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Der Schweinebraten

1823

Zu den Verlegern, mit denen es Beethoven im letzten Jahrzehnt seines Lebens zu tun hat, gehört Adolph Martin Schlesinger, dessen Geschäft 1810 in Berlin gegründet ist. Zuvor war er kleiner Antiquar und Musikalienhändler. Im September 1819 knüpft er Verbindung mit Beethoven an, und zwar durch den ältesten seiner drei Söhne, Moritz Schlesinger. Die Unsterblichkeit dieses Mannes, der später ein einträgliches Pariser Zweiggeschäft eröffnet und sich dabei den Vornamen Maurice zulegt, beruht auf der famosen Geschichte vom Schweinebraten, die der Nachwelt verloren gegangen wäre, wenn Maurice sie nicht einmal im Freundeskreise bei fröhlichem Mahl zum Besten gegeben hätte; nur hat er aus dem obligaten Schweinebraten eine unhistorische Kalbskeule gemacht, was wir ihm bei seinem sonstigen Verdienst um den Meister nicht weiter übelnehmen.

Moritz Schlesinger erfährt in Wien, wo er allerlei zu erledigen hat, daß Beethoven draußen in Mödling in der Sommerfrische weilt. Eines schönen Tages nimmt er sich einen Fiaker und fährt hinaus. Beethoven, immer und durchaus nicht zu wenig Geschäftsmann, empfängt ihn, denn Verleger, die einen besuchen, auch unbekannte, darf kein kluger Autor abweisen. Immerhin, der Meister ist gerade fuchsteufelswilder Laune und verhehlt dies dem Berliner Besucher nicht.

Schlesinger erkundigt sich respektvoll nach der Ursache der Verstimmung.

»Ich bin der unglücklichste Mann unterm Monde«, erwidert Beethoven. »Ich hatte heute unbändigen Appetit auf Schweinebraten. Verstehen Sie das, Herr Schlesinger?«

Moritz bejaht es respektvoll.

»Und just heute« – fährt der Empörte im Pathos seiner Entbehrung fort – »just heute mittag gibt es im elenden Gasthofe hiesigen Orts keinen Schweinebraten. Was anders will ich nicht essen, und so hab ich zur Stunde Mordshunger und Hundelaune. Verstehen Sie das, Herr Schlesinger?«

Moritz Schlesinger versichert respektvoll sein ganzes Verständnis, aber mit tiefem Bedauern sieht er zugleich ein, daß er heute mit dem berühmten Komponisten, der ihm sowieso als schwer zugänglich geschildert worden ist, kein Geschäft machen kann.

Wie er wieder im Fiaker sitzt, fällt dem Enttäuschten ein, daß ihm Schlesinger senior auf die Seele gebunden hat, Wien ja nicht ohne ein Verträgelchen mit Beethoven zu verlassen. Was tun? fragt sich Schlesinger junior. Da erleuchtet ihn ein genialer Gedanke. In der Stadt angelangt, muß ihn der Kutscher sofort zum Hoftraiteur Jahn in der Himmelpfortgasse fahren. Dort ersteht Schlesinger unter Hinweis auf Beethoven – der Meister ist seit 1792 beliebter Stammgast ihm Jahnschen Hause – einen prächtigen Schweinebraten und beauftragt den Kutscher, unverzüglich nochmals nach Mödling hinauszutraben und Bratenschüssel nebst schweinernem Inhalte mit höflichster Empfehlung des Spenders beim Meister Ludwig van Beethoven abzugeben.

Dieser wahren Geschichte fügte Moritz Schlesinger hinzu: Am andern Morgen, als ich noch in den Federn lag, erschien der Meister in Persona bei mir im Gasthofe, küßte und herzte mich ...

Ob das mit dem Küssen und Herzen ebenso wahr gewesen, wissen die Götter, aber von Stund an war Adolph Martin Schlesinger einer von Beethovens Verlegern. Allerdings, wie das bei dem immer Mißtrauischen sein Leben lang war, ewig hielt bei ihm kein Bund mit einem Verleger, und so kam es auch zwischen ihm und Schlesinger zu Mißhelligkeiten. In Anbetracht nun aber, daß der Name Beethoven auf dem Titelblatte eines Werks stets ein gutes, zum mindesten ehrenvolles Geschäft ist, entsandte Schlesinger senior den gewandten Schlesinger junior abermals gen Wien.

Am Donnerstag den 4. September 1823 um elf Uhr besucht Moritz Schlesinger den Meister, der diesmal zur Kur in Baden wohnt, zum andern Male. Und abermals gelingt dem pfiffigen Vermittler die Sache vortrefflich. Noch vor Tisch – Beethoven hat ihn zum Mittagsmahl eingeladen – und ehe er ihm auch nur ein Wort von geschäftlicher Absicht verrät, erzählt er wie von ungefähr, es sei in Paris allbekannt, daß Cherubini seinen Schülern und Schülerinnen zu sagen pflege: Die größten musikalischen Geister, die je gelebt haben und je leben werden, sind Mozart und Beethoven ... Natürlich weiß der Schlaumeier, daß Beethoven wenig von seinen komponierenden Zeitgenossen hält und nur einen Einzigen schätzt: Luigi Cherubini. Dann bei Tisch bringt es Schlesinger zuwege, daß auf Goethens Gesundheit getrunken wird. Er hatte auf dem Flügel die drei Bändchen: Wilhelm Meisters Wanderjahre in der Erstausgabe liegen sehen. Ergriffen erhebt sich Beethoven und leert feierlich sein Glas.

So berichten die Biographen, von denen keiner eingesteht, daß das liebe Leben eine große Komödie ist und die Historik eine noch größere.


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