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Dreizehntes Kapitel.

Seelenvergnügt trabte jetzt Roland Gräme im Gefolge des Ritters von Glendinning einher, war er doch frei von der verdrießlichen Sorge, mit Spott und Hohn auf dem Schlosse begrüßt zu werden, und durfte er doch hoffen, daß in der Zeit seines Aufenthaltes in Edinburg sich so viel ereignen, soviel ändern werde, daß, wenn er die Schritte hinweglenkte, dies geschehen würde in andrer Rolle, am Ende als Ritter, der Taten vollbracht hätte, die die Augen der Welt auf ihn lenkten! Die Brust geschwellt von Stolz, ein Roß unter dem Leibe zu fühlen, statt wie in den Tagen seit seinem Abschiede vom Schlosse auf Schusters Rappen zu reiten, erregt durch die seltsame Lebhaftigkeit seines Geistes, die durch die letzten Ereignisse so reiche Nahrung gefunden, ließ er seine Stimme hell und munter erschallen und gab auf alle Reden, die an ihn gerichtet wurden, so kecke und muntre Antwort und drückte seinem Rosse die Sporen so derb und flott in die Weichen, daß der Ritter mehr denn einmal mit zufriedner Miene den Blick auf ihm ruhen ließ.

Nicht lange währte es, so gelangte der Reiterzug an den Hohlweg, der zur Brücke hin führte, die noch immer unter der Obhut des alten Brückenvogts Peter stand, der inzwischen freilich nicht jünger geworden war, aber auch an knurrigem Wesen nichts eingebüßt hatte.

Hier ließ der Ritter halten und winkte den Falkner und Roland heran.

»Woodcock,« sagte er, »Du weißt, wohin Du den Jüngling geleiten sollst. Und Dir, Jüngling, gebe ich auf, mit Überlegung und Pünktlichkeit die Weisungen zu erfüllen, die Dir erteilt werden. Beuge Deinen eiteln, trotzigen Sinn! sei brav, wahrhaft und treu! es ist in Deinem Wesen etwas gelegen, das wohl im stande ist, Dich über Deinen gegenwärtigen Stand hinauszuheben. Und nimmer soll es Dir, allerdings nur in der Voraussetzung, daß Du bestrebt bleibst, zu erfüllen, was ich Dir als Deine Pflichten genannt habe, fehlen an dem Schutze des Schloßherrn von Avenel.«

Nach diesen Worten wandte der Ritter sich zur Linken, der Hügelkette zu, in deren Kranze Schloß und See Avenel lagen, während Woodcock und Roland mit dem Knappen, den ihnen der Ritter mitgegeben, sich zur Brücke hin wandten und den alten Vogt aufforderten, ihnen Durchgang zu gewähren. Das geschah jedoch erst, als ihm der Brückengroschen gereicht worden war, worauf sich die drei Reiter gen Norden wandten. Woodcock, bekannt in diesem Landstrich, schlug vor, ein Stück von der Landstraße abzuschneiden dadurch, daß sie den Weg quer durch das schmale Felsental von Glendearg nähmen, das durch die im eisten Teile der Handschrift des Benediktiners erzählten wilden Abenteuer den Lesern des Romanes »Das Kloster« noch bekannt sein dürfte. Auch Roland kannte diese Abenteuer und erklärte sich gern einverstanden mit Woodcocks Vorschlage.

Vergnügt allerhand lustige Lieder trällernd, deren er über einen reichen Schatz in seinem Gedächtnis barg, ritt der Falkner an Rolands Seite, bis sie zu einer Hütte tief unten im Tale gelangten, wo sie, unbekümmert um Abenteuer und Geister, sich für die Nacht ein leidliches Quartier zurechtmachten.

Am Tage darauf setzten sie ihre Reise nach Edinburg fort, das sie am Spätnachmittag in Sicht bekamen.

»Das also ist die Hauptstadt, von der ich so viel schon gehört habe?« rief Roland aus, als er auf den Kamm einer der Höhen gelangt war, die den Blick ins Tal bislang verschlossen hatten, »das da drüben ist wirklich Edinburg?«

»Allerdings,« sagte der Falkner, »dort steht das alte Rauchnest, von dem Ihr den Qualm und Dunst auf zwanzig Meilen weit lagern seht. Dort Pulsiert das Herz Schottlands, und jeder seiner Schläge wird von Solways Bord bis zu Duncans Hafenspitze gefühlt. Dort liegt das alte Schloß, und dort das Schloß von Craigmillar, das meiner Lebtage immer ein lustiger Winkel gewesen ist.«

»Hat dort nicht die Königin Hof gehalten?« fragte der Page.

»Gewiß, gewiß,« erwiderte der Falkner, »damals war sie Königin, aber jetzt dürft Ihr sie so nicht mehr nennen – na, die Leute mögen reden, was sie wollen, es wird sich manches Herz in Schottland um Maria Stuart grämen, sie war doch das lieblichste Geschöpf, das ich je im Leben mit meinen Augen erschaute, und keine Dame im ganzen Lande hätte solche Freude an einem steigenden Falken! Ich weiß es noch wie heute, als in Roslinmuor die große Wettbalz abgehalten wurde zwischen Bothwell – für sie ein garstiger Anblick – und dem Baron von Roslin, dem es in solchem Sport keiner gleichtat in Schottland und England. O, ich seh sie noch, wie sie auf ihrem weißen Zelter saß, der über den Heideboden hin sauste, als tät's ihm leid, die roten Blümchen mit seinen Hufen zu zertreten. O, ich höre noch ihre silberhelle Stimme mit dem so berückenden Klange, die so süß schmettern konnte wie die Kehle der Weindrossel! O, ich seh sie noch alle vor mir, die stolzen Adelinge, wie sie buhlten um einen einzigen Blick von ihr, und wie sie jubelten, wenn sie ein Wort zu ihnen sprach, wie sie Leib und Leben wagten im tollsten Ritte, um ein Lob von ihr zu ernten oder an einem Blicke aus diesen herrlichsten aller, Königinnen-Augen sich zu laben ... Ach, und da, wo sie jetzt weilt, da wird sie nicht viel zu sehen bekommen von Falken und Falkenbeize, von Rittern und Ritterturnieren... Ja ja, Pracht und Herrlichkeit, sie rauschen vorüber so flink wie der Schlag eines Falkenfittichs.«

»Und wo hält man die arme Königin in Haft?« fragte Roland.

»Wo man sie in Haft hält?« wiederholte der Falkner die Frage des Jünglings. »Je nun, in irgend einem Schlosse hoch oben im Norden ... wo, kann ich nicht sagen, und sich drum zu kümmern, möcht auch nicht der Mühe verlohnen, denn ändern könnte man doch nichts dran! Hätt sie ihr Regiment besser geführt, so lange sie es noch in der Hand hielt, dann stünde es besser um sie! Wie es heißt, hat sie um des Buben willen, des kleinen Prinzen, Verzicht auf die Krone leisten müssen. Um seinetwillen soll man sie ihr nicht mehr gelassen haben. Unser Herr ist bei der Affäre so stark beteiligt gewesen, wie kein einziger seiner Nachbarn, und sollte die Königin je wieder zu ihrem Eigentume gelangen, so dürfte Schloß Avenel dafür leicht in Rauch aufgehen, der Schloßherr müßte denn seinen Vorteil auf andre Weise zu wahren wissen.«

»In einem Schlosse im Norden, sagt Ihr, wird die Königin in Haft gehalten?« fragte der Page.

»Ja, so wenigstens heißt's, jenseits des großen Flusses, der dort herabkommt, der aber kein Fluß, sondern ein Arm der See ist, bitter wie Salz.«

»Und unter all ihren Untertanen,« fragte der Page weiter, »ist nicht einer, der die Hand aufheben will zu ihrer Rettung?«

»Das ist eine kitzlige Frage, Junker,« erwiderte der Falkner, »und wenn Ihr solche Frage stellt, dann muß ich Euch leider sagen, daß Ihr riskiert, selbst in ein solches Schloß gesperrt zu werden, sofern man es nicht gar etwa vorziehen dürfte, Euch einen Kopf kürzer zu machen, um keine weitere Schererei mit Euch zu haben. Die Hand aufheben, sagt Ihr? I du meine Güte! jetzt hat Murrays Schiff das volle Fahrwasser und segelt so flott, daß es dem Teufel nicht beikommen dürfte, es mit ihm aufzunehmen ... Nein, nein! sie ist nun mal dort und muß dort bleiben, bis ihr der Himmel Erlösung schickt oder bis ihr Sohn alles in seine Gewalt bekommt. Aber daß Murray sie frei geben sollte, daran ist gar nicht zu denken, denn da kennt er sie viel zu gut. Und dann noch eins, Herr Roland, unsre Bestimmung lautet nach Holyrood, dort wird's weder an Neuigkeiten noch an Höflingen mangeln, die damit aufwarten werden ... aber, Herr Roland, laßt Euch von mir raten! streut Eure Saat, wie der Schotte sagt, im stillen! hört auf jedermanns Meinung, behaltet die Eure aber für Euch! Und wenn Ihr mal was hört, das Euch nicht in den Kram paßt, dann springt nicht gleich auf, als wolltet Ihr Euch fürs Gegenteil gleich selbst ins Zeug legen. Nehmt Euch unsern Haushofmeister Wingate auf Schloß Avenel zum Muster! der versteht's, wie man sich durchschlängeln muß, ohne es wo zu verderben, und dabei doch lustig sein Pfeifchen zu schneiden! Laßt meinen Rat gelten, Herr Roland, denn Ihr kommt unter eine Gattung von Menschen, die einen Blick haben so scharf wie ein Falke, und fahrt nicht gleich mit der Hand nach dem Dolche bei jedem schiefen Worte, das Euch zu Ohren gelangt, denn Ihr werdet auf so flinke und scharfe Degen treffen, daß der Eurige Mühe haben möchte, standzuhalten. Und für solche Aderlässe ohne Ort und Kalender dank ich schön, und ich glaube, Ihr bedankt Euch auch besser dafür!«

»Nun, Ihr sollt sehen, daß ich mich zusammennehmen will, Woodcock, und ruhig und behutsam bleiben,« versetzte Gräme; »aber was ist das für ein herrliches Gebäude, das hier in Schutt und Asche liegt? in so dichter Nähe bei der Stadt? Ist hier am Ende auch mal »Abt der Unvernunft« gespielt worden, und hat das Gaukelspiel hier mit der Zerstörung der Kirche geendet?«

»Da seid Ihr schon wieder im Schusse wie ein wilder Falke, der um Köder und Pfeife sich den Geier was schert! Danach solltet Ihr so leise fragen, wie ich Euch jetzt Antwort gebe.«

»Nun, wie's scheint, komm ich noch um den Gebrauch meiner Sprache, wenn ich lange hier bleibe!« versetzte Gräme .. »nun, so sagt doch, was das für Trümmer sind?«

»Die Feldkirche ist's!« belehrte mit leisem Flüstern der Falkner den Pagen und legte bedeutsam den Finger an die Lippen, »fragt nicht weiter danach, denn hier ist jemand gar übel mitgespielt worden, und einem andern jemand hat man die Schuld dann in die Schuhe geschoben, und damit hat eine Komödie begonnen, deren Ausgang wir vielleicht noch erleben ... Armer Heinrich Darnley! ein Esel will ich heißen, wenn er sich nicht großartig aufs Beizen verstanden hat, aber man hat ihn selber auffliegen lassen in einer stillen, mondhellen Nacht.«

Die Erinnerung an diese grausige Katastrophe war zu neu, und der Page wandte entsetzt die Augen von dieser Stätte. Die wider die Königin erhobnen Beschuldigungen traten mit solcher Lebendigkeit vor sein geistiges Auge, daß das Mitleid, das sich bei ihm für sie geregt hatte, zu schwinden anfing. Mit unheimlichen Empfindungen durchwanderte er den Schauplatz jener furchtbaren Ereignisse, deren bloßes Gerücht die entferntesten Einöden Schottlands erschüttert hatte gleich dem Widerhall fernen Donners, der durch ein Gebirge rollt.

Dann fiel ihm Katharina Seyton ein, und er fragte sich, ob es ihm wohl beschert sein werde, die Maid, deren Bekanntschaft er auf so seltsame Weise gemacht hatte, in dieser Stadt, die ihr ja gleichfalls jetzt zum Aufenthalte diente, wiederzutreffen. Und mit dieser Frage war seine Phantasie noch beschäftigt, als er sich schon in der Stadt befand und jenes frohe Staunen alle andern Empfindungen verstummen machte, das den Bewohner einsamer Landstriche erfüllt, wenn er sich zum ersten Male in den Straßen einer volkreichen Stadt, in dem Gewühle von tausenden sieht.

Die Hauptstraße von Edinburg war damals, wie auch heute noch eine der geräumigsten Straßen von ganz Europa. Die imposante Höhe der Gebäude, das bunte Durcheinander von gotischen Giebeln, Altanen und Zinnen, von Balkonen und Erkern, die den Gesichtskreis nach allen Seiten hin einengten, die gewaltige Lange der Straße, die, schnurgerade Linie, die sie bildete, hatte wohl bewandertere Augen in Verwunderung gesetzt als diejenigen Roland Grämes. Innerhalb der Wälle wimmelte es von geschäftig hin und her eilenden Menschen wie in einem Bienenkorbe. Alles, hatte sich zur Stadt gedrängt, dem Regenten Murray aufzuwarten, was mit Politik irgend zu tun hatte oder sich von der Beteiligung an den politischen Fragen, die das Land beherrschten, irgend welchen Vorteil versprach. Eine unendliche Reihe von Verkaufsbuden waren zu beiden Seiten der Straße aufgeschlagen worden, und wenn die darin zum Verkauf gestellten Waren auch nicht zu den reichsten der Welt gehörten, so meinte doch Roland, in den Ballen flandrischer Tücher und in den Stößen von Teppichen und in den Schwertern und Dolchen und Rüstungsstücken alle Reichtümer der Erde zu sehen. Bei jedem Schritt, den er machte, fand er soviel zu sehen und zu staunen, daß es Woodcock dem Falkner unendlich schwer wurde, ihn in dieser Zauberwelt vom Flecke zu bringen. Auch die Unmenge von Menschen setzte ihn in Staunen. Da kam eine feingeputzte Dame in Schleier und seidnem Ueberwurf getrippelt, der ein Kammerdiener vorauf schritt um ihr Bahn durch die Menge zu brechen, während ein Page ihr die Schleppe trug und eine Zofe, mit Bibel oder Gesangbuch unter dem Arme, ihr zur Seite schritt. Dort stand eine Bürgergruppe in weiten Pluderhosen, Wämsern mit hohen Kragen und kurzen flämischen Mänteln.«

Dann kam ein Geistlicher im schwarzen Genfer Mantel mit steifer Halskrause, der mit Würde sondergleichen dem Gespräch einiger Leute lauschte, die sich in seiner Begleitung befanden und einen religiösen Disput führten. Am häufigsten aber sah er Herren in neuester Pariser Modetracht, mit zierlichen Manschetten an den Händen, die aus dem aufgeschlitzten Wams hervorguckten, und mit Schwertern an der Seite, – dahinter, je nach dem Rang und Vermögensstand, eine Schar stämmiger Leibdiener, die, in der Regel mit Schwert und Spieß bewaffnet, ganz wie ein kriegerisches Gefolge in strengem Takte einherschritten. Zwei solcher Scharen stießen zufällig auf der Straße aufeinander, etwa in der Mitte derselben, und keiner wollte der andern ausweichen, sondern beide marschierten direkt aufeinander los. Die beiden Häupter, einander an Rang jedenfalls ebenbürtig und durch politischen Hader aufeinander erbittert, blieben, als sie den Fuß nicht weiter setzen konnten, ohne einander anzurennen, einen Moment lang stehen, maßen einander mit Blicken, und dann flogen die Schwerter aus den Scheiden. Ihre Mannen folgten diesem Beispiel der Herren, und im Nu blitzten an zwanzig Klingen in den Sonnenstrahlen, und klirrend rasselten die Schilde aneinander, und hüben und drüben ertönte das Schlachtgeschrei: »Hie Leslie!« und »Hie Seyton!«

Hatte der Falkner schon immer seine liebe Not gehabt, den Pagen vom Flecke zu bringen, so war es ihm hier gradezu unmöglich, seiner Stimme bei ihm Geltung zu verschaffen. Der Page hielt sein Roß an, klatschte, in die Hände und lärmte und schrie, lauter als alle bei der Schlägerei, beteiligten Mannen. Sein Lärm zog andre Edelleute herbei, die sich bald für die eine, bald für die andre Partei entschieden. Nun wurde die Schlägerei allgemein, und wenn auch im Grunde genommen mehr mit den Schwertern und Schilden gerasselt als zugehauen wurde, so ging es doch ohne mancherlei Beulen auf beiden Seiten nicht ab. Als nun in der Kampfeswut einige gar statt des Schwertes zu der gefährlichern Waffe des Stoßdegens griffen, da lagen schließlich auf der Seite, wo der Ruf: »Hie Seyton!« erklungen war, zwei Mannen am Boden, und die Seytons begannen zu weichen, denn sie standen den andern an Zahl erheblich nach.

Da war es aber im Nu aus mit Rolands Ruhe und Geduld.

»Woodcock,« rief er, »seid Ihr ein Mann, dann zieht vom Leder und helft den Seytons!«

Und ohne auf Antwort aus dem Munde des Falkners zu warten, sprang der feurige Jüngling vom Pferde und stürzte sich mit dem Rufe: »Ein Seyton! ein Seyton! Drauf und dran!« mitten hinein in den dichtesten Haufen und rannte einen von denen, die dem Lord am heißesten zu Leibe gingen, mit einem Dolchstoße nieder. Dieser unvermutete Zuwachs lieh der schwächern Partei Mut, sie begann den Kampf von frischem, als mit einem Male vier Magistratspersonen, kenntlich an den samtenen, Mänteln und güldnen Ketten, mit einer Wache von Hellebardieren und Bürgern, auf dem Kampfplatze erschienen. In solchem Dienste wohlerfahren, drangen Hellebardiere und Bürger frisch und munter vor und zwangen die Streitenden, von einander zu lassen. Augenblicklich stoben die Raufbolde auseinander, die einen hierhin, die andern dorthin, und beide Parteien ließen ihre Verwundeten, die sich nicht vom Platze bewegen konnten, im Stiche. Der Falkner, außer sich über diesen Unbedacht seines jungen Gefährten, raufte sich erst den Bart, dann ritt er mit dem Pferde, das er am Zügel faßte, zu Roland heran und rief ihm zu:

»Ei, ei, Herr Roland, Herr Springinsfeld, Herr Tausendsasa, wollt Ihr wohl aufsitzen und Euch auf und davon machen? Oder wollt Ihr warten, bis man Euch greift und ins Loch steckt und zwingt, Rede und Antwort zu stehen für solch edles Tagwerk?«

Dem Pagen ward es zum Glück im Nu bewußt, welch alberne Rolle er bei der ganzen Sache gespielt habe und noch spiele; er folgte der Aufforderung seines Begleiters und saß im Nu auf seinem Pferde, um hinter der Partei der Seytons herzugaloppieren und glücklich im Verein mit ihnen der Häscherschar zu entrinnen. Wenn er auch einen der Magistratsbeamten dabei schier über den Haufen rannte und von wüstem Lärm und Geschrei verfolgt wurde, so waren doch solche Auftritte in Edinburg damals so an der Tagesordnung, daß die Polizei, sofern nicht eine Person von Rang und Bedeutung das Leben dabei eingebüßt hatte, am liebsten sich ruhig verhielt und alles auf sich beruhen ließ. Auch in diesem Falle hatte man sich, trotzdem der Regent, ein Mann von großer Willenskraft und Charakterfestigkeit, es durchgesetzt hatte, daß die Stadt eine ständige Scharwache auf den Beinen hielt, dabei bewenden lassen, die beiden Parteien auseinander zu bringen, und von aller Verfolgung abgesehen, zum großen Glück für Roland, der jetzt mit dem Falkner die Canongate entlang ritt, und zwar, um keine Aufmerksamkeit wachzurufen, in langsamem Tempo. Aber sie waren noch nicht weit gekommen, als Roland seinem Begleiter, der sich eben anschickte, ihm eine derbe Standrede zu halten, die Zügel seines Rosses zuwarf und vom Pferde sprang, um in einen der vielen schmalen Durchgänge hinein zu stürmen, die nach der Hauptstraße führten, wie es Adam Woodcock vorkam, einer zierlichen jungen Dame hinterher, die kurz vor ihm in demselben Durchgange verschwunden war.

»Heiliger Barnabas! heilige Magdalena!« rief er einmal übers andre, »solche Geschichten könnten einen wirklich zum Fluchen bringen! was kann dem jungen Menschen bloß in die Glieder, gefahren sein? und was soll ich in dieser Zeit hier anfangen? Wenn sie den Menschen erwischen, so schneiden sie ihm womöglich die Gurgel ab, so wahr ich am Fuße des Rosenhügels geboren bin. Könnt ich bloß jemand auftreiben, mir das Pferd zu halten, daß ich dem Junker hinterher könnte! aber die Leute sind ja hier flink wie der Teufel. Oder wenn ich wenigstens einen von unsern Leuten erwischen könnte, oder von den Leuten des Regenten! Aber einem wildfremden Menschen kann ich doch die Pferde nicht, anvertrauen; und vom Platze weichen, wenn der Junge am Ende in die Patsche gerät, das geht doch erst recht nicht an!«

Wir müssen aber den Falkner, obschon in so schwerer Not, verlassen, um uns nach dem Jüngling umzusehen, der schon wiederum die Ursache hierzu geworden war.

Roland Gräme hatte in, der Canongate, wie gesagt, eine weibliche Gestalt gesehen, deren Zierlichkeit und lebhaftes Wesen ihn an Katharina Seyton erinnerte. Er hatte sie mit seinen Blicken schon eine kurze Weile verfolgt, als es der Gestalt beigekommen war, vor einem der gewölbten Durchgänge an einer Stelle, wo ein kunstreiches Wappenschild sich spreizte, den seidnen Ueberwurf, in den sie gehüllt war, zu lüften. Vielleicht trieb auch sie die Neugierde, zu erfahren, wer der Reiter sei, der sie schon ein Weilchen mit den Blicken verfolgte, Roland aber hatte genug gesehen, um sich zu sagen, daß er sich in seiner Vermutung nicht getäuscht habe, daß es dieselben himmelblauen Augen, die schönen Locken, die fröhlichen Mienen seien, die ihm den Aufenthalt in jenem Kloster, wohin ihn die Großmutter mitgenommen, so unvergeßlich machten.

Nach einem alten Sprichwort geht Weiberwitz über allen Witz, aber in diesem Falle mochte er Katharina doch im Stiche lassen, denn sie wußte sich keinen andern Rat, als so geschwind das Weite zu suchen, wie ihre kleinen Füße sie irgend tragen wollten. Aber die Beine eines achtzehnjährigen Jünglings sind in der Regel auch noch nicht vom Zipperlein geplagt, und so geschah es denn, daß Katharina, als sie quer über einen gepflasterten Hof floh, der mit großen Zypressen in weiten Kübeln, mit Eichenbäumen und andern immergrünen Gewächsen angefüllt war, und eine hohe Tür in der Mitte zu gewinnen trachtete, von Roland ereilt und gestellt wurde. Aber sie riß sich los und huschte wie ein gejagtes Reh durch die Tür, und in das Gebäude hinein und über verschiedene Gänge hin, um in einer Halle zu verschwinden, deren Tür sie hinter sich ins Schloß fallen ließ. Roland, nicht gewillt, die heißersehnte Beute fahren zu lassen, war wie ein Sturmwind hinter ihr her, unbedacht, was sich alles für schlimme Folgen hieraus für ihn ergeben konnten, als er mit einem Male dumpfes Stimmengewirr vernahm, das ihn einigermaßen zur Vernunft brachte. Aber er stand nun vor der Tür, ratlos, wohin er sich wenden, ob er stehen bleiben oder zurückgehen solle, da tat sich eine Seitentür auf und Katharina kam auf ihn zugerannt mit ganz derselben Eile, wie sie bisher vor ihm geflohen war.

»Welcher Unstern hat Euch bloß hierher geführt?« flüsterte sie. »Flieht, flieht! oder Ihr seid des Todes! .. oder besser, bleibt! sie kommen ... Flucht ist unmöglich ... sagt, Ihr seiet gekommen, um nach Lord Seyton Euch zu erkundigen.«

Im Nu war sie hinweg und durch die Tür verschwunden, aus der sie zum zweitenmal gekommen war. In demselben Augenblick flogen ein paar Flügeltüren am obern Ende der Galerie auf, und ein halbes Dutzend Männer, bewaffnet mit Schwertern, die sie in der Faust schwangen, in reicher Tracht, stürzten herein.

»Wer ist's, der uns dermaßen höhnt, daß er sogar in unsre Wohnung uns verfolgt?« rief der eine.

»Haut ihn, in Stücke!« schrie ein andrer, »büßen soll er für den Frevel und für die Gewalttätigkeiten dieses Tages! Es ist ein Anhänger der Roten.

»Nein, bei der heiligen Jungfrau!« rief ein dritter, »es ist einer vom Gefolge des Erzfeindes, des geadelten Bauers Halbert Glendinning, der sich den Namen Avenel anmaßt ... einst einer, der ein Kirchenlehen erhielt und der jetzt die Kirche plündert!«

»So ist's,« schrie, ein vierter, »ich erkenn ihn an dem Palmenzweige, der ja das Abzeichen der Glendinnings ist. Vertretet ihm die Tür, denn für solche Frechheit soll der Kerl büßen!«

Zwei der jungen Herren traten, indem sie die Degen zogen, vor die Tür, durch die Roland in die Halle getreten war, wie um sein Entrinnen zu verhindern. Die andern traten auf Gräme zu, der eben noch Ueberlegung genug fand, um sich zu sagen, daß jeder Versuch zu Widerstand ebenso fruchtlos wie unbedacht wäre. Von verschiedenen Stimmen wurde er nun aufgefordert, zu sagen, wer er sei, woher er komme, was er wolle, wer ihn hierher schicke. Da trat, noch ehe er Zeit zu irgend welcher Antwort hatte finden können, ein Mann in die Halle von hoher Gestalt, und vor ihm wichen die jungen Männer, die Roland so heftig bestürmt hatten, scheu und ehrfurchtsvoll zurück.

Das dunkle Haar des Mannes wies Spuren von grauen Fäden auf, aber in seinen Augen und aus seinen stolzen Zügen strahlte noch das ungeschwächte Feuer der Jugend. Der Oberteil seine Leibes war, bis auf das Hemd aus holländischem Linnen, unbekleidet, und dessen weite bauschige Falten waren mit Blut bespritzt.

Aber ein scharlachroter Mantel, mit reichem Pelzaufschlag, den er über die Schulter geworfen hatte, und eine Mütze aus scharlachrotem Samt, auf der einen Seite aufgekippt und mittels einer güldnen Kette gehalten, die sich dreimal um sich herumlegte, und ein güldnes Medaillon mit dem Geschlechtswappen, wie es damals Brauch war, in buntfarbiger Gravur, verrieten auf den ersten Blick, daß der Mann zu dem vornehmsten Adel Schottlands und Edinburgs gehörte.

»Wen habt Ihr da, Söhne und Vettern,« fragte er streng, »den Ihr so unwirsch bedrängt? .. Wißt Ihr nicht, daß mein gastliches Dach jedem eine freundliche Stätte sichert, der sich darunter begibt, sei es in friedlicher Absicht, sei es zu offner, männlicher Fehde?«

»Hier hat sich aber ein Schurke eingeschlichen, Mylord,« antwortete einer der Jünglinge, »in der verräterischen Absicht, uns auszuspähen.«

»Das stell ich in Abrede,« versetzte Roland Gräme keck, »denn ich bin bloß hierher gekommen, um mich nach Mylord zu erkundigen.«

»Eine billige Ausflucht,« riefen die Ankläger, »aus dem Munde eines Glendinning.«

»Tut Einhalt, junge Freunde,« sprach Lord Seyton, »denn dieser Adeling selbst war es, laßt mich den Jüngling ins Auge fassen! Bei der lieben Jungfrau, es ist der nämliche, der sich vor wenigen Minuten so kühn mir an die Seite stellte als mehrere meiner eignen Schurken, besorgt um die Sicherheit ihres Leibes, es an Tapferkeit in bedenklichem Maße fehlen ließen. Laßt ab von ihm, denn er verdient mehr ein freundliches und ehrenvolles Willkommen Eurerseits als solche rauhe Behandlung.«

Die Jünglinge traten gehorsam zurück, und der Lord nahm Roland Gräme bei der Hand und zog ihn an seine Seite. Dann dankte er ihm für den tapfern Beistand, den er ihm mit so schnellem Entschlusse geleistet hatte, und setzte hinzu, »der Grund seiner Herkunft sei wohl nur der, sich zu erkundigen, wie es um die Verwundung stehe, die er sich bei diesem Strauße geholt habe?«

Roland verbeugte sich tief zum Zeichen der Zustimmung.

»Oder kann ich Euch sonst meinen Dank bezeugen?« fragte der Lord.

Der Page erachtete es aber für am besten, wenn er bei der Entschuldigung für seine Anwesenheit im Hause des Lords bliebe, die dieser selber als wahrscheinlich erklärt hätte, und sagte, er habe bemerkt, daß der Lord blessiert worden sei; und das Verlangen zu erfahren, wie sich derselbe befinde, sei der einzige Grund für sein ungestümes Eindringen in das Haus des Lords.

»Die Blessur ist eine Lappalie,« erklärte der Lord, »ich hatte, grade mein Wams abgelegt, damit der Feldscher mir einen Verband anlege, als die voreiligen Burschen hier den Lärm anhoben und mich nötigten, den Feldscher in seiner Arbeit zu stören.«

Roland verneigte sich wieder und wollte sich, vergnügt, um den Verdacht der Spionage so bequem herumgekommen zu sein, anderseits um seinen Kameraden Adam Woodcock besorgt, den er so jäh im Stich gelassen, und der doch gar nicht wußte, wie er daran und wohin »sein junger Unband« hingeraten war, aus dem Gemache und dem Palaste entfernen, Lord Seyton machte ihm das jedoch nicht so leicht.

»Nicht so geschwind, mein junger Freund,« sagte er, »erst mach mich bekannt mit Deinem Stand und Namen. Lord Seyton hat es letzter Zeit öfter erlebt, daß Freund und Diener ihn im Stiche ließen, als daß ihm Beistand von fremder Seite wurde. Aber es können ja wieder andre Verhältnisse kommen, die ihn in die Möglichkeit setzen, solchen unvermuteten Freundschaftsdienst besser zu lohnen als zurzeit.«

»Mein Name, gnädiger Herr,« antwortete der Page, »ist Roland Gräme. Ich stehe als Page im Dienste Sir Halbert Glendinnings.«

»Hab ich es nicht gleich gesagt?« rief einer der Jünglinge, »mein Leben setz ich ein, daß dies ein Pfeil ist aus dem Köcher der Ketzer, eine Kriegslist, einen Späher in unser Vertrauen einzuschmuggeln. Die Halunken verstehen es, Kinder und Weiber zu Spionen und Sendboten abzurichten, wie kein andrer sonst.«

»Wenn die Worte auf mich gemünzt sein sollen, so treffen sie ein falsches Ziel. Es sollte kein Mann in Schottland mich zu solcher Schurkerei dingen!«

»Ich glaube Dir, mein Sohn,« erwiderte der Lord, »denn Deine Streiche wurden, zu kräftig geführt, daß sie auf Einverständnis mit denen hätten schließen lassen, denen sie galten. Indessen kann ich nicht ungesagt sein lassen, daß ich mich kaum der Hilfe von einem Diener Deines Herrn versehen hätte, und darum möchte ich wohl wissen, was Dich bestimmt hat, bei solchem Strauße eines Seyton Dich selbst in Gefahr zu setzen.«

»Mit Verlaub, gnädiger Herr,« erwiderte Roland, »aber mein Herr hätte wohl selbst nicht müßig dagestanden, um einen Ehrenmann unter einer Mehrzahl unterliegen zu sehen. So wenigstens lautet die Lehre für Ritter auf Schloß Avenel.«

»Der gute Samen ist auf gutes Land gefallen, junger Freund,« sagte Lord Seyton, »aber wenn Du in solch ehrloser Zeit Fehde üben willst in solch ehrenwerter Weise, dann wird Dein Leben, mein armer Junge, nicht lange währen.«

»War's ehrenvoll, kann's kurze Dauer haben,« versetzte Roland Gräme; »aber jetzt erlaubt mir mich zu verabschieden, gnädiger Herr, denn ich werde auf der Straße von einem Kameraden mit meinem Pferde erwartet.«

»Dann nehmt doch wenigstens das mit, mein junger Freund,« sagte Lord Seyton und löste von seiner Mütze die goldne Kette und das goldne Medaillon, um beides Roland zu reichen, »und tragt es zu meinem Gedenken!«

Roland Gräme war nicht wenig stolz auf solches Geschenk, das er eilends an seiner Mütze befestigte, wie er es schon bei vielen der jungen Edinburger Herren beobachtet hatte. Dann verbeugte er sich nochmals vor dem Lord und verließ schleunigst die Halle, eilte quer über den Hof und gelangte grade auf die Straße hinaus, als Adam Woodcock, in Sorge und auch ärgerlich über Rolands Ausbleiben, die beiden Rosse im Stiche lassen wollte, um sich nach seinem Verbleib umzusehen.

»Das ist doch wiederum ein Streich, wie Ihr ihn besser nicht gewagt hättet,« rief er Roland entgegen, als er ihn in dem Straßengewühl auftauchen sah, denn wenn auch seine Mienen deutlich erkennen ließen, daß er Angst ausgestanden hatte, so war er doch herzensfroh, daß der Jüngling sich wiedergefunden hatte, und er ließ sich von Verdruß nichts mehr merken.

»Laß die Fragen und Reden, Woodcock, und sieh her, in welch kurzer Zeit ich mir solch schwere goldne Kette verdienen konnte!« rief Roland mit strahlender Miene und sprang auf sein Roß.

»Na, verhüt's Gott, daß Ihr sie nicht auf unrechtem Wege gewonnen habt,« versetzte der Falkner, »denn wie Ihr anders hättet dazu kommen sollen, könnt ich mir freilich kaum sagen. Ich bin oft hier gewesen, und zuweilen ganze Monate, aber mir ist so etwas nie bisher zu teil geworden, das dürft Ihr mir freilich wohl glauben.«

»Na, und ich hab das hier nach kurzer Bekanntschaft mit der Residenz ergattert,« sagte lachend der Page, »aber stimmt Euer biedres Gemüt nur zur Ruhe, Medaillon und Kette sind weder geraubt noch gestohlen, sondern mir zu teil geworden durch freiwillige Spende.«

»Na, Du wirst wohl in keinem Wasser ersaufen und an keinem Strick aus Hanf ersticken!« meinte der Falkner: »als Page der Schloßherrin wirst Du weggejagt und kehrst als Knappe des Schloßherrn wieder, und dafür, daß Du einem Mädel in ein Schloß nachrennst, aus dem ein andrer mit einer Tracht Prügel gejagt worden wäre, wenn er nicht einen Dolchstoß zwischen die Rippen bekommen hätte, dafür erwischst Du ein Paar Pfund Gold! ... Das darf man sich schon gefallen lassen. Aber da sind wir vor der Abtei. Ich wünsche Dir bloß, mein lieber Junge, daß Dir Dein Glück treu bleiben möge, auch wenn Du den Fuß über dieses Steinpflaster setzest, denn dann, bei unsrer lieben Frau! könntest Du fragen, was ganz Schottland kostet?«

Sie hielten am Ausgang der Straße, da wo das hohe Portal altgotischen Stiles sich quer vor ihr erhebt, und ritten hindurch in den düstern Hof, der von einem wirren Haufen von Klosterbauten bedeckt war, von denen heute noch eine ganze Front steht, während andre dem unter Karl dem Ersten erbauten neuen Palaste haben weichen müssen.

Dort gab der Falkner die Rosse einem Lakeien mit dem wichtigtuerischen Befehle, ja gut für sie zu sorgen. Dann schritt er dem Knappen voraus in den Palast von Holyrood.


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