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Sechstes Kapitel

Unser junger Freund, Lovel, der eine entsprechende Einladung erhalten hatte, traf pünktlich zur festgesetzten Stunde, und zwar noch fünf Minuten vor vier Uhr am siebenten Juli in Monkbarns ein. Der Tag war merkwürdig trübe, und große Regentropfen waren ab und zu gefallen, das drohende Unwetter war aber bis jetzt immer wieder vorübergezogen. »Willkommen zu meinem Symposion, meinem Gastmahle!« begrüßte ihn Herr Oldbuck, – »und nun will ich Ihnen mein unglückseliges nichtsnutziges Weibsvolk vorstellen – malae bestiae, Herr Lovel!«

»Die Damen verdienen sicher Ihre satirische Darstellung ganz und gar nicht, oder ich müßte mich sehr täuschen,« sagte Lovel. »Wischiwaschi! Herr Lovel, Sie werden selber sehen, sie sind weiter nichts als eben Weiber – aber da sind sie. Ich stelle Ihnen, wie es sich gehört, meine sehr artige Schwester Griselda vor und meine ausgezeichnete Nichte, – ihre Mutter hieß Mary und wurde manchmal Molly gerufen.«

Die ältliche Dame rauschte einher in Seide und Satin und trug auf ihrem Haupte einen Bau, wie man sie in den Modeblättern von 1770 findet – ein prächtiges Stückchen Architektur – nicht sonderlich geringer als ein modernes gotisches Schloß – die Locken konnten die Türmchen darstellen, die schwarzen Nadeln die Chevaux de frize und die Haubenflügelchen die Banner.

Das Gesicht, das gleich dem der antiken Bestastatuen also mit Türmen gekrönt war, war groß und lang und spitz an Nase und Kinn und hatte im übrigen eine so spaßhafte Ähnlichkeit mit der Physiognomie Jonathan Oldbucks, daß Lovel, wären sie nicht zu gleicher Zeit beide vor ihm erschienen, hätte denken können, die Gestalt vor ihm sei sein alter Freund in weiblicher Verkleidung.

Ein antikes geblümtes Seidenkleid zierte die außerordentliche Person, der dieser unverhältnismäßige Kopfputz angehörte – ihr Bruder sagte immer, er passe besser zu einem Turban von Mahund oder Termagent, statt auf den Kopf einer vernünftigen Kreatur oder gar eines christlichen Weibes. Zwei lange knöcherne Arme waren an den Ellbogen von dreifachen Spitzenkräuschen umgeben, und da sie vor dem Leibe kreuzweis übereinander gelegt waren und mit langen Handschuhen von grellroter Farbe geziert waren, so hatten sie eine große Ähnlichkeit mit einem Paar gigantischer Hummern. Schuhe mit hohen Absätzen und ein kurzes seidnes Mäntelchen, das sie in graziöser Nachlässigkeit über die Schultern geworfen hatte, vervollständigten das Äußere der Jungfer Griselda Oldbuck.

Ihre Nichte – dieselbe, die Lovel auf seinem ersten Besuche flüchtig gesehen hatte, war ein hübsches junges Weibchen, der Mode des Tages entsprechend gefällig gekleidet, mit einem Zug von Schalkhaftigkeit, der ihr sehr gut stand, und der vielleicht aus dem der Familie des Oheims eignen kaustischen Humor auf sie übergegangen war – nur nach der Übertragung gemildert und verfeinert.

Herr Lovel begrüßte beide Damen aufs höflichste. Die ältere Dame antwortete mit dem echten langen Knicks von 1760, die jüngere mit einer modernen Verneigung, mit der sie viel rascher fertig war.

Während noch diese Begrüßungen ausgetauscht wurden, erschien Sir Arthur mit seiner schönen Tochter am Arme an der Gartentür – er hatte eben seinen Wagen weggeschickt – mit aller gebührenden Achtung bekomplimentierte er die Damen.

»Sir Arthur,« sagte der Altertümler, »und Sie, meine schöne Feindin, lassen Sie mich Ihnen meinen jungen Freund, Herrn Lovel, vorstellen, einen jungen Herrn, der inmitten des Scharlachfiebers, das jetzt auf dieser unserer Insel grassiert, doch so viel Tugend und Anstand besitzt, in einem Rock von gesitteter Farbe zu erscheinen. Sie sehen indessen, daß die Modefarbe, die zwar nicht an seinem Anzüge zu finden ist, ihm doch in die Wangen gestiegen ist. Sir Arthur, lassen Sie mich Ihnen einen jungen Herrn vorstellen, den Sie bei näherer Bekanntschaft als ernst, weise, höflich, gebildet, wohlbewandert und tief belesen und von Grund auf vertraut mit all den verborgenen Geheimnissen der Bühne – er errötet wieder –«

»Mein Bruder« sagte Jungfer Griselda, »hat eine so närrische Manier, sich auszudrücken, mein Herr. Kein Mensch gibt was drauf, was Monkbarns schwatzt, so bitte ich Sie, lassen Sie sich nicht so verwirren von seinem Unsinn. Aber es muß Ihnen unterwegs in der brennenden Sonne warm geworden sein – wollen Sie etwas zu sich nehmen – ein Gläschen Balsam-Wein?«

Ehe Lovel antworten konnte, mischte der Altertümler sich drein.

»Hebe dich weg, Hexe! wolltest du meine Gäste vergiften mit deinem infernalischen Gebräu? Erinnerst du dich nicht mehr, wie es dem Pfarrer ergangen ist, den du verlockt hast, von diesem heimtückischen Getränk zu genießen?«

»O pfui, pfui, Bruder! Sir Arthur, ist Ihnen so etwas schon vorgekommen? Es muß alles nach seiner Manier sein, sonst erfindet er derartige Geschichten. Aber da geht Hanne die alte Glocke läuten, um uns anzukünden, daß das Mittagessen fertig ist.«

Streng in seiner Sparsamkeit, hielt sich Herr Oldbuck keinen männlichen Bedienten. Er verbarg dies unter dem Vorwande, das männliche Geschlecht sei zu edel, um in dieser Tätigkeit persönlichen Dienstes verwendet zu werden, die in früheren Gesellschaftsperioden ausschließlich von den Weibern verrichtet worden sei.

»Warum,« sagte er, »warum hat der Bengel, Tom Rintherout, den ich auf meiner Schwester Anregung hin, ich, der ich doch so klug bin, auf Probe angestellt hatte, warum hat er Apfel gemaust, Vogelnester ausgenommen, Gläser zerschlagen und mir schließlich gar die Brille gestohlen – bloß weil er den edlen Tatendrang in sich hatte, der dem männlichen Geschlecht die Brust schwellt? Und dieser Tatendrang hat ihn denn auch nach Flandern geführt, mit einem Schießprügel über der Schulter, und wird ihn ohne Zweifel noch zu einer ruhmvollen Hellebarde bringen oder gar an den Galgen! Und warum bewegt sich dieses Mädchen, seine leibliche Schwester, Hanne Rintherout, in demselben Berufe mit so sicherem geräuschlosen Fuße, ob sie nun Schuhe anhat oder barfuß geht, so leise wie eine Katze oder so sachte wie ein Hühnerhund – warum? Eben weil es ihr Beruf ist. Dienen mögen sie uns, Sir Arthur, dienen – sage ich – das ist das einzige, wozu sie sich eignen. Alle Gesetzgeber des Altertums – von Lykurg bis auf Mohammed, fälschlich Mahommet genannt – stellen sie einstimmig auf den ihnen zukommenden untergeordneten Rang, und nur in den verrückten Köpfen unserer ritterlichen Ahnen sind die Dulcineas zu despotischen Prinzessinnen aufgerückt.«

Fräulein Wardour protestierte laut gegen diese jeder Galanterie Hohn sprechende Doktrin, aber jetzt läutete die Glocke zum Mittagstisch.

»Einer so schonen Gegnerin gegenüber will ich all die Pflichten zarter Höflichkeit erfüllen,« sagte der alte Herr, ihr den Arm bietend.

Er führte sie in das Eßzimmer, das Lovel noch nicht gesehen hatte. Es war mit Getäfel versehen und enthielt wunderliche Gemälde. Bei Tische bediente Hanne, aber eine Art weiblichen Mundschenks stand am Serviertische und nahm das schwere Los auf sich, mehrmals Tadel von Herrn Oldbuck und weniger grobe, aber nicht minder beißende Bemerkungen von seiner Schwester hinzunehmen.

Das Mittagessen war ganz der Manier eines berufsmäßigen Altertümlers entsprechend und enthielt mehrere schmackhafte altschottische Gerichte, die jetzt von den sogenannten vornehmen Tischen verschwunden sind. Da gab es die köstliche Solandgans oder Rotgans, die einen so starken Duft an sich hat, daß sie nie im Hause drinnen zubereitet wird. Diesmal war sie unglücklicherweise noch blutig und nicht ganz gar, und Oldbuck drohte, den fettigen Seevogel der liederlichen Haushälterin an den Kopf zu werfen. Aber zum Glück war das schottische Allerlei ihr besser gelungen – es wurde einstimmig als unnachahmlich erklärt.

»Daß uns das glücken würde, hab ich von vornherein gewußt,« sagte Oldbuck in heller Freude, »denn Davie Nibble, der Gärtner – er ist Junggeselle wie ich –läßt es nicht zu, daß das nichtsnutzige Weibsvolk ihm das Gemüse verschandelt. Und hier haben wir Fisch mit Sauce – das Gericht versteht unser Weibsvolk ganz ausgezeichnet zu bereiten, geb ich zu – sie haben dabei aber auch das Vergnügen, zweimal die Woche mit der alten Maggie Mucklebackit, dem Fischweib, herumzufeilschen. Die Hühnerpastete, Herr Lovel, ist nach einem Rezept gemacht, das mir meine Großmutter selig hinterlassen hat. Und wenn Sie sich auch an ein Glas Wein herantrauen, so werden Sie finden, es macht einem alle Ehre – einem, der sich zu dem Grundsätze des Königs Alphons von Kastilien bekennt: Altes Holz zum Brennen – alte Bücher zum Lesen – alten Wein zum Trinken – und alte Freunde, Sir Arthur – ja, Herr Lovel, und auch junge Freunde zum Plaudern.«

»Und was bringen Sie uns Neues aus Edinburgh, Monkbarns?« fragte Sir Arthur.

»Toll, toll, Sir Arthur – nicht wieder gut zu machen! Die schlimmste Art von Wahnsinn – ein Militärrappel – hatte Mann, Weib und Kind ergriffen.«

»Und das ist auch hohe Zeit, dünkt mich,« sagte Fräulein Wardour, »wenn wir mit Einfallen von außen und Revolution von innen bedroht sind.«

»Oh, ich habe auch gar nicht daran gezweifelt, daß Sie auf die Seite des scharlachroten Heeres der Feinde treten würden – die Weiber sind wie die Truthähne, über einen roten Lappen verlieren sie den Verstand. Aber haben Sie je die Geschichte von der Schwester Margarete gehört? Der Kopf, der sie ausgeheckt hat, ist zwar jetzt alt und auch schon grau, hat aber mehr gesunden Menschenverstand und politischen Scharfblick, als heutzutage in einer ganzen Synode zu finden ist. Besinnen Sie sich auf den Traum der Amme, in jenem ausgezeichneten Werke, den sie in so großer Todesangst Hubble-Bubble erzählt? – Wenn sie in ihrem Traum, ein Stück breite Leinwand in die Hand genommen hatte, – bums! explodiert wars wie eine große eiserne Kanone. Wenn sie nach einer Spindel griff, reckte sie sich in ihren Augen als Pistole empor. Mir war in Edinburgh zu Mute, als ob ich einen ähnlichen Traum hätte. Ich bin zu meinem Anwalt gegangen, er trug Dragoneruniform, gestiefelt und gespornt, und war im Begriff, ein Streitroß zu besteigen, das sein Schreiber (der als Scharfschütze eingekleidet war) vor der Tür hin- und herführte. – Da ging ich zu meinem Geschäftsführer, um ihn auszuzanken, daß er mich an einen Irrsinnigen gewiesen hätte, er hatte sich einen ganzen Busch von den Federn, die er in ruhigeren Zeiten sonst zwischen den Fingern abstrapaziert hatte, auf den Kopf gesteckt und war als Artillerieoffizier gekleidet. Mein Schnitthändler hatte eine Hellebarde in der Hand, als wolle er mit diesem Gerät sein Tuch messen, statt mit der gesetzmäßigen Elle. Der Bankiersbuchhalter, der angewiesen war, mein Konto aufzustellen, verrechnete sich dreimal, weil er noch den Kopf voll hatte von seinem militärischen Rapport bei der Vormittagsübung, und das machte ihn ganz dumm. Mir war unwohl, und ich schickte zu einem Arzt.

Er kam – doch Mut in seinen Augen glühte, Ein Säbel an der Seite Flammen sprühte, Er war, bei Gott, so ganz zu Stahl geworden – Ich dacht, er käm – zu heilen nicht – zu morden. Ich wandte mich an einen andern Arzt, aber er schien auch den Menschenmord mehr en gros zu üben, als sein Beruf ihm vermutlich sonst gestattet hatte. Und nun ich hierhergekommen bin, hat die Laune der Tapferkeit selbst unsre weisen Nachbarn von Fairport ergriffen. Ich hasse ein Gewehr wie eine angeschossene Wildente, ich verabscheue eine Trommel wie einen Quäcker – und sie donnern und rasseln da drüben auf der Stadtwiese, daß jeder Wirbel und jede Salve mir schier das Herz zersprengt!«

»Lieber Bruder, sprich doch nicht so von den Herren Freiwilligen. Sie haben doch eine sehr schmucke Uniform. Ich wette, vergangene Woche sind sie zweimal bis auf die Haut naß geworden. Denk doch, was sie sich für Blackerei machen – dafür müssen wir ihnen doch sicherlich dankbar sein.«

»Und mein Onkel,« sagte Fräulein M'Intyre, »hat auch zwanzig Guineen bewilligt als Beisteuer für ihre Ausrüstung.«

»Branntwein und Zuckerkant sollten sie dafür kaufen,« versetzte der Zyniker, »damit Schwung in den Handel kommen sollte und die Offiziere, die sich im Dienste des Vaterlandes heiser gebrüllt hatten, sich die Kehlen wieder ein bißchen schmieren sollten.«

»Nehmen Sie sich in acht, Monkbarns, wir werden Sie noch auf die schwarze Liste setzen.«

»Nicht doch, Sir Arthur, einen harmlosen Brummbär wie mich! Ich verlange nur das Recht, hier in meinem eigenen Winkel krakehlen zu können, aber dem großen Chorus der Heerstraße misch ich mein Trotzen nicht bei. Ni quito, Rey, ni pongo Re – das heißt, ich mache keinen König und ich tu auch keinem König weh, wie Sancho Pansa sagt. Ich bete von ganzem Herzen für unsern Herrscher, zahle Steuern und Abgaben und schimpf auf den Einnehmer, aber da kommt zur rechten Zeit der Schafkäse, der ist besser für den Magen als die Politik.«

Als das Mittagsmahl vorüber war und die Becher auf den Tisch kamen, brachte Herr Oldbuck die Gesundheit des Königs aus in einem großen Humpen, und Lovel und der Baronet taten ihm gern Bescheid – denn der Jakobitismus des letzteren war jetzt bloß noch spekulative Ansichtssache – der Schatten eines Schattens.

Nachdem die Damen das Zimmer verlassen hatten, entspannen sich zwischen dem Wirt und Sir Arthur mehrere tiefsinnige Erörterungen, an denen der jüngere Gast, wohl weil sie sich in zu komplizierter Gelehrsamkeit verloren, nur geringen Anteil nahm, bis er endlich aus einer tiefen Träumerei erwachte, indem er inne wurde, daß beide in hitzigern Ton verfallen und auf einen jener Punkte geraten waren, über die es leicht zwischen ihnen zu Mißstimmungen kam.

»Es gibt eine Liste von Königen der Pikten,« sagte Sir Arthur, »die vollauf beglaubigt ist, von Crentheminachcryme (das Datum seiner Regierung steht nicht genau fest) bis auf Drusterstone, mit dessen Tode ihre Dynastie erloschen ist. Die Liste dieser Herrscher ist von Henry Maule von Melgum aus den Chroniken von Loch-Leven und Saint-Andrews kopiert worden, er hat sie dann in seiner kurzen aber befriedigenden Geschichte der Pikten veröffentlicht im Jahre des Herrn siebzehnhundertundfünf oder sechs, das weiß ich nicht genau, aber ich habe selber ein Exemplar zu Hause. Was sagen Sie dazu, Herr Oldbuck?«

»Was ich dazu sage? Je, ich lache über Harry Maule und seine Geschichte,« antwortete Oldbuck.

»Lachen Sie nicht über einen Mann, der mehr wert ist, wie Sie selber,« erwiderte Sir Arthur in etwas verächtlichem Tone. »Henry Maule war ein Ehrenmann.«

»Ich dächte, darin hätte er vor mir nichts voraus,« sagte der Altertümler, ein wenig patzig.

»Gestatten Sie, Herr Oldbuck, er war ein Edelmann aus hoher Familie und von sehr alter Abkunft und daher –«

»Daher sollte der Abkömmling eines westfälischen Druckers nicht mit Geringschätzung von ihm sprechen? – So mögen Sie ja denken, Sir Arthur. Ich bin der Meinung, daß meine Abkunft von dem betriebsamen und sorgfältigsaubern Typographen Wolfbrand Oldenbuck, der im Dezember 1493 unter der Gönnerschaft von Sebaldus Scheyter und Sebastian Kammermeister den Druck der großen Chronik von Nürnberg vollendet hat – ich bin der Meinung, daß meine Abkunft von diesem großen Manne der Bildung für mich als Gelehrten rühmlicher ist, als wenn ich in meiner Genealogie alle die bramarbasierenden, alten gotischen Barone mit Köpfen und Fäusten von Eisen von den Tagen des Crentheminachcryme an aufzuweisen hätte – von denen nicht einer, glaub ich, seinen eigenen Namen hat schreiben können.«

»Wenn Sie diese Bemerkung als Hohn auf meine Ahnen gemünzt haben,« sagte der Ritter mit einer Pose würdevoller Überlegenheit, »so habe ich das Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, daß mein Ahnherr, Gamelyn de Guardover, seinen Namen in sauberer Schrift eigenhändig in die früheste Kopie der Ragman-Liste eingetragen hat.«

»Was beweist weiter gar nichts, als daß er der erste war, der das niedrige Beispiel gegeben hat, sich Eduard I. zu unterwerfen. Was haben Sie noch von der fleckenlosen Königstreue Ihrer Familie zu sagen, Sir Arthur, nach solcher Abtrünnigkeit?«

»Es ist genug, Herr,« sagte Sir Arthur und fuhr zornig auf, den Stuhl zurückstoßend, »ich werde in Zukunft mich vorsehen, mit meiner Gesellschaft einen Mann zu beehren, der sich für meine Herablassung so undankbar erzeigt.« »In diesem Punkte handeln Sie nur ganz nach Belieben, Sir Arthur. Ich bin mir allerdings nicht vollauf bewußt gewesen, ein wie großes Entgegenkommen Sie mir erzeigt haben, indem Sie mein armes Haus besuchten, ich hoffe daher, Sie werden es mir nicht verübeln, daß ich die Dankbarkeit nicht bis zur knechtischen Unterwürfigkeit getrieben habe.«

»Sehr wohl, Herr Oldbuck– ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Herr – ä–ä–ä – Shovel,– ich wünsche Ihnen einen sehr guten Abend.«

Hinaus aus der Stube sauste Sir Arthur und durchmaß mit langen Schritten das Labyrinth von Gängen, das nach dem Gesellschaftszimmer führte.

»Ist Ihnen schon einmal solch ein verbohrter Dicknischel vorgekommen?« wandte sich Oldbuck plötzlich an Lovel. »Aber ich darf ihn nicht wie einen Tollhäusler davonrennen lassen.«

Mit diesen Worten, schoß er hinter dem Baron drein und folgte ihm, dem Knallen mehrerer Türen nach, die der Zürnende in der Suche nach dem Teezimmer aufriß und jedesmal, wenn es nicht das gesuchte Zimmer war, wieder zuwarf.

»Sie werden sich noch Schaden tun!« brüllte der Altertümler. »Qui ambulat in tenebris, nescit quo vadit – Sie werden noch die Hintertreppe hinunterfallen!«

Sir Arthur befand sich jetzt in tiefer Finsternis, deren niederschlagende Wirkung Ammen und Erzieherinnen gut kennen, die mit kleinen nergligen Kindern zu tun haben. Die Finsternis verlangsamte den Schritt des entrüsteten Barons, wenn sie auch seinen Ärger nicht dämpfte, und Herr Oldbuck, der ja mit den Örtlichkeiten besser Bescheid wußte, holte ihn gerade in dem Augenblicke ein, als er die Hand auf die Klinke zum Gesellschaftszimmer legte.

»Warten Sie einen Augenblick, Sir Arthur,« sagte Oldbuck, indem er ihn nicht so jäh in das Zimmer eintreten ließ. »Seien Sie nicht so ungestüm, mein guter alter Freund, – ich bin ein bißchen zu grob gewesen zu Ihnen, was Sir Gamelyn anbetrifft, – ei, du meine Güte, dabei ist er ein alter Bekannter von mir, der Sir Gamelyn – ein Liebling von mir – er war ein Gefährte von Bruce und Wallace! Kommen Sie, lassen Sie vergeben und vergessen sein und lassen Sie uns zugeben, daß wir dem jungen Herrn hier ein Recht gegeben haben, uns für zwei eigensinnige alte Schafsköpfe zu halten.«

»Na sprechen Sie nur für sich selber, Herr Oldbuck,« sagte Sir Arthur mit Majestät.

»Na denn meinetwegen – wer eben ein Trotzkopf ist, muß seinen Willen haben.«

Mit diesen Worten öffnete er die Tür, und hinein in das Gesellschaftszimmer trat die hohe hagere Gestalt Sir Arthurs. Herr Lovel und Herr Oldbuck folgten – sie sahen alle ein wenig ratlos und sehr mißgestimmt aus.

»Ich habe auf dich gewartet, lieber Vater,« sagte Fräulein Wardour, »ich möchte dir vorschlagen, der Kalesche entgegen zu gehen, da es ein so schöner Abend ist.«

Sir Arthur summte diesem Vorschlage bereitwillig bei, paßte er doch vortrefflich zu der zornigen Stimmung, in der er sich befand. Nachdem er, wie es in Fällen der Mißstimmung immer geschah, die Erfrischung von Thee und Kaffee abgelehnt hatte, nahm er den Arm seiner Tochter, verabschiedete sich mit vieler Zeremonie von den Damen und sehr trocken von Herrn Oldbuck – und ging von dannen.

»Mir scheint,« sagte Fräulein Oldbuck, »Sir Arthur hat schon wieder das böse Wesen.«

»Das böse Wesen? Den Teufel hat er! Alberner ist er wie das Weibsvolk! – Was sagen Sie, Lovel? – zum Kuckuck! der Bursche ist auch schon weg.«

»Er hat sich empfohlen, Oheim,« sagte Fräulein M'Intyre, »während Fräulein Wardour sich ankleidete. Aber du hast gar nicht nach ihm hingesehen.«

»Der Teufel steckt in dem Volke! Das hat man nun davon, daß man sich am Leibe reißt und sich allerlei, Scherereien macht, um Diners zu geben – ganz zu schweigen von all den Unkosten. – O Sagad, König von Äthiopien!« sagte er, indem er eine Tasse Tee in die eine und ein Buch in die andere Hand nahm – denn es war seine Gepflogenheit, wenn er im Beisein seiner Schwester aß oder trank, zu lesen – dieser Kunstgriff diente gleichzeitig dazu, seine Verachtung gegen die Gesellschaft der Frauen zu bekunden, wie zu beweisen, daß er nicht einen Augenblick, den er zu seiner Weiterbildung verwerten könne, unausgenutzt lassen wolle. – »O Sagad, Herrscher von Äthiopien! wie recht hast du – niemand soll so kühn sein und sagen: Dies wird sein ein Tag des Glückes!« Oldbuck fuhr fast eine volle Stunde in seinen Studien fort, ohne daß die Damen ihn unterbrochen hätten, die in tiefem Schweigen irgend einer weiblichen Beschäftigung nachgingen.

Endlich klopfte es leise und bescheiden an die Tür.

»Seid Ihrs, Caxon? Nur herein, nur herein, Mann!«

Der alte Mann öffnete die Tür, schob sein mageres, mit grauen dünnen Locken umgebenes Gesicht und einen Ärmel seines weiten Rockes herein und sagte in unterdrücktem geheimnisvollem Tone:

»Ich wollte mit Ihnen sprechen, Herr.«

»So kommen Sie doch herein, Sie alter Dummkopf, und sagen Sie, was Sie zu sagen haben.«

»Kann sein, ich erschreck' die Damen,« sagte der Ex-Friseur.

»Erschrecken?« versetzte der Altertümler. »Was soll das heißen? um die Damen kümmern Sie sich nur nicht weiter! Haben Sie vielleicht wieder einen Geist gesehen?«

»Nein, Herr, diesmal ists kein Geist,« versetzte Caxon. »Aber ich bin in großer Sorge.«

»Habt Ihr etwa gehört, daß wär zur Zeit irgend jemand nicht?« antwortete Oldbuck. »Was hat denn da ein alter abgerackerter Puderfex wie Ihr, für Ursache, nicht in Sorge sein zu wollen, wo es sonst alle Welt ist?«

»Es ist nicht um mich selber, Herr, aber es zieht eine furchtbare Nacht herauf, und Sir Arthur und Fräulein Wardour, das arme Ding –«

»Ei, Mann, die müssen doch an der grünen Gasse oder da herum ihre Kutsche getroffen haben, die sind gewiß schon längst zu Hause.«

»Nein, Herr, sie sind eben nicht, die Chaussee nach dem Schlagbaum, dem Wagen entgegengegangen, sie sind über die Dünen gegangen.«

Das Wort wirkte auf Oldbuck elektrisierend.

»Die Dünen!« rief er. – »Unmöglich!«

»Ja, Herr, das habe ich dem Gärtner auch gesagt, aber er hat gesagt, er hätte sie nach dem Muschelriff hinabgehen sehen – meiner Treu, sag ich zu ihm, wenn das der Fall ist, dann befürchte ich –«

»Einen Kalender! einen Kalender!« rief Oldbuck, in Bestürzung aufspringend. »Großer Gott! meine arme liebe Isabella! Holt mir auf der Stelle den Fairport-Kalender!«

Er wurde gebracht, der Altertümler sah nach, und seine Unruhe stieg aufs höchste.

»Ich will selber gehen! ruft den Gärtner und den Ackerknecht! Taue sollen sie mitnehmen und Leitern – sie sollen unterwegs Leute zur Hilfeleistung aufbieten – auf die Spitze der Klippen sollen sie und ihnen zurufen!«

»Was ist denn los?« fragte Jungfer Oldbuck.

»Die Flut! die Flut!« antwortete der bestürzte Altertümler.

»Wärs da nicht besser, wenn Hanne – aber nein! ich will selber gehen,« sagte die jüngere Dame, das Entsetzen ihres Oheims teilend. »Ich will selber zu Saunders Mucklebackit laufen und ihn sein Boot aussetzen lassen.«

»Dank dir, liebes Kind, das ist das gescheiteste Wort, das bis jetzt gesprochen worden ist. Lauf! lauf! auf nach den Dünen!«

Und er griff nach Hut und Stock.

»Ist je schon solch ein hirnverbrannter Blödsinn vorgekommen!« setzte er hinzu und stürmte davon.


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