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Ein Blick in den Pütt und seine Soziologie

Du gehst an der Zechenmauer entlang, und viele gehen den Weg mit dir. Die blechernen Kaffeetöten, die aus den Rocktaschen herausgucken, verraten, daß es Kumpel sind, die zur Schicht gehen. Dahinten liegt die Kolonie, in der sie wohnen. Wenn sie sich umdrehen, sehen sie das Haus, in dem Frau und Kinder von den paar Kröten, die sie heimbringen, ihr Leben fristen. Vor ihnen aber liegt die Zeche, die sie für die nächsten acht Stunden durch den Schacht hunderte Meter tief in die Erde hinunterschlucken wird.

Du hast dir mit einiger Mühe die Erlaubnis zur Besichtigung des Bergwerks verschafft, du willst es mit eigenen Augen sehen, wie die Maulwurfsmenschen dort unten ihre Arbeit verrichten. Du läßt dich vom Strom führen.

Die öde Zechenmauer, an der du entlang trottest, wird plötzlich interessant. An einer regengeschützten Stelle kleben ein paar vergilbte, verschmutzte Papierfetzen, Plakate, die einstmals wohl weiß gewesen waren. Mühsam läßt sich aus den wenigen noch lesbaren Buchstaben zusammenstückeln, daß die Sozialisierung marschiere. Wohin mag sie wohl marschiert sein? Da sind auch noch besser erhaltene Plakate aus späteren Jahren. Die Allgemeine-Arbeiter-Union fordert kategorisch: »Werft den Bonzen Eure Verbandsbücher vor die Füße!«, und ein paar Fragmente aus Karl Radeks Rede »Leo Schlageter, der Wanderer ins Nichts!« bezeugen, daß auch während der Ruhrbesetzung die Plakatkunst geübt wurde. Der Ton der neueren Anschläge zeichnet sich durch Nüchternheit aus. Die Probleme sind konkreter geworden. Die Frauen-Agitations-Kommission lädt zu einer Aussprache über den Gebärzwang-Paragraphen ein, der katholische Knappenverein veranstaltet einen Theaterabend im Gesellenhaus, in der Zahlstelle des Bergarbeiterverbandes findet ein Vortrag über die Rationalisierung im Bergbau statt. Am Zechentor erwartet uns ein Mitglied des Betriebsrates. Die Kumpel müssen durch die Markenbude, um ihre Nummern abzuhängen. Da sitzt hinter einer schützenden Glaswand eine Schreiber- oder Portierseele und bewacht die vielen schwarzen Bretter, an denen die Nummernschilder hängen wie die Schlüssel an dem Schlüsselbrett in einer Hotelhalle. Nur daß man hierher nicht kommt, um der Ruhe zu pflegen. Jeder Kumpel nimmt seine Marke, und wer zu spät antritt, bekommt sie nicht mehr und hat seine Schicht verloren. So hat die Verwaltung ihre Kontrolle, weiß, wer unten ist, und sorgt für Pünktlichkeit.

Von der Markenbude klappern die Kumpel weiter zur Lampenbude, wo ihnen die mit ihrem Nummernschild gleichnumerierte Lampe übergeben wird. Wir sehen uns unterdessen am Zechenplatz um. Hier liegt das Förderhaus; es birgt Maschinen, die die Kraft für die Seilfahrt liefern, und den Maschinisten, der die Seilfahrt steuert. Schräg nach oben laufend verbindet das Förderseil den Schachtturm mit dem Förderhaus. Das Förderseil läuft oben am Schachtturm über die Seilscheibe. Am Seil hängt der Förderkorb. Die ganze Maschinerie ist eigentlich ein recht primitiver Flaschenzug, der nur wegen der großen Tiefe, in die er hinunterreicht, solch komplizierten Aufbau braucht. Da stehen noch die Kühltürme, die ein wenig an luftig gebaute Aussichtstürme in einem Park erinnern könnten, wenn sie nicht so hoch wären. Hier fließt Wasser über ungezählt viele hölzerne Querleisten, den ganzen Turm herunter, um unten recht kühl anzukommen und die Kondensation des Dampfes in den Kolben der Dampfmaschinen und Dampfturbinen zu beschleunigen. Und abseits und exklusiv, mit großen Fenstern und sauberer Fassade, begrenzt das mehrstöckige Verwaltungsgebäude den Zechenplatz.

Wir aber betreten jetzt einen einstöckigen, langgestreckten Backsteinbau – die Waschkaue. Das ganze weiträumige Haus riecht nach Seife und Wasserdampf. Die Luft ist so vernebelt, daß wir vorerst gar nichts sehen. Langsam gewöhnen sich die Augen. Durch hochliegende, kleine, beschlagene Fenster dringt spärliches Licht herein. Auf Bankreihen sitzen die Bergleute und entkleiden sich. Wenn sie ihre Kleider vom Leibe haben, bündeln sie sie zusammen, fassen hinter sich an einen eisernen Ständer und lassen einen von den hunderten Kettenzügen herunter, der wie die anderen Kettenzüge oben an der Decke über eine Rolle läuft. Von einem Haken am Ende der Kette lösen sie dann ein anderes Kleiderbündel: Grubenhemd, Grubenhose und die schweren, von Kohlenstaub mattierten Schuhe. Einen Augenblick stehen sie splitterhagelnackt da, dann schlüpfen sie in die Arbeitskluft, befestigen das Straßenzeug an der Kette und ziehen es mit dem Kettenzug bis an die Decke hinauf. Dort schwankt der Packen noch ein wenig zwischen hundert andern Kleiderpacken, und dann hängt er oben mit leeren Hosenbeinen und Ärmeln, daß es aussieht, als schwebte da eine ganze Galerie schlotterdürrer Gehenkter. Dabei sind es doch nur Kumpelplünnen! Acht Meter hoch hängt die Garderobe. Die Kette ist mit einem Vorhängeschloß an dem Ständer angeschlossen. Trau, schau, wem! Wenn auch unter Bergleuten Kameradschaft und Treue wahrlich keine seltenen Tugenden sind – jedem kann man doch nicht ins Herz schauen. Und besser ist besser!

Ein Kauenwärter ist da, der für Ordnung zu sorgen hat, auch im auszementierten Nebenraum, in dem aus Dutzenden Brausen heißes Wasser über kohlenverdreckte Körper rieselt. Dreimal in 24 Stunden wechselt die Schicht, jede dauert acht Stunden. Acht Stunden hat sich der Kumpel im Kohlendreck förmlich gesuhlt; aus Arbeitsschweiß und Pulverkohle hat sich eine Schmutzhaut über seine Poren gelegt; in der Waschkaue wird diese Schmutzkruste unter wohlig warmen Wasserströmen mit Seife aufgelöst. Überall tönt aus seifenblinden Gesichtern der Ruf: »Buckel! Buckel!« Wer dir deinen Rücken abseift, dem mußt du seinen Rücken abseifen; das ist ungeschriebenes aber unverletzliches Recht in der Waschkaue. Nur tüchtig schruppen! Nicht etwa nach dem Prinzip: wasch mir den Pelz und mach ihn mir nicht naß! Der schwarze Grint setzt sich fest auf die Haut, und da die meisten Kumpel mit nacktem Oberkörper arbeiten, so hat es der Rücken besonders nötig.

Bald leuchten die rotgeriebenen Körper in Sauberkeit. Nur die bläulichen Maler der Kohlennarben, von denen die Körper der älteren Bergleute eine reichliche Anzahl haben, lassen sich nicht wegwaschen. Vor Ort zieht man sich leicht Abschürfungen und kleine Verletzungen zu, der Kohlenstaub setzt sich in die Wunden und narbt ein. Die Kohle zeichnet, die ihr dienen.

Dafür gibt es in einer solchen Waschkaue keine dicken Bäuche zu sehen. Was diese Körper jeden Tag hergeben müssen, ist keine Kleinigkeit. An warmen Betriebspunkten verlieren die Kumpel, wie wissenschaftlich festgestellt ist, bis zu drei Kilogramm Schweiß in einer Stunde, und auch bei normaler Arbeitstemperatur ist die Anstrengung so groß, daß keiner Fett ansetzen kann. Dafür hüsteln und husten aber auffallend viele. An allen Ecken und Enden lauert unten im Schacht kalte Zugluft aus Abzugsschächten oder Wettertüren auf die arbeitsheißen Körper, so kommt der Husten. Es fällt auch auf, daß unter diesen Männern so wenige über Mittelgröße haben. Da herrscht wohl das Gesetz einer natürlichen Auswahl; schon die Kleineren haben es schwer genug, in den engen Gängen und Spalten zu arbeiten. Und ist wirklich einmal ein Bergmann höher gewachsen, dann hat er sich sicherlich eine so gebückte Haltung angewöhnt, daß auch er kleiner wirkt.

Es stehen Jungens unter der Brause, deren Haut noch zart und rosa wie die Körper kleiner Ferkelchen ist; die hat der Berg noch nicht lange. Denn die Bergarbeit dörrt und gilbt. Das beweist die Haut der Älteren, die so gelb und trocken gegerbt ist wie das Leder der Klubfauteuils in den Direktionsbüros. Darum ist auch die große Blechflasche, die mit Kornkaffee oder oft auch nur mit Wasser gefüllte Töte, unlöslich mit dem Bergmann verbunden; ohne sie müßte er in Staub und Schweiß verschmachten.

 

Als wir die Kaue verlassen, haben auch wir unser Aussehen verwandelt, wenn uns auch kein Eingeweihter für richtige Bergmänner halten wird; denn was wir auf dem Leibe haben, sind jene Anzüge, die in allen Größen für Besucher bereitliegen. Ich habe sogar eine Lederkappe bekommen, wie sie die Beamten tragen. So ausgestattet führt uns mein Begleiter zur Hängebank. Das ist eine große Halle rund um den Förderturm herum gebaut, in der sich der Güter- und Menschenverkehr zu und vom Schacht vollzieht.

Die Seilfahrt ist schon voll im Gange. Der Förderkorb entläßt einen Trupp kohlenschwarzer Gestalten und nimmt die Kumpels auf, deren Schicht beginnt. Das geht alles sehr fix und nach streng eingehaltener Ordnung. Das armdicke Drahtseil, an dem der eiserne Korb hängt, vibriert verhalten und fein. Ein Anschläger regelt durch ein Signalverfahren die Abfahrt, die vonstatten geht, wenn die einzelnen Etagen des Korbes ihre Fracht in sich schließen; ein Dutzend Leute in jeder Etage, bis der Korb seine 48 Mann Belegschaft hat. Und schon saust der Kasten in die Tiefe.

Mir fällt, während ich mich gebückt an das Drahtgitter stelle, die Mahnung eines Plakates von der Unfallverhütungs-Propaganda ein: »Steh federnd im Korb, nicht mit durchgedrückten Knien!« Nun, abgesehen davon, daß der Korb so niedrig ist, daß durchgedrückte Knie sich schon dadurch verbieten, ist auch sonst die gymnastische Mahnung recht schwer in ein gefühlsmäßiges Verhältnis zu diesen unmenschlichen Menschenkäfigen zu bringen. Die einzelne Etage des Förderkorbs ist just so hoch, daß ein beladener Kohlenwagen bequem darin stehen kann. Und das ist gut und richtig so, denn der Förderkorb ist um der Kohlen willen da. Daß man auch Kumpel, in ihn hineinpfercht – ja, wer soll denn die Kohlen herausholen? Bloß die scheinheiligen Warnungen machen einen darauf aufmerksam, daß den Unternehmern heutzutage ihre Rechnung selbst nicht mehr so ganz stimmen will.

Ein paar Minuten lang saust der Kasten in die Tiefe. Zum erstenmal umfängt mich die dicke, zähe Dunkelheit, die »unter Tage« heißt. Sie drückt mich fest in meine Ecke, sie legt sich wie ein erstickendes, stinkendes Pfühl über mein Gesicht, trotzdem meine und die Grubenlampen meiner elf Gefährten brennen.

Ein Ruck, und wir halten auf der Fördersohle – es ist die höchstgelegene von denen, die noch im Betrieb sind –, sechshundert Meter unter dem Meeresspiegel. Es geht noch zwei Etagen tiefer im Berg, bis auf 1000 Meter, und jede Sohle hat wieder so einen Füllort, wie er da in kaltes, blendendes elektrisches Licht gebadet vor uns liegt. Dieses ausgemauerte niedrige Gewölbe vor dem Förderschacht ist der unterirdische Rangierbahnhof für die Kohlenwagen und Belegschaften der betreffenden Fördersohle.

Hier stehen die Kumpels herum, die ihre Schicht hinter sich gebracht haben und auf die Ausfahrt warten. Das geht in der gleichen Reihe, wie die Einfahrt ging. Der Steiger hat die Marken eine nach der andern, wie sie ihm die Kumpel abgegeben haben, auf einen Draht gezogen, und wer als Erster einfuhr, kommt auch als erster wieder heraus, das heißt, wenn er zeitig genug am Füllort eintrifft. Manche haben nämlich einen so weiten Weg zu ihrem Betriebspunkt, daß es ihnen schwerfällt, pünktlich zu sein.

Man glaube ja nicht, daß es zwischen diesen geschwärzten Gestalten besonders salonfähig zugeht! Das brüllt und pfeift und kommandiert, das flucht und schreit. Junge, Junge, dir fällt plötzlich der Kommiß ein, der angeblich abgeschafft ist, und der uns früher jahrelang das Strammstehen beigebracht hat. Der gemeine Mann, der schließlich doch immer den dicksten Bodensatz der Suppe auslöffeln muß, der braucht das angeblich, der muß nach dem heutigen Stand der Psychologie, angeschrien, angeflucht, bestraft werden.

Hier am Füllort sehen wir auch in langen Reihen volle und leere Kohlenwagen stehen, und zwischen ihnen auf dem Gleisgewirr werken und schieben die Rangierer der unterirdischen Eisenbahn.

Ein Korb saust hinauf, der andere herunter. Mit schmetterndem Krach werden die eisernen Schachtgitter aus- und zugeworfen. Eine kleine Benzol-Lokomotive fährt mit Gebimmel ab. Dutzende leere Kohlenwagen, die eiserne Hunte, taumeln hinter ihr her und verschwinden irgendwo in einer Krümmung des breit und niedrig gewölbten Tunnels. Jetzt werden mit hastender Eile volle Wagen in den Förderkorb geschoben. Die Förderschicht hat begonnen.

 

Das Grünhorn im Schacht folgt benommen den Geleisen durch einen breiten Gang; es ist die Richtstrecke, die sich wie ein Tunnel durch das Gestein der Erde frißt. Das ist die Hauptstraße hier, mit zwei Geleisen, noch immer leidlich erleuchtet und voller eilig hastender Menschen. Aber eine Promenadenallee ist es nicht! Das Grubenwasser sickert über die Schieferwände, und trotzdem hier die Strecke so gut ausgebaut und verzimmert ist wie sonst nirgends im Berg, wird dem Neuling ganz grausig vor der Last der Erde, die über seinem Haupte hängt.

Von der Richtstrecke zweigen rechts und links die Querschläge ab, und obgleich das zuerst auch noch ganz breite, ziemlich bequem gangbare Stollen sind, durch die die Grubenbahn fährt, so beginnt doch hier die eigentliche unterirdische Welt, weil hier die Finsternis anhebt, gegen die das Grubenlämpchen nur einen mühsamen und aussichtslosen Teilsieg erkämpft.

Wie oben auf der Erde in Sonne und Licht, so verzweigt sich auch hier unten das Straßennetz. Wir biegen in einen schmäleren Querschlag ab und folgen ihm bergauf, bergab, an Stollen und Aufhauen vorbei, um »vor Ort« zu kommen – das heißt: an einen Betriebspunkt, wo Kohle abgebaut wird.

Man erklärt uns, was ein Kohlenflöz ist und daß solch eine Kohlenader ihre seltsamen Launen hat, daß sie sich manchmal in den verzwicktesten Windungen durch das Gestein schlängelt, und daß die Wege, auf denen wir gehen, deshalb so schmal und holprig sind, so bergauf und bergab laufen – trotzdem wir durch »ausgebaute Strecke« gehen –, weil diese Gänge durch den Abbau der Kohle entstanden sind, und man es nach Möglichkeit vermeidet, taubes Gestein zu schürfen. Man wird sich doch nicht für die Bequemlichkeit der Herren Kumpel Unkosten machen! Die Wege sind hier für die Kohle gut genug; die Menschen sollen sehen, wie sie sich, mit schweren Lasten beladen, durch sie durchzwängen.

Wir kommen an der Mündungsstelle einer Schüttelrutsche vorbei. Das sind schräg abwärts liegende Blechrinnen, die durch Schüttelbewegungen die Kohle weiterbefördern. Ein Lehrhauer überwacht die Beladung der hier bereitstehenden Wagen. Dem Schlepper obliegt dann die sauere Arbeit, die vollen Wagen bis an das Geleise, oft ein paar hundert Meter weit über das schwierigste Terrain heranzuschieben; von hier holt sie der Zug ab und hierher fährt er auch unermüdlich leere Wagen an.

Oft auch muß die Kohle erst durch den Stapel, das ist ein kleiner Schacht, der die Verbindung zur höher oder tiefer gelegenen Fördersohle herstellt, befördert werden. Auch das ist Aufgabe der Schlepper.

Und jetzt können wir nur noch im Gänsemarsch, mit dicht an den Leib gezogenen Armen weiterkommen: alle diese Maulwurfsgänge sind verbaut und abgestützt. Dicke Holzstämme zu beiden Seiten des Weges, quer von einem zum andern die eisernen Kappschienen, die die Decke stützen. Auf diesem Gerüst liegt ein unvorstellbarer Druck. Dauernd knistert es im Holz und rieselt die Wände lang. Bricht so ein Stempel, knickt eine Kappe ab, dann wird das ganze schwache Werk von Menschenhand zermalmt wie Strohhalme, und weite Strecken werden zugeschüttet. Es liegt im eigenen Interesse der Bergleute, die Verbauung der Strecken mit aller Sorgfalt zu besorgen. Aber sie arbeiten im Akkord, und taubes Gestein zu schaffen, das wird ihnen kaum bezahlt. Ist es unter solchen Umständen ein Wunder, daß der Bergmann, hinter dem überdies noch Steiger und Betriebsführer mit dem Ruf nach Kohle herhetzen, nur zu oft fünfe gerade sein läßt? Es ist gar nicht so abseitig, anzunehmen, daß, wenn es da unten taghell wäre, daß dann kein Mensch sich hinunterwagen würde. Zu deutlich sähe man da, wie nahe der Tod hinter sich biegenden Stempeln, durchgedrückten Deckenstützen, hängendem Gestein lauert.

Endlich gelangen wir an einen Pfeiler (das ist der Raum, wo die Kohle herausgebrochen worden ist), in dem Bergleute arbeiten. Das Flöz mag an dieser Stelle etwa dreiviertel Meter dick sein; er läuft abwärts. Es ist soeben der erste schmale Durchschlupf herausgehauen. Links und rechts, oben und unten ist noch Kohle. Wir hören schaudernd ganz sachlich berichten, daß das umliegende Gestein nachdrückt, wenn die Kohle abgebaut wird. Was wir sehen, ist ein vielleicht 30 Meter langer, schwach ansteigender Gang, der nicht viel breiter und nicht viel höher ist als ein Sarg. An den beiden Seitenwänden sind schon Grubenhölzer eingesetzt. Hier drinnen liegen die Bergleute auf der Seite oder auf dem Rücken, Mann über Mann, so daß der Kopf des einen fast an die Füße des nächsten stößt, und hier arbeiten sie in einer dichten Wolke Kohlenstaub, in der das Grubenlicht rot und verschwimmend flimmert, arbeiten mit Hacke und Schaufel und dem Aufgebot ihrer ganzen Muskelkraft. Neben ihnen poltert mit ohrenbetäubendem Kreischen und Bollern die Schüttelrutsche, in die sie die gehauenen Kohlen hineinwerfen.

An anderen Betriebspunkten sehen wir auch jene Maschinen arbeiten, die heute immer mehr die Handarbeit mit der Spitzhacke verdrängen und so vielen Menschen das Brot wegnehmen. Auch an ihrem Beispiel ist nachzuweisen, daß die schönen technischen Erfindungen und Vervollkommnungen kein Segen für den Arbeiter sind, solange sie nur für den Profit arbeiten. Gewiß ersparen die Preßlufthämmer und Schrämmaschinen vielen Menschen das schwere Los eines Bergmanns; dafür aber tauschen die Befreiten nur den Hunger ein, und die Auserwählten, die ihre Arbeit behalten dürfen, werden nur noch mehr ausgebeutet.

Der mit Preßluft betriebene Abbauhammer wird mit Bauch und Knie gegen die Kohle gedrückt, seine Vibration teilt sich dem ganzen Menschen mit. Acht Stunden lang prellt sein harter Rhythmus den Körper, daß jeder Faser zittert, jeder Nerv bebt. Auch die Schrämmaschine ist kein freundliches nervenschonendes Arbeitsgerät. Sie wird an die Steinwand herangebracht und schneidet knirschend und stampfend einen Sockel, einen Schräm, unter der Kohle heraus, so daß diese dann leichter abgebaut werden kann.

Obwohl unsere Besichtigung kaum die Hälfte einer Schicht dauerte und wir keinen Handstreich gearbeitet haben, sind wir doch froh, als wir wieder am Füllort stehen und mit ein wenig zittrigen Knien den Förderkorb betreten. Welch köstliche Wohltat Luft und Licht doch ist! Wir kamen uns vor wie erlöst, als wir wieder »über Tag« waren, und hatten doch von der ganzen Hölle so gut wie nichts erlebt. Wie wäre es, wenn wir so richtig in ihr Getriebe und in ihre genial ausgedachte Hierarchie hineingerieten?

Je mehr Kohle der Hauer vor Ort losmacht, desto besser für ihn und seine Kameraden, denn von der Zahl der mit Kohle gefüllten Wagen hängt die Höhe ihrer aller Lohn ab. Dieses Akkordsystem ist insofern kompliziert, weil in einem »Gedinge« Hauer, Lehrhauer, manchmal auch Schlepper vereinigt sind, die zu verschiedenen Zeiten am gleichen Betriebspunkte arbeiten. In Verhandlungen mit dem Fahrsteiger wird je nach Beschaffenheit der Kohle und der Abbauverhältnisse der Akkordsatz für den einzelnen Wagen festgesetzt. Da auch der Steiger an der Förderung mit Prozenten und Prämien beteiligt ist, so schließt dieses System schon von vornherein die schärfste Kontrolle in sich. Wer auf seinen Lohn kommen will, muß rücksichtslos schuften, und immer noch steht der Steiger hinter der Kameradschaft und treibt, denn, abgesehen von seinem eigenen Vorteil, wird er auch noch wild angeschnauzt und riskiert seine Stellung, wenn er in seinem Revier sein Fördersoll nicht erreicht.

So ist es eine Eigentümlichkeit des Bergwerksbetriebes, daß die Masse der Belegschaft auch unter Tage in ganz kleine Einheiten zerfällt und daß darum selbst die unterste Schicht, die die ganze Last der Ausbeutung trägt, nur schwer zur Solidarität kommen kann, weil auch hier einer auf den andern drückt. Die Staffelung der Löhne und Akkorde nach Qualifikation und Begünstigung durch den Steiger bringen starke Reibungen zwischen Hauer, Lehrhauer und Schlepper mit sich. Selbst wenn der Schlepper vom Akkord ausgenommen ist, sind doch die Kameraden mit ihrem Akkord an seine Arbeit (das Anschleppen leerer und das Wegschleppen voller Kohlenwagen) gebunden. Um zu seinem Gelde zu kommen, wird der Hauer leicht zum Treiber der eigenen Arbeitskameraden. Die Maschine läuft, weniger vom brüderlichen Zusammengehörigkeitsgefühl, als vom Kampf um die Hungerpfennige geölt.

Die weite räumliche Entfernung einer arbeitenden Gruppe von der andern begünstigt selbstverständlich die Bildung von Cliquen und die Taktik der Aufsichtsbeamten, für die Zwecke der Direktion geeignete Kameradschaften zusammenzustellen. Die kleinen Arbeitseinheiten erschweren die Kontrolle der Arbeiter untereinander und begünstigen Fälle unerhörter Schikaniererei und Brutalität.

Der Umgangston in der Grube läßt es an rauher Offenheit nicht fehlen. Dem trägt sogar das Berggewerbegericht Rechnung, das in einer Verhandlung, der ich selbst beiwohnte, in dem vielgebrauchten Götz-Zitat, selbst als es ein Hauer gegen einen Steiger anwendete, keinen Grund zur sofortigen Entlassung sah.

Man läßt die Leute wenigstens schimpfen; denn in dem was über Worte hinausgeht, sind sie genügend kurzgehalten. Es gibt unzählige Vorschriften und Verbote, Bergbauordnungen und Strafbestimmungen, die die persönliche Freiheit des Kumpels beschränken. Zu einem raffiniert ausgeklügelten Bestrafungssystem fehlt nur noch der Arrest, um die »Mannszucht« vollkommen zu machen.

Auf einer Zeche Hamborns mit 2000 Mann Belegschaft hingen am Monatsschluß die Namen von 170 Bergleuten mit Geldstrafen bis zehn Mark am Schwarzen Brett. Die Strafen waren verhängt worden für Beschädigung des Werkzeugs; Minderladung der Kohlenwagen und kleinere Verstöße gegen die Bergordnung. Fast immer findet man Bestrafungen wegen Schlägereien.

Der Verkehr der Bergleute über Tage mit den Steigern vollzieht sich durch eine winzige Klappe an den Schaltern der Beamten. Diese Methode läßt an deutlicher Niedertracht, aber auch an Rückschlüssen auf die durch das System erzeugte Stimmung der Kumpels nichts zu wünschen übrig. Übrigens wird unter Tag jede Gewaltanwendung sofort mit Entlassung und sogar mit Gefängnis bestraft. In keiner Fabrik herrscht ein ähnliches Kommißsystem, ein so offenes »Vorgesetzten«-Wesen, wie es im Pütt allgemein üblich ist.

Der bekannte Bergbausachverständige der Gewerkschaften, Georg Werner, sagt in seinem Buch »Der Kumpel« aus persönlicher genauer Kenntnis des Milieus:

»Die Gliederung der unterirdischen Belegschaft einer Zeche von etwa 2000 bis 2500 Mann (Durchschnittsgröße im Revier) hat viel Ähnlichkeit mit der Gliederung beim früheren preußischen Militär. So sind die Schlepper – Rekruten; die Lehrhauer und Hauer – alte Mannschaften; die Ortsältesten – Gefreite; die Schießmeister und Förderaufseher – Unteroffiziere; die Fahrhauer – Feldwebel; die (Hilfs)Steiger – Zugleutnants; die Abteilungs- oder Reviersteiger – Kompanieführer; die Fahrsteiger – Bataillionskommandeure und der Betriebsführer – Oberst.« Die Spitze des heutigen Bergwerksbetriebes bildet für den Bergmann der Betriebsführer. Die Arbeiterannahme erfolgt durch ihn, die Entlassungen und die Austragung von Streitigkeiten liegen in seinen Händen. Der Arbeitsnachweis spielt im Ruhrgebiet eine ganz untergeordnete Rolle. Die Arbeitsuchenden drängen sich bei Schichtwechsel vor dem Büro des »Alten« und erwarten die Entscheidung. Wie dieser Herr zu Mittag gegessen hat und gelaunt ist, das ist bei der Einstellung von nicht geringer Bedeutung. Meistens werden die Bergleute einzeln in das Zimmer des Gewaltigen eingelassen, und der erste Eindruck oder die genaue Prüfung der Papiere bestimmen das Resultat. In letzter Zeit verstärkt sich wieder die Tendenz, Auswärtige aus agrarischen Gebieten bei der Einstellung zu bevorzugen. Eine große Anzahl Schachtanlagen befindet sich in ständiger Umorganisierung der Belegschaften. Neue erwerbslose Schichten, die das Bestreben haben, nach langer Arbeitslosigkeit die Arbeit zu halten, lösen die Murrenden und Erbitterten ab. In alten Statistiken findet sich die Tatsache, daß selbst vor dem Krieg zum Beispiel in den Jahren 1900 bis 1902, im Westen allein 600 000 bis 700 000 Bergleute ihre Arbeitsstelle wechselten. Stichproben in dieser Richtung angestellt, würden heute wahrscheinlich ein ähnliches Bild geben.

 

Das System der schwarzen Listen, das Austauschen von Namen unangenehmer Ruhestörer beziehungsweise klassenbewußter Arbeiter zwischen den Schächten und Konzernen erfreut sich regster Förderung durch die Unternehmer. Zahllose Bergleute, die heute in ihrem Wohnort keinerlei Arbeit mehr bekommen können, müssen zu ihrer neuen Arbeitsstelle stundenlang zu Fuß laufen oder die Bahn benützen.

Noch vor wenigen Jahren war es den Steigern möglich, selbständig Leute einzustellen oder wenigstens Fürsprache einzulegen. Die Rationalisierung hat auch hier Wandel geschaffen. Der Steiger wurde zum Aufseher, der auf die Treibarbeit beschränkt ist. Die Einstellungen und Entlassungen haben allein die Betriebsführer zu besorgen. Dafür haben die Steiger eine einheitliche Uniformierung, und die Rationalisierung ist sogar auf die Idee gekommen, auch die Hauer mittels Lederkappen auszuzeichnen und herauszuheben.

Die Belegschaft über Tage ist mit zahlreichen Berginvaliden durchsetzt, die ganz auf die Gnade des Unternehmers angewiesen sind. Und die Anschläger und Förderaufseher rekrutieren sich durchweg aus eingefleischten Unternehmerkreaturen, so daß auch von dieser Schicht nicht viel klassenbewußte Solidarität zu erwarten ist.

Auf der anderen Seite aber zwingt der Pütt durch die dauernde Lebensgefahr, in der sich alle befinden, auch wieder zu einem ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühl, zu einem Füreinander-Eintreten in menschlicher Hinsicht; die Aufopferungsfähigkeit des Kumpels hat sich schon oft bewährt. Die Arbeitskameraden, die manchmal jahrelang zusammenarbeiten und sich genau kennen, sind entscheidender aufeinander angewiesen als die Fabrikarbeiter an der Maschine. Die harte, schmutzige und gefährliche Arbeit schafft harte, rauhe und verschlossene Menschen. Wenn aber ihr Gefühl einmal geweckt ist, kann es eine stärkere Durchschlagskraft haben als bei den um vieles intellektuelleren, bewußteren Großstadtarbeitern.

Um ein Beispiel zu geben, in welchem krassen Mißverhältnis die technische Höhe der Ruhrindustrie zu dem Lebensstandard der Arbeiterbevölkerung steht und wie die Rationalisierung dem Arbeiter nicht den geringsten Vorteil und nur erhöhte Ausbeutung bringt, wollen wir einen Artikel der Bergwerkszeitung über die Rationalisierung im Bergbau auszugsweise wiedergeben.

Bisher bestand, nach Angaben der Bergwerkszeitung, die Tätigkeit eines Hauers im Steinkohlenbergbau ausfolgenden Arbeiten: Bohren, Berieseln, Schießen, Beräumen des Schusses, behelfsmäßigem Ausbau bei druckhaftem Gebirge, Wegfüllen der gewonnenen Kohle, Säubern der Sohle vom Kohlenklein, Stellen des bleibenden Ausbaus, Einbringen des Bergeversatzes, Umlegen der Schüttelrutsche. Schon diese Arbeiten ermöglichten natürlich kein idyllisches Leben in der Grube; sie waren aber schwer im Akkord abzuschätzen und beeinflußten so die Lohnfestsetzung. Heute haben sich laut Bergwerkszeitung folgende tiefgreifende Änderungen ergeben:

1. An Stelle der Bohr- und Schießarbeit tritt immer mehr die Tätigkeit der Bohr- und Schrämmaschine.

2. Die Berieselung wird durch das Gesteinstaubverfahren ersetzt.

3. Das Stellen eines behelfsmäßigen Ausbaus kommt auf vielen Zechen in Fortfall.

4. Der Bergeversatz beginnt maschinell ausgeführt zu werden.

5. Die Kohleförderung wird auf nur eine Schicht (früher zwei) zusammengezogen, die Zimmerung und der Bergeversatz werden in die zweite, zum Teil die dritte Schicht verlegt. Mit dieser Konzentration ist eine weitere Verminderung der Tagesschicht verbunden, die eine Verminderung der Belegschaft, vor allem des Schlepperpersonals ermöglicht.

So wird der Hauer vom Facharbeiter zum einfachen Bediener von Maschinen, seine Arbeit ermöglicht die genaueste Überwachung und größtmögliche Kraftausnutzung.

Der Schreiber des Artikels, ein Oberingenieur, fügt dann unter anderem noch hinzu, daß die durch alle neuen Techniken und Maschinen sich ergebenden Konzentrationsmöglichkeiten ganz bedeutende Vorteile böten, besonders was die Größe der Förderung wie auch was die Verringerung der Zahl der unproduktiven Leute beträfe.

Unproduktive Leute! Und sie müssen verhungern, weil die so hoch begabten Organisierer und Rationalisierer der Wirtschaft eine Kleinigkeit unbeachtet lassen; nämlich: daß die Produktion dazu bestimmt ist, von den Menschen verbraucht zu werden, und daß die Menschen nicht dazu bestimmt sind, für die Kapitalakkumulation verbraucht zu werden.


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