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Zwölftes Kapitel

Der Pöbel, auf so grauenhafte Art in seiner Freude gestört, erhob ein furchtbares Rachegeschrei. Aber für den ersten Augenblick hielt ihn das flammende Auge und der Dolch in der Hand des Jünglings in Schranken, im Verein mit dem Bewußtsein, daß ihm jegliche Waffe fehlte. Der Abt aber, ob dieser Gewalttätigkeit tief entsetzt, hob die Hände zum Himmel und flehte um Vergebung ob des in den heiligen Mauern vergossenen Blutes. Bloß die Gräme war verzückt vor Freude über die Strafe, die ihr Tochtersohn diesem sündigen Spötter erteilt hatte, wenngleich sich langsam die Bange ob des Schicksals, das diesem Sproß ihres Geschlechts nun winkte, an sie heranschlich. Indessen hatte die Menge sich umsonst ereifert, die Gräme sich umsonst gefreut und umsonst gebangt, und der Kirchenabt sich umsonst bekümmert, denn der Eulenspiegel-Abt, den alle Welt auf den Tod verwundet wähnte, sprang plötzlich puppenlustig von der Erde auf und stimmte ein helles Gelächter an. Dann rief er:

»Ein Wunder, Kumpane, ein Wunder! so herrlich und groß, wie es die Kirche von Kennaqhueir noch nie erlebt hat, so lange sie steht ... Und nun befehle ich Euch, Kumpane, als Euer gewählter Abt, daß Ihr an niemand Hand legt! ... Wolf und Bär, vorgetreten! Ihr beide nehmt den naseweisen Musje unter Obhut, sorgt aber, daß ihm kein Leid geschehe! Und Ihr, ehrwürdiger Herr Kollega, werdet Euch mit Euren Brüdern in Eure Zellen zurückziehen, denn unsre Zwiesprach ist zu Ende, wie all solche Dispute, bei denen jeder auf dem bestehen bleibt, was er sich in seinen Dickkopf gesetzt hat. Ich rechne drauf, daß Ihr Euch fügen werdet, denn sollte es zu einem Kampfe kommen, so müßtet Ihr doch unbedingt den kürzeren ziehen. Drum geht, und wir, Herr Kollega, wir werden auch nicht länger hier verweilen. Umsoweniger,« setzte er in weit natürlicherem und freundlicherm Tone als bisher hinzu, »als es unsre Absicht ja überhaupt nicht war, Euch Böses zu tun. Vergeßt nicht: Hunde, die viel bellen, beißen wenig, und es ist immer das klügste, die Partie aufzugeben, so lange man noch gute Karten kriegt. Drum geht, sage ich Euch nochmals. Laßt die Leute ruhig austoben. Mit der Zeit bekommen sie den Spuk von selber satt. Ueberlaßt es dem Abte der Unvernunft, sie wieder zur Vernunft zu bringen!«

Auch die Brüder drangen in den Abt, dem Strome zu weichen.

»Nun, so geschehe es nach Eurem Willen!« sagte endlich Abt Ambrosius. »Begebt Euch in Eure Zellen, und Euch, Magdalena Gräme, bei dem Gehorsam, den Ihr mir schuldig seid und bei der Rücksicht, die Ihr auf Euren Enkel zu nehmen habt, befehle ich, mit uns zu gehen ohne jedes weitere Wort! Euch aber, böser Mann, frage ich, was habt Ihr mit dem Jünglinge vor? Ihr wißt,« setzte er in strengerm Tone hinzu, »daß er die Livree des Hauses von Avenel trägt. Und wer den Zorn des Himmels nicht scheut, der möge zum wenigsten den Unwillen der Menschen nicht außer acht lassen!«

»Um seinetwillen laßt Euch kein graues Haar wachsen, Herr Abt,« erwiderte Eulenspiegel, »wer der Musje ist und was der Musje ist, das wissen wir recht gut.«

»Gewährt meiner Fürsprache Gehör,« sprach der Abt in bittendem Tone, »und tut ihm nichts zu leide! es war jugendlicher Uebereifer, der ihn zu der Tat spornte.«

»Ich sage Euch ja, macht Euch um seinetwillen keine Sorge,« wiederholte Eulenspiegel, »aber entfernt Euch mit Eurem Gefolge, sonst kann ich mich nicht verbürgen, daß Eurer zelotischen Madam der Sprung ins Wehr erspart bleibt ... Und was die Nachträgerei anbetrifft, so laßt Euch sagen, daß in meinem Herzen dafür kein Raum ist. Dazu ist mein Bauch zu fein mit Häcksel und Wachstuch ausgestopft ... das hat den Dolch des jungen Brausekopfs verhindert, seine Wirkung zu tun.«

Durch diese Worte einigermaßen beruhigt, zog sich der Kirchen-Abt an der Spitze seiner Mönche zurück, während der Eulenspiegel-Abt sich an die Lärmer wandte, die trotz ihrer tollen Laune sich so lange ruhig verhielten, bis der letzte Mönch durch die Seitentür verschwunden war, die zu ihrem Wohnhause führte. Soviel hatte die Rede des Abtes doch bei ihnen gefruchtet. Und selbst nachher noch bedurfte es mehrfacher Anregung von seiten Eulenspiegels, um den Geist des Aufruhrs noch einmal wachzurufen, nachdem er in solcher Weise gedämpft worden war.

Da aber trat in der Gestalt eines Ritters in voller Rüstung und in Begleitung von drei bis vier Bewaffneten eine neue Erscheinung auf die Bühne dieser wunderlichen Handlung. Mit strenger Stimme befahl er auf der Stelle die Einstellung des ungebührlichen Mummenschanzes.

Das Visier des Ritters war aufgeschlagen, aber auch ohnedem hätte jeder sofort an dem Helmzierate des Palmenzweigs erkennen müssen, daß er in dem Ritter den Schloßherrn von Avenel, Sir Halbert Glendinning, vor sich habe. Auf seinem Heimritt war er zufällig grade zurzeit des Tumults durch das Dorf Kennaqhueir gekommen und hatte sich, vielleicht um das Schicksal des eignen Bruders besorgt, sofort nach der Kirche begeben.

»Was soll das heißen, Leute?« rief er empört, »seid Ihr Christen und Untertanen eines christlichen Königs und verwüstet Kirche und Chor wie gemeine Heiden?«

Alle standen stumm da, wenn sich auch manche gar nicht zurechtlegen konnten, wie es einem protestantischen Ritter beikommen könne, sich einer katholischen Kirche auf solche Weise anzunehmen.

Endlich übernahm es der Drache, für seine Gefährten eine Rechtfertigung zu versuchen, und er brummte, »es sei doch bloß geschehen, um den Götzendienst der Päpste aus dem Lande zu fegen.«

»Was setzt Ihr Euch da für Unsinn in den Kopf?« fuhr der Ritter den Drachen an. »Daß solcher Mummenschanz weit Schlimmeres in sich birgt als diese steinernen Mauern, das leuchtet Euch wohl nicht ein? Solch zügelloses Treiben ist eitel Torheit und Frevel. Drum tut ihm Einhalt und zerstreut Euch in Ruhe!«

»Nu, da hätten wir ebenso gut römisch bleiben können,« brummte der Drache, »wenns nach wie vor verboten sein soll, sich einen Jux in seiner freien Zeit zu machen.«

»Ist das ein Zeitvertreib für einen anständigen Kerl, auf dem Boden herumzukriechen wie ein Ungetüm von Kohlraupe?« fragte der Ritter, »mach, daß Du aus Deinem Gehäuse herauskommst, oder ich will Dich traktieren, wie man's mit solchem Gewürm macht, zu dem Du Dich selbst erniedrigst.«

»Gewürm?« wiederholte knurrend der Drache, »von Eurer Eigenschaft als Ritter abgesehen, ist meine Herkunft wohl nicht schlechter als die Eurige.«

Der Ritter versetzte dem Drachen statt aller Antwort ein paar Püffe mit dem Lanzenschafte, daß bloß die Rippen seines Drachenschweifs ihn vor dem Bruche der Rippen seines Leibes schützten. Eiligst kroch nun der Mann aus seinem Drachenleibe heraus und entpuppte sich dem Ritter als sein alter Kamerad Daniel von Howlethirst, der so manches Abenteuer mit ihm erlebt hatte, ehe das Schicksal ihn so hoch über den Stand seiner Geburt emporheben sollte. Der Bauer glotzte den Ritter knurrig an, wie wenn ihm heftige Vorwürfe über solche Grobheit auf den Lippen schwebten. Glendinnings Gutmütigkeit brach schnell wieder hervor und es tat ihm selbst leid, daß er den Mann so derb geschlagen hatte.

»Hätt ich Dich gekannt, Daniel, wär's Dir nicht so ergangen,« sagte er zu dem Bauern, »aber ich hab Dich wahrlich nicht in solch alberner Tracht vermutet. Ein toller Schlingel warst Du ja immer, das muß ich sagen. Aber komm mit hinauf aufs Schloß, und wir wollen mal probieren, wie meine Falken fliegen.«

»Und zeigt Ihr ihm nicht Falken, die wie Raketen steigen,« mischte der Abt der Unvernunft sich ein, »dann müßten meine Knochen Euren Lanzenschaft ganz ebenso fühlen wie vorhin seine.« »Was?« rief der Ritter, »Du Halunke bist auch dabei?«

Eulenspiegel-Abt hatte im Nu die falsche Lötkolben-Nase abgerissen und den Bauch von sich abgestreift und die Schellenkappe vom Kopfe genommen, und stand nun da als Falkner Adam Woodcock.

»Kerl, Du hast Dich erfrecht, solchen Tanz aufzuspielen, und obendrein in dem Hause, das meinem Bruder als Wohnstatt dient?« herrschte der Ritter ihn an.

»Grade wegen des Tanzes, Euer Gnaden, hab ich's mir herausgenommen,« erwiderte der Falkner, »denn ich hatte gehört, daß man in der Gegend vorhabe, einen Abt der Unvernunft zu wählen, und da hab ich mir gesagt, daß es bloß zu Dummheiten kommen könne, wie sie mir recht sein würden, wenn sich's einrichten ließe, daß die Wahl auf mich träfe. Das ist eingetroffen, und so hab ich Eurem Bruder wohl zu einem bißchen Verdruß verhelfen müssen, aber hab ihn vielleicht dadurch vor schwererem Leid bewahrt.«

»Du bist ein geriebener Patron, Woodcock, das weiß ich schon eine Weile, und mehr als die Anhänglichkeit an mich und mein Haus ist's die Lust an Lärm und Narretei, die Dich hierher geführt hat. Aber sorge drum, führe Deine Kumpane sonst wohin, nur hier im Gotteshause habt Ihr nichts zu suchen. Da hast Du ein paar Kronen für die Zeche. Beschließt den Tag so toll, wie Ihr ihn begonnen habt, aber richtet keinen Schaden weiter an, sondern vergeßt nicht, daß Ihr morgen wieder in Eurem Berufe arbeiten sollt. Drum tut's Euch nicht gut, daß Ihr Euch heute betragt wie Raubgesindel!«

Dem Befehle seines Dienstherrn gehorsam, rief der Falkner seine Leute zusammen und raunte ihnen zu:

»Fort, fort von hier! und zur Frau Martin hin, der Brauersfrau! Dort wollen wir Kehraus machen. Zieht ab mit Drommel und Dudelsack, aber fein manierlich und still, bis Ihr über den Kirchhof seid, dann könnt Ihr Euch zeigen wieder als die Bestien, die Ihr hier wart ... aber, was zum Teufel, hat bloß den Ritter über uns gebracht, daß er uns stören mußte in unserm Spiele! Merkt Euch bloß eins, Kumpane, den böse zu machen, ist keinem zu raten, denn seine Lanze ist keine Flaumfeder. Unser Daniel wird's schon gemerkt haben.«

»Na, wenn mir ein andrer das angetan hätt,« rief Daniel, »und nicht mein alter Kamerad, dann hätt ich ihm meines Vaters Hirschfänger um die Ohren gehauen!«

»Still, Kamerad, still!« versetzte Adam Woodcock, »in diesem Tone kein Wort weiter! kommt's nicht als gar zu grobes Wetter über einen, dann muß man sich halt ducken.«

»Mir paßt's aber nicht, mich zu ducken,« brummte Daniel, als Woodcock ihn aus der Kirche hinausziehen wollte, und stemmte sich mit Händen und Beinen dagegen. Da traf der scharfe, durchdringende Blick des Ritters die beiden Kämpfenden, und er rief:

»Heda, Falkner Woodcock, noch ein Wort!« und er zeigte auf den zwischen seinen beiden Wächtern, dem Wolf und dem Bären, befindlichen Pagen, »hast Du den Pagen meiner Frau in dieser Livree hierher gebracht, Schurke, damit er an Eurem hirnverbrannten Unfug mit teilnehme? ... Dann hättet Ihr doch wenigstens soviel Anstand wahren sollen, mein Haus nicht zu kompromittieren, und ihn auch in so eine Hanswurstjacke stecken können, wie Ihr sie tragt ... Bringt mir den jungen Menschen her, Ihr Bursche!«

Adam Woodcock war ein zu ehrlicher Gesell, um an Roland Gräme eine Schuld haften zu lassen, die ihn nicht traf, und er sagte:

»Euer Gnaden, ich schwöre Euch, der Knabe ist nicht hierher gekommen auf meine Weisung oder durch meine Vermittlung, am wenigsten in solcher Absicht.«

»Aber um die eigne Lust an Spektakel solcher Art zu befriedigen,« sagte der Ritter, »wird er sich wohl hergefunden haben, das kann ich mir denken.« Dann wandte er sich zu Roland. »Hierher, junger Springinsfeld, und gebt mir Bescheid, ob Eure Herrin Euch erlaubt hat, Euch soweit vom Schlosse zu entfernen und meine Livree durch Teilnahme an solchem Mummenschanz zu schänden!«

»Sir Halbert Glendinning,« versetzte Roland Gräme mit Entschiedenheit, »Eure Gemahlin hat mir vielmehr befohlen, über meine Zeit hinfort nach eignem Ermessen zu verfügen. Mir war das Schauspiel hier im höchsten Grade zuwider, das hab ich dem Eulenspiegel-Abt zu kosten gegeben, und Eure Livree trage ich bloß so lange, bis ich Sachen mir schaffen kann, an denen solches Zeichen der Knechtschaft nicht haftet!«

»Wie soll ich das verstehen, junger Mensch?« sagte Sir Halbert Glendinning, »rede deutlich! Rätsel zu raten ist nicht meine Sache ... Daß meine Gemahlin einen Narren an Dir gefressen hatte, weiß ich. Was hast Du Dir zu schulden kommen lassen, daß sie Dir den Laufpaß gegeben hat?«

»Ich muß sagen, nichts, was der Rede wert gewesen wäre, das muß ich sagen an des Knaben Stelle,« nahm Adam Woodcock das Wort, »eine Rauferei mit mir, die man der gnädigen Herrin hinterbracht hat, aber indem man aus der Laus einen Elefanten machte! Bis auf den Umstand, daß ich seinen Nestfalken mit ungewaschnem Fleisch gefüttert hab, hat alles Unrecht, das bekenn ich offen und ehrlich, bei dem ganzen Trödel, der dem Knaben den Dienst gekostet hat, auf meiner Seite gelegen.«

Nun erzählte der ehrliche Falkner den Hergang des Vorfalls, der Roland bei seiner Herrin in Ungnade gestürzt hatte, aber auf eine für den Pagen so günstige Weise, daß Sir Halbert den Beweggrund wohl oder übel fühlen mußte.

»Ein guter Kerl bist Du doch, Woodcock,« sagte er.

»Wie einer nur irgend mal einen Falken auf der Faust getragen hat,« versetzte Woodcock, »aber von der Seite genommen, ist's Junker Roland nicht minder. Nur da er von Abstammungswegen ein halber Edelmann ist, wallt bei ihm leicht das Blut ...«

»Gut, gut,« entgegnete Sir Halbert, »ich sehe, meine Gemahlin hat sich, scheint's, übereilt, zum wenigsten war das Vergehen wohl nicht schwer genug, einen Jungen, den man sieben Jahre bei sich hatte, Knall und Fall zu verabschieden, der Junker mag, wie ich mir denke, durch losen Mund die Sache schlimmer gemacht haben – indessen trifft sich der Vorfall gut mit dem, was ich vorhabe ... Bring diese Sippschaft von hier weg, Woodcock; Ihr aber, Roland Gräme, geht mit mir.«

Schweigend folgte der Page dem Ritter, der sich nach der Abtswohnung begab. In das erste Zimmer, das Sir Halbert offen fand, eintretend, befahl er einem aus seinem Gefolge, ihn bei seinem Bruder Eduard zu melden. Während er, auf den Bruder wartend, im Zimmer auf und ab schritt, richtete er an Roland Gräme das Wort:

»Es wird Dir wohl nicht entgangen sein, mein Sohn, daß ich Dich durch besondre Aufmerksamkeit nicht grad auszuzeichnen liebte. Ich sehe, Dir schießt schon wieder das Blut zu Kopfe, aber verhalte Dich nur ruhig, bis ich fertig bin. Wenn ich mich so verhalten habe, geschah es nicht, weil ich nichts Lobenswertes an Dir bemerkt hätte, sondern weil ich etwas an Dir wahrnahm, was durch Lob sich noch gesteigert, noch verschlimmert hätte. Deine Gebieterin, der in ihrem Hauswesen vollständig freie Hand gehört, hat Dich vor der übrigen Hausgenossenschaft ausgezeichnet, hat Dich mehr behandelt als Verwandten denn als Diener, und wenn Du Dich durch diesen Unterschied auch verleiten ließest zu Mutwillen, vielleicht auch Eitelkeit, so wäre es ungerecht, nicht gelten lassen zu wollen, daß Du Dir gewisse Fertigkeiten angeeignet und in Deinen Sitten gebessert hast. Zudem wäre es nicht in Ordnung, nachdem man Dich so weit erzogen, Dich dem Mangel und dem Leben auf der Landstraße zu überantworten, bloß weil Du jenen Mangel an Zucht zeigst, der eben eine Folge Deiner in Weiberhand gelegenen Erziehung sein mußte. Aus diesem Grunde und weil es die Rücksicht auf das Ansehen meines Hauses so fordert, habe ich beschlossen, Dich so lange in meinem Gefolge zu behalten, bis sich für Dich eine Unterkunft in Ehren finden läßt. Ich erwarte, daß Du dem langen Aufenthalt in meinem Hause, wie der Erziehung durch meine Frau dann keine Unehre machen wirst.«

Roland erwiderte in ehrerbietigem Tone, indessen nicht ohne Selbstgefühl:

»Undank gegen den Schutz, den mir der Schloßherr von Avenel hat angedeihen lassen, liegt meinem Heizen ganz gewiß fern, und ich höre zum ersten Male zu meiner hohen Freude, daß ich seiner Aufmerksamkeit nicht, wie ich befürchtete, gänzlich unwert gewesen bin. Es ist wahrlich nichts weiter von nöten als mir zu sagen, wie ich die Schuld der Dankbarkeit gegen meine einstige Wohltäterin abzutragen vermag. An mir soll es nicht fehlen, und ich werde gern an die Lösung solcher Aufgabe das Leben setzen.« Aber er stockte.

»Das sind bloß Phrasen und Worte, junger Mensch,« erwiderte Sir Halbert, »und man dreht sie gern, um sie statt wirklicher Leistungen zu brauchen. Ich weiß nicht, wie sich für Dich Gelegenheit dazu finden sollte, Dein Leben zum Wohle und Heile der Schloßherrin von Avenel einzusetzen. Ich kann nur sagen, daß es ihr lieb sein wird zu hören, Du habest eine Laufbahn gewählt, durch die für Deine leibliche Sicherheit und für Dein Seelenheil gesorgt ist. Was hindert Dich, solchen Vorschlag von mir anzunehmen?«

»Einzig und allein eine noch am Leben befindliche Verwandte von mir,« entgegnete Roland, »die einzige, die ich kenne oder doch wenigstens gesehen habe, und die sich, seitdem ich vom Schlosse entlassen worden, meiner angenommen hat. Mit ihr muß ich, ehe ich Ja zu Eurem Vorschlage sage, Rücksprache nehmen. Das erfordert höfliche Rücksicht.«

»Wo befindet sich diese Verwandte?« fragte Glendinning.

»Hier in diesem Hause,« erwiderte Roland.

»Dann geh und suche sie auf,« beschied der Ritter den Pagen. »Es ist nicht mehr als billig, daß Du sie um ihren Willen angehst. Aber schlimmer denn töricht mochte es von ihr sein, wollte sie Dir ihre Einwilligung weigern.«

Roland ging, und der Abt trat ein.

Die beiden Männer begrüßten einander wie Brüder, die einander in Liebe zugetan sind, einander aber selten sehen. Ihre Lebensverhältnisse legten ihnen gewissermaßen die Bedingung auf, statt brüderlichen Verkehr zu pflegen, einander zu meiden, denn sie standen in zwei einander so feindlichen Lagern, daß jedes andre Verhalten sie in Zwist mit den Parteien hätte führen müssen, deren Interessen sie vertraten oder eigentlich führten. Nach herzlicher Umarmung und nach ein paar Worten des Willkommens von Seiten des Abtes gab Sir Halbert seiner Freude Ausdruck, daß er grade zur rechten Zeit gekommen sei, dem Eulenspiegel die Wege zu weisen.

»Nichtsdestoweniger, Eduard, muß ich sagen, wenn ich auf Dein Gewand blicke,« sagte der Ritter, »es weile noch immer in diesen Mauern ein Abt der Unvernunft.«

»Weshalb solche Reden über mein Gewand?« versetzte der Abt, »es ist das Rüstzeug meines Standes, wie Panzer und Wehrgehenk das Rüstzeug des Deinigen.«

»Es zeugt bloß, meines Dafürhaltens, von einem recht bescheidenen Maße von Klugheit, die Rüstung anzulegen, wenn wir nicht im Stande sind zu fechten. Das ist doch eitle Verwegenheit, den Feind herauszufordern.«

»Das kann niemand, behaupten, Bruder, ehe die Schlacht entschieden ist,« versetzte der Abt, »und wäre es selbst, wie Du sagtest, so möchte, meine ich, ein tapfrer Mann doch lieber fallen mit der Waffe in der Hand, als Waffe und Rüstzeug unter schimpflichen Bedingungen dem Gegner ausliefern. Indessen wollen wir uns nicht entzweien über einen Punkt, in welchem wir zu einer Uebereinstimmnng der Ansicht nie gelangen werden, sondern verweile lieber und nimm, wenn auch Ketzer in meinem Auge, an dem Feste meiner Weihe teil. Du brauchst nicht zu befürchten, daß kirchlicher Pomp Dein Auge hierbei kränken werde. Die Zeiten unsers alten Freundes Bonifazius sind vorbei. Der Abt des heiligen Marienklosters gebietet nicht mehr über Forste und Waldungen, Weiden und Felder, ihm gehören weder Schaf- noch Rinderherden, weder Wild noch Geflügel. Seine Weizenkammern sind leer, und in seinen Kellern lagert weder Bier noch Wein. Aber willst Du das wenige mit Deinem Bruder teilen, dann wollen wir es freudigen Herzens zusammen verzehren, dann will ich mit meinen wenigen Brüdern, denen der Aufenthalt an dieser heiligen Stätte gestattet wird, freudigen Herzens Dir danken für den Schutz, den Du uns gegen die gottlosen Spötter zuteil werden ließest.«

»Es tut mir leid, Bruder, daß ich Dir hierin nicht nach Wunsche dienen kann. Es möchte uns beide in bösen Leumund setzen, sollte es verlautbaren, daß sich protestantische Gäste beim Feste Deiner Weihe befunden hätten. Und soll mir irgend welche Möglichkeit bleiben, als Beschützer für Dich einzutreten, falls Notwendigkeit dazu sich ergibt, muß ich mich frei halten von dem Argwohn, als sei ich ein Freund Eurer Zeremonien und Bräuche. Den kühnen Mann zu schützen, der es dem Gesetz, dem Parlamentsverbot zuwider, wagte, das Amt eines Klosterabts von Sankt-Marien zu übernehmen und anzutreten, wird alles Ansehen erforderlich machen, das ich unter meinen Freunden besitze und noch erlangen kann.«

»Beunruhige Dich ob dieser Sache nicht, Bruder,« erwiderte hierauf der Abt, »wüßte ich, Du verteidigtest die Kirche um der Kirche willen, dann wollt ich mein Herzblut zum Opfer bringen; da Du aber ihr Widersacher bist, möcht ich nicht wünschen, Du machtest Dir irgend welche Ungelegenheit oder Gefahr, bloß um meiner Person willen. Doch wer kommt da? wer nimmt sich heraus, uns die wenigen Minuten zu verkümmern, die ein mißgünstiges Geschick uns zu brüderlichen Worten läßt?«

Die Tür ging auf, und die Gräme trat herein.

»Wer ist dies Weib, und was ist ihr Begehr?« fragte der Ritter rauh.

»Daß Ihr mich nicht kennt, hat nicht viel auf sich,« sagte die Matrone. »Ich komme auf Euer eignes Geheiß, um aus freien Stücken darein zu willigen, daß der junge Mensch mit Namen Roland Gräme den Dienst bei Euch wieder aufnimmt. Hiermit ist der Zweck, der mich in Eure Nähe führte, erfüllt. Ich mag Euch nicht durch meine Gegenwart belästigen. Friede sei mit Euch!«

Sie wollte sich zur Tür wenden, wurde aber durch eine weitere Frage Sir Halberts aufgehalten.

»Wer seid Ihr? ... Was seid Ihr? ... Und warum wartet Ihr nicht, mir Rede und Antwort zu stehen?«

»Als ich der Welt noch angehörte, war ich eine Dame von nicht unbekanntem Namen,« antwortete die Gräme. »Jetzt bin ich Magdalene, eine arme Pilgerin, um der Kirche willen.«

»So? Katholikin seid Ihr? Ich dächte, von meiner Frau gehört zu haben, Roland sei aus protestantischer Familie.«

»Sein Vater war ein Ketzer,« versetzte die Matrone, »oder vielmehr einer von jenem Schlage, der sich weder um Christ noch Antichrist kümmert. Schien doch auch ich mich, denn die Sünde der Zeit schafft Kinder der Sünde, in Eure unheiligen Bräuche zu finden, aber mir ist Vergebung der Sünde geworden.«

»Du siehst, Bruder,« sagte der Ritter, indem er sich mit bedeutsamem Lächeln dem Abt zuwandte, »daß wir ohne Grund Euch Katholiken der Doppelsinnigkeit im Herzen nicht beschuldigen.«

»Und doch tut Ihr uns unrecht, Bruder,« erwiderte der Abt, »denn diese Greisin ist nicht bei vollem Verstande. Und schuld daran seid Ihr, wie ich notgedrungen hinzusetzen muß, mit Euren raubgierigen Baronen und Eurer ständig sich mehrenden Geistlichkeit.«

»Hierüber mit Dir zu disputieren, Bruder, muß ich ablehnen,« versetzte Sir Halbert, »es gibt der Ungerechtigkeit und Unbilden so viel in der schlimmen Zeit, in der wir beide leben, daß für jede der beiden Kirchen wahrlich genug bleibt, wenn sie sich schwesterlich drein teilen.«

Mit diesen Worten bog er sich zum Fenster hinaus und stieß in sein Horn.

»Warum läßt Du Dein Horn erschallen, Bruder?« fragte der Abt, »wir sind doch erst wenige Minuten beisammen.«

»Und selbst diese wenigen Minuten werden der Ungereimtheiten mehr als wir wünschen unter die Leute bringen. Ich will nicht, daß Euer Enkel, gute Frau, mit mir nach dem Schloß zurückkehre. Es möchte bloß zu neuem Zwist zwischen ihm und dem Hausgesinde führen, wenigstens doch zu Neckereien, die sein Stolz nicht vertragen kann. Ich wünsche jedoch, ihm bloß Gutes und Liebes zu erweisen. Drum möcht ich Euch bitten, gute Frau, ihm zu sagen, er solle sich bereit halten, sofort aufzusitzen, weil er sich mit einem aus meinem Gefolge auf den Weg nach Edinburg machen soll. Ich brauche einen Botschafter, der dorthin berichtet, was sich inzwischen hier zugetragen hat.« Er hielt den Blick fest auf die Greisin gerichtet, die aber seinem scharfen Blicke mit Gleichgültigkeit begegnete. »Euch ist's nicht unlieb?« setzte er nach einer Weile hinzu.

»Ich sehe freilich Roland lieber als Spielball von Launen einer fremden Welt denn als Spielball einer Schloßdienerschaft, am wenigsten der von Avenel,« erwiderte die Gräme.

»Macht Euch keine Sorge, gute Frau,« sagte der Ritter in besänftigendem Tone, »er soll keiner von beiden Spielball werden.«

»Mag sein, mag sein,«, versetzte die Gräme, »aber ich will seinem eignen Verhalten doch mehr zutrauen als Eurem Schutze.«

Mit diesen Worten schritt sie aus dem Zimmer. Der Ritter blickte ihr nach. Als sie die Tür hinter sich eingeklinkt hatte, wandte er sich herzlich zu seinem Bruder, sprach die freundlichsten Wünsche für sein Wohlergehen aus und bat ihn um Erlaubnis, sich zu verabschieden. Doch als er sich der Tür zuwandte, sagte der Abt:

»Bruder, gehen wir nicht so auseinander! Da kommt eine kleine Erfrischung, geh nicht von hinnen aus einem Hause, das ich, so lange nicht Gewalt mich daraus vertreibt, das meinige nennen muß, ohne den Bissen Brot genossen zu haben, den jeder bei uns findet, und keiner uns abschlägt.«

Der Laienbruder, der den Pförtner abgab, trat ein mit einem Laib Brot und einem Kruge Wein.

»Ich hab sie im Keller noch vorgefunden,« sagte er unterwürfig, »aber ich hab die fernsten Winkel absuchen müssen.«

Der Ritter goß einen kleinen Becher voll und forderte den Bruder auf, ihm Bescheid zu tun, indem er sagte, es sei ja Bacharacher von bestem Gewächs und hohem Alter.

»Er stammt aus dem Winkel, der im Keller als die Abtsecke bekannt ist, und Abt Ingelram, der ihn so getauft hat, war aus Würzburg zu uns gekommen. Dort wächst wohl dieser Tropfen.«

»Wenn auch nicht in Würzburg selbst, sondern mehr am Rhein, statt am Main, aber die Domherren von Würzburg sind weit und breit bekannt um der herrlichen Weine willen, die ihre Keller bergen. Drum bitte ich meinen Bruder, Bescheid zu tun und Euch nicht minder ein Glas davon zu vergönnen.«

Der alte hagre Pförtner warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf den Abt, der die beiden Worte Do veniam sprach. Mit zitternder Hand griff der Greis nach dem Glase, das einen Tropfen enthielt, der so lange schon nicht mehr seine Lippen genetzt hatte, und schlürfte mit wonnigem Behagen den edlen Saft. Dann setzte er das Glas mit schwermütigem Lächeln, aus welchem deutlich die Bange sprach, daß es wohl wieder gar lange dauern werde, bis ihm ein solcher Genuß vergönnt sei, auf den Tisch nieder. Die beiden Brüder lächelten. Als nun aber der Ritter den Abt aufforderte, den Becher zu nehmen und ihm Bescheid zu tun, da schüttelte der Abt den Kopf und sagte:

»Heute ist für den Abt des heiligen Marienklosters kein Tag zu leckrer Speise und wonnigem Trunke. In Wasser aus dem Bronnen unsrer lieben Frau trinke ich Dir Bescheid, Bruder,« sagte er, indem er den Becher mit diesem reinen Naß füllte, »und wünsche Dir Glück und Gesundheit, vornehmlich aber die Erkenntnis der Verirrungen Deines Geistes!«

»Und Dir, mein lieber Eduard,« versetzte Glendinning, »wünsche ich den freien Nießbrauch der eignen Vernunft und die Erkenntnis, daß das Leben dem Menschen wichtigere Aufgaben stellt, als solche mit hohlem Namen, zu deren Ausübung Du Dich in einem Augenblicke der Uebereiltheit hast bestimmen und verleiten lassen.«

Die Brüder schieden voneinander. Tiefe Wehmut war in ihr Herz gezogen, und doch fühlte jeder zugleich eine gewisse Erleichterung im Vertrauen auf die Ansicht, die er vertrat, daß er den andern nicht mehr sah, so hoch er ihn achtete.

Bald darauf erklang Trompetenschall, und der Abt bestieg den Turm, von dessen zertrümmerten Zinnen er dem Reiterzuge nachblickte, wie er die Anhöhe zur Zugbrücke hinan sich bewegte.

Da trat die Gräme zu ihm.

»Du kommst, Schwester,« sagte der Abt, »einen Abschiedsblick auf Deinen Enkel zu werfen. Dort zieht er hin, unter dem Schutze des besten Ritters von Schottland, abgesehen allerdings von seiner ketzerischen Glaubensrichtung.«

»Du kannst mir Zeuge sein dafür, daß es weder auf Wunsch von mir noch meinem Enkel geschehen ist, daß der Ritter von Avenel, wie Du ihn nennst, Roland, Gräme wieder in seine Dienerschaft aufnahm. Der Himmel, der die Klugen mit Blindheit schlägt und die Gottlosen in ihrer List zum Verderben bringt, hat ihn dahin gebracht, wo ich ihn zum Heile der Kirche am liebsten zu sehen wünschte.«

»Ich verstehe den Sinn Eurer Worte nicht, Schwester,« sagte der Abt.

»Hochwürdiger Vater,« antwortete Magdalena, »hörtet Ihr nie, daß es Geister gibt, die Schloßmauern sprengen, wenn sie erst einmal den Weg ins Schloßinnere fanden? Und Roland Gräme hat ihn zweimal ins Schloß Avenel hinein gefunden, ohne alles Zutun von eigner Seite; zweimal haben ihn diejenigen, so jetzt den Namen Avenel führen, an sich gezogen, erst die Schloßherrin, dann der Schloßherr. Mögen sie beide des Ausgangs gewärtig sein!«

Mit diesen Worten verließ sie den Turm, und der Abt, nachdem er einen Augenblick noch über die Worte der Greisin nachgesonnen, deren Inhalt er dem verworrenen Zustande ihres Gemüts beimaß, folgte ihr die Wendeltreppe hinunter, um den Antritt seines schweren Amtes, statt mit Bankettieren und Pokulieren, mit Kasteien und Fasten und Beten zu feiern.


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