Arthur Schurig
Francisco Pizarro, der Eroberer von Peru
Arthur Schurig

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XXXII

Das Gebiet von Quito überließ Francisco Pizarro seinem Bruder Gonzalo mit dem besonderen Auftrag, es nach Osten zu erforschen und zu besiedeln. Nach Osten, das heißt nach dem Amazonenstrome zu, dem größten Strome Amerikas, der in hundert Armen aus dem östlichen Rücken der Cordilleren zusammenflutet.

Damit gelangte auch dieser damals dreiunddreißigjährige Bruder des Eroberers in eine hervorragende Stellung. Er war als Soldat ebenso tüchtig wie Hernando Pizarro, mutig und tapfer, aber kein Diplomat, kein Intrigant, kein Komödiant. Körperlich ein angenehmer und gewandter Mann, ward er als der beste Fechter Perús geschätzt. Auch zu Pferd kam ihm keiner gleich. Er soll Gemüt und Humor besessen haben, dazu eine ehrliche offene Art und echte Leutseligkeit. Seine Soldaten bewunderten und liebten ihn. Er verstand sie für alles zu begeistern, was ihm selbst am Herzen lag. Mit einem Worte, er war ein geborener Offizier. Im Kleinkrieg, wie er gegen die Indianer notwendig war, galt er als Meister. Seine Passion war es, besonders schwierige und verwegene Züge persönlich zu leiten. Zum Feldherrn und Organisator fehlte ihm der kalte berechnende Sinn.

Gonzalo erhielt die Nachricht von seiner Ernennung zum Statthalter von Quito in Kuzko im Dezember des Jahres 1539. Er war hocherfreut, denn gerade dieser Gau bot unbegrenzte Möglichkeiten zu Entdeckungsfahrten nach dem östlichen Gebiet, über das als »das Land des Zimts« tausend Fabeln im Umlaufe waren. Er begab sich sofort dahin, und es dauerte nicht lange, so hatte er ein Expeditionskorps von 350 Spaniern (darunter 150 Reiter) und 4000 Indianern angeworben. Reichliche Vorräte an Lebensmitteln (allein 1000 lebendige Schweine) wurden aufgebracht.

Zu Anfang des Jahres 1540 brach Gonzalo auf. Solange der Weg durch das Inka-Reich führte, auf der alten Heerstraße, gab es nur geringe Schwierigkeiten. Man kam durch Gegenden, in denen die Eingeborenen noch in Zucht und Ordnung lebten. Der schlechte abendländische Einfluß hatte hier noch nicht gewirkt. Dann aber betrat man unwirtliches Gebiet, das östliche Hochgebirge. Die großen Strapazen lichteten die Reihe der Spanier und Indianer. Dazu erlebte man ein starkes Erdbeben. Voller Grauen sah man ein ganzes Dorf unter höllischen Schwefeldämpfen in der Erde versinken.

Endlich gelangte man hinab in die jenseitige weite Ebene. Waren eben noch eisige Winde, Schnee und Kälte zu ertragen, so kam man jetzt in eine erdrückende Treibhausluft. Schwere Gewitter und wochenlanger Regen hemmten den Marsch, der über schlammigen Boden mühselig dahinschlich. Etwa zehn Wochen nach dem Aufbruch von Quito war das Land Canelas (Zimtland) erreicht. Weite Wälder voll der kostbaren Bäume waren damit entdeckt. Wenn man sie hätte sogleich ausbeuten können!

Durch Eingeborene erfuhr Gonzalo, daß zehn Tagreisen weiter gutbevölkertes, goldreiches Land läge. Obschon der Zweck der Expedition (die Feststellung des Zimtlandes) erreicht war, beschloß er im Einverständnis aller Teilnehmer den Weitermarsch. Das Gold lockte, so fabelhaft fern es war.

Wälder und Prärien (Savanas) wechselten ab in schier ungeheuerlicher Ausdehnung. Man fand Baumriesen, die zu umfangen sechzehn Männer mit ausgebreiteten Armen nötig waren. Wiederum begann unaufhörlicher Regen. Beim Marsch durch den Urwald mit seinem Gewirr von Schlinggewächsen blieb kein Waffenrock, keine Hose, kein Stiefel ganz. Dazu gingen die Lebensmittel auf die Neige. Die tausend Schweine waren längst in der besseren Welt. Jetzt schlachtete man die großen Hunde, deren fast jeder Spanier mehrere bei sich hatte. (Man benutzte sie zur Jagd auf Eingeborene!) Aber auch diese waren längst kaum mehr als Haut und Knochen. Kurzum, es hieß Vegetarianer werden, eine grund-unsoldatische Sache, zumal auf einem solchen Marsche.

Einen Tag der Freude brachte der erste Anblick und das Erreichen des Rio Napó, etwa im Mai 1540. Man zog ein paar Tage am Ufer hin; dann überschritt man ihn auf einer notdürftigen Brücke, die Gonzalo bauen hieß. Man hatte gehofft, am andern Gestade wäre das Vorwärtskommen leichter. Es war ein Irrtum. Der gleiche hohe Urwald hüben wie drüben!

Erschöpft von Mühsal und Hoffnungslosigkeit hielt Pizarro an einem geeigneten Orte eine Rast von acht Wochen ab. Um das Gepäck und die Marschunfähigen fortzubringen, ließ er eine große Zille bauen. Holz war genug da; die Nägel wurden aus den gesammelten Hufeisen der längst umgestandenen und aufgegessenen Pferde geschmiedet. Statt Pech verwandte man Gummi und Harz, das den Bäumen entquoll. Das fertige Fahrzeug vermochte 200 Mann und alles Gepäck zu bergen; es war das erste abendländische Schiff, das diesen entlegenen Strom befuhr.

Zum Kapitän ernannte Pizarro den Ritter Francisco de Orellano, aus Truxillo in Spanien gebürtig, einen verwegenen Mann, dem er mit diesem Kommando die Unsterblichkeit verlieh. Er ist der erste Europäer, der den Amazonenstrom, den König der amerikanischen Ströme, von der Einmündung des Napó bis zur Mündung in den Atlantic, auf einer Strecke von 300 km, befahren hat, und dies auf einem fragwürdigen Schiffe. Erst 102 Jahre später (1743) unternahm ein andrer Abendländer, der Franzose de la Condamine, die gleiche Reise.

Wochenlang ging der Marsch weiter. Gonzalo führte den Haupttrupp zu Fuß entlang des Flusses, während die Zille die gleiche Strecke auf dem Wasser zurücklegte, so daß man abends Vorräte und Gepäck bereit fand. Von den Eingeborenen hörte man immer wieder, einige Tagreisen weiter fange bevölkertes Gebiet an.

Schließlich machte Pizarro Halt. Auf diese Weise den Vormarsch fortzusetzen, schien unmöglich. Er ließ ein Lager errichten und gab Orellano den Auftrag, mit 50 ausgesuchten Leuten weiterzufahren und aus dem bevölkerten Gebiete Nahrungsmittel heranzuschaffen. Der Ritter samt Schiff und Genossen fuhr ab – und ward von den Zurückbleibenden nicht mehr gesehen.

Die rasche Strömung führte das Schiff in drei Tagen an die über 1000 km entfernte Vereinigungsstelle des Napó mit dem Amazonas. Da er auch dort keine Ansiedlung von Eingeborenen fand, sah er sich vor der Frage: sollte er zurückgehen (was zu Schiff unmöglich war) oder weiterfahren?

Man hielt Rat. Das liebgewonnene Schiff verlassen, wollte keiner. Der Gedanke, die Anderen im Stiche lassen zu sollen, ward erwogen. Aber schließlich: eine Umkehr brachte auch ihnen weder Hilfe noch Rettung. So fuhr man in den Amazonenstrom ein, dem fernen Ozean entgegen. Das war ein mannhafter Entschluß, von Erfolg gekrönt.

Die Einzelheiten der Fahrt gehören nicht in dies Pizarro-Buch, denn zur Stunde, wo sich Orellano absonderte, verließ er seinen General. Es sei hier nur bemerkt, daß sein Schiff unter Überwindung von tausend Gefahren die Mündung des Stromes erreichte und sodann die Insel Margarita. Von da begab er sich nach Spanien. Im Jahre 1544 begründete er eine Ansiedlung an der Mündung des Amazonenstromes, den er Rio Orellano taufte. Dieser Name hat sich nicht eingebürgert. Der Mönch Carvajal, einer der fünfzig Genossen auf der wundersamen Fahrt, hat einen Bericht veröffentlicht (man findet ihn in der berühmten »Historia de las Indias« von Gonzalo Fernandez de Oviedo), in dem er erzählt, am Einflüsse des Rio Negro habe man Dörfer angetroffen, die nur von Weibern bewohnt seien, und diese Weiber wären ihnen »como amaconas« vorgekommen. Danach bekam der Strom seinen bleibenden Namen.

Vergebens harrte Gonzalo Pizarro der Wiederkehr des Schiffes. Nach etlichen Wochen entschloß er sich zum Weitermarsche. Acht Wochen brauchte man, um die 200 Leguas (1150 km) zurückzulegen, bis man an den Amazonenstrom kam. Als man dort weder eine Spur vom Ritter Orellano noch vom Beginn eines Kulturlandes vorfand, gab Pizarro das weitere Vordringen auf.

Während man noch rastete, stellte sich, verlumpt und halbverhungert, einer der Fünfzig ein, ein Landsknecht namens Sanchez de Vargas, der sich an der Weiterfahrt nicht beteiligt hatte, angeblich weil er sich darüber beunruhigte, daß man Pizarro und seine Gefährten im Stiche ließ. Die gefühlvollen Bedenken dieses weißen Raben im Jahrhundert Machiavells hatten ihr Gutes: Pizarro wußte nun bestimmt, woran er war. Es blieb ihm und seinen Leuten kaum etwas andres übrig als den langen beschwerlichen Rückweg anzutreten. Man war 400 Leguas (2300 km) von Quito entfernt. Ein Jahr war vergangen, daß man von dort weggegangen war. Somit stand man vor einem Heimmarsche, der mindestens abermals ein Jahr währen mußte. So gräßlich der Gedanke war: in der Beratung, die Gonzalo Pizarro mit den Tüchtigsten seiner Gefährten abhielt, fand man keinen anderen Ausweg.

Mit dem Mute der Verzweiflung machte sich die zusammengeschmolzene Schar auf den Weg. Ende Juni 1542 (nach fünfzehn Monaten Marsch) erreichte man die Hochebene von Quito. Achtzig Spanier und 1200 Indianer waren es noch, die gebrochen und entstellt einzogen, in Tierhäute gekleidet, mit verrosteten Waffen, ohne Pferde und ohne Beute. Aber sie hatten den Ruhm, eine Entdeckungsfahrt hinter sich zu haben, die in der Geschichte Amerikas kaum ihresgleichen hat.


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