn zur Teilnahme ein.

Am Vormittag des folgenden Tages sollte die Jagd stattfinden; die Zusammenkunft war auf 6 Uhr morgens bestimmt, als Treffort das Tor des äußeren Bollwerks; nachmittags sollte unter der als »Sholtos Keule« bekannten hohen Eiche am Ausgang des Douglas-Tals das Halali geblasen werden. An das niedere Volk und an die Vasallen der Umgegend wurde das gewöhnliche Aufgebot erlassen und mit Freuden aufgenommen. Eine Jagd im Douglas-Walde bot noch immer der Aufregungen so viele, daß man die Gegenwart englischer Ritter, wenn auch erzwungenermaßen, dabei nicht unwillig in Kauf nahm.


 << zurück weiter >>