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Siebzehntes Kapitel.

Am Hoftore stand die stattliche Lady Lochleven, die einstige Geliebte König Jakob des Fünften, dem sie den Grafen Murray, den derzeitigen Regenten von Schottland, geboren hatte. Da sie von edler Abkunft war und aus dem uralten Geschlechte der Mar stammte, wie auch von hervorragender Schönheit war, hatten sich nach dem Könige Jakob noch andre Freier für sie gefunden, und unter ihnen hatte sie Sir William Douglas von Lochleven den Vorzug gegeben. Aber weder der hohe Rang, den sie als Lady Lochleven einnahm, noch die Eigenschaft als Mutter einer Reihe von rechtmäßigen Kindern, noch die hervorragenden Talente, und die Macht und Würde ihres außerehelichen Sohnes, der jetzt das Staatsruder führte, waren im stande gewesen, sie in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben als makellos gelten zu lassen. Und sie selbst fand nie die volle Lebensfreude wieder, denn immer nagte an ihr die ihr von dem Könige Jakob angetane Ungerechtigkeit, sie nicht zur Königin zu erheben, denn in diesem Falle hätte sie jetzt in ihrem Sohne den rechtmäßigen Landesherrn über Schottland gesehen, und das Geschlecht der Mar hätte sich rühmen dürfen, unter seinen Töchtern eine Königin zu besitzen, statt in ihr jetzt eine jener Frauen sehen zu müssen, denen weibliche Schwäche anhaftet und die immer im Munde der Leute bleiben, auch wenn sie sich eines königlichen Liebhabers zu rühmen hatten. Dieser Kummer prägte sich auch in ihren Gesichtszügen aus, die aber trotzdem noch immer schön zu nennen waren. Vielleicht fand auch bei ihr ein altes Wort, dessen letzte Hälfte von »alten Betschwestern« spricht, bis zu einem gewissen Grade Anwendung, denn sie hatte in ihre Vorstellungen von religiösem Wandel grade jene schlimmsten Irrtümer aufgenommen, die die Segnungen christlichen Evangeliums auf diejenigen beschränken, die sich zu den strengsten Sittenlehren der Kirche bekennen. In allen Hinsichten war die unglückliche Königin Maria Stuart als der gezwungne Gast oder vielmehr als Gefangne des Schlosses Lochleven von dieser verbitterten Dame abhängig, der sie schon darum ein Dorn im Auge war, weil sie die legitime Tochter eben jenes Königs Jakob aus seiner Ehe mit Maria von Guise war, um derentwillen ihr Sohn hatte zurückstehen müssen, und weil sie katholischen Glaubens war, den sie tiefer als das Heidentum verabscheute.

Diese Frau, deren scharf geschnittene, aber wie schon bemerkt, noch immer schöne Gesichtszüge von einer schwarzen Samthaube überschattet wurden, fragte jetzt den im Boote heranrudernden Diener, wo Lord Lindesay und Sir Melville geblieben seien. Der Diener teilte ihr mit, was sich drüben zugetragen hatte, und die Lady erwiderte spöttisch:

»Solchen Narren muß man schmeicheln, nicht aber der Quere sein. Rudre wieder hinüber, Randal, und entschuldige Dich, so gut Du kannst; sage, Lord Ruthven sei schon im Schlosse und sehe Lord Lindesays Ankunft mit Ungeduld entgegen. Tummle Dich, Randal – aber sprich, was bringst Du uns denn da für einen Springinsfeld mit herüber?«

»Mit Verlaub, meine Gnädige, es ist der Page für ...«

»Ach, richtig,« meinte Lady Lochleven, »der neue Günstling! gestern ist ja auch die kleine Zofe angelangt.. Durch diese Dame bekomme ich einen recht bunten Haushalt, hoffentlich findet man bald eine andre, die sich statt meiner solcher Mühe unterzieht. Fahr jetzt hinüber, Randal, und Ihr, Musje Springinsfeld, begebt Euch mit mir in den Garten!«

Langsamen, vornehmen Schritts ging sie voraus nach dem kleinen Garten, der von einer mit Statuen geschmückten Steinmauer umfriedigt war und in dessen Mitte eine Fontäne spielte. In dem engen Bereiche seiner regelmäßig angelegten Gänge lernte Maria Stuart sich in die Gefangnenrolle schicken, die ihr mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung hinfort bestimmt sein sollte. Zwei Dienerinnen begleiteten sie auf ihrem langsamen, eintönigen Spaziergange, aber mit dem ersten Blicke, den Roland auf die schöne, durch hohe Gaben des Geistes, herrliche Leibesschönheit und hohe Geburt ausgezeichnete Frau warf, fühlte Roland sich in Fesseln geschlagen. Gesicht und Gestalt dieser unglücklichsten aller Königstöchter haben sich der menschlichen Phantasie so tief eingeprägt, daß es selbst nach Verlauf drei voller Jahrhunderte überflüssig ist, eine Schilderung der selbst dem unwissendsten Leser bekannten Züge dieses merkwürdig schönen Antlitzes zu geben, das alle Begriffe von Hoheit, Liebreiz und Glanz in sich vereinigte und in Zweifel darüber ließ, ob in ihm die Herrscherin oder das vollendet schöne Weib glücklicher zum Ausdrucke trat. Wem träte dieses Antlitz, wenn er den Namen Maria Stuart hört, nicht vor die Seele, ganz wie ihm das Antlitz der Geliebten seiner Jugend vor die Seele tritt oder der Lieblingstochter seiner reiferen Jahre? Selbst jene, die allem oder manchem, was ihr von ihren Feinden zur Last gelegt wird, Glauben beimessen, können nicht anders als mit einem Seufzer an ein Antlitz denken, das auf alles andre schließen läßt, bloß nicht auf die schändlichen, ihr schon bei Lebzeiten beigemessenen Verbrechen, die in der Geschichte ihr Andenken verdüstern: an jenes Antlitz mit der hohen königlichen Stirn, den Brauen von solch regelmäßiger und gegen den Tadel der Schalheit durch die herrliche Wirkung der nußbraunen Augen so tief gesicherter Schönheit, mit der echt griechischen Nase, dem ebenmäßig, so überaus lieblich geformten Munde, daß von ihm nur Liebes und Lauteres zu erwarten stand, mit dem Grübchen im Kinn und den zart gerundeten Wangen: an jenes von so reichem Haar gekrönte Antlitz auf dem hohen Schwanenhalse, das eine solche Allgewalt übte, daß es nach so langer Zeit noch der Gegenstand nicht bloß kalter Bewunderung, sondern heißer romantischer Verehrung geblieben ist!?

Mit unvergleichlicher Anmut in Mienen, Gestalt und Wesen, aber in tiefer Trauer kam Maria Stuart der Dame entgegen, die ihrerseits Abneigung und Scheu unter ehrerbietiger Kälte zu verbergen suchte, hatte sie ja schon oft die geistige Überlegenheit der Königin durch versteckten, aber beißenden Spott erfahren. Die Verbeugung der Lady Lochleven erwiderte die Königin durch ein leichtes Nicken.

»Das Glück ist uns hold, wir genießen heute die Gesellschaft unsrer liebenswürdigen Wirtin zu ungewöhnlich früher Stunde. zu einer Zeit, die man uns sonst für unsre einsamen Spaziergänge vergönnte. Unsre liebe Wirtin weiß jedoch, daß ihr der Zutritt zu unsrer Person jederzeit frei steht, und daß sie nicht an die Förmlichkeit gebunden ist, unsre Erlaubnis für Besuche erst einzuholen.«

»Recht bedauerlich, daß Eure Gnaden mein Erscheinen als Zudringlichkeit auffassen,« erwiderte Lady Lochleven, »ich kam jedoch nur in der Absicht, Euch, die Ankunft eines jungen Menschen anzukündigen, der hinfort Euer Gefolge vermehren soll – ein Fall, der doch in der Regel uns Frauen nicht so ganz gleichgültig ist.«

»O, ich bitte um Verzeihung, edle Frau! das Gefühl des Dankes gegen meine edlen, oder sage ich richtiger, gnädigen Herren drückt mich zu Boden.«

»Allerdings sind die Herren darauf bedacht gewesen, ihre Wohlmeinenheit Euer Gnaden zum Ausdruck zu bringen, wenn auch vielleicht, wie ich meine, zum Teil auf Kosten der Vorsicht, indessen hoffe ich, man werde, was sie getan, nicht mißdeuten.«

»Unmöglich, ganz unmöglich!« sprach die Königin, »die Güte, der Erbin einer Königskrone, der gesalbten Königin von Schottland zwei Kammerzofen und einen Pagen zur Bedienung zu vergönnen, ist etwas, was eine Maria Stuart vollauf zu würdigen weiß. Aber die Kosten, die durch solchen Zuwachs an Gefolge für den Haushalt unsrer gütigen Wirtin erwachsen, sind sicher Ursache für die Wolken, die ich auf Eurer Stirn sehe. Ach, lasset den Mut nicht sinken! die Krone Schottlands hat manch schönes Lehen, und Euer wohlgeneigter Sohn, mein lieber Bruder, wird sicher Euren Gemahl mit dem besten Krongute belehnen, ehe Maria den Fuß von diesem Schlosse setzt. Wie ginge es an, einer Lady Lochleven Lasten aufzuerlegen, wenn ihr die Mittel fehlen, sie zu tragen?«

»Das Haus Douglas von Lochleven hat sich allzeit seiner Pflichten gegen den Staat entledigt ohne Rücksicht auf Lohn, auch wenn der Auftrag mit Verdruß oder Gefahr verknüpft war,« erwiderte Lady Lochleven.

»Aber, liebe Lochleven,« scherzte die Königin, »Ihr nehmt die Sache zu gewissenhaft! nehmt doch lieber ein gutes Kronlehn an, wenn's Euch geboten wird! Wovon sollte die Königin von Schottland wohl leben, wenn nicht von ihren Krongütern, wenn sie Gast ist an solch fürstlichem Hofe? ... und wer sollte für eine Mutter besser sorgen können als ein so wohlgeneigter Sohn wie Murray? der Wohlwollen und Macht in solch wunderbarer Weise in seiner Hand vereint? ... Oder meintet Ihr, die Gefahr des Auftrags sei es, was Eure sanfte, gastfreundliche Stirn umwölkt? ... Freilich, freilich, ein Page ist ein so erheblicher Zuwachs zu meiner weiblichen Leibgarde, daß Lord Lindesay nur recht daran tut, ohne vielköpfiges Gefolge sich nicht in solch furchtbare Nähe zu wagen!«

Lady Lochleven stutzte. Ihr Blick verriet Erstaunen. Maria aber ging plötzlich von dem Tone erkünstelter Freundlichkeit in den des strengen Befehls über und sprach mit der vollen Hoheit ihres königlichen Ranges:

»Ja, Lady Lochleven, ich weiß, daß Ruthven sich bereits im Schlosse befindet, und daß Lindesay am andern Ufer der Ueberfahrt harrt, in Gemeinschaft mit Sir Robert Melville. In welcher Absicht kommen die Herren, und wie kommt es, daß ich nicht in geziemender Ordnung von ihrer Ankunft unterrichtet wurde?«

»Nach ihrer Absicht,« antwortete Lady Lochleven, »müssen Euer Gnaden diese Herren schon selbst befragen, und eine formelle Anordnung erübrigt sich wohl, da Eure Gnaden über so geschickte Spione in ihrer Umgebung verfügen.«

»Ach, arme Fleming,« sagte die Königin, sich an die ältere Dienerin wendend, »man wird Dich verhören, verdammen, hängen, weil Du das Pech hattest, über den Saal zu gehen, als Lady Lochleven mit ihrer kräftigen Stimme ihrem Lotsen Randal die Weisungen für die Ueberfahrt erteilte ... Mädchen, stopft Euch Watte in die Ohren, sofern Euch daran liegt sie zu behalten! Vergeßt nicht, im Schlosse Lochleven sind Ohren und Zunge Dinge, die man bloß zum Staate hat und nicht gebrauchen darf ... kann doch unsre liehe Frau Wirtin hören und schwatzen für uns alle! ... Gewiß, meine liebe Lochleven, Wir entheben Euch der Verpflichtung längern Verweilens. Entfernt Euch, bitte, und bereitet die Zusammenkunft mit Unsern meuterischen Lords vor! Das Vorzimmer Unsers Schlafgemachs mag Unser Audienzsaal sein, Ihr aber,« wandte sie sich jetzt an Roland, indem sie die bisherige Bitterkeit ihres Tones zu gutmütigem Scherz umstimmte, »Ihr Gesamtinbegriff Unsers männlichen Gefolges vom Oberhofmarschall bis zum Läufer hinunter, Ihr wollt mit Uns gehen, die Anstalten zu Unsrer Audienz zu treffen.«

Sie drehte sich um und ging langsam dem Schlosse zu. Roland folgte ihr, eine Wendeltreppe hinauf, zum zweiten Stockwerk, wo drei ineinander gehende Zimmer der in Gefangenschaft gehaltenen Fürstin als Wohnung angewiesen waren. Das vorderste Zimmer war ein kleiner Saal oder auch Vorgemach, der zu dem eigentlichen Wohngelaß führte, und an dieses stieß das Schlafgemach der Königin. In einem kleinen Nebenzimmer schliefen die beiden Kammerfräulein.

Roland blieb, wie es seinem Dienst sich schickte, in dem Vorgemach und harrte hier der für ihn bestimmten Befehle. Vom Gitterfenster aus sah er Lord Lindesay, Sir Melville und ihr Gefolge aus dem Boote steigen. Im Schloßtore sah er einen dritten Adeling den beiden andern entgegengehen. Dann hörte er, wie Lord Lindesay mit seiner rauhen Stimme sagte: »Mylord Ruthven, Ihr seid früher da als wir!«

In diesem Augenblick drang ans dem Wohngemach der Königin ein tiefes Stöhnen. Die beiden Kammerfräulein schrieen ängstlich auf und der Page eilte schnell zur Hilfe. Die Königin lag in einem Armsessel und rang nach Luft, die ältere Kammerdame hielt sie in den Armen, während die jüngere ihr das Gesicht abwechselnd mit Wasser und Tränen netzte.

»Lauft, Page, nach Hilfe! die Königin wird ohnmächtig,« rief die ältere Kammerdame.

Die Königin aber rief mit gebrochner Stimme: »Bleibt! ich befehle es. Ruft niemand zum Zeugen meiner Schwäche! ich fühle mich schon besser. Es wird gleich vorüber sein.« Sie richtete sich auch wirklich schnell in die Höhe, wenn auch mit der Anstrengung eines Menschen, der um sein Leben ringt, und wenn auch ihr Gesicht von der erlittenen Anstrengung zitterte. »Mädchen,« sprach sie nach einer Weile, »ich schäme mich meiner Schwäche; aber es ist verwunden, und ich bin wieder Maria Stuart. Der rauhe Ton des Mannes, der mir am widrigsten ist von all diesen puritanischen Flegeln, seine mir bekannte Frechheit, der Name, den er nannte, sowie die Absicht, die sie herführt, mögen mir Entschuldigung sein für eine momentane Schwäche, aber sie soll nicht wiederkehren! Diese Menschen sollen mich stark finden!«

Sie ließ die Haube, die ihr während des Anfalls von Krämpfen in Unordnung geraten war, zur Erde fallen, dann strich sie mit den Händen durch das braune Lockenlabyrinth, dann erhob sie sich von dem Sessel und richtete sich auf. Wie eine begeisterte Seherin des alten Griechenlands stand sie da in einer Stellung, in der sich Bekümmernis und Stolz, Lächeln und Tränen mischten.

»Wir sind kümmerlich ausgestattet, unsre meuterischen Untertanen zu empfangen, aber soweit es in unserm Vermögen liegt, wollen wir ihnen, wie es ihrer Königin geziemt, gegenüber treten. Folgt mir, liebe Mädchen, der gewöhnlichen Zierden meiner Würde hat mich Gewalttat, und der geringen, die mir eine gütige Natur verlieh, haben mich Kummer und Angst beraubt.«

Aber während sie so sprach, ließ sie wieder die zarten Finger in ihrem Lockenlabyrinthe wühlen, das ihren königlichen Nacken und schwellenden Busen umhüllte, wie wenn ihr in aller Bekümmernis des Herzens doch nicht das Bewußtsein der unerreichten Schönheit ihres Leibes gänzlich abhanden gekommen wäre. Roland Gräme, auf dessen jugendlichen, für alles Schöne begeisterten Sinn die würdevolle Schönheit, das erhabene Benehmen einer erlauchten Frau wie die Wunderkraft einer Zauberin wirkte, stand wie eingewurzelt auf der Schwelle, festgebannt durch Staunen und Mitgefühl, und erfüllt von dem Verlangen, sein Leben in so herrlichem Kampfe, wie der für Maria Stuart sein mußte, zu wagen. Sie war in Frankreich auferzogen, war im Besitz der erhabensten Schönheit, war Königin gewesen, Königin von Schottland, für die doch Menschenkenntnis so unentbehrlich war wie das Einatmen der Luft. Durch dies alles war Maria vor allen Frauen der Erde sicher am meisten geeignet, das Uebergewicht wahrzunehmen, und zu benützen, das ihre Reize wohl auf jeden ausübten, der in ihren Zauberbann geriet. Und sie warf auf Roland Gräme einen Blick, der ein Herz von Marmor hätte schmelzen können.

»Mein armes Kind,« sagte sie, mit einer teils aus Klugheit angenommenen, teils aufrichtigen Empfindung: »Du bist unter uns ein Fremder, aus der Nähe einer zärtlich besorgten Mutter, oder Schwester, oder Geliebten bist Du in dieses traurige Gefängnis übergeführt worden. Mich schmerzt Dein Los, denn Du bist das einzige männliche Wesen in meinem knappen Haushalte ... willst Du bereit sein, meinen Befehlen zu gehorchen?« fragte sie, ergriffen und ergreifend.

»Bis in den Tod, gnädigste Frau!« sagte Roland in festem Tone.

»Dann bewache die Tür dieses Zimmers,« sprach die Königin, »bis diese Männer wirklich Gewalt zu brauchen drohen, oder bis wir unsre Toilette so weit geordnet haben, daß es uns beliebt, ihnen entgegenzutreten.«

»Ich werde tun nach Eurem Geheiß, Majestät,« sprach Roland, denn jedes Bedenken, das er früher hegte, wie er sein Benehmen einzurichten habe, war durch den Eindruck des Augenblicks gänzlich aufgehoben.

»Ich meine,« sprach er bei sich, »Graf Murray müsse selbst einräumen, daß es jedes Pagen heilige Pflicht sei, seine Gebieterin gegen alles Eindringen in ihre Gemächer zu verteidigen.«

Darauf begab er sich in das kleine Vorgemach, verschloß und verriegelte die Tür und setzte sich dann nieder, der kommenden Dinge zu warten. Das brauchte er nicht lange. Denn bald rüttelte eine derbe Faust an der Tür, und als sie dem Druck widerstand, dröhnte der Ruf: »Aufgemacht da drinnen!«

»Auf wessen Geheiß soll ich die Tür zur Wohnung der Königin von Schottland öffnen?« fragte der Page.

Ein zweiter Versuch, die Tür gewaltsam zu öffnen, wurde unternommen, scheiterte aber wie der erste.

»Aufgemacht, befehle ich Euch, oder Ihr riskiert Euer Leben!« rief die dröhnende Stimme wieder. »Aufgemacht! Lord Lindesay ist da, mit der Lady Maria von Schottland zu reden.«

«Lord Lindesay muß als schottischer Edelmann die Erlaubnis seiner Königin abwarten!« erwiderte der Page.

Ein lebhafter Wortwechsel folgte nun draußen zwischen Lord Lindesay und, wie Roland deutlich unterschied, Sir Robert Melville, der sich bemühte, den Lord zu beschwichtigen.

»Nein, nein!« schrie dieser, »lieber spreng ich die Tür mit einer Petarde, als daß ich mich von solch ruchlosem Frauenzimmer aussperren oder von solch frechem Musje an der Tür abfertigen lasse.«

»Erlaubt mir wenigstens vorher, den Weg der Güte zu versuchen,« bemerkte mild Sir Robert Melville. »Gewalttat gegen ein Weib wäre doch ein ewiger Schandfleck für Euer Wappen. Oder wartet wenigstens, bis Lord Ruthven zur Stelle ist.«

»Ich will nicht länger warten,« schrie der Lord, »es ist die höchste Zeit, daß dies Geschäft zu Ende komme. Wir müssen uns auf den Rückweg machen, zum Staatsrat. Versucht Ihr Euren Weg zur Güte, wie Ihr Euch ausdrückt, während ich meinen Reitern befehle, die Petarde zur Stelle zu schaffen. Ich bin mit so feinem Pulver versorgt, daß ich die Feldkirche zum andernmal in die Luft sprengen könnte.«

»Um Gottes willen, haltet an Euch,« rief Sir Melville. Dann näherte er sich der Tür und sagte, zu den Personen gewandt, die er hinter der Tür vermutete: »Laßt die Königin wissen, daß ich, ihr treuer Diener Robert Melville, sie ersuchen lasse, um ihrer selbst willen und um dem Schlimmsten vorzubeugen, die Tür zu öffnen und Lord Lindesay einzulassen, der ihr eine Botschaft vom Staatsrat überbringt.«

»Ich werde Euren Auftrag ausrichten und den Entschluß der Königin Euch kundtun,« versetzte der Page.

Roland trat an die Tür des Schlafgemachs. Die ältere Kammerdame öffnete, und die Königin ließ ihm die Weisung melden, daß sie willens sei, Lord Lindesay und Sir Robert Melville einzulassen. Roland kehrte in das Vorzimmer zurück und öffnete die Tür, durch die Lord Lindesay mit der Miene eines Kriegers, der sich den Zugang zu einer belagerten Festung erstritten hat, eintrat, während Sir Melville ihm mit tiefbetrübter Miene folgte.

Im selben Augenblick öffnete sich die Tür des innern Gemaches, und Maria erschien, mit der Miene der ihr eignen Huld und Majestät, auf der Schwelle, ohne daß es schien, als habe dieser Trotz, den Besuch bei ihr zu erzwingen, im geringsten einen widerwärtigen Eindruck in ihr hinterlassen. Sie war in eine Robe von schwarzem Samt gekleidet, eine schmale, vorn offne Halskrause zeigte ihr schön geformtes Kinn und ihren stolzen Nacken, während der Busen davon verhüllt wurde. Auf dem Kopfe hatte sie ein Spitzenhäubchen, und von den Schultern wallte ein weißer, durchsichtiger Schleier nieder, in großen weiten Falten, über das lange schwarze Gewand, so daß er, je nachdem es der Trägerin beliebte, über das Gesicht und den ganzen Leib gezogen werden konnte. Am Halse trug sie ein goldnes Kruzifix, und im Gürtel hing ihr Rosenkranz aus Ebenholz mit goldnen Perlen. Hinter ihr kamen ihre beiden Dienerinnen, die während der ganzen Unterredung, die nun folgte, hinter ihr stehen blieben. Selbst Lord Lindesay, obgleich der rauheste aller Edelleute damaliger Zeit, wurde ob dieses Anblicks von einer Empfindung wie Ehrfurcht beschlichen, der unbefangne, hoheitsvolle Blick einer Frau, die er entweder in maßloser Leidenschaft oder in nutzlosem, vergeblichem Gram zu finden erwartet hatte, oder von Kummer niedergedrückt ob der ihr entzognen Majestät und Herrschaft, überraschte und verwunderte ihn sichtlich.

»Wir haben Euch, besorgen Wir, warten lassen, Lord Lindesay,« begann, indem, sie sich in Erwiderung seiner Verbeugung huldvoll verneigte, die Königin, »aber eine Frau bringt immer erst, ehe sie Besuch empfängt, ein paar Minuten am Toilettentische zu. Ihr Männer, Mylord, seid an solche Förmlichkeiten nicht gebunden«

Lord Lindesay warf einen Blick auf seinen von der Reise beschmutzten Mantel, murmelte ein paar Worte von großer Eile und langem Ritte. Dann begrüßte die Königin, wie es schien, sehr freundlich sogar, Sir Robert Melville. Dann herrschte ein paar Augenblicke Totenstille, und Lord Lindesay blickte nach der Tür, als sähe er mit Ungeduld dem Eintritt seines Mitgesandten entgegen. Nur die Königin schien frei von aller Verlegenheit.

»Ihr habt ja einen recht verläßlichen, gewichtigen Reisekameraden mitgebracht, Lord Lindesay,« hub sie wieder an, mit einem ironischen Blick auf das breite Schwert, das ihm über die Schulter hing, weisend. »Hoffentlich habt Ihr nicht erwartet, hier einen Feind zu finden, gegen den es solch grimmiger Waffe bedurfte? Für einen Besuch bei Hofe, scheint mir, etwas auffällig, wenngleich ich als eine Stuart vor Schwertern keine Furcht empfinde.«

»Nicht zum ersten Male,« erwiderte Lord Lindesay, indem er die Waffe herumbrachte, so daß die Spitze auf den Boden kam und er mit einer Hand sich auf den kräftigen Griff stützte, »nicht zum ersten Male getraut sich dieses Schwert vor die Augen des Hauses Stuart.«

»Recht wohl möglich,« antwortete die Königin, »meinen Vorfahren mag es gedient haben, denn Eure Vorfahren, Mylord, waren Männer, die ihre Untertanenpflicht kannten.«

»Jawohl, gnädige Dame,« versetzte Lindesay, »gedient hat es, aber in Aemtern und Dingen, die Könige nicht gern anerkennen oder gar lohnen. Wie die Hippe dem Baume dient, indem sie ihn verwundet bis aufs Mark und der überflüssigen Menge von Schößlingen und unfruchtbaren Ranken beraubt, die ihm die Nahrung entziehen.«

»Ihr sprecht in Rätseln, Mylord,« sagte Maria, »die Auflösung enthält, will ich hoffen, nichts als Beleidigung?«

»Urteilt selbst, gnädige Dame,« erwiderte Lindesay, »mit diesem guten Schwerte wurde Archibald Douglas, Graf von Angus, umgürtet an jenem denkwürdigen Tage, als er sich den Spitznamen »Vald der Rattenfänger« holte. Vor den Augen Eures Urgroßvaters Jakobs des Dritten hob er einen Schwarm von Günstlingen und Speichelleckern auf und ließ sie über der Brücke von Lauder zum warnenden Exempel für alles Luder, das sich dem schottischen Throne so gern naht, an Pfähle knüpfen. Mit derselben Waffe spaltete derselbe unentwegte Verfechter schottischer Ehre und schottischen Adels den Höfling Eures Großvaters Spens von Kilspindie bei Tafel den Rumpf, weil er sich erfrechte, in des Königs Gegenwart leichtfertig von ihm zu sprechen.«

»Mylord,« erwiderte errötend die Königin, »meine Nerven sind zu fest, daß sie durch solche gruselige Erzählungen erschüttert werden könnten. Indessen darf ich wohl fragen, wie solche Klinge aus dem Besitz der Douglas in den der Lindesay hat übergehen können? Ich hätte gedacht, sie müsse einem Geschlecht als heilig gelten, das sich in den Glauben gewiegt hat, alles was es wider das Königshaus tue, tue es zum Heile des Vaterlandes.«

»O, gnädigste Frau,« rief, ihr ängstlich ins Wort fallend, Sir Robert Melville, »stellt nicht diese Frage an Lord Lindesay! ... Und Ihr, Mylord, sofern Ihr Gefühl noch hegt für Scham und Schicklichkeit, so scheut Euch, Antwort drauf zu geben.«

»Es ist Zeit, daß solches Weib die Wahrheit höre,« rief grimmig Lord Lindesay.

»Und laßt Euch versichern, Mylord,« sprach Maria Stuart, keins Eurer Worte, möget Ihr sprechen, was Ihr wollt, wird die Frau, mit der Ihr sprecht, zum Zorne reizen. Es gibt Fälle, wo gerechte Verachtung stets gerechtem Zorne obsiegt.«

»Dann wißt,« versetzte Lindesay, »daß ich auf dem Plane von, Caxberry-Hill, als der falsche, ruchlose Verräter und Mörder Jakob, einst Graf von Bothwell, mit dem Spottnamen Herzog von Orkney, jedem der Adelinge, die gekommen waren, ihn zur Verantwortung zu ziehen, sich zum Zweikampf erbot, die Herausforderung annahm und von Graf Morton Douglas dafür mit diesem edlen Schwert beschenkt wurde, den Strauß zu bestehen. Ha, hätt er ein Körnchen mehr Mut und ein Korn weniger Feigheit besessen, so wahr mir der Himmel helfe, ich hätt seinen elenden Verräterleib mit diesem guten Stahl so zugerichtet, daß er Hunden und Raben ein leckeres Futter gewesen wäre.«

Als Maria den Namen Bothwell hörte, erlag der Mut der Königin beinahe, knüpfte sich doch an ihn eine ganze Reihe von Schuld und Scham und Unglück! ... Aber die großsprecherische Art Lindesays gab ihr Zeit zur Fassung, und mit einer Miene kalter Verachtung erwiderte sie:

»Einen Feind zu besiegen, der nicht in die Schranken tritt, ist leicht. Hätte aber Maria Stuart mit ihres Vaters Szepter auch sein Schwert geerbt, dann sollten die verwegensten ihrer Rebellen nicht Klage an diesem Tage führen, daß niemand da sei, es mit ihnen aufzunehmen. Eure Herrlichkeit wird mir es nachsehen, wenn ich dieses Gespräch abkürze. Von solchem blutigen Kampfe ist eine kurze Erwähnung schon lang genug, die Neugierde einer Dame zu stillen; und hat Lord Lindesay uns nichts Wichtigeres mitzuteilen als Dinge vom »Bald dem Rattenfänger«, die er wohl gern nachgemacht hätte, wenn Zeit und Umstände sich dazu schickten, dann wollen Wir uns in unser Kabinett zurückziehen, wo Ihr uns, liebe Fleming, Weiteres vorlesen mögt aus dem lustigen Büchlein Des rodomontades Espagnolles .

»Entschuldigt, gnädige Dame,« versetzte Lindesay, dessen Wangen jetzt auch Röte färbte, »ich kenne Euren schnellen Witz von früher her zu gut, daß ich nach einer Unterredung hätte geizen sollen, die Euch Gelegenheit geben konnte, seine Schärfe auf Kosten meiner Ehre zu zeigen. Lord Ruthven und meine Wenigkeit kommen in Begleitung Sir Robert Melvilles im Auftrage des Staatsrates, Euer Gnaden Anträge zu stellen, von denen die Sicherheit Eures Lebens und die Wohlfahrt des Staates abhängen wird.«

»Im Auftrag des Staatsrats?« fragte die Königin. »Auf wessen Vollmacht besteht und handelt er, während man mich, die ihn zu seiner Würde erhob, hier in Gefangenschaft hält? Aber es mag so sein! Was Schottlands Wohl erheischt, wird Maria Stuart recht kommen, gleichviel woher es komme – und was ihr eignes Leben anbetrifft, so hat sie, auch wenn sie erst ein Alter von fünfundzwanzig Jahren erreichte, doch lange genug schon gelebt, um ihres Lebens überdrüssig zu sein ... Wo bleibt Euer Kollege, Mylord? ... und warum zögert er?«

»Er kommt, gnädigste Dame!« sagte Sir Robert Melville.

In diesem Augenblicke trat, mit einer Rolle in der Hand, Lord Ruthven ins Zimmer, und Leichenblässe bedeckte das Gesicht der Königin, als sie seinen Gruß erwiderte. Aber sie gewann ihre Fassung schnell, als hinter dem edlen Lord, dessen Erscheinung ihren Busen in solche Wallung zu setzen schien, Georg Douglas, jüngster Sohn des Ritters von Lochleven, der in Abwesenheit des Vaters und der Brüder auf dem Schlosse den Dienst eines Seneschalls versah, hinter ihm ins Zimmer trat.

 

(Ende des ersten Bandes.)

 


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