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Neuntes Kapitel

Sie traten in das Zimmer, wo sie gespeist hatten und wurden lärmend von Jungfer Oldbuck bewillkommnet.

»Wo ist die jüngere Frauensperson?« fragte der Altertümler.

»Ja, Bruder, bei all dem Wirrwarr hat sich Maria nicht von mir zurückhalten lassen – sie ist nach der Haltet-Spitze gegangen – ich wundre mich, daß du sie nicht gesehen hast.«

»Was – was sagst du, Schwester – ist das Mädchen in solch einer Nacht ausgegangen und obendrein nach der Halket-Spitze? – Guter Gott! ist das Elend dieser Nacht noch nicht vorüber?«

»Aber so warte doch, Monkbarns – du bist immer so gebieterisch und ungeduldig.«

»Wischiwaschi, Weib,« sagte der ungeduldige und aufgeregte Altertümler, »wo ist meine liebe Mary?«

»Na, wo du auch sein solltest, Monkbarns, oben, im warmen Bett.«

»Darauf hätte ich schwören können,« sagte Oldbuck lachend, aber sichtlich erleichtert, »darauf hätte ich schwören können, daß der faule Affe sich kein graues Haar drum hätte wachsen lassen, ob wir alle ertrunken wären. Warum hast du gesagt, sie wäre weggegangen?«

»Aber du hast mich ja nicht zu Ende angehört, Monkbarns. Sie ist ausgegangen und mit dem Gärtner gleich wieder gekommen, wie sie gesehen hatte, daß keiner von Euch die Halket-Spitze heruntergefallen war, und daß Fräulein Wardour wohlbehalten im Wagen saß. Vor 'ner Viertelstunde wohl mochte sie heimgekommen sein, es geht jetzt auf zehn, und sie war pitschenaß, das arme Ding, da hab ich ihr ein Glas Sherry in ihre Wassersuppe getan.«

»Recht, Griselda, aber höre, meine ehrwürdige Schwester – stoß dich nicht an dem Worte ehrwürdig, es schließt viele lobenswerten Eigenschaften außer dem Alter in sich, obzwar auch dies ehrenwert ist – allerdings ist es die allerletzte Eigenschaft, um die das Weibsvolk verehrt zu werden hoffen kann –– aber höre, was ich dir sage: bring mir und Herrn Lovel auf der Stelle den Rest der Hühnerpastete und des Portweins.«

»Die Hühnerpastete – der Portwein – o jemine, Bruder! Das waren ja nur noch ein paar Knochen und kaum noch ein Glas voll.«

Der Altertümler zog ein finstres Gesicht, obwohl er zu wohlerzogen war, um in Anwesenheit eines Fremden der unangenehmen Überraschung über das Verschwinden des Abendbrotes, auf das er mit Bestimmtheit gerechnet hatte, Luft zu machen. Aber seine Schwester verstand diese Blicke sogleich.

»O du liebe Güte, Monkbarns, wirst doch nicht gar ein Geseires machen?««

»Ich mache kein Geseires, wie du es nennst, Weib.«

»Ich will dir sagen, wie es gekommen ist. Der Geistliche war hier, ein würdiger Mann, wie du weißt. Und er wollte durchaus bleiben, bis er bestimmte Nachricht bekommen könnte, wie alles abgelaufen sei. Schöne Worte hat er gesprochen von der Ergebenheit in die Fügungen des Schicksals – ein würdiger Mann!«

»Na, jedenfalls ist alles verputzt, was, Griselda?«

»Aber, Monkbarns, du sprichst gerade, als ob weiter kein Fleisch im Hause wäre. Hätte ich etwa dem wackern Manne nichts vorsetzen sollen, wo er den weiten Weg von der Pfarre hergemacht hatte?«

Griselda beeilte sich dann, ihren Bruder zu beruhigen, indem sie ihm ein paar Reste vom Mittagstisch auftrug. Er sprach von einer anderen Flasche Wein, zog aber schließlich ein Glas Branntwein vor, der wirklich ausgezeichnet war. Da Lovel nicht dazu zu bewegen war, die samtne Kappe und den Schlafrock seines Wirtes anzulegen, bestand Oldbuck, der sich etwas auf ein wenig Kenntnis in der Heilkunde zugute tat, darauf, daß er sobald wie möglich zu Bett gehen sollte und schlug vor, einen Boten (den unermüdlichen Caxon) nach Fairport zu senden und neue Kleider holen zu lassen.

Dies war die erste Andeutung, die Jungfer Oldbuck erhielt, daß der junge Fremde die Nacht über ihr Gast sein solle, und ihre große Verwunderung über einen so ungewohnten Vorschlag machte sich in dem Rufe Luft:

»Herr du meine Güte!«

»Was ist denn los, Griselda?«

»Was du nur da eben geredet hast?«

»Geredet? – Was soll ich denn auch, noch lange reden. Ich will zu Bett – und hier für den armen jungen Mann laß sofort ein Bett zurecht machen.«

»Ein Bett! – Gott soll uns behüten!«

»Na, was ist denn los? Sind nicht Betten und Zimmer genug im Hause? Haben doch, wie verbürgt ist, ehedem schockweis die Pilger hier übernachtet?«

»O du liebe Güte, Monkbarns, wer soll wissen, was vor so langer Zeit geschehen ist? aber heutzutage! – Betten – ja, freilich, Betten sind genug da, wie sie nun eben sind – und Zimmer auch – aber du weißt ja selber, in den Betten hat seit langem keine Menschenseele mehr geschlafen, und die Zimmer sind wer weiß wie lange nicht gelüftet worden. Wenn ich was gewußt hätte, dann hätte ich ja mit der Mary nach der Pfarre gehen können, sie hätten uns dort sehr, gern aufgenommen – aber jetzt – Gott sei mit uns!«

»Da ist doch das grüne Zimmer.«

»Ja freilich, und es ist auch in Ordnung, aber es hat niemand mehr dort geschlafen, seit Doktor Heavysterne, und –«

»Und was denn?«

»Und was? Ich dachte, du wüßtest selber, was für eine Nacht er durchgemacht hat – du möchtest doch den jungen Herrn nicht eine solche Nacht erleben lassen?«

Als Lovel dies Gespräch hörte, mischte er sich ein und erklärte, er würde weit lieber nach Hause gehen, als ihnen die geringste Unannehmlichkeit bereiten – die Bewegung könne ihm nur dienlich sein – er kenne den Weg nach Fairport sehr genau und könne sich bei Nacht ebenso wenig verlaufen wie bei Tage – der Sturm ließe ja jetzt nach, und so weiter.

Aber das Heulen des Windes und das Prasseln des Regens und seine Kenntnis von den überstandenen Mühsalen muhten Oldbuck, auch wenn er weniger Anteil an seinem Freunde genommen hätte, als er in der Tat für ihn hegte. auf alle Fälle davon abhalten, ihn gehen zu lassen. Außerdem kam es ihm drauf an, zu zeigen, daß es bei ihm nicht nach den Frauensleuten ginge.

»Setzen Sie sich, setzen Sie sich, setzen Sie sich, Mann,« wiederholte er. »Ehe Sie so Weggehen, wünschte ich lieber, ich möchte nie wieder eine Flasche aufziehen – und da zieh ich eben den Korken aus einer Primapulle starken Ales. Und damit Sie den geringsten Wunsch aufgeben, heute noch nach Fairport zu gehen, so wissen Sie, wenn Sie gehen, so ist Ihr Ruf als mutiger Ritter für immer dahin. Ei, es ist ein kühnes Wagestück, Mann, in dem grünen Zimmer von Monkbains zu schlafen – Schwester, laß es bitte zurechtmachen. Der kühne waghalsige Heavysterne hat zwar Qualen und Schmerzen in dem verzauberten Gemach erlitten, aber warum sollte nicht ein tapferer Ritter wie Sie – zweimal so groß und nicht halb so schwer – dem Zauber die Stirn bieten und ihn brechen können?«

»Was? wohl gar ein Spukzimmer, wie?«

»Gewiß, gewiß! Jedes Herrenhaus im Lande – sei es auch von geringstem Alter – hat seine Geister und sein heimgesuchtes Zimmer, und Sie müssen nicht denken, daß wir in irgendetwas schlechter weggekommen wären als unsere Nachbarn.«

Jungfer Oldbuck kehrte wieder mit seltsam ernstem Ausdruck.

»Herrn Lovels Bett ist fertig,« sagte sie. »Frisch überzogen – gut gelüftet – Feuer im Kamin gemacht – Ich hoffe,« wandte sie sich an Herrn Lovel selber, »Sie werden eine gute Nachtruhe haben, allein ...«

»Meine liebe Dame, aus welchem Grunde sind Sie denn so besorgt um mich?« fragte Lovel.

»Ach, Monkbarns hört nicht gern davon – aber er weiß selber, daß das Zimmer einen übeln Namen hat. Es ist noch in aller Erinnerung, daß der alte Rab Tull darin geschlafen hat, wie er die wunderbare Mitteilung hatte, betreffs des großen Prozesses zwischen uns und den Pächtern der Muschelklippe. Der hat ein gutes Stück Silber gekostet, denn die Prozesse waren früher genau so kostspielig wie jetzt – der Monkbarns von dazumal – unser Großvater, Herr Lovel – hätte um ein Haar den Prozeß verloren, weil ein bestimmtes Papier nicht beigebracht werden konnte – Monkbarns weiß genau, was das für eine Sorte Papier war, aber ich sehe schon, er hilft mir nicht weiter in meiner Geschichte – na, jedenfalls war es ein sehr wichtiges Papier, und der Prozeß wäre beinahe verloren gewesen, weil es nicht da war. Da ist denn der alte Rab Tull, der Stadtschreiber, herübergekommen und hat noch ein letztes Mal nach dem Papier gesucht, das sich nicht anfinden wollte, ehe unser Großvater zum Termin fahren mußte nach Edinburgh – es war gerade noch ein bißchen Zeit übrig – er war ein zerstreuter schnurriger Kerl, der Rab, soviel ich gehört habe – aber er war der Stadtschreiber von Fairport, und die Monkbarns haben mit ihm viel zu tun gehabt, wissen Sie ...«

»Das ist einfach gräßlich, Schwester Griselda,« unterbrach sie Oldbuck. »Trink ein Glas Bier, und dann komm zu Rande mit deiner Geschichte, denn es wird spät.«

»Hanne wärmt eben dein Bett, Monkbarns, und da mußt du schon warten, bis sie fertig ist. – Also ich war da, wo unser Großvater mit Rab Tulls Beistand sich auf die Suche machte. Aber sie konnten nichts finden, was ihnen geholfen hätte. Und nachdem sie also einen großen Haufen von Papieren durchstöbert hatten, da kriegte der Stadtschreiber natürlich sein Töpfchen mit Punsch, daß er sich die Kehle von dem Staube säubern konnte. Trinker sind in unserm Hause nie gewesen, Herr Lovel, aber der Kerl hatte sich von den Gerichtsherren das Zechen so angewöhnt, daß er gar nicht mehr einschlafen konnte, wenn er nicht vorher einen gekippt hatte. Also seinen Punsch kriegt er und dann geht er zu Bett – und gegen Mitternacht hat er ein furchtbares Erwachen! – seitdem ist er nie wieder der alte geworden und an demselben Tage hat ihn vier Jahre nachher der Schlag getroffen. Ihm war, Herr Lovel, als hörte er die Vorhänge seines Bettes rauschen, und er sah hinaus, weil er, der arme Kerl, dachte, es wäre die Katze gewesen. Aber da sah er – Gott soll uns behüten – mich überläufts noch, immer eisig kalt, obgleich ich die Geschichte schon zwanzigmal erzählt habe! – da sah er einen stattlichen alten Herrn neben seinem Bette stehen, im Mondschein – er trug einen Anzug von absonderlicher Mode mit manchem Knopf und Bündchen und Schleifchen daran, und der Teil seiner Tracht, den ein Frauenzimmer schicklicherweise nicht näher beschreiben kann, war lang und weit und schlug viele Falten – auch einen Bart hatte er, und einen hochgezwirbelten Schnauzbart auf der Oberlippe – und noch viele Einzelheiten schilderte Rab Tull, aber sie sind jetzt vergessen, – es ist ja eine alte Geschichte. Rab Tull hatte als Landstreicher Courage genug, er hatte das Herz auf dem rechten Flecke und war vielleicht weniger erschrocken, als man hätte erwarten mögen – und er fragte im Namen der Gottheit, was die Erscheinung wolle. Und der Geist antwortete in einer unbekannten Zunge. Da besann sich Rak auf die paar lateinischen Brocken, die er aus seiner amtlichen Tätigkeit her kannte, und kaum hatte er es damit versucht, so sprudelte der Geist eine solche Flut von Latein hervor, daß der arme Rab Tull, der eben nicht viel Gelehrsamkeit hatte, sich nicht mehr zu helfen wußte. Aber ein dreister Bursche war er, und da fiel ihm das Wort ein für das, was er haben wollte: darta. Ja, ja, sagte das Gespenst, carta, und machte Rab ein Zeichen, ihm zu folgen. Rab Tull faßte sich ein Herz und sprang aus dem Bett und folgte der Erscheinung treppauf und treppab bis nach einem kleinen Turme in der Ecke des alten Hauses, wo ein Wirrwarr von nutzlosen Kisten und Kasten herumlag, und da gab der Geist Rab einen Tritt mit dem einen Fuß, und mit dem andern stieß er gegen eben den alten Schrank, den mein Bruder neben seinem Tisch in der Bibliothek zu stehen hat, und dann verschwand er wie ein Paff von Zigarrenrauch und ließ Rab in recht jammervoller Lage zurück.«

»Na, genug des Gewäschs,« unterbrach sie Oldbuck. »Jedenfalls wurde das Aktenstück in einem Fache eben dieses vergessenen Schrankes gefunden, in dem noch viele andere seltsamen Papiere enthalten waren, die jetzt alle registriert und geordnet sind. Sie scheinen noch von unserm Ahnherrn, dem ersten Eigentümer von Monkbarns, zu stammen. Das ganze Wunder läßt sich wohl auf natürlichem Wege erklären.«

»O Bruder, Bruder, und Doktor Heavysterne, der so furchtbar aus dem Schlaf geschreckt wurde, daß er erklärte, er wolle nicht noch eine einzige Nacht im grünen Zimmer zu Monkbarns verbringen?«

»Ei, Griselda, der Doktor ist ein guter ehrlicher, dickköpfiger Deutscher, sehr tüchtig in seinem Fache, aber wie viele seiner Landsleute ein Freund von allem Mystischen. Du und er, ihr habt den ganzen Abend miteinander geschwatzt von Mesmer, Cagliostro und andern modernen Verfechtern des Spiritismus, und dann, abgesehen von allen den Geschichten von erschienenen Geistern und gefundenen Schätzen, die ihr einander aufgetischt habt, darf man nicht vergessen, daß der gute Mann eine gewaltige Portion Kalbsbraten zum Abend gegessen, sechs Pfeifen geraucht und dementsprechend viel Bier und Branntwein getrunken hatte. Da nimmt michs gar nicht wunder, daß er Alpdrücken bekommen hat. Aber es ist nun alles fix und fertig, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen nach Ihrem Zimmer leuchte, Herr Lovel. Sicherlich haben Sie Bedürfnis nach Ruhe. Ich bin überzeugt, mein Ahnherr achtet die Pflichten der Gastlichkeit zu sehr, als daß er die Ruhe stören sollte, die Sie sich so wacker verdient haben durch Ihr mannhaftes, ritterliches Benehmen.«

Mit diesen Worten nahm der Altertümler einen Schlafstubenleuchter zur Hand, der aus massivem Silber und von antiker Form war und ebendemselben Ahnherrn gehört hatte, von dem sie gesprochen hatten. Er führte den jungen Mann durch manchen düstern zugigen Gang, jetzt treppauf und dann gleich wieder treppab, bis sie das Zimmer erreicht hatten, das für den jungen Gast hergerichtet worden war.


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