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Zweites Kapitel.

Die Reisenden kamen zu einer Wegbiegung, die einen freiern Blick gestattete als die zerklüftete Landschaft bisher. Eine Bergwiese, mit Erlen, Haselsträuchern und Eichen bestanden, bot einen freundlichen Anblick. Der Pachthof oder das Herrenhaus – nach Größe und Aussehen waren beide Annahmen zulässig – war ein geräumiger, aber niedriger Bau, mit Mauern so stark, daß sie jedem räuberischen Überfall hätten standhalten können. Etwa eine halbe Meile entfernt stand eine halbverfallene Kapelle gotischen Baustils von mäßigem Umfange, die von dem Sänger als Abtei Saint-Bride bezeichnet wurde.

»Wie ich gehört habe,« erklärte er weiter, »sind die Ruinen stehen geblieben, weil im Anbau noch ein paar alte Mönche und Nonnen hausen, denen von der englischen Regierung gestattet worden ist, an der alten Stätte ihrem Herrn zu dienen, auch schottischen Wanderern ein Viatikum zu spenden. Demgemäß haben Mönche und Nonnen dem Sir Walton gehuldigt und einem Geistlichen sich untergeordnet, auf den sich Sir Walton verlassen zu dürfen glaubt. Indessen sollen, wenn Gäste dort Geheimnisse offenbaren oder durchschimmern lassen, die Mönche Anzeige an die englische Regierung gelangen lassen. Ich möchte es also für am besten halten, wenn Eure Ladyschaft nicht anders zu bestimmen geruht, daß wir dort keine Gastfreundschaft nachsuchen.«

»Allerdings nicht,« pflichtete die Dame bei, »falls du ein Quartier mit verschwiegenerem Wirt für uns aufzufinden vermagst!«

In diesem Augenblick kamen zwei Personen in Sicht, die in einer den beiden Wanderern entgegengesetzten Richtung auf den Pachthof zuschritten und sich in so lautem Tone zankten, daß die Stimmen trotz der nicht unerheblichen Entfernung deutlich zu hören waren.

Bertram hielt eine Weile lang, um besser zu sehen, die Hand über die Stirn. Dann rief er:

»Bei Gott! Es ist mein alter Freund Dickson! Was bringt ihn so auf gegen den jungen Burschen, der meines Wissens sein Sohn Karl ist, der kleine Wildfang, der vor etlichen zwanzig Jahren herumzuwildern und Binsen zu flechten pflegte? Ein Glück, daß wir unsre Freunde noch auf den Beinen treffen; denn ich wette, Tom hat ein tüchtiges Stück Fleisch im Topfe und müßte seinen Sinn völlig verändert haben, wenn er nicht für einen alten Bekannten davon übrig haben sollte. Wer weiß aber, ob er später den Riegel von seinem Tore gelöst hätte? Liegt doch feindliche Besatzung in der Nähe! Wollen wir das Ding beim rechten Namen nennen, so gilt doch englische Besatzung im Schlosse eines schottischen Laird als feindliche Besatzung!«

»Tor, der du bist!« versetzte die Dame; »urteilst über Sir John de Walton, als sei er ein grober Bauer, dem der Kamm schwillt, wenn er merkt, daß er die Hände frei hat? Mein Wort könnte ich dir geben, daß du hierzulande, vom Streit um den Besitz der Königreiche abgesehen, der natürlich von beiden Teilen in ritterlichem Kampfe ausgefochten wird, Engländer und Schotten in friedlich-freundlichem Beisammenleben unter Sir Waltons Zügel finden wirst, wie keine Schaf- und Ziegenherde unter Obhut eines Schäferhundes friedlich-freundlicher zusammenleben kann. Sir John de Walton mag den Schotten als Feind gelten, vor dem sie bei gewissem Anlaß fliehen; er wird ihnen aber auch als Beschützer gelten, unter dessen Schirm sie sich flüchten, wenn sich ein reißender Wolf zeigt.«

»Eurer Ladyschaft meine Meinung hierüber zu äußern getraue ich mir nicht«, versetzte Bertram; »ein junger Ritter in Rüstung ist aber ein ander Ding als ein junger Ritter in Balltracht, der bei den Damen scharwenzelt.« Mit Donnerstimme rief er hierauf: »Dickson! Holla, Tom Dickson! Erkennt Ihr etwa den alten Freund nicht, der auf Eure Gastfreundschaft rechnet für Nachtmahl und Nachtquartier?«

Der Schotte, durch den Ruf aufmerksam geworden, blickte über den Douglas hinüber, dann auf die kahle Böschung und ließ den Blick endlich auf den beiden Gestalten haften, die den Weg ins Tal hinunterstiegen.

Der Pächter vom Douglas-Tal hüllte sich, als er aus der windgeschützten Niederung heraustrat, den Wanderern entgegenging, fester in seinen groben Mantel, der dem schottischen Schäfer ein so romantisches Aussehen leiht, ob er gleich geringere Farbenpracht und kargeren Faltenwurf aufweist als der Kriegsmantel der Hochländer.

Als er näher kam, sah die Dame, daß er ein rüstiger, kräftiger Mann war, über die mittleren Jahre schon hinaus, mit Spuren des nahenden Greisentums, aber noch immer mit mannbarem, trutzigem Zug auf dem Antlitz, das manchen Sturm bestanden hatte, und noch immer mit Augen so scharf, daß man es ihnen auf den ersten Blick ansah, welch scharfe Wache sie zu halten gewohnt seit Jugend waren.

Auch Verdruß zeigten sie noch, diese Züge: Verdruß über den schmucken Jüngling, der ihm zur Seite schritt und dessen Gesicht deutliche Kunde gab, daß es keine sanften Äußerungen gewesen sein mochten, durch die sich des Vaters Grimm gegen ihn Luft gemacht hatte.

»Gedenkt Ihr denn meiner nicht mehr, Tom,« hub Bertram an, als beide nahe genug beieinander standen, um ein Gespräch zu beginnen – »oder haben zwanzig Jahre, die über unsere Köpfe gezogen, alle Erinnerung an Bertram, den englischen Spielmann und Sänger, mit sich genommen?«

»Nun, nun,« versetzte der Schotte, »an Landsleuten von Euch fehlt es ja nicht bei uns, die einem die Erinnerung an Euch wachhalten. Aber wir sind nun doch mal so ungehobelt, daß man das Gesicht eines alten Freundes vergißt und kaum von weitem erkennt. Es hat aber in jüngster Zeit viel Unruhe hier gesetzt. Oben in dem schlimmen Schlosse Douglas halten tausend Landsleute von Euch Besatzung, und an anderen Plätzen im Tale auch: das ist kein lustiger Anblick für einen Schotten! Sogar in meinem armen Hause ist ein Schwerbewaffneter mit ein paar Bogenschützen quartiert worden, und als Dreingabe hat's ein paar mutwillige Jungen gesetzt, Pagen mit Namen, die einem Manne das Maul verbieten, wenn er an seinem Herde davon spricht, der Platz, wo er stände sei sein Eigentum! Indessen hegt darum, alter Freund, keine üble Meinung von mir, wenn ich Euch mit kälterem Willkomm begrüße, als Ihr von einem Freunde erwarten könnt; denn bei Saint-Bride am Douglas! es ist mir kaum was geblieben, Euch willkommen zu heißen!«

»Auch karger Willkomm reicht«, versetzte Bertram; »mein Sohn, mach dem alten Freunde deines Vaters dein Kompliment! Mein Augustin, Freund Dickson, erlernt mein lustiges Handwerk; bis er aber die Mühsal, die es im Gefolge hat, ganz wird bewältigen können, wird wohl noch mancherlei Übung erforderlich sein. Wollt Ihr ihm ein wenig Nahrung und für die Nacht ein ruhiges Bett geben, dann geht's uns beiden bei Euch besser als gut! Reist Ihr mal mit Eurem Karl – denn der hübsche schlanke Jungmann neben Euch ist doch kein anderer als mein Taufpate – so werdet Ihr Euch wohl auch erst recht behaglich fühlen, wenn für seine Bedürfnisse gesorgt ist.«

»Satan soll mir die Suppe salzen, wenn es mal so sein soll!« rief der schottische Landmann; »mag er's doch allein wissen, aus welchem Stoffe heute die jungen Kerle geschaffen sind: aus dem ihrer Väter ganz sicher nicht! Soll er sie holen, wenn's ihm paßt! Solche Nahrung und Unterkunft hat der wackere Lord Douglas, bei dem ich Leibdiener war, – Ihr wißt's ja, Freund Bertram – als Page bei Gott nicht begehrt, wie sie jetzt solchen Patron, wie Euren Taufpaten Karl, nicht mal zufriedenstellt.«

»Nun, mein Augustin,« meinte Bertram, »ist nicht wählerisch; aus anderer Ursach muß ich aber um ein besonderes Bett für ihn ersuchen. Er ist in letzter Zeit unpaß gewesen.«

»Hm, ich verstehe,« meinte Dickson, »Euer Sohn hat wohl was von der Krankheit gehabt, an der Eure Engländer so häufig draufgehen und die mit dem schwarzen Tode ausgeht? Wie hier verlautet, soll die Krankheit im Süden arg gewütet haben. Kommt sie auch hierher?«

Bertram nickte.

»Nun, in meines Vaters Hause,« nahm der Pächter wieder das Wort, »sind der Stuben mehr denn eine, und Eurem Sohne soll eine luftige, geräumige Stube zurechtgemacht werden! Essen müßt Ihr halt mit Euren Landsleuten, müßt zusehen, was die für Euch übrig lassen; muß halt ein Dutzend solcher Mäuler jetzt füttern! Schäme mich, sagen zu müssen, daß ich im eigenen Hause nach ihrer Pfeife tanzen muß! Ha, besäße mein guter Lord noch sein Schloß, so möchte es auch mir an Herz und Hand nicht fehlen, das ganze Gesindel aus dem Hause zu schmeißen! Aber – ein Trost für uns arme Schlucker: der edelste Laird in Schottland befindet sich kaum in besserer Lage!«

»Tom Dickson,« warf Bertram ein, »jetzt siehst du den Fall durch bessere Brille. Ich will durchaus nicht sagen, daß der weisere, reichere und stärkere Mann ein Recht darauf hätte, den schwächeren, ärmeren und dümmeren Nebenmenschen zu tyrannisieren; läßt sich ein solcher aber in Streit ein, so muß er sich dem Laufe der Natur auch unterwerfen; und gleichwie kein Wasser den Berg hinaufläuft, so kann auch im Kriege der Vorteil bloß dem zuteil werden, der den andern überrascht.«

»Mit Verlaub aber,« versetzte Dickson, »kann der schwächere Teil, wenn er bis zum äußersten ausholt und seine Kraft bis zum äußersten anstrengt, schließlich Rache an dem Urheber seiner Leiden nehmen! Also doch zu leidlichem Ausgleich der Unterjochung gelangen! Ganz gewiß handelt jeder als Mensch töricht, und jeder Schotte unverantwortlich dumm, der solche Unbill mit Stumpfsinn trägt und, statt die vom Himmel gesetzte Zeit abzuwarten, voreilige Rache zu nehmen sucht! Aber durch solche Reden werde ich Euch, wie schon manchen Eurer Landsleute, von Haus und Hof scheuchen, daß Ihr weder Nachtmahl noch Nachtquartier in einem Haufe nehmen wollt, wo Euch am Morgen blutige Entscheidung unseres Rassenkampfes treffen könnte.«

»Keine Sorge in solcher Hinsicht«, versetzte Bertram; »wir sind seit alters Freunde miteinander, und ich versehe mich von Eurer Seite ebensowenig liebloser Aufnahme, als Ihr erwarten werdet, der Zweck meiner Herkunft sei, neue Kränkungen zu jenen, über die Ihr Klage führt, zu fügen.«

»Recht so«, antwortete Tom Dickson; »seid also in meinem Hause ebenso willkommen, alter Freund, wie zu der Zeit, als sich bloß Gäste darin befanden, die ich selber geladen hatte. Für Euren Sohn, den Herrn Augustin, gilt, wie ich wohl nicht hinzuzufügen brauche, das gleiche.«

»Aber nun sagt mir doch, Tom,« fragte Bertram, »was hat Euch Anlaß gegeben zu solchem Verdruß über meinen Taufpaten?«

Bevor der Vater Zeit fand zum Sprechen, hatte der Jüngling erwidert: »Der Vater, Herr Pate, mag die Sache hinstellen wie es ihm beliebt, so bleibt doch bestehen, daß in solch unruhvollen Zeiten die klügsten Leute schwach im Kopfe werden. Er hat's mit angesehen, daß ein paar Wölfe sich unsere besten Widder holten, und weil ich der englischen Besatzung zurief, Alarm zu blasen, ist er so ergrimmt, daß er mich hätte morden können! Und weshalb? Weil ich den Widder aus Wolfsrachen retten wollte, damit er in anderer Wölfe Rachen käme!«

»Eine seltsame Meldung über dich, alter Freund!« rief Bertram; »gönnst du den Wölfen, sich an deiner Herde zu mästen?«

»Reden wir nicht weiter davon, wenn du mir Freund sein willst; Karl könnte dir von Dingen sprechen, die näher liegen. Schweigen wir aber jetzt darüber!«

Als der Sänger inne wurde, daß sich der Landmann ärgerte, drängte er nicht weiter in ihn. Zudem setzten sie gerade den Fuß über die Schwelle und Soldatenstimmen schallten ihnen entgegen.

»Still, Anthony«, rief eine rauhe Stimme; »still, Mensch! Um der gesunden fünf Sinne halber, wenn nicht der guten Manieren halber. Auch Robin der Rote hat sich früher an keinen Tisch gesetzt, als bis der Braten fertig war!«

»Fertiger Braten?« rief eine andere, nicht minder rauhe Stimme; »das ist mir ein Braten, wie er sich elender kaum denken läßt! Und verflucht wenig Anteil davon kommt diesem Schuft von Dickson zu, seit unser Kommandant, der würdige Sir John de Walton, ausdrücklich befohlen hat, daß alle Soldaten auf Vorposten den Wirten alle Vorräte abliefern, die ihnen vom eigenen Lebensunterhalt übrig bleiben.« »Schäme dich, Anthony, schweige!« erwiderte der Kamerad des Schreiers; »wenn ich jemals den Schritt unseres Wirtes gehört habe, dann jetzt! Laß das Geknurr, denn unser Kommandant hat strenge Strafe auf jeden Unfrieden zwischen seiner Mannschaft und den Landbewohnern gesetzt!«

»Ich habe zu Unfrieden keinen Anlaß gegeben«, versetzte Anthony; »aber recht wäre es mir schon, ich würde, von meinem Mißtrauen gegen unseren finsteren Wirt, diesen dickköpfigen Schuft von Tom Dickson, erlöst. Ich gehe in seinem Loche selten zu Bett ohne den Gedanken, daß mir der Hals mal beim Aufwachen klaffen wird wie einer durstigen Auster die Schale ... Da kommt er aber,« setzte er hinzu, seine laute Stimme mäßigend – »in den Kirchenbann mögen sie mich tun, wenn er nicht das tolle Vieh, seinen Jungen Karl, und noch ein paar Fremde dazu herschleift, bloß um uns das Abendbrot zu verweigern, wenn sie nichts anderes zu unserem Schaden vorhaben.«

»Pfui, Anthony«, rief sein Kamerad; »du bist doch ein so tüchtiger Armbrustschütz, wie kaum einer den grünen Rock trug, und tust doch gerade, als fiele dir das Herz in die Hosen, wenn dir zwei müde Wanderer vor die Augen kommen! Fürchtest dich wohl gar davor, daß sie uns den Trank heut abend dünn machen? Wozu hätten wir denn Armbrüste und Partisanen, wenn wir uns mit solchem Quark befassen wollten? He! Sieh da! Quartierherr Dickson! Was bringt denn Ihr? Bekannt ist Euch doch aus unserer Instruktion, daß wir Fremden, die den Fuß zu Euch setzen, außer solchen, die ungebeten kommen wie wir, auf den Zahn fühlen sollen, bevor Ihr sie aufnehmt? Seid Wohl, wie mir scheint, ganz so bereit zum Nachtmahl, wie das Nachtmahl für Euch? Nun, mein Freund Anthony brennt vor Ungeduld, ich möchte deshalb ihn und Euch nicht länger aufhalten, als die Antwort auf ein paar Fragen in Anspruch nehmen wird.«

»Bogenspanner!« versetzte Dickson; »du bist ein recht höflicher Gesell! Und wenngleich es hart ankommt, Rechenschaft über Freunde abzulegen, denen man bei sich Quartier geben will, so unterwerfe ich mich doch den Zeitumständen und bin Euch zu Willen. Schreibt Euch also in Euer Meldebuch: Am 14. Tage vor Palmsonntag hat Thomas Dickson in sein Haus am Hazelside, worin Ihr auf Befehl des Gouverneurs als Besatzung liegt, zwei Freunde aufgenommen und bewirtet, was ihm zurzeit und am Ort nicht zu wehren war.«

»Aber wer sind die Fremden?« fragte Anthony schroff.

»Eine schöne Welt,« brummte Tom Dickson, »in der man gezwungen ist, jedem gemeinen Gesellen zu antworten!« Dann aber fügte er hinzu: »Der ältere meiner Gäste ist Bertram, ein englischer Spielmann und Sänger, mir seit zwanzig Jahren bekannt und nie anders denn als ehrlicher und braver Mensch; der jüngere ist sein Sohn, seit kurzem in Genesung begriffen von der englischen Krankheit, die in Cumberland und Westmoreland so arg gewütet hat!«

»Ist es derselbe Bertram, der vorm Jahr im Dienst einer edlen Dame in England drüben stand?« fragte der Bogenspanner.

»Gehört habe ich davon«, versetzte Dickson.

»So werden wir sie wohl passieren lassen, denke ich; denn von Gefahr scheint nichts vorhanden.«

»Ihr seid mein Vorgesetzter und seid der ältere«, sagte Anthony; »aber erinnern möchte ich daran, daß wir einem jungen Menschen, der an solcher Krankheit gelitten, ohne besondere Vorfrage nicht Einlaß ins Schloß gewähren dürfen. Lieber sähe, glaube ich, Sir John de Walton den schwarzen Douglas mit tausend Teufeln, so schwarz wie er selber, da es doch seine Farbe ist, im Besitze von Hazelside, als solche Person mit solchem Ansteckungsstoff oben im Schlosse.«

»Deine Worte sind wahr, Anthony«, antwortete sein Kamerad; »es ist nach meiner Meinung wohl am gescheitesten, wir machen ihm Meldung und fordern Befehle, wie mit dem Grünschnabel verfahren werden soll.«

»Mir recht«, sagte der Armbrustschütze; »zuvörderst stellen wir dem Gelbschnabel wohl ein paar Fragen: wie lange er krank gewesen; welcher Arzt ihn kuriert hat; wie die Zeugnisse über seine Heilung lauten. Wir müssen doch zeigen, daß wir ungefähr wissen, was für solchen Fall in Betracht tritt.«

»Stimmt, Bruder«, pflichtete der Bogenspanner bei; »du hörst doch, Spielmann, daß wir deinen Sohn befragen wollen – wo steckt er denn, er war doch eben noch da?«

»Freilich«, lautete Bertrams Antwort; »aber er ist auf seine Stube gegangen. Aus Rücksicht auf Euer Gnaden Gesundheit hat ihn der fürsorgliche Wirt sogleich auf seine Stube gebracht, wo er am besten aufgehoben sein wird.«

»Wir müssen aber bei einem Falle wie dem vorliegenden, bevor wir Euch erlauben dürfen, nach Schloß Douglas weiter zu ziehen, ein paar Fragen an Euren Sohn stellen, wohin er, wie Ihr sagt, Botschaft zu bestellen hat.« »Die Botschaft wird mehr meine als seine Sache sein, Herr«, bemerkte der Sänger.

»Dann genügen wir unserer Pflicht am besten und einfachsten, wenn wir Euch beim Tagesgrauen ins Schloß hinaufschicken und Euren Sohn im Bett lassen, bis wir Weisung von Sir John erhalten, ob er ins Schloß hinauf darf oder nicht.«

»Recht so, Freund«, pflichtete der Spielmann bei, »indessen eins, wenn ich bitten darf: mein Sohn ist ein guter und sanfter Bursch, wenig gewohnt, unter den Menschen, welche diese wilden schottischen Wälder bewohnen, eine Rolle zu spielen. Ich hoffe also, daß Ihr Rücksicht gegen ihn walten laßt.«

»Hm«, machte der ältere und höflichere der beiden Soldaten; »wenn Euer Sohn solcher Neuling auf dieser Erdenreise ist, so möchte ich doch raten, für die Zeit, bis Ihr vor den Gouverneur gelangt, seine Fragen beantwortet habt und Bescheid über Euren Jungen bekommt, ihn im nahen Kloster zu beherbergen. Erlangt Ihr keinen guten Bescheid, so kann er doch dort verweilen, bis Ihr Euer Geschäft auf Schloß Douglas beendigt habt und wieder bereit seid, die Reise anzutreten. Beiläufig gesagt, sind die Nonnen drüben eher älter denn jünger als die Mönche und tragen Bärte fast so lang wie jene – Ihr könnt also, was die Sittlichkeitsfrage angeht, völlig beruhigt sein.«

»Kann ich solche Erlaubnis erlangen,« sprach der Sänger, »so wäre es mir lieber, ihn in der Abtei zu lassen und zuvor die Befehle des Kommandanten in Person einzuholen.«

»Sicher ist dies das beste Verfahren! Mit ein paar Goldfüchsen kannst du den Schutz des Abtes von Saint-Bride dir rasch verschaffen. Aber eins noch, Freund! Ihr habt auf Euren Irrfahrten doch sicher gelernt, was ein Morgenschluck ist? He? Und daß man mit ihm Leute zu traktieren pflegt, die einem bei gewissen Anlässen gefällig waren?«

»Ich verstehe, Freund, was Ihr meint«, beschied ihn der Sänger; »wenn auch die Börsen von Leuten meines Standes nicht gerade durch Fülle sich auszeichnen, so sollt doch Ihr deshalb nicht Not leiden! Ein gutes englisches Goldstück zur Entnahme eines guten englischen Trunkes in gutem englischen Hause ist schon noch vorhanden!«

Mit diesen Worten legte der Sänger einen Sovereign auf den Tisch.

»Ich sehe, wir verstehen einander«, sagte lachend der Armbrustschütz; »sollten sich Erschwernisse einstellen, so ist Euch Anthonys Beistand sicher. Indessen wird es doch gut sein, Euren Sohn bald von dem Besuch in Kenntnis zu setzen, den er morgen beim Abte abstatten soll. Ihr könnt Euch wohl denken, daß wir mit dem Gange nach Saint-Bride nicht säumen dürfen, sobald die Röte am Himmel herauf ist. Junge Leute lieben den Morgenschlaf.«

»Ihr sollt nicht Ursache finden zu solchem Glauben«, sagte der Jäger; »die Lerche ist nicht früher als mein Sohn! Bloß darum bitte ich nochmals, so lange sich mein Sohn in Eurer Gesellschaft befindet, leichtfertige Reden zu lassen. Er ist ein harmloser Knabe und furchtsam im Gespräch.«

»Spielmann,« sprach der ältere Soldat, »Ihr malt uns den Satan zu plump! Seid Ihr zwanzig Jahre Sänger und Spielmann, wie Ihr sagt, dann muß doch Euer Sohn, wenn er Euch von Kindesbeinen an Gesellschaft geleistet hat, jetzt selber eine Schule aufmachen können, die Ausübung der sieben Todsünden zu lehren, die doch kein anderer Mensch besser kennt als ein Spielmann!«

»Du sprichst wohl wahr, Kamerad,« erwiderte Bertram, »und in dieser Hinsicht verdienen die Spielleute freilich Tadel. Indessen ist solcher mein Fehler nie gewesen: im Gegenteil!... Aber wenn Ihr erlaubt, so will ich jetzt ein Wort mit meinem Augustin sprechen, daß wir morgen beizeiten auf den Beinen sein müssen.«

»Tut das, Freund,« sprach der Soldat, »und zwar um so schneller, als ja doch unser karges Abendbrot wird warten müssen, bis Ihr fertig seid, daran teilzunehmen.«

»Hierzu will ich kein Aufenthalt sein,« erwiderte Bertram, »denn auch mich verlangt es nach ein paar Bissen.«

»Dann kommt«, sagte Dickson, der seit kurzem wieder in der Stube war; »ich will Euch zeigen, wo ich dem jungen Vogel sein Nest gebettet habe.«

Er stieg eine Holztreppe hinauf und klopfte an eine Tür.

»Euer Vater,« sagte er, als sie sich öffnete, »will mit Euch sprechen, Herr Augustin.«

»Entschuldigt, bitte, Herr Wirt«, versetzte der also Angeredete; »weil die Stube gerade über Eurer Eßstube liegt und der Fußboden wohl nicht im sichersten Stande ist, habe ich wohl oder übel horchen müssen, was unten gesprochen wurde.«

»Wie gefällt Euch denn die Aussicht, drüben im Kloster zu weilen?« fragte der Wirt. »Recht gut,« erwiderte die als Augustin eingeführte Dame, »sofern der Abt, wie es seinem Berufe ziemt, ein freundlicher Herr ist.«

»Der ist um so freundlicher,« meinte Tom Dickson lachend, »je tiefer Ihr mit der Hand in die Geldkatze greift.«

»Das muh ich schon meinem Vater überlassen,« erwiderte Augustin, »der ihm wohl billige Forderungen nicht abschlagen wird.«

»Gut, mein Sohn,« sagte Bertram, »und damit du morgen beizeiten bereit bist, soll dir der Wirt Speise und Trank heraufbringen. Lege dich dann zeitig schlafen. Der morgige Tag wird neue Arbeit bringen.«

Unten wurde Stampfen von Hufen laut. Die Soldaten salutierten vor einem Reitersmann. Bertram merkte bald aus dem Gespräch heraus, das nun unten anhub, daß der Berittene der Ritter war, zu dessen »Lanze«– nach dem damaligen Kriegsausdruck – die beiden Armbrustschützen gehörten, und Aymer de Valente hieß, seinem Range nach Adjutant des Gouverneurs vom Schlosse Douglas.

Uni jedem Verdacht die Spitze abzubrechen, meldete sich Bertram auf der Stelle bei dem Ritter, den er mit seinen Untergebenen zusammen beim Abendtische traf. Die Befragung Bertrams durch den Ritter war bei weitem genauer und umständlicher als vordem durch den Bogenschützen, vollzog sich aber unter Wahrung höflichster Formen. Sehr zufrieden war Bertram, daß Aymer de Valence nicht darauf bestand, den Sohn zu sehen, und daß der Ritter gern darein willigte, für denselben die Abtei als passenden ruhigen Wohnsitz zu wählen, bis der Gouverneur über seinen weiteren Verbleib Entscheidung getroffen habe.

Mit Tagesanbruch begab sich der Sänger unter dem Geleit des Ritters mit seinem jungen Sohne nach der Abtei und traf mit dem Abte Hieronymus die Abrede, daß sein Sohn mit Genehmigung des Ritters Aymer de Valence in der Abtei Herberge und Verköstigung gegen eine entsprechende Vergütung in Form eines Almosens für solange erhalten solle, bis die Bedingungen über seine Weiterreise nach dem Schlosse Douglas in zustimmendem oder verneinendem Sinne Entscheidung gefunden hätten.

»So lebe jetzt wohl, Augustin,« sprach Bertram, als er sich verabschiedete, »ich werde keinen Tag länger im Schlosse Douglas verweilen, als mein Geschäft verlangt. Du weißt, daß ich in alten Büchern nachzuschlagen habe. Ist diese Aufgabe erledigt, komme ich in die Abtei mit dem Entscheide Sir de Waltons.«

Hierauf trennten sie sich. Der Sänger begab sich mit dem englischen Ritter und dessen Gefolge nach dem Schlosse. Der Jüngling blieb zurück bei dem Abte, der zu seiner Freude feststellte, daß sich der Sinn seines jugendlichen Gastes mehr auf geistliche Dinge als auf das Frühmahl richtete, das ihm selbst aber erwünschter zu sein schien.


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