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Sechzehntes Kapitel.

Am andern Morgen dämmerte es kaum, so wurde am Wirtshaus durch laute Schläge am Türklopfer Einlaß begehrt im Namen des Regenten. Gleich darauf stand Michael Wingthewind vor unsern Reisenden, die sich in den Betten befanden.

»Auf, auf!« rief er, »wenn Murray ruft, ist's aus mit Schlaf!«

Im Nu waren beide aus den Betten und auf den Beinen.

»Alter Freund,« sagte Michael zu Adam, »Ihr müßt sofort aufsitzen mit diesen Schriftstücken nach Kennaqhueir und Avenel! dies eine hier dem Abt, und jenes andre dem Ritter Avenel behändigen.«

»Das heißt also auf schottisch: die Mönche sollen die Abtei räumen,« rief Adam, die Schreiben in seine Jagdtasche steckend, »und mein Herr soll dafür sorgen, daß es prompt geschieht. Aber zwei Brüder aufeinander zu hetzen ist keine rühmliche Sache.«

»Kümmert Euch nicht um ungelegte Eier,« verwies ihn Michael, »sondern macht, daß Ihr in den Sattel kommt, denn werden die beiden Befehle nicht sofort vollstreckt, dann wird man vom Marienkloster bald bloß noch die Mauern und vom Schloß Avenel nicht viel mehr sehen. Ich hörte Murray in heftigem Disput mit Morton, und wir sind beide so gestellt miteinander, daß über Kleinigkeiten keine Differenzen erwachsen dürfen.«

»Ist noch vom Abte der Unvernunft die Rede gewesen, oder gilt das als beigelegt?«

»Das hat man als Jux nicht weiter beachtet, weil's keinen Schaden gestiftet hat. Aber laßt künftig die Finger von solchen Geschichten und denkt an die Mortonsche Jungfer.«

»Die soll mir den Hals nicht wegsäbeln,« meinte Woodcock und schlang sich das Tuch dreimal um den dicken, sonnverbrannten Hals, indem er dreimal hintereinander Roland zurief, sich schnell fertigzumachen.

»Laßt den Pagen in Ruh,« sagte Wingthewind, »der begibt sich nicht mit Euch zurück, für den hat der Regent einen andern Auftrag.«

»Alle Heilige! Herr Roland Gräme soll hier bleiben?« rief Woodcock, »und ich soll allein nach Avenel zurück? Aber das geht doch nicht! so ein junges Blut weiß sich doch nicht durch die Welt zu bringen! da gibt's doch der Fälle noch gar zuviel, wo er auf meiner Pfeife Lockruf hören muß!«

Roland schwebten schon Worte auf der Zunge, den Falkner auf eine Gelegenheit zu verweisen, bei der er selber besser gefahren wäre, wenn er auf andrer Rat geachtet hätte, aber er unterließ die Bemerkung, als er die echte Bekümmernis auf dem Gesichte des braven Alten über die Trennung wahrnahm. Indessen kam er ohne Neckerei doch nicht los, denn Michael nahm ihn jetzt beim Arme und fragte ihn:

»Aber sag doch bloß, Alter, was ist denn mit Deinen Augen? die sind ja geschwollen, als sollten sie aus den Höhlen treten!«

»Ach, laß meine Augen!« versetzte unwirsch Adam, »das kommt vom Schlafen auf den vermaledeiten Schloßpritschen! ich laß mir einen Holzapfel braten und setz eine Flasche Bier drauf, da wird die Geschwulst bald weg sein!«

»Recht so, Adam! ich werde Dir Deinen Gaul satteln lassen und für den Holzapfel sorgen. Aber spute Dich! Der Regent hat's eilig!« Während seiner Abwesenheit nahm Woodcock den Pagen, bei der Hand.

»Mein lieber Roland,« sagte die biedre Seele, »wer weiß, ob wir je wieder einen Falken zusammen steigen lassen. Mir tut's leid, daß wir scheiden müssen, als wenn Ihr mein eigner Sohn wärt, nehmt's mir nicht übel! Ich weiß nicht, woher es kommt, aber ich kann's nicht ändern, Ihr seid mir lieber als jeder andre Junge auf dem Schloß. Drum laßt Euch heut dreierlei noch sagen zum Abschied, Roland! Ihr sollt Euch nun allein bewegen in dieser unruhigen Welt, in der wir uns zurzeit befinden. Also merkt Euch folgendes: Zieht Euren Dolch nicht bei geringfügiger Veranlassung, denn nicht jedermanns Wams möchte so ausgepolstert sein, wie das des Unvernunftabtes; lauft nicht jeder hübschen Dirne nach wie der Sperber der Drossel! denn Ihr werdet nicht immer güldne Ketten dabei ergattern; und drittens: nehmt Euch vorm Kruge in acht! ein guter Trunk hat schon klügre Männer als Euch um die gesunden fünf Sinne gebracht. Und nun, lieber Junge, lebt wohl. Wir haben zu mehr jetzt keine Zeit ... Aber da habt Ihr noch Eure Kette und Euer Medaillon! fast hätt ich beides vergessen. Verwahrt die Dinge gut, denn sie sind massiv und können Euch in manchem Fall der Not zum Nutzen sein. Aber seid auch hübsch vorsichtig damit!«

Roland erwiderte den warmen Händedruck des braven Falkners, trug ihm auf, seiner Gebieterin zu sagen, daß es ihn noch jetzt schmerze, ihr weh getan zu haben, und daß er sich in der Welt so aufführen werde, daß es ihr zur Freude gereichen solle, wie es ja um des gütigen Schutzes willen, den sie ihm gewährt habe, für ihn Pflicht und Schuldigkeit sei.

Dann bestieg der Falkner seinen frischen, gut gefütterten Gaul und trabte von dannen. Jeder Hufschlag schien Roland Gräme zu treffen, denn er fühlte, wie innig auch er an dem braven Manne hing und wie seltsam es ihm zu Mute war, jetzt allein, bloß auf sich selbst angewiesen, in der Welt zu stehen. Aber Michael kam jetzt zurück und riß ihn aus seinem Sinnen durch den Zuruf, daß der Regent auf ihn warte. Er müsse sich außerordentlich sogar beeilen, denn es sei heut eine sehr eilige Staatsratssitzung anberaumt und der Regent habe ausdrücklich befohlen, den Pagen vorher ihm zuzuführen.

Michael führte Roland in ein kleines, mit Teppichen dicht belegtes Zimmer, wo Graf Murray im dunkelfarbigen Schlafrock, in Pantoffeln und Mütze auf einem Sessel saß. Aber auch bei dieser bequemen Morgentracht trug er den Degen an der Seite, halb aus persönlicher Vorsicht, halb den Vorstellungen seiner Freunde sich fügend. Auf die ehrfurchtsvolle Verbeugung des Pagen antwortete er durch ein Nicken. Dann ging er ein paarmal in dem Zimmer auf und nieder, den Blick scharf auf Roland gerichtet, wie wenn er im Innern seiner Seele lesen wolle. Endlich brach er das Schweigen durch die Frage:

»Julian Gräme lautet Euer Name – nicht so?«

»Roland Gräme,« versetzte der Page, »nicht Julian, gnädigster Herr!«

»Ach richtig, mein Gedächtnis hat mich im Stich gelassen. Roland Gräme aus dem bestritten Lande, richtig! ... Nun, Roland! Dir sind die Obliegenheiten im Dienst einer Dame bekannt?«

»Ja, gnädigster Herr, denn ich bin auferzogen worden im Dienste der Dame von Avenel. Aber ich denke sie nie wieder zu üben, da mich der Ritter von Avenel ...«

»Schweigt, Bursche,« fuhr der Regent ihn an, »zu sprechen habe hier ich, und Ihr habt zu hören und zu gehorchen. Es ist notwendig, daß Ihr auf einige Zeit wieder in den Dienst einer Dame tretet, die an Rang in Schottland nicht ihresgleichen hat. Ist dieser Dienst vorüber, und ward er prompt erfüllt, dann soll Eurem Ehrgeiz, darauf gebe ich Euch mein gräflich Wort, eine Bahn sich eröffnen, die dem stolzesten Manne recht sein dürfte ...«

Als Roland inne wurde, daß der Regent eine Antwort zu erwarten schien, fragte er: »Darf ich wissen, wem ich meine Dienste widmen soll?«

»Das sollt Ihr später erfahren,« versetzte der Regent, dann fügte er mit sichtlichem Widerstreben hinzu: »Oder warum soll ich's Euch nicht gleich sagen? erfahren müßt Ihr's doch ... in den Dienst der erhabensten und doch unglücklichsten Frau von ganz Schottland sollt Ihr treten, in den Dienst Marias von Schottland ...«

»Ich in den Dienst der Königin, gnädiger Herr?« rief der Page, völlig außer stande, sein Staunen zu unterdrücken.

»Die einst Königin war!« sagte Murray mit seltsamer Mischung von Unmut und Verlegenheit im Tone seiner Stimme, »Ihr dürft nicht außer acht lassen, daß ich an ihrer Statt das Regiment in Schottland führe.«

»Werde ich Königlicher Hoheit am Orte ihrer Gefangenschaft zu dienen haben?« fragte der Page mit treuherziger Unbefangenheit, durch die er den Staatsmann halb und halb aus der Fassung brachte. »Sie ist nicht in Gefangenschaft, das verhüte Gott!« erwiderte der Regent verdrießlich, »bloß entfernt von Staats- und öffentlichen Geschäften, bis sich die Verhältnisse wieder so weit beruhigt haben, daß sie sich ihrer unbeschränkten Freiheit wieder erfreuen darf, ohne ihren königlichen Sinn den Ränken schlimmer Menschen ausgesetzt zu sehen. Da sie,« setzte er hinzu, »von Rechts wegen mit einer ihrer abgeschiednen Lage angemessnen Dienerschaft umgeben werden muß, auf deren Klugheit ich mich verlassen kann, ist, was den Pagendienst angeht, meine Wahl auf Euch gefallen. Ihr seid anstellig, in Euren Mienen lese ich, daß Ihr Verständnis für die Aufgabe habt. Hier in diesem Schriftstück sind die Obliegenheiten niedergelegt, die Ihr zu erfüllen habt. Aber was vor allem von Euch erwartet wird, ist Treue. Ihr sollt wachen, über jeden Versuch, über jede aufkeimende Neigung, mit irgend einem der im Westen des Landes sässigen Lords, mit Hamilton, Seyton, Fleming u. s. w., die sich zu Häuptern der uns feindlichen Partei aufgeworfen haben, Beziehungen oder Verkehr anzuknüpfen. Es wird Euch demnach zur Pflicht gemacht, über alles, was Euch in Eurem Dienste auffällt, meiner Mutter, bei der sich zurzeit meine Schwester als Gast aufhält, zu berichten, über jeden Verdacht, der Euch aufsteigt, meine Schwester könne sich mit der Absicht tragen, ihren Aufenthaltsort zu wechseln, oder gar etwa mit Angehörigen fremder Staaten Verbindungen anzuknüpfen. Sollte aber sich irgend etwas von Bedeutung tatsächlich ereignen, so sollt Ihr ohne allen Verzug direkte Boten an mich absenden, und zur Bewerkstelligung all dessen, was in solchem Falle von nöten, nehmt hier diesen Ring, der Euch jedem ausweist als meinen Vollmachtträger. Und nun geh, mein Sohn!« verabschiedete ihn der Regent und legte wiederum die Hand auf Rolands Schulter, diene mir treu, und so wahr ich Graf Murray bin, Dir soll hoher Lohn werden!«

Roland verneigte sich und stand im Begriffe, sich zu entfernen, da gab ihm der Graf ein Zeichen, noch zu verweilen.

»Ich habe großes Vertrauen in Dich gesetzt, mein Sohn, denn Du bist der einzige meines Gefolges, der auf meine eigne Empfehlung zu meiner Schwester gesandt wird. Ihre Kammerfrauen hat sie sämtlich sich selbst gewählt. Sie solches Vorrechts berauben zu wollen, wäre übertriebne Härte gewesen, wenn auch einige Mitglieder des Staatsrats hierfür stimmten ... Du bist jung und ein schmucker Gesell. Mach ihre Torheiten mit, aber achte darauf, daß hinter Torheiten sich nichts Ernsteres verbirgt, und werden Minen gelegt, dann lege Du Gegenminen! Im übrigen betrage Dich mit allem Anstand und aller Ehrerbietung gegen Deine Herrin, denn sie ist Fürstin, wenn auch vom Unglück beherrscht, und sie war Königin, Königin von Schottland! wenn sie es auch, leider! jetzt nicht mehr ist – Und nun leb wohl! – Doch halt, noch eins! Du reitest mit Lord Lindesay. Sieh Dich vor, ihm nicht zu nahe zu treten! er ist ein rauher Herr, der keinen Spaß versteht ... und Du, mein Sohn, sollst, wie ich vernommen, zuweilen vorlaut, man hat sogar gesagt, naseweis sein.« Diese letzten Worte sprach er mit freundlichem Lächeln. Dann fügte er noch hinzu: »Mir wäre es freilich lieber gewesen, der Staatsrat hätte einen Lord von bessrer Bildung mit solcher Botschaft beordert.«

»Und warum, Mylord?« fragte Graf Morton, der grade ins Zimmer trat, um diese Schlußworte noch zu hören. »Der Staatsrat hat entschieden, daß Lord Lindesay der beste sei für diese Aufgabe, denn es fehlt uns wahrlich nicht an Proben von Halsstarrigkeit dieser Dame, und eine Eiche, die der scharfen Axt von Stahl widersteht, muß durch rauhen Eisenkeil gespalten werden ... So? dies soll der Page sein? Nun, Mylord hat Euch wohl instruiert, junges Bürschchen, wie Ihr Euch zu verhalten habt. Indessen will ich Euch doch einen kleinen Wink noch beifügen. Ihr steht im Begriffe, Euch nach einem Douglas-Schlosse zu begeben. Vergeßt nicht, Knabe, daß noch in keinem Douglas-Schlosse Verrat gedieh! die erste Spur von Verdacht wäre der letzte Augenblick, Eures Lebens ... Mein Vetter William Douglas ist ein wilder Gesell. Wittert er Argwohn gegen Euch, dann tanzt Ihr, ehe die Sonne über seinem Zorne untergeht, auf den Schloßzinnen Schwebewalzer im Winde! ...« Dann wandte er sich an den Regenten: »Und einen Beichtvater soll die Dame auch erhalten?«

»Gelegentlich,« versetzte der Regent, »denn ihr den geistlichen Trost vorenthalten zu wollen, wäre doch mehr als grausam.«

»Mylord, immer wieder weichherzig?« fragte Graf Morton. »Solch falscher Priester ebnet ihren Klagen nicht bloß den Weg zu unsern Widersachern in Schottland, sondern auch zu den Gassen in Frankreich und zu den Glaubensgenossen in Rom und Madrid!«

»Seid ohne Sorge!« erwiderte der Regent, »es sollen Maßregeln getroffen werden, die jede Verräterei unmöglich machen.«

Hierauf wandte sich der Regent zu dem Pagen, wie wenn ihm einfiele, derselbe sei nun lange genug bei einer Unterredung, die ihn eigentlich nichts mehr anginge, anwesend gewesen, und befahl ihm, ohne Säumen aufzusitzen, da Lord Lindesay bereits fertig zum Ausritt sei. Roland verneigte sich und verließ das Zimmer.

Im Hofe hielt ein Kommando von etwa dreißig Berittenen unter einem Befehlshaber, dem man Zorn und Ungeduld deutlich genug ansah.

»Ist das der Maulaff von Page, auf den wir so lange haben warten müssen?« fuhr er Michael an, »Lord Ruthven wird nun vor uns im Schloß eintreffen.«

Michael bejahte die Frage, fügte aber bei, daß der Regent den Pagen nicht früher zu entlassen geruht habe. Lord Lindesay brummte einige unverständliche Worte, die sich anhörten wie, daß man sich mehr bieten lassen müsse, als auf eine Kuhhaut ginge; dann rief er einen Reiter heran, der noch grimmiger aussah als der Lord selbst, und rief ihm zu:

»Nimm den Musje unter Deine Obhut, Edward! Außer mit Dir soll er mit niemand reden!«

Dann wandte er sich an einen bejahrten Herrn von ehrwürdigem Aussehen, den er mit »Sir Robert« anredete und der der einzige in dem Trupp zu sein schien, der ihm an Rang gleichstand, mit der Bemerkung, es sei nun an der Zeit aufzubrechen. Während dieses Gesprächs der beiden Lords hatte Roland Zeit, sie sich anzusehen.

An Lord Lindesay von Byres, dem Führer des Zuges, waren die Jahre gewissermaßen spurlos vorübergegangen. Die stramme aufrechte Haltung und sein kräftiger Gliederbau ließen erkennen, daß er den Beschwerden des Krieges noch immer gewachsen sei. Ueber den großen, von düstrer Glut lodernden Augen hingen dichte Brauen, die ins Graue zu spielen anfingen. Eine Anzahl von Schrammen, Zeuginnen der Schlachten und Kämpfe, die er bestanden, mehrte noch den strengen, abstoßenden Ausdruck seiner Züge. Eine Stahlhaube mit vorspringendem Schirm, doch ohne Visier, überschattete den obern, ein graumelierter Bart, der von der Kinnkette gekreuzt wurde, bedeckte den untern Teil des grimmigen Gesichts. Er trug ein ledernes Wams, das einst mit Stickerei besetzt und mit Seide eingefaßt gewesen war, jetzt aber die Spuren von allerhand Strapazen deutlich an sich trug. Unter dem Wams saß ein Panzer, einst von poliertem Stahl und fein vergoldet, jetzt aber durch Rost stark entstellt. Ein Schwert von seltsamer Größe und altertümlicher Form, mit beiden Händen zu führen, hing an einem Wehrgehenk über beiden Schultern und reichte quer über den ganzen Mann hinweg, so daß der gewaltige Griff über die linke Schulter aufragte, die Spitze aber fast an die Ferse hinunterreichte. Dieses Ungetüm von Waffe, das damals aus dem Brauche zu kommen anfing, ließ sich nicht anders aus der Scheide ziehen als so, daß man den Griff über die linke Schulter hob, denn keines Menschen Arm war lang genug, es auf die gewöhnliche Weise zu bewerkstelligen. Das ganze Bild, das der Mann bot, war das eines rauhen, in seiner äußern Erscheinung den Menschenfeind aufs schärfste markierenden Kriegers, und der abgerissne, strenge Ton, den er gegen sein, Gefolge anschlug, verriet unbedingten Mangel an Bildung.

Der neben ihm reitende Mann zeigte den unmittelbaren Gegensatz zu dem rauhen Lord, sowohl in Gestalt und Gesicht wie in Haltung und Wesen. Sein spärliches zartes Haar war auch bereits ergraut, obgleich er nicht über die Mitte der Vierziger sein mochte. Der Klang seiner Stimme war sanft und schmeichlerisch, seine Gestalt schmächtig, hager und leicht gebeugt, das bleiche Gesicht hatte einen auffälligen Zug von Klugheit, eher noch Verschmitztheit, aber auch hoher Einsicht, sein Auge war lebhaft aber freundlich, und sein ganzes Benehmen mild und einnehmend. Er ritt einen Zelter, wie ihn Frauen und geistliche Herren zu reiten liebten, und trug ein Koller von schwarzem Samt, Mütze und Feder von der gleichen Farbe, letztere durch ein goldnes Medaillon gehalten, und – mehr als Schmuck und Rangabzeichen als zum Gebrauch – einen Staatsdegen, sonst keinerlei Waffen.

Der Zug war aus der Stadt heraus und in gleichmäßigem Tempo in der Richtung nach Westen zu unterwegs. Roland hätte gern über das Endziel ihres Rittes etwas vernommen, aber der Reiter, dem er zugewiesen worden war, zeigte ein so bärbeißiges Gesicht, daß es Roland für geratener hielt zu schweigen. Die gleiche Schweigsamkeit herrschte in dem ganzen Trupp, der eher einer Prozession von Mönchen als einem Kriegerzuge glich, und diese übertriebne Strenge setzte Roland nicht wenig in Staunen, denn selbst der Ritter von Avenel, der auf sehr strenge Mannszucht hielt, gestattete seinen Mannen auf dem Ritt zur Kurzweil den Austausch von Reden wie den Sang eines muntern Reiterliedes. Indessen kam ihm diese Ruhe insofern zu gute, als sie ihm Zeit schuf, die eigene Lage mit Sammlung zu überdenken und sich klar zu werden über die Aufgaben, die ihm die Zukunft, nach den Instruktionen des Ritters zu schließen, stellen mußte.

Es lag klar auf der Hand, daß es ihm durch seltsame Fügung der Umstände, deren Aenderung nicht in seiner Hand lag, beschieden worden war, zu den Parteien, die jetzt in Schottland um die Herrschaft rangen, in Beziehungen zu gelangen, die sich unmöglich zusammen vertragen konnten, wenngleich er weder als Anhänger der einen Partei noch der andern gelten konnte. Es wurde ihm jetzt nach und nach klar, daß ihm die gleiche Stellung, zu der ihn der Regent auserwählt hatte, auch von seiner Großmutter, der Frau Magdalena Gräme, bestimmt gewesen war, denn darüber mußte ihn manches Wort, das in der Unterhaltung zwischen Murray und Morton, deren unwillkürlicher Zuhörer er gewesen war, Aufklärung gegeben haben. Nicht minder klar war es ihm aber, daß ihn der Graf als erklärter Feind, die Großmutter als inbrünstige Anhängerin des katholischen Glaubens, der Graf als der anerkannte Führer einer neuen Regierungspartei, die Großmutter als strenge Verfechterin der alten Legitimität, für diese Aufgabe bei Maria von Schottland ersehen hatte. Es bedurfte nur eines sehr geringen Grades von Witz und Ueberlegung, sich darüber klar zu werden, daß dieser Widerstreit der an ihn gestellten Anforderungen ihn binnen kurzem in eine Situation bringen mußte, in der seine Ehre in schlimmster Gefahr schwebte, Schiffbruch zu leiden, und daß er sein Leben dabei nicht minder in die schwerste Bedrängnis setzte. Aber es lag nicht in Rolands Charakter, sich um Not früher zu sorgen, als sie wirklich da war, und sich mit Schwierigkeiten früher zu befassen, als sie sich tatsächlich zeigten ... »Sehen will ich sie, die unglückliche und schöne Maria Stuart,« sprach er bei sich, »von der ich schon so unendlich viel gehört habe, und dann wird es noch immer Zeit genug sein, sich darüber klar zu werden, ob ich mich zum Regenten oder zur Königin schlage. Kann doch weder die eine noch die andre Partei sagen, ich hätte mich durch Wort oder Spruch verpflichtet, denn sie haben mich beide wie einen blinden Hans an ihrem Gängelbande geführt, und keine hat mir bestimmt gesagt, was sie eigentlich von mir erwartet und will. Ein Glück für mich war's, daß der grimmige Douglas heut morgen ins Kabinett des Regenten schneite, sonst wäre ich ohne Verpfändung der Treue nicht von dem Herrn losgekommen.«

Unter solchen Gedanken kam Roland mit der Reiterschar des Lords Lindesay ohne weiter bemerkenswerte Abenteuer, als daß ihnen beim Uebersetzen über die Königinnenfurt ein Pferd lahm wurde – zur damaligen Zeit ein sehr häufiger Unfall – und daß von den Zinnen der alten Ritterburg Rosythe nördlich der Fähre, ohne daß zwischen dem Burgherrn und Lindesay Fehde bestanden hätte, eine alte Feldschlange auf sie gefeuert wurde, die aber keinerlei Schaden anrichten konnte ... bis zu dem malerisch schönen See, in dessen Mitte, auf einem Eilande, das alte Schloß Lochleven sich erhebt. Wie heute, so bestand auch damals die wellenumgürtete Burg aus keinem andern Gebäude als einem von einem großen Hofe umschlossenen Gefängnisturme, den zwei Ecktürme flankierten. Den Anblick trostloser Abgeschiedenheit frischten ein paar Gruppen von alten hohen Bäumen auf. Indessen konnte sich der Page, als er sich sagte, daß hier eine jugendliche Königin in Haft gehalten werde, eines tiefen Schmerzes nicht erwehren, und wenn er des eignen Loses gedachte, das ihn an solch öde Stätte führte, so war er von Freude darüber auch fern.

Die Reiterschar hatte jetzt das Seeufer erreicht, und einer aus dem ersten Zuge ritt vor, das Fähnlein Lord Lindesays zu entfalten, wahrend der Baron selbst in sein mächtiges Hifthorn stieß. Sogleich stieg als Antwort an der Turmspitze die Burgfahne auf, und ein paar Männer liefen an den See hinunter, das Boot loszumachen.

»Es wird geraume Zeit währen,« sagte Sir Robert zum Lord, »ehe sie mit dem Boote herüber sind. »Wär's nicht gut, die Zwischenzeit zu einem Ritt ins Städtchen zu benutzen und unsern Anzug ein wenig in Ordnung zu bringen? Wir können doch unmöglich so schmutzig vor ...«

»Haltet Ihr das, wie Ihr wollt!« versetzte Lindesay, »ich habe für solch eitlen Tand weder Zeit noch Lust. Sie hat manch sauern Ritt gekostet und braucht jetzt an meinem schäbigen Mantel und schmutzigem Wams nicht Anstoß zu nehmen. Es ist die Tracht, in die sie ganz Schottland versetzt hat.«

»Sprecht nicht so hart,« erwiderte Sir Robert, »denn tat sie unrecht, hat sie's schwer gebüßt! Ihr all die kleinen äußerlichen Huldigungen zu entziehen, auf die sie als Fürstin wie auch als Frau noch Anspruch hat, will mir nach solchem Verlust königlicher Gewalt als überflüssige Herzlosigkeit erscheinen.«

»Macht das, wie Ihr wollt, Sir Robert, sag ich Euch nochmals,« fuhr ihn Lord Lindesay grob an, »ich bin zu alt, um die Putzstube einer Dame noch als Geck zu zieren.«

»Putzstube, Mylord?« fragte Sir Robert mit einem Blick auf den alten Turm, »beliebt's Euch, die düstre Burg mit den vergitterten Fenster, das Staatsgefängnis einer in Haft genommenen Königin mit solch, lustigem Namen zu belegen?«

»Nennt's so oder anders,« versetzte grob der Lord, »wenn der Regent den alten Grobian von Lindesay zu dieser Visite bestimmt hat, statt einen der vielen Stutzer vom Hofe zu nehmen, so wird er wohl gewußt haben, warum, und wie mit dem irre geleiteten Weibe geredet werden muß. Ich habe mich zu dieser Kommission nicht gedrängt, sie ist mir aufgetragen worden, und wenn ich mich ihrer entledige, mag ich nicht mehr Umstände damit haben als eben notgedrungnerweise damit verknüpft sein müssen.«

Mit diesen Worten sprang der Lord vom Pferde und warf sich ins Gras, um auf das Boot zu warten, während seine Reiter im Sattel blieben. Sir Robert Melville war gleichfalls abgestiegen und ging mit verschränkten Armen am Gestade auf und ab, den Blick oft nach dem Turme hinüber lenkend, dessen unheimliches Düster ihm Betrübnis und Kummer zu machen schien. Die Fährleute näherten sich inzwischen dem Ufer. Kaum hatte der Lord das Boot mit einem Blicke gesehen, als er den Mann am Steuer anfuhr, weshalb er kein größeres gebracht habe, sein Gefolge mit überzusetzen.

»Mit Verlaub,« antwortete der Mann, »weil der Befehl der gnädigen Frau lautet, nicht mehr als vier Personen zur Burg hinüber zu rudern.«

»Deine gnädige Madam ist eine kluge Sibylle,« versetzte Lindesay, »daß sie in mir Verrat wittert. Aber hätt ich dergleichen im Sinne, was hinderte mich wohl, Dich und Deine Leute ins Wasser zu schmeißen und mit meinen Mannen das Boot zu füllen?«

Der Mann am Steuer wiederholte, daß er nach seinem Befehle handeln müsse, er wolle aber zurückrudern und eine Aenderung des Befehls zu erwirken suchen.

»Tut das, Mann,« sagte Sir Robert Melville, nachdem er sich umsonst bemüht hatte, den Lord zu einer Beschränkung seines Gefolges auf die kurze Zeit zu bestimmen ... »Wartet,« rief Lord Lindesay dem Fährmanne zu, »nehmt hier den Pagen mit hinüber, der für den Gast Eurer Gebieterin ausgesucht worden ist ... Abgesessen, Musje!« befahl Lord Lindesay dem Pagen, »fahr mit dem Boote hinüber!«

»Und was wird aus meinem Rosse?« fragte der Page, »für das ich doch meinem Herrn verantwortlich bin?«

»Der Sorge will ich Dich überheben,« brummte Lindesay ihn an, »in den nächsten zehn Jahren sollst Du nicht viel zu Pferde kommen.«

»Wenn ich das glauben müßte ...« hob Roland an, wurde aber von Sir Robert unterbrochen, der in beschwichtigendem Tone zu ihm sagte: »Füge Dich, junger Freund! Widerspruch kann hier nichts frommen, bloß Dich in Gefahr setzen.«

Roland Gräme fühlte, wie richtig es sei, sich den Vorstellungen Sir Melvilles zu fügen, ohne dem rauhen Baron auf seine Grobheit weitere Antwort zu geben, und stieg in das Fährboot. Die Ruder griffen ins Wasser, und bald war Robert an dem neuen Schauplatze seines Lebens.


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