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Kohlenpott

Kohlenpott: das ist ein Begriff geworden. Dieses harte Wort aus der Kumpelsprache umreißt scharf und klar ein Stück Land, das unzähligen Menschen Schicksal bedeutet: die industrielle Zone im Westen Deutschlands.

Kohlenpott: das ist ein Land, das eine Stadt ist, das sind vier Millionen Menschen, die hier arbeiten, in der Grube, in den Walzwerken, an den Hochöfen, in den Gießereien. Dreihunderttausend, die täglich unten im Pütt auf ihren Bäuchen liegen und den nackten Leib gegen die fauchenden Abbauhämmer stemmen, immer im schärfsten Hetztempo, weil die Höhe des Lohnes von der Menge der gewonnenen Kohlen abhängt. Eine Kumpelarmee, die täglich den Krieg mit der grollenden Natur des Berges führt, die sich täglich gegen die vom Bergherren über sie gesetzten Aufseher verteidigen muß, die für wenig Geld täglich ihre gesunden Knochen bei einem Steinfall aus dem Hangenden oder auch gleich das Leben riskiert, wenn ein giftiger Brand durch die unterirdischen Strecken loht, oder wenn ein Seil am Förderkorb reißt, oder wenn ein Stollen einkracht, oder wenn eine Sohle jäh versäuft.

Zweihunderttausend Metallarbeiter arbeiten im Kohlenpott, Leute, die vor den Hochöfen stehen, in denen die Eisensuppe kocht, Schmelzer an den Bessemerbirnen und Martinöfen, in denen sich das Roheisen in Stahl verwandelt, Drahtzieher in den Walzwerken, die mit glühenden Eisendrähten jonglieren, als wären es harmlose Zwirnsfäden, Arbeiter in den Walzenstraßen, die die heißen Stahlblöcke auseinanderziehen zu Stahlschienen, auf denen die Züge fahren werden, um von Stadt zu Stadt die Verbindung über den Erdball zu schlagen.

 

Täglich fahren Reisende durchs Revier. Sie sehen eine phantastische, fremdartige Welt. Und weil sie ihnen fremd ist, verstehen sie sie falsch, sehen sie nur das Äußere, die Kulisse: Von Hamm bis Duisburg eine einzige mechanisierte eisenklirrende Welt, dicht bestanden von gigantischen Maschinen, aus denen lohende Feuer in die grauen Rauchschleier schlagen. Die durchreisenden Reporter schmecken dabei ordentlich den Ruß auf der Zunge und lassen ihn genießerisch wie eine Prise Kaviar zergehen. Das ist kerniger als das Nuttenparfüm Berliner Ballsäle. Es füllt die Zeilen, die Ästhetik der Industriebauten zu preisen, und es spart einem die Mühe, langweilige Zahlen von Arbeitslöhnen, Abschreibungen und Dividenden zu vergleichen. So entdeckt man das technische Wunderland an der Ruhr, aber keine soziale Not. So schreibt man vom Herzen der deutschen Wirtschaft, ohne den Schlag dieses Herzens zu kennen. Daß man einmal flüchtig seinen Puls fühlte, genügt noch nicht, den mächtigen Blutkreislauf zu erfassen. So kommt es zu verzückten und pathetischen, arroganten und snobistischen Berichten, während es doch gerade im Kohlenpott auf ganz andere Maßstäbe ankommt. Schauen wir uns deshalb dieses Land und seine Menschen einmal von einer andern Seite an.


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