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Aus dem Reiche des Kanonenkönigs

O wachse, stolzes Werk, an Kraft und Ehre,
Damit noch manch Jahrhundert von dir schreibt,
Daß Krupp ein Waffenschmied dem deutschen Heere,
Der deutschen Industrie ein Führer bleibt;
Getreu des Ahnenhauses gold'ner Lehre,
Daß Edelsinn zu großen Taten treibt,
Und höchster Traum es sei der Enkelsöhne,
Daß Kaiserhand auch sie mit Lorbeer kröne.

C. Gerstner, Chefchemiker der Firma, zur Hundertjahrfeier Krupps 1912.

 

Um zu wissen, welch wichtige Rolle Krupp im Ruhrgebiet spielt, braucht man nicht erst in seinen Betrieb zu gehen. An allen Ecken und Enden stößt man in Essen auf den Namen Krupp. Er steht nicht nur auf den Firmenschildern der mannigfachen Krupp-Verkaufsstellen und Bibliothek-Ausleihen, auf den vielen großen Reklametransparenten und auf den Verbotstafeln der sich endlos lang hinziehenden Fabrikmauern, sondern auch auf den Schildern der nach der Familie benannten Straßen und auf den Denkmälern, die dem jeweils regierenden Krupp »seine dankbaren Mitbürger« errichtet haben.

Und einen wie breiten Raum der Name und Begriff »Krupp« in den Gesprächen der Essener Bürger einnimmt, davon gibt die Lokalpresse ein Bild, die es nie versäumt, ihre Kruppschen Hofnachrichten groß aufzumachen. Daß bei der alljährlichen Jubilarfeier auf der Kaupenhöhe wieder der Chef der Firma das Wort ergriff, um den patriarchalischen Gedanken des Kruppschen Hauses zu betonen, daß bei der oder jener Ausstellungseröffnung der Direktor der Ausstellung (natürlich in Gehrock und Zylinder) die hohen Herrschaften mitsamt ihren Sprößlingen durch die Ausstellungshallen führte, daß der Jungflieger Klaus von Bohlen und Halbach als Mitglied der Segelfliegergruppe des Essener Luftfahrtvereins die gleiche Arbeit leistet wie seine weniger erlauchten Kameraden, und dergleichen Wichtigkeiten mehr werden da verkündigt.

Eine Besichtigung des Werkes wird wohl auch weniger servile Gemüter beeindrucken. Die wohlfunktionierende Apparatur einer schwerindustriellen Riesenschmiede mit glühenden Essen und funkenstiebenden Eisenströmen, die hier gebändigt werden, als wären es sanfte Wässerchen, vermag sowohl hymnisch-beschwingte Gemüter von Lyrikern in Begeisterung zu versetzen als auch die Finger sachlicher Reporter zu einem Hohelied der Technik über die Tastaturen der Portable-Schreibmaschinen rasen zu lassen; nicht zu vergessen die für alle Schönheiten der Welt empfänglichen Schornstein-schräg-nach-oben-Photographen, die in dieser Welt interessantester Überschneidungen, Verschränkungen und Verkragungen vollends in Verzückung geraten.

Wer aber die Inszenierung von Industriebesichtigungen mit nachfolgendem Frühstück von hinter der Bühne kennt, weiß, daß dem Besucher der »einstigen Waffenschmiede« (man nennt sich gerne so in seinen Werbeschriften) die Dinge schon so serviert werden, wie er sie fressen soll, auf daß auch er die Kunde von Krupps Größe, Zielstrebigkeit und Arbeiterfürsorge in die Welt hinaustrage. Eine Protestversammlung der Kruppveteranen steht sicher nicht mit auf dem Programm der Führungen. Die seltsame Parallele zu dem Gußstahlwerk, das die Elemente bändigt, bildet der Friedhof der Dynastie Krupp. Man hat nicht nur seinen eigenen Bahn-, man hat auch seinen eigenen Friedhof. Und jedem Besucher bleibt es unbenommen, sich trotz der Marmororgien klotziger Monumentalmonumente seine Gedanken zu machen über die wirtschaftliche, gesellschaftliche, charakterologische Wandlung innerhalb eines Jahrhunderts.

Hier liegt Alfred Krupp, der Typ des genialischen Unternehmers der Gründerzeit, Schöpfer der Größe des Hauses, der Patriarch, dessen Gemütsruhe tief getrübt wurde, dessen Ausbeuterinstinkt sofort in brutale Aktion trat, wenn seine Arbeiter nicht bedingungslos kuschen wollten. Seine Vorliebe, wenn solche Tugend seine Arbeiter zierte, für »reine Sitte, Mäßigkeit in Genuß und Kleidung und Sparsamkeit«, ging erstaunlich weit. Er half nach, wie er nur konnte. Einmal hat der alte Krupp sogar einem Arbeiter zu Weihnachten einen Brief geschrieben und ihm »fünfzig Taler« für den Fall als Geschenk vermacht, »daß er diese seine treuen Dienste« (für die er so väterlich belohnt werden sollte) »solange er lebt, oder doch bis dahin, daß er durch Alter oder Krankheit für immer arbeitsunfähig werden möchte, in meiner Fabrik fortsetzt«.

Unter viel Marmor ruht auf dem Kruppschen Familienfriedhof auch der schwache Sohn des starken Vaters, Friedrich Alfred Krupp (gest. 1902), der schon keine Initiative mehr zu haben brauchte, weil das Werk von ganz allein lief und ihm die Millionenprofite aus den imperialistischen Machenschaften des kaiserlichen Deutschlands – wie ein Apfelbaum seine Äpfel – mühelos vor die Füße schüttete. »Die Prokura« – so hatte der Vater seine Direktoren immer benannt – disponierte, kalkulierte und mehrte für den Herrn, der seine Tage lieber unter dem blauen Himmel Capris verbrachte als unter den Rußwolken an der Ruhr. Noch heute geht im Volk das Gerücht um, daß der letzte männliche Träger des Namens Krupp gar nicht hier begraben liegt. »Man hat eine Puppe beerdigt«, wird erzählt, »um den Freund des Kaisers – und vielleicht sogar die Majestät selbst? – den Angriffen der Sozialdemokraten zu entziehen«. Damit der Name Krupp dereinst noch mehr in Marmor gemeißelt werden könne, wurde Alfreds Schwiegersohn, dem ehemaligen Legationssekretär der deutschen Botschaft beim Vatikan, Dr. Gustav von Bohlen und Halbach, durch kaiserliche Gnaden das Recht verliehen, den Namen Krupp zu führen.

Man kann sich auch als Fabrikant von nichtrostenden Stahlzähnen, von Kontrollkassen und Lastautomobilen in der Republik eine starke Position sichern, die erstaunlicherweise durchaus nicht weniger mächtig zu sein braucht als die Position des ehemaligen Kanonenlieferanten. Daß sich auch der Krupp von Bohlen und Halbach wie ein regierender Fürst fühlt und gebärdet, bewies unter anderem der Empfang, den er der hochstaplerischen orientalischen Majestät Aman Ullah von Afghanistan bereitet hat.

So sehen die Vorrechte der Geburt und des Besitzes aus, wenn sie laut Verfassung längst aufgehoben sind! Und genau so wie einstmals der kaiserliche Herr seinen Freund Krupp gegen die Anwürfe vaterlandsloser Gesellen in Schutz nahm, so tritt heute die Republik für das Haus in die Bresche und läßt ihm, um nur ein Beispiel anzuführen, durch Essens Oberbürgermeister attestieren: »Das soziale Gewissen der Firma Krupp ist immer wach«.

So ganz wortwörtlich stimmt das zwar nicht; aber nun – die Kruppsche Gußstahlfabrik hat es eben immer gut verstanden, sich mit billigen Mitteln den Anschein eines Wohlfahrtsinstituts zu geben. Als Leitfaden zu allen Kruppschen Werken der Barmherzigkeit wird immer wieder der Ausspruch des großen Krupp aus dem Jahre 1873 zitiert: »Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein, dann bringt Arbeit Segen, dann ist Arbeit Gebet!« Der Volksmund hat daraus gemacht: »Der Zweck der Arbeit soll mein Wohl sein«, und so herum, läßt sich feststellen, wird die Veredlung der Kruppschen Arbeit doch wesentlich öfters vorgenommen. Jedenfalls sind die sozialen Phrasen und das Allgemeinwohl für die Firma so wenig kapitalangreifend, daß sich das jährliche Durchschnittseinkommen des Kruppschen Familienoberhauptes auf annähernd 20 Millionen Mark beläuft.

Das angeblich immer wache soziale Gewissen der Firma Krupp ist gerade nach dem Krieg noch auffallend schlafsüchtiger geworden. Die Pensionskassen der Firma, die einst den Arbeitern und Beamten der Gußstahlfabrik als unerschütterliches Bollwerk gegen das dumpfe Proletarierschicksal ihrer Genossen in anderen Betrieben erschien, dieser Sicherheitsfonds, diese »Gewißheit« eines ruhigen Alters in der werkseigenen »Altenhof-Kolonie« ist in ein Nichts zerronnen. Die Pensionskassen waren es, die den Begriff »Kruppianer« schufen, der in keinem Lexikon steht und doch dem Streben und Schicksal einiger hunderttausend Menschen Richtung gab. Bei Krupp untergekommen zu sein, das schien ihnen ein Aufstieg auf der sozialen Stufenleiter, die geglückte Flucht aus den grausamen Existenzbedingungen ihrer Klasse zu bedeuten. Zwar zahlte die Wohlfahrtsfirma niedrigere Löhne, aber nach fünfundzwanzig bis dreißig Arbeitsjahren winkte hohes Glück: das mietfreie Altenteil-Häuschen, eine kleine Pension, ein Gärtchen und die Mitgliedschaft im Kruppschen Jubilarverein mit dem Fabrikwappen – drei ineinanderverschlungene Ringe aus nichtrostendem Stahl – als Ehrenkrawattennadel. Herz, was willst du noch mehr?

 

Und nun, da die Inflation und die sozialen Kämpfe und Erschütterungen der Nachkriegszeit diesen heiligen Gral des Kruppianertums vernichtet haben ...? Den Träumern vom friedlichen Lebensabend und bürgerlicher Sicherung wurde ein rauhes Erwachen. Das soziale Gewissen der Firma verhinderte nicht, daß die Pensionskassen aufgelöst, alle Ansprüche annulliert wurden. Die Inflation, die Enteignung der Kleinen zugunsten der Großen, machte auch vor dem Kruppschen Pensionsfonds nicht halt, trotzdem diese Gelder im Blutkreislauf des ganzen Werkes mitarbeiteten, und das, was sie aufbauen geholfen hatten, sich nicht in blauen Dunst auflöste wie die deutsche Währung. Aber moralische Erwägungen gelten nichts, wenn »wirtschaftliche« Erwägungen von biegsamen Gesetzesparagraphen unterstützt werden. Auch bei Krupp trat an Stelle des traditionellen manchesterlich-liberalen Zuckerbrots die harte Klassenkampf-Peitsche des Hungers. Nur so kann sich der arme bedrängte Unternehmer in dieser schweren Krisenzeit behaupten!

So sitzen heute die alten Leute da in ihrer Wohnkolonie »Altenhof«, dem Prunkstück Kruppscher Wohlfahrtspflege, zwar mietfrei, laut Prospekt, der, in der graphischen Anstalt der Firma gedruckt, den eigenen Ruhm recht kräftig in die Welt trompetet – aber sonst ohne einen Knopf Geld! Die Skeptiker überrechneten die Sache: dreißig Jahre, vierzig Jahre, fünfzig Jahre Arbeitskraft unter dem Marktwert ins Werk getragen, im Verteilungsprozeß der Produktion längst in konstantes oder variables Kapital umgewandelt, das pünktlich Gewinn abwirft. Nun, der Skeptiker, der rechnen kann, stellt fest, daß der Mietzins der alten Leute schon längst im vornhinein erlegt wurde.

Seit Jahren prozessieren die Krupp-Pensionäre um ihre Renten. Als sie noch kräftige Männer waren, förderten sie die Idee des Wirtschaftsfriedens; sie hatten ihren gelben Werkverein und durften sogar einen aus ihrer Mitte zum Abgeordneten wählen, der dann im Reichstag als Nationalliberaler die Interessen des Brotherrn vertrat. Sie schimpften auf die »Roten«, auf die hetzenden Gewerkschaftssekretäre, die – welch Sakrileg! – die Verstaatlichung der Pensionskassen forderten. Dafür dürfen die Greise heute auf die Straße, um zu demonstrieren. Um ihre ausgemergelten Körper schlottern die fadenscheinigen Anzüge, die weißhaarigen Köpfe wackeln, sie gehen mit verbissenen Gesichtern und mit dem Haß im Herzen gegen die, die ihnen mit Vertröstungen auf ein gesegnetes Alter für billigen Lohn ihr Leben stahlen. Bettelarm sind sie geworden, und die Sehnsucht nach gutem Pfeifentabak, der Sonntagszigarre, dem sättigenden Mahl und dem Bergischen mit Speck (klarer Kornschnaps, dem ein Schuß Boonekamp, Marke: »Semper idem!«, oder Fleischauer die gelbliche Opaleszenz verleiht) bleiben unerfüllbar kühne Wünsche für sie.

Den Lebensabend seiner alten Arbeiter und Beamten sicherzustellen, versprach Friedrich Krupp am Grabe des großen Krupp. Und auf die Einlösung dieses feierlichen Versprechens warten die alten Leute mit den wackelnden Köpfen immer noch, trotzdem auch das Reichsgericht in der letzten Instanz ihres Prozesses gegen sie entschieden hat. In den Justizgebäuden weiß man, wie man Recht sprechen muß.

Und dabei wollen die Neider dem Werk noch nicht einmal die siebzig Millionen Mark Ruhrkampf-Entschädigung gönnen, die es vom Reich erhielt. Als ob solches Geld für die Arbeiter gegeben würde! Die Kruppsche Arbeiterschaft hat zwar den passiven Widerstand mitführen und dem französischen Militarismus das Blutopfer von dreizehn Kameraden bringen dürfen, sie hat durch ihre Haltung den Besitzer der Krupp-Millionen aus dem französischen Gefängnis befreien dürfen, aber wer ist so einfältig, zu glauben, eine solche Einheitsfront verpflichte sogar zu Geldopfern? So einfältig ist das Direktorium eines zweihundertfünfzigfachen Millionärs sicher nicht!

Wenn man noch ein paar Jahre wartet, dann werden die um ihre Hoffnung betrogenen Pensionäre gestorben und vergessen sein, die Gußstahlfabrik aber wird immer das Bild jener Stadt beherrschen, die sie stets mit schönen Phrasen in ihren Dienst zu stellen gewußt hat.

Und wahrscheinlich wird man auch noch nach vielen Jahren den Besuchern nur die repräsentableren Wohnkolonien zeigen, die besonders vorbildlich sind, wenn Beamte sie bewohnen, und wird ihnen jene andere Art Werkswohnungen vorenthalten, die so aussehen wie die Kruppschen Zinskasernen um das Werk herum oder wie die Vogelkäfige am Schederhof. Vogelkäfige hat der Volksmund diese elenden, in den siebziger Jahren errichteten und heute noch dicht belegten Holzbaracken deshalb genannt, weil man nur auf hölzernen Hühnersteigen und von außen her in die Räume der oberen Stockwerke gelangen kann. Dafür sind alle diese Mietshäuser, natürlich auch jene, mit denen Krupp mehr Staat machen kann, eine recht gute Kapitalanlage, welchen Vorzug sie mit den meisten anderen netten Wohlfahrtseinrichtungen teilen, die Krupps Hoheitszeichen tragen.

Es gibt Kruppsche Bierhallen, wo man die beliebten kleinen Hellen trinken kann, ein Krupphotel, den Essener Hof, und die Kruppsche Konsumanstalt mit 135 über ganz Essen verteilten Verkaufsstellen. Alles, was der Leib an Nahrung und Bekleidung braucht, wird geliefert. Krupp hat an alles gedacht: Bäckereien, Weinkellereien, eine Mühle, eine Schuhmacherwerkstatt und dergleichen mehr – alles in eigener Regie. In der Großschlächterei Krupps arbeiten 60 Gesellen. Sie zerlegen Rinder, kochen Wurst und räuchern Schinken. Man rechnet mit den eingehenden Arbeitergroschen, denn viele Wenige ergeben ein Viel. Der Kruppsche Konsum ist eine scharfe Konkurrenz für den Arbeiterkonsumverein, das Selbsthilfe-Unternehmen der Werktätigen. Nur – gegen die Dummheit ist kein Kraut gewachsen. Es gab sogar Tröpfe, die ihre Pfennige noch dem Herrn Krupp in seinen Konsum trugen, während er sie ausgesperrt hatte, um sie durch Hunger zum Nachgeben zu zwingen im großen Lohnkampf der Ruhr-Metallindustrie des Jahres 1928.

Draußen vor der Stadt hat Krupp den Bürgern Essens seine eingezäunten Waldungen, die sich bis an die Ruhr erstrecken, zu Spaziergängen zur Verfügung gestellt. Es gab Krach auch wegen dieser Wälder, als vor ein paar Jahren herauskam, daß die Stadtverwaltung für diese soziale Tat der Firma eine Jahrespacht von 26 000 Mark zu blechen hat.

Natürlich wird auch die Vereinsmeierei, das schleichende Gift gegen kämpferisches Klassenbewußtsein, von Krupp kräftig gefördert. Es gibt den Kasino-Verein Kruppscher Beamter, wo das gehobene Standesgefühl gehegt und gepflegt wird, es gibt einen Verein für die kleineren Götter aus der unteren Beamtenschicht und, wie sich von selbst versteht, den Verein der Kruppschen Jubilare, wo der mit den vierzig Dienstjahren auf dem Buckel mitleidig auf den Anfänger mit fünfundzwanzig Dienstjahren herunterblickt. Es gibt auch einen Gartenbauverein, diverse Bauvereine, Pensionär- und Hinterbliebenen-Unterstützungsvereine, und etwas ganz Besonderes: den Kruppschen Bildungsverein, eine Art Volkshochschule mit ungefährlichen Lehrfächern wie: Stenographie, Basteln, Photographie, Chorgesang, Schachspiel, plattdeutsche Mundart und Aquarium-Kunde. (Jedem Werktätigen sein Taschenaquarium!) Die Kruppsche Bibliothek ist übrigens wirklich gut. Das sind so die kleineren Zutaten. Der Riesenorganismus der Gußstahlfabrik selbst ist ein technisches Wunderwerk, gigantisch in Umfang und Leistungsfähigkeit, minutiös in der Präzision des Ineinandergreifens der verschiedenen Produktionsvorgänge und unerschütterlich in dem Gefüge seines gewaltigen Getriebes durch die Unentbehrlichkeit des Gußstahls für die gesamte Industrie.

Das Werk ist über den Sturz des Systems, dem es vier Kriegsjahre restlos zu Diensten war, kaum gestrauchelt. In der Vorkriegszeit verarbeitete Krupp nur ein Zwanzigstel des jährlich produzierten Gußstahls zu Kriegsmaterial. Nichtsdestoweniger vermochte das Werk sich im Kriege schnellsten umzustellen und 115 000 Menschen in der Waffenschmiede zu beschäftigen, um das Hindenburg-Programm durchzuführen. Darunter waren 30 000 Frauen, die Granaten drehten. Der Hunger zwang die Mütter, daran mitzuhelfen, daß anderer Mütter Söhne zu blutigen Fleischfetzen zerrissen wurden. Auf dem Gelände der Gußstahlfabrik wuchs Werkstatt neben Werkstatt empor, das hätte noch Jahre so weiter gehen können, Krupp hätte es ausgehalten – bis zum letzten Hauch von Mann und Roß.

Aber es geht nun auch anders! Man war zwar immer mit dem preußischen Militarismus mitgegangen und hatte tüchtig zugelangt aus der großen Schüssel der imperialistischen Extraprofite. Auch die lieblichen Locktöne des kaiserlichen Freundes von der auf dem Wasser liegenden Zukunft ließ man sich gut eingehen. Man kaufte die Germaniawerft in Kiel, um auch am Bau der Kriegsflotte zu verdienen, und hatte sich schon um die Jahrhundertwende eine vertikale Zusammenfassung der Eisenverarbeitung geschaffen, die bis dahin ohne Vorbild war: Kanonen aus eigenem Erz, mit eigenen Geschossen, auf eigenen Panzerschiffen, gespeist mit Bunkerkohle aus den werkeigenen Zechen. Dennoch ist das alles kein Grund, zu verzweifeln, wenn es auch plötzlich Schluß wurde mit der Kaiserei und dem Kanonen-Königtum. Ende 1918 sah es zwar ein bißchen brenzlig aus, als wäre es Matthäi am letzten, aber auffallend rasch hat man sich wieder bekrabbelt. Wer guckt dahinter? Heute jedenfalls hat der Konzern die Stürme der Zeit siegreich überwunden und steht wieder auf gesunden und festen Füßen, so gesund und fest, wie man nach unerbittlich durchgeführter Rationalisierung nur dastehen kann.

Nach einem radikalen Belegschaftsabbau ging man an die Schaffung einer neuen Friedensproduktion und beschäftigt heute schon wieder 30 000 Menschen. Daß die Krise überwunden ist, beweisen die 1929 am eigenen Hafen auf Essener Gebiet errichteten Kruppschen Riesen-Hochöfen, in deren Bunkeranlagen eine eigene Erzflotte die Erze aus den eigenen Gruben ablädt. Es ist, wenn man den Fachleuten glauben darf, die modernste und beste Hochofenanlage Europas.

Noch flüssig wird das Roheisen durch das Werk gefahren, um in den Martinwerken, sieben an der Zahl, mit 44 Öfen, oder im Elektrostahlwerk, oder im Tiegelstahlwerk mit allerlei Zutaten gewürzt, verarbeitungsfähiges Halbprodukt zu werden. Einige hundert Sorten, ein wohlassortiertes Lager unlegierter und legierter Sonder- und Edelstahle entsteht bei Krupp.

Aus der Dissonanz der vielfältigen und mühevollen, viel Arbeiterschweiß und Arbeiterblut fordernden Verarbeitungsprozesse wird die Harmonie der Form. Werkstücke wie Schiffsteven von 107 000 Kilogramm Gewicht liefert die Formerei, allerlei Maschinen werden gebaut, auch Sprengwagen, Lastautomobile, Straßenkehrmaschinen, Müllwagen, Registrierkassen, Lokomotiven, von denen alljährlich an die 350 aller Größen die Fabrik verlassen, glänzend und blitzend und mit gebändigter Kraft geladen; auch chirurgisches und Tafel-Besteck und eine nicht zu zählende Menge anderer fertiger und halbfertiger Gebrauchsgegenstände liefert Krupp. Die landwirtschaftlichen Maschinen neuester Konstruktion werden auf dem Versuchsgelände in Meppen erprobt. Meppen! Das war der Schießplatz der Firma, wo die dicke Berta und die andern irrwitzigen Geschütze eingeschossen wurden, die es erzwingen sollten, daß an Deutschlands Wesen die Welt genese. Jetzt pflügt ein anderer Stahl aus dem Hause Krupp den Leib der Erde, den einst Granaten schamlos zerfetzten. Aber auch das Getreide, der goldene Segen des Bodens, kann ja in Fluch verwandelt werden von der Dummheit und Herrschsüchtigkeit der Menschen.

Auf dem hohen Kommandoturm des Verwaltungsgebäudes erinnern die festeingemauerten Pivots der Flugzeugabwehr-Geschütze an das große Menschenschlachten. Die Telephonzentrale, die in diesem Verwaltungsgebäude untergebracht ist, bedient über 1000 selbstwählende Anschlüsse. Vom Turm übersieht man das ganze Werk: die breitüberdachten Montagehallen, die Kohlenzeche mitten im Hüttenwerk, Stapelplätze und Warenlager und das ganze vielfach verkreuzte Schienennetz der Kruppschen Werkbahn, das 238 Kilometer lang ist und auf dem 100 Lokomotiven in Betrieb sind. Auf dieser Plattform stand Larissa Reißner, die Frühvollendete, die so herrlich über ihren Besuch bei Krupp geschrieben hat. In das Werk selbst hat sie nicht hineingedurft. Frauen wird grundsätzlich der Besuch nicht gestattet. Auch das Mitnehmen photographischer Apparate ist verboten.

Eine diesige Wolke liegt ganz breit wie blaugrauer Schleier über dem Land. Die Grenzen des Kruppwerkes verschwimmen in der Atmosphäre. Das Auge kann die ganze Weite der Kruppstadt nicht ermessen. Die dunkle Linie dort am Horizont sind die Wälder von Bredeney, dort steht in reiner Waldluft, weitab vom Schmutz und Lärm der Fabriken, das Schloß der Krupps, bescheiden Villa Hügel genannt.

Das befreiende Gefühl hoch über den Dächern der Stadt läßt das Denken klarer werden: Das also ist die einstige Waffenschmiede, die sich auf den Frieden umgestellt hat. Aber solange der Profit regiert, solange dieser gewaltige Konzern das Besitztum nur einer Familie bleibt, solange er nicht denen gehört, deren Schweiß und Blut da unten festgeronnen ist in den Gebäuden und Maschinen, solange werden die Besitzenden nach mehr Besitz streben, und darum nach Weltgeltung, nach Soldaten und Kanonen. Und solange wird immer damit gerechnet werden müssen, daß sich die Waffenschmiede wieder hinter der Friedenskulisse hervorholen läßt.

 

Und weiter! Auch im Frieden wird hier Gewinn produziert. Hier, genau so wie überall sonst im Revier. Soziales Unternehmergewissen hin und soziales Unternehmergewissen her, für die Herren Krupp hat es sich immer noch gelohnt. Die Angestellten, die im Turm ihren Speisesaal haben, essen genormtes Mittagessen und haben wohl nicht ganz ohne Grund den Turm Hungerturm genannt. Und wenn sie auch in den Wohnkolonien ein wenig Wohnkomfort (genormt) zugeteilt bekommen, so können sie doch dem genormten Schicksal rationell Ausgebeuter ebensowenig entrinnen wie die Arbeiter in ihrer Wohnküche mit den »viel zu hohen« Tariflöhnen und Akkordsätzen.

Das wohlgeölte Konzernräderwerk läuft seinen Gang in einiger scheinbarer Unabhängigkeit vom Stahltrust, jedoch nach dessen Methoden geleitet und rationalisiert und in vielfacher Weise durch Interessengemeinschaften, Beteiligungen und Mitgliedschaften in Unternehmerverbänden mit dem monopolistischen Gefüge verknüpft. Die von den Minnesängern der freien Wirtschaft stets gepriesene Initiative der Unternehmerpersönlichkeit ist ebenso eine Fiktion wie die freie Wirtschaft. Sogar das Privatunternehmen Krupp ist eine Société anonyme, die ein Direktorium leitet, das sie ebensogut leiten könnte, wenn die Besitzverhältnisse andere wären und die Früchte der Arbeit gerechter verteilt würden.

Nie ist mir die Notwendigkeit der Sozialisierung der Schlüsselindustrien so klar geworden wie beim Auslugen vom Kruppschen Hungerturm.


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