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Sechzehntes Kapitel

Vierzehn Tage lang brachte der alte Caxon dem Altertümler regelmäßig Nachricht, was er von Herrn Lovel erfahren hatte, und regelmäßig lautete seine Mitteilung, die ganze Stadt könne nichts über ihn erfahren, bloß daß er wieder ein paar Briefe aus dem Süden bekommen hätte, und auf der Straße lasse er sich schon gar nicht mehr blicken.

»Wie lebt er, Caxon?«

»Nu, seine Wirtin macht ihm ein Beefsteak oder ein Hammelkotelette oder ein Backhuhn oder was ihr sonst grade einfällt, und das ißt er in dem kleinen roten Stübchen neben seiner Schlafstube. Sie kann ihn ganz und gar nicht dazu bewegen, daß er mal sagt, das eine wär ihm lieber als das andre, und frühmorgens macht sie ihm Tee, und alle Woche rechnet er reell mit ihr ab.«

»Und geht er denn nie aus?«

»Das Ausgehn hat er ganz aufgegeben und sitzt den ganzen Tag in seiner Stube und liest oder schreibt. Seine Wirtin meint, er sähe schon recht elend aus, sein Appetit ist auch futsch, und doch will er nichts davon wissen, auch nur über die Schwelle zu gehn, und dabei ist er doch früher so viel weggegangen.«

»Das ist nicht recht. Ich kann mir schon denken, woran er arbeitet. Aber er darf sich nicht so furchtbar abbüffeln. Ich will ihn heute noch aufsuchen – ohne Zweifel sitzt er bis über die Ohren in der Kaledonia drin.«

Ein Spaziergang nach Fairport war für Herrn Oldbuck schon sozusagen ein Abenteuer, und zwar eins, an dem ihm nicht sehr viel gelegen war. Das Grüßen auf dem Marktplatz war ihm verhaßt. Und auch auf den Straßen standen fast immer Tagediebe herum, die ihn mit allerlei Neuigkeiten oder kleinen Geschäften aufhielten.

Nach mancherlei derartigem Aufenthalt gelangte er denn glücklich nach dem Hause der Frau Hadoway. Diese gute Frau war die Witwe eines Geistlichen zu Fairport, die durch den Tod ihres Mannes in mißliche beschränkte Lage geraten war, wie man sie bei den Witwen schottischer Pfarrer nur zu oft antrifft. Die Wohnung, die sie innehatte und die Möbel, die sie besaß, ermöglichten es ihr, einen Teil ihres Hauses zu vermieten, und da Lovel ein ruhiger, ordentlicher und auch gut zahlender Mieter war, und sich stets sehr höflich und zuvorkommend gegen sie benahm, so hatte die gute Frau eine große Anhänglichkeit an ihren Mieter und bediente ihn aufs aufmerksamste.

Als sie jetzt die Tür öffnete, war sie so sehr überrascht, Herrn Oldbuck zu sehen, daß ihr sogleich die Tränen in die Augen traten.

»Freut mich, Sie zu sehen, freut mich gar sehr, Herr. Mit meinem armen Herrn stehts, fürcht ich, sehr schlecht. Und er ist noch so jung und wohlgebildet. Von Tag zu Tag hat er weniger gegessen, und jetzt rührt er kaum noch etwas an. Von Tag zu Tag ist sein armes Gesicht blässer und schmäler geworden, und er sieht jetzt wirklich schon so alt aus wie ich, die ich doch seine Mutter sein könnte.«

»Macht er sich denn gar keine Bewegung?«

»Wir haben ihn glücklich so weit gebracht, und er hat sich nun ein Pferd gekauft von Gibbie Flinkfuß, und gestern Morgen und heute Morgen vorm Frühstück ist er ausgeritten. Aber wollen Sie nicht zu ihm hineingehen?«

»Gleich, gleich. Aber bekommt er denn gar keinen Besuch?«

»Ach, Herr Oldbuck, keine Menschenseele, kommt zu ihm. Hat er doch niemand zu sich gelassen, wie er noch frisch und munter war – und wer sollte ihn aus Fairport denn gar jetzt aufsuchen?« »Freilich, freilich, hätt mich auch gewundert, wenns anders gewesen wäre. Führen Sie mich hinauf, Frau Hadoway, damit ich mich nicht verlaufe und irgendwo hineingerate, wo ich nichts zu suchen habe.«

Die gute Wirtin führte Herrn Oldbuck die enge Treppe hinauf. Sie klopfte am Zimmer ihres Mieters an.

»Herein!« rief Lovel, und Frau Hadoway ließ den Herrn von Monkbarns eintreten.

Das kleine Zimmer war nett und sauber, aber es war eng und überheizt und, wie es Herrn Oldbuck vorkam, ein unpassender Aufenthalt für einen jungen Mann, der kränkelte. Dieser Eindruck brachte ihn auf einen Entschluß, den er in Hinsicht auf Lovel gefaßt hatte.

Einen Schreibtisch vor sich, auf dem eine Menge Bücher und Papiere lagen, saß Lovel auf einem Sofa in Schlafrock und Pantoffeln. Oldbuck erschrak, als er ihn so verändert sah. Wange und Stirn waren geisterhaft bleich, nur ein heller Fleck von hektischem Rot hob sich kraß auf jeder Backe ab. Ganz verschwunden war die kräftige gesunde Gesichtsfarbe, die er ehedem gehabt und die ihm einen etwas bräunlichen Teint verliehen hatte.

Oldbuck bemerkte, daß er in Trauer gekleidet war und daß ein Rock von der gleichen Farbe auf einem Stuhle neben ihm hing. Als der Altertümler eintrat, erhob sich Lovel und ging ihm entgegen.

»Das ist aber nett,« sagte er, schüttelte ihm die Hand und dankte ihm warm für seinen Besuch. »Das ist sehr nett. Sie kommen mir da mit einem Besuche zuvor, mit dem ich Sie zu belästigen die Absicht hatte – denn Sie müssen wissen, ich bin seit kurzem Reitersmann geworden.«

»Hab's schon von Frau Hadoway gehört – hoffe nur, mein junger Freund, Sie haben auch ein ruhiges Pferd gekriegt. Sie meinen, Sie sind ein geübter Reiter, wie?«

»Na, wenigstens möcht ich mich nicht gern für einen schlechten ausgeben.«

»Aber haben Sie denn überhaupt Übung gehabt? Ein Pferd, wenn es wild wird, versteht keinen Spaß.«

»Na, ich will mich ja gerade keinen ausgezeichneten Reiter nennen, aber als ich als Adjutant des Sir ... die Attacke bei .... mitritt, im vergangenen Jahr, da sah ich manchen besseren Reiter vom Gaule purzeln.«

»Ei, also haben Sie dem grimmigen Gott der Waffen selber ins Angesicht geschaut? Sie kennen die finstere Stirn des waffengewaltigen Mars? Diese Erfahrung macht das Maß Ihrer Befähigungen zu der Dichtung voll. Na, und war denn die Muse bei Ihnen zu Gaste? Haben Sie schon was fertig, was Sie mir zeigen könnten?«

»Meine Zeit,« sagte Lovel mit einem Blick auf seinen schwarzen Anzug, »haben weniger angenehme Dinge beansprucht.«

»Ein Freund gestorben?« fragte der Altertümler.

»Ja, Herr Oldbuck, der einzige Freund, den zu besitzen ich mich rühmen konnte.«

»Wirklich? Nun, junger Mann,« sagte sein Gast in einem ernsten Tone, der ganz anders klang, als die angenommene Würde, mit der er sonst sprach, »lassen Sie sich trösten – wenn Sie einen Freund verloren haben, solange Sie noch in warmer Freundschaft und Herzenstreue aneinander hingen, und Ihre Träne nun fließen kann, unverbittert durch Entfremdung oder Mißtrauen oder Verrat, so sind Sie vielleicht nur vor einem schweren Schicksalsschlage bewahrt geblieben. Schauen Sie um sich! wie wenige sehen Sie alt werden, denen die Liebe und die Freundschaft ihrer Jugendzeit treu bleibt! Unsere Quellen gemeinsamer Freuden trocknen allmählich aus auf unserer Pilgerfahrt durch dieses Jammertal, und wir graben uns andere Zisternen, aus denen wir die ersten Gefährten unserer Wanderung nicht mitschöpfen lassen – Eifersucht, Nebenbuhlerschaft, Neid drängen sich ein und trennen auch andere von uns, bis niemand übrig bleibt als die, die mit uns verwandt sind oder uns mehr aus Gewohnheit als aus Zuneigung nahe stehen und vielleicht dem alten Manne nur deshalb in seinem Leben Gesellschaft leisten, daß er sie bei seinem Tode nicht vergessen soll. Ach, Herr Lovel, wenn es Ihr Los sein sollte, den frostigen, nebligen, trostlosen Abend des Lebens zu erreichen, dann werden Sie an die Sorgen Ihrer Jugend nur denken als an die leichten schattigen Wolken, die nur auf einen Augenblick sich vor die Strahlen der Sonne geschoben haben, als sie aufging. Aber ich stopfe Ihnen diese Worte ins Ohr, und der Magen Ihres Verstandes nimmt sie nicht an.«

»Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Freundlichkeit,« antwortete der junge Mann, »aber die Wunde, die mir so kürzlich geschlagen worden ist, wird immer heftig schmerzen. In meinem augenblicklichen Kummer wäre es mir nur ein geringer Trost, – verzeihen Sie, daß ich so spreche – wenn ich der Überzeugung Raum gäbe, daß das Leben für mich nichts weiter als eine ununterbrochene Folge von Schmerzen enthalten werde. Und erlauben Sie mir hinzuzusetzen, daß Sie, Herr Oldbuck, von vielen Männern am wenigsten Ursache haben, das Leben so düster zu betrachten. Sie haben ein ausreichendes Vermögen – sind allgemein geachtet – können sich den Studien hingeben, zu denen Ihre Neigung Sie zieht, – Sie können außer dem Hause verkehren, mit wem Sie wollen, und im Hause umgibt sie die liebevolle sorgsame Aufmerksamkeit der nächsten Anverwandten.«

»Na ja, das Weibsvolk ist ja, dank meiner Zucht, sehr höflich und sehr gefügig. Stört mich nicht in meinem Morgenstudium – geht auf den Zehenspitzen über den Korridor, wenn es mir mal behagt, nach dem Essen oder nach dem Tee in meinem Lehnstuhle ein Schläfchen zu machen. Das ist ja alles ganz gut und schön; aber ich brauche wen, mit dem ich Gedanken austauschen kann – ich brauche wen, mit dem ich vernünftig plaudern kann.«

»Warum laden Sie dann nicht Ihren Neffen, den Hauptmann M'Intyre, ein, daß er zu Ihnen ins Haus zieht – er soll doch ein geistvoller junger Mann sein?«

»Wer?« rief Monkbllins. »Mein Neffe Hektor? – Der Heißsporn aus dem Norden? – Ei, der Himmel sei Ihnen gnädig, eher wollt' ich mir einen Feuerbrand in den Holzstall legen! Das ist ein wahrer Almansor – er hat einen hochländischen Stammbaum, so lang wie sein Schlachtschwert, und ein Schlachtschwert, so lang wie die Chaussee von Fairport, – als er das letztemal in Fairport war, hat er es aus der Scheide gezogen und ist auf den Arzt losgegangen. Ich erwarte ihn in einigen Tagen hier – aber ich will ihn mir zehn Schritt vom Leibe halten, das kann ich Ihnen versichern. Er und in mein Haus ziehen! daß er mir die Stühle und Tische zittern und tanzen macht, mit seinem Gebrüll und Gestampf! – Nein, nein, von Hektor M'Intyre will ich nichts wissen. Aber hören Sie, Herr Lovel, Sie sind ein ruhiger, sanftmütiger Junge. Wäre es nicht besser, wenn Sie sich auf ein paar Monate in Monkbarns einquartierten? Sie wollen ja doch nicht so rasch aus dieser Gegend weg? Ich lasse eine Tür nach dem Garten zu ausbrechen – das kostet herzlich wenig – und da können Sie dann aus dem grünen Zimmer ein und aus, wenn es Ihnen paßt, und Sie kommen nicht dem alten Mann in die Quere und er Ihnen auch nicht. Sie sind ja auch sonst bescheiden, wie mir Frau Hadoway sagt, und so werden Sie auch mit meinem bescheidenen Tische zufrieden sein. Was das Waschen betrifft. ... .«

»Halten Sie ein, mein lieber Herr Oldbuck,« unterbrach ihn Lovel, der sich eines Lächelns nicht erwehren konnte, »ehe Ihre Gastfreundlichkeit mir alles so schön einrichtet, lassen Sie mich Ihnen von ganzem Herzen danken für ein so freundliches Anerbieten. Es steht augenblicklich noch nicht in meiner Macht, es anzunehmen. Aber bevor ich Schottland Lebewohl sage, wird sich Gelegenheit finden, daß ich Ihnen einen längeren Besuch abstatte.«

Herr Oldbuck zog ein langes Gesicht.

»Hm, ich dachte, ich hätte die Sache auf eine Weise angeordnet, die uns beiden recht sein würde. Und wer weiß, was mit der Zeit noch werden könnte und ob wir uns überhaupt trennen könnten. Ich bin Herr meines Grundbesitzes, Mann, und niemand kann mich zwingen, meine Güter jemand anderm zu vermachen, als mir paßt. Na, ich sehe, für jetzt wollen Sie sich nicht verlocken lassen. Aber die Kaledoniade macht hoffentlich Fortschritte?«

»O gewiß!« sagte Lovel. »Ich werde mir's doch nicht einfallen lassen, einen so hoffnungsvollen Gedanken aufzugeben.«

In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, und ein Brief für Herrn Lovel wurde hereingereicht. Der Diener, sagte Frau Hadoway, warte auf eine Antwort.

»Das geht auch Sie an, Herr Oldbuck,« .sagte Lovel nachdem er das Schreiben überflogen hatte. Dann reichte er es dem Altertümler hin.

Es war ein Brief von Sir Arthur Wardour. Er war in außerordentlich höflichem Tone abgefaßt. Sir Arthur bedaure, daß ein Gichtanfall ihn bisher daran gehindert habe, Herrn Lovel für die Hilfe zu danken, die er ihm in Lebensgefahr kürzlich geleistet habe – er entschuldige sich, daß er ihm nicht persönlich seine Erkenntlichkeit ausspreche, er hoffe jedoch, daß Herr Lovel ihn von dieser Förmlichkeit entbinde, und lade ihn zu einer kleinen Partie für den folgenden Tag nach den Ruinen der Abtei St. Ruth ein, das Mittagsmahl solle in Knockwinnock eingenommen werden, wo sie zu gemütlichem Abend beieinander sein wollten. Sir Arthur schloß mit der Bemerkung, er habe auch der Familie Monkbarns eine Einladung gesandt, an der von ihm vorgeschlagenen Vergnügungspartie teilzunehmen. Als Versammlungsplatz war ein Schlagbaum bestimmt, der von allen Punkten, von denen her die Gesellschaft sich zusammenfinden sollte, gleich weit entfernt war.

»Was sollen wir tun?« fragte Lovel – dabei war er sich völlig darüber klar, wie er für sein Teil handeln werde.

»Mitmachen – Mann, auf alle Fälle mitmachen! Wollen mal sehen – es wird allerdings eine Postkutsche kosten, für Sie, mich und Marie M'Intyre – die alte Dame mag nach der Pfarre gehen. Sie können in der Kutsche nach Monkbarns gefahren kommen, denn ich miete dann den Wagen für den ganzen Tag.«

»Ich glaube, ich reite besser.«

»Richtig, richtig, an Ihr Pferd habe ich gar nicht gedacht. Sie sind ein törichter Junge übrigens, daß Sie sich so ein Vieh gleich angeschafft haben.«

»Ja, aber zu Pferde kommt man doch weit schneller vorwärts.«

»Na, genug, genug, tun Sie, was Ihnen behagt. Na, dann nehm ich eben entweder Griselda oder den Pfarrer mit, denn wenn ich 'ne Postkutsche miete, nutz' ich's auch gern voll aus – und wir treffen uns Freitag pünktlich um 12 Uhr am Schlagbaum von Tirlingen.«

Nach dieser Vereinbarung trennten sich die beiden Freunde.


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