Annemarie Schwarzenbach
Winter in Vorderasien
Annemarie Schwarzenbach

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Die Kaspischen Tore

Wir fuhren von Teheran über Waramin bis in die wüstenähnliche Hochebene, welche das Gebirge Karakatsch von der grossen Salzwüste Kawir trennt.

An ihrem Ende senkt sich der Gebirgszug zu einem niedrigen Sattel: Dort ist der Ort der »Kaspischen Tore«, ein berühmter Völkerdurchgang, die Brücke nach Norden und in die grossen benachbarten Gebiete Innerasiens.

Als Alexander den Dareios Kodomannos verfolgte, liess er sein Heer drei Tage in der Stadt Rhagai rasten, zog dann den Rand der Berge entlang und durch jene Pylae Caspiae nordwärts. Doch hatte den Perserkönig sein Schicksal schon erreicht, und für Alexander blieb keine andere Tat, als den Mörder ans Kreuz zu schlagen.

Rhagai – wir durchfuhren zuerst sein ausgedehntes Ruinenfeld – ist erst durch den Mongolen Hülägü zerstört worden. Er soll siebenhunderttausend Menschen umgebracht haben; die überlieferte Zahl beweist jedenfalls die Schrecklichkeit des Ereignisses.

Wir besuchten den grossen Mongolenturm und stiegen dann zu der Begräbnisstätte der Perser hinauf, dem runden Turm des Schweigens. Auf kahler Geröllhalde erhebt er sich; eine kleine Türöffnung ist noch sichtbar, durch die man die Leichen schob, um sie den Geiern zum Frass zu überlassen.

Überblickt man vom Fuss des Turms das heroisch-düstere Panorama, so erhält sein Name eine strenge Gewalt.

Bis Waramin brauchten wir zwei Stunden und fuhren durch die gleichnamige Ebene; ein fruchtbares und beinahe 146 anmutiges Land mit Äckern und Weiden und ummauerten Gärten. Wir kamen auch an vielen Ruinen vorbei; es mögen Militärstationen, Karawanenobdache, Befestigungen gewesen sein; einige sind aber so umfangreich, dass man innerhalb ihrer Mauern eine ganze Stadt vermuten möchte.

Diese Plätze sind alle noch nicht oder nur flüchtig untersucht und der Archäologie und Geschichte unbekannt.

 

Ausserhalb des Dorfes Waramin steht die Ruine der »Grossen Moschee«, einer der ältesten und schönsten Moscheen Persiens. In ihrem Inneren sind noch köstliche Reste jener Lehmstruktur erhalten, die man vor der Mongolenzeit und besonders im 13. Jahrhundert in Persien vollendet herstellte. Bunte Kacheln schmücken das zerbrochene Eingangstor.

Die Moschee stand damals in einer blühenden Stadt; als Rhagai durch die Mongolen zerstört worden war, wurde Waramin ihre Nachfolgerin, und lange blieb ihre Keramikfabrik berühmt. Im Norden der Moschee befindet sich ein ausgedehntes Feld voller Scherben von glasierten Kacheln und verschiedenartiger Töpferei.

Heute kann man sich für die schöne Ruine keine idyllischere Umgebung denken als die grünen Weiden, die sich bis zu niedrigen Hügelzügen fortsetzen und bis zum Dorf Waramin mit seinem gelben Mongolenturm.

Das weisse Gebirge am Horizont ist so weit entfernt, dass es seiner Macht entkleidet wird und sich wie die Kulisse auf alten schweizerischen Landschaftsstichen ausnimmt.

Von Waramin fuhren wir auf einer schlechten Strasse bis Dschaafar, einem hübschen Dorf mit engen Gassen zwischen 147 hohen Lehmmauern, grossen Gärten und Gurkenfeldern und einem ländlichen Basar, wo es allerhand Handwerker, Schuster, Bäcker, Schmiede und Filzklopfer gibt. Wir sahen den Filzklopfern eine Weile zu: Sie knien zu viert oder zu mehreren in der erhöhten Bude und werfen sich mit dem Gewicht ihres Oberkörpers in rhythmischen Abständen auf die Filzrolle. Man sieht das feste weisse Material zuweilen rotbestickt als Pferdedecken. Die Strasse durch den Basar ist schmal und winklig und kaum für eine Kamelkarawane gedacht, geschweige denn für einen langen Wagen. Gleich dahinter führt der Weg durch kahle Sandhügel aufwärts und ist nun nichts mehr als eine schwach sichtbare Karawanenspur. Der Boden war ganz trocken, und wir fuhren, als wir die Höhe erreicht hatten, noch etwa eine halbe Stunde in die Ebene hinein, die sich plötzlich vor uns auftat. Sie ist stellenweise mit weissem Salz bedeckt und bildet die Schwelle zur Grossen Kawir, deren Durchquerung eine der ersten grossen Unternehmungen Sven Hedins gewesen ist. Wir sahen rechts von uns ihre dunklen Randketten. Links, am Ende der Ebene, erblickten wir die Heerstrasse Alexanders, heute ein dürftiger, von Lastautomobilen und Karawanen benutzter Weg, und im blassem Dunst die breite Einsenkung der »Kaspischen Tore«.

Kurz hinter dem kleinen Dorf Hadschabad hielten wir an und lagerten unter einem Baum: Er war weithin der einzige und hatte, geduldig kärglichen Schatten spendend, schon ein hohes Alter erreicht.

Ich erinnere mich an einen Mann mit zwei Kamelen und einem Kamelfüllen. Wir sahen sie aus der Richtung der weit entfernten Tore auf uns zukommen, unendlich 148 langsam wuchs ihre Nähe, und unendlich langsam zogen sie weiter. Das kleine Kamel trottete auf hohen, sonderbar steifen Beinen neben den erwachsenen Tieren und sandte uns aus länglichen Augen neugierig-zutrauliche Blicke zu.

Wir brachen um vier Uhr wieder auf. Als wir Waramin erreichten, hatten seine Mauern schon die »Leprafarbe« tödlicher Schwermut, ein gedämpftes und lustloses Gelb. Um diese Stunde fühlt man sich in den Gassen persischer Dörfer beklommen und fast gelähmt.

Draussen aber war es ein schöner Abend. Der Demawend befreite sein Haupt einen Augenblick aus den Wolken. Zwei Störche trafen sich auf dem Feld und flogen nahe an uns vorüber zu ihrem Nest, welches schief am Mongolenturm von Waramin klebt. 149

 


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