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Der freigebliebene Freier

1810

In den ersten Tagen des Februar 1810, inmitten der Arbeit an der Egmont-Musik, ist Beethoven guter Laune wie seit langem nicht. Muzio Clementi, der durchtriebene Londoner Verleger in Firma Clementi & Collard, hat dem Meister soeben die ihm vor zwei Jahren abgekauften Werke bezahlt, und so verfügt Beethoven über zweihundert Pfund in gutem englischen Gelde zu einer Zeit, da der österreichische Papiergulden von Tag zu Tag an Kaufkraft verliert, bis es am 11. Februar 1811 durch das sogenannte Finanzpatent zum Staatsbankrott kommt. Beethovens Bankier Joseph v. Henikstein, einer der zahllosen gegen Geldopfer geadelten Semiten der Monarchie, ein Freund der Beethovenschen Musik, nimmt ihm mit der Geste der Generosität das Pfund um 27½ Gulden von Bedarfsfall zu Bedarfsfall ab. Beethoven freut sich seines Erdendaseins und sieht alle Himmel offen. Im November und dann nochmals im Dezember des Vorjahres hatte sich ein chronisches Darmleiden recht unangenehm bemerkbar gemacht; jetzt nimmt der Übermütige sogar am Karnevalstreiben teil. Man sieht ihn auf Redouten. Beethoven tanzt!

Im Oktober des vergangenen bösen Kriegsjahres, nach Rückkehr seines Freundes Ignaz v. Gleichenstein aus der badischen Heimat, in die er sich während des Feldzugs von 1809 (wie auch schon in den Kriegsjahren 1805 und 1806) gedrückt hatte, war der sich seinem vierzigsten Lebensjahre nähernde Meister auf seinen Wunsch durch den Genannten in der Familie des reichen Gutsbesitzers Jakob Friedrich v. Malfatti eingeführt worden.

Gleichenstein, Assessor im Hofkriegsrat, war seit Beethovens Zwist mit seinem Bruder Kaspar Karl (im Juli 1807) des Meisters Geheimsekretär ohne Gehalt geworden und geblieben bis zu seiner Flucht im März 1809. Die Freunde kennen sich seit Ostern 1794; damals ward Beethoven auf Albrechtsbergers, des Kapellmeisters von Sankt Stephan, Empfehlung der Klavierlehrer des Sechzehnjährigen. Gleichensteins Vater ist der alte Geheimrat Karl v. Gleichenstein, ehedem Amtmann in Staufen, dem Geburtsorte des Assessors, der jetzt auf Freiersfüßen wandelt. Er ist verlobt mit der siebzehnjährigen Anna v. Malfatti, deren elf Monate ältere Schwester Therese Beethovens Herz erfüllt. Er geht ernstlich mit dem kühnen Gedanken um, Gleichensteins Schwager zu werden. Die leichtherzige schöne Italienerin schürt das entbrannte Feuer, indem sie den verliebten Komponisten mit dem Netze des Flirts umgarnt.

Jeden Sonntag am Nachmittag ist bei den Malfattis Gast- und Musiktag. Gleichenstein begibt sich regelmäßig hin, und Beethoven schließt sich ihm nunmehr getreulich an. Durch seine Braut verständigt, weiß Ignaz bald, daß Therese zwar den Künstler Beethoven hoch verehrt, dem Menschen jedoch ihre Huld nur im koketten Spiele schenkt. Sie denkt nicht daran, seine ehrliche Neigung ebenso ehrlich zu erwidern. In der Ehe, wie sie sich wünscht, will sie die von aller Welt umworbene Herrin eines großen aristokratischen Hauses sein. Gleichenstein, auch hierin kein mutiger Mann, wagt es nicht, den Freund vor der gefährlichen Circe zu warnen.

An diesen Nachmittagen, sei es in Malfattis Stadthause, sei es in seiner Villa zu Mödling, wird musiziert, gespielt, getanzt. Beethoven, der sich sonst ungern am Klavier hören läßt, improvisiert, sowie Therese ihn darum bittet, voll köstlicher Gedanken. Abends, bei dampfender Bowle, wird gescherzt und gelacht. In guter Stunde weiß Beethoven glänzend zu erzählen.

Im Februar schreibt er einmal an Gleichenstein: Hier ist die Sonate, die ich der Therese versprochen. Da ich sie heute nicht sehen kann, so übergib sie ihr. Empfehle mich ihnen allen. Mir ist so wohl bei ihnen. Es ist, als könnten die Wunden, wodurch mir böse Menschen die Seele zerrissen haben, durch sie wieder geheilt werden. Ich danke Dir, guter Gleichenstein, daß Du mich dorthin gebracht hast.

Das übersandte Werk ist eine Abschrift der dann im Dezember erscheinenden Sonatine in G (op. 79), die sorglos hingeschriebene Kuckucks-Sonate.

Wie einst in Bonn mit Leonore erlebt er die ganze Gefühlsskala der Wertherstimmung. Am Morgen nach einem frohen Abend, der dem Meister wie die ersehnte erste Landung auf Kythera angemutet, erhält er ein Briefchen von Gleichenstein, das ihm unfaßbar ist.

Seine Antwort spiegelt seinen Schmerz:

Deine Nachricht stürzt mich aus den Regionen des Glücks wieder tief hinab. Wozu der Zusatz, Du wolltest es mir sagen lassen, wann wieder Musik sei? Bin ich denn nichts als Dein Musikus oder der Anderen? So ist's wenigstens auszulegen. Ich kann also wieder in meinem eigenen Busen einen Anlehnungspunkt suchen. Von außen gibt es keinen für mich. So sei es denn! Für dich, armer Beethoven, gibt es kein Glück von außen. Du mußt dir alles in dir selber schaffen. Nur in der idealen Welt findest du Freunde. Ich bitte Dich: Sage mir die Wahrheit. Ich höre sie ebenso gern wie ich sie sage. Jetzt ist es noch Zeit. Noch können mir Wahrheiten nützen. Lebwohl!

Aber welcher Verliebte gäbe die Hoffnung aus reiner Vernunft auf? Beethoven keineswegs. Und so schreibt er jenen berühmten Brief vom 2. Mai an seinen Jugendfreund Franz Wegeler nach Koblenz mit der Bitte, ihm den zur Trauung – den Zweck verschweigt er – nötigen Taufschein in Bonn zu besorgen.

Um diese Zeit ist Beethoven oft im Schlosse Schönbrunn. Der Herr will mich bei sich haben, schreibt er an Nikolaus v. Zmeskall, womit er seinen Schüler und Gönner, den Erzherzog Rudolf meint. Und Theresen berichtet er: Sie würden vergeblich suchen, um nur auch eine entfernte Ursache in Ihnen zu finden, die mein Betragen dahin stimmen könnte, wie es jetzt der Fall ist. Nein, in mir selber ist es einmal so. Schon gestern wollte ich von Schönbrunn zu Ihnen; allein ich hätte wieder zurück müssen, und da ich, wenn ich bei Ihnen bin, nicht ohne mir Gewalt anzutun fortkann, so mußte das unterbleiben. Ich will es glauben, daß Ihnen vielleicht etwas an mir liegt. Daher nehme ich auch den Anlaß dazu, Ihnen zu sagen, daß Sie mir alle so lieb sind, daß es hierin schwerlich noch einen höheren Grad geben kann. Sobald als möglich bin ich wieder bei Ihnen ...

Aber früher als eigentlich geplant, wohl gerade im Hinblick auf Beethovens häufige Besuche, vertauscht die Familie Malfatti die Wohnung in der Stadt mit dem Sommersitz in ihrem Gut Wolkersdorf, das eine Tagesreise entfernt jenseits der Donau liegt.

Kaum ist Therese ein paar Tage dort, da schickt ihr der Vereinsamte eine kleine Komposition, dazu einen Brief, in dem es heißt:

Es wäre wohl zu viel gebaut auf Sie oder mein Wert zu hoch angesetzt, wenn ich Ihnen zuschriebe: Die Menschen sind nicht nur zusammen, wenn sie beisammen sind; auch der Entfernte, der Abgeschiedene lebt uns. Wer wollte der flüchtigen, alles im Leben leicht behandelnden Therese so etwas zuschreiben? ... Ich lebe einsam und still. Obschon hier und da mich Lichter aufwecken möchten, so ist doch, seit Sie alle von hier fort sind, eine unausfüllbare Lücke in mir entstanden, worüber selbst meine Kunst, die mir sonst so getreue, noch keinen Triumph hat erhalten können ... Wie glücklich sind Sie, daß Sie so früh aufs Land konnten. Erst am 8. kann ich diese Glückseligkeit genießen. Kindlich freue ich mich darauf. Wie froh bin ich, einmal wieder in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu dürfen. Kein Mensch kann das Land so lieben wie ich; geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht ...

Im weiteren fragt er, ob Therese Goethens Wilhelm Meister und Schlegels Dramen von Shakespeare gelesen habe? Ob er ihr diese Werke schicken solle?

Er schließt mit den Worten: Leben Sie wohl, verehrte Therese! Ich wünsche Ihnen alles, was im Leben gut und schön ist. Erinnern Sie sich meiner und gern! Vergessen Sie das Tolle. Seien Sie überzeugt, niemand kann Ihr Leben freier und glücklicher wissen wollen als ich, und selbst dann, wenn Sie keinen Anteil nehmen an Ihrem ergebensten Diener und Freund Beethoven.

 

Das Glück, das dem Freunde zuteil wird, auf einige Tage nach dem Gute eingeladen zu werden, widerfährt Beethoven nicht. In seiner Betrübnis schreibt er am 4. Mai an Gleichenstein:

Du lebst auf stiller ruhiger See oder schon im sicheren Hafen. Des Freundes Not, der sich im Sturm befindet, fühlst Du nicht oder darfst Du nicht fühlen. Was wird man im Sterne der Venus Urania von mir denken, wie mich beurteilen, ohne mich zu sehen? Mein Stolz ist so gebeugt: auch unaufgefordert würde ich mit Dir reisen dahin ... Wenn Du nur aufrichtiger sein wolltest! Du verhehlst mir gewiß etwas. Du willst mich schonen und erregst mir mehr Weh in dieser Ungewißheit als in der noch so fatalen Gewißheit. Lebwohl, denk und handle für mich! Dem Papier läßt sich nichts weiter von dem, was in mir vorgeht, anvertrauen.

Beethoven grübelt über alle Möglichkeiten eines Wiedersehens, einer Aussprache, einer Erklärung nach.

Unaufgefordert in Wolkersdorf erscheinen? Unmöglich. So bleibt dem Ruhelosen nichts übrig als der fernen Geliebten zu schreiben.

Es geschieht am Spätabend des 4. Mai. Gleichenstein, der sich am nächsten Morgen, am Sonntag, nach Wolkersdorf begeben will, soll den Brief mitnehmen – ein sicherer Bote bringt ihn ihm noch nachts – und Theresen einhändigen.

Das Begleitbriefchen an den Freund, der im Grunde längst keiner mehr ist, lautet:

Lieber Freund. So verflucht spät. Drücke alle warm ans Herz! Warum kann meines nicht dabei sein? Lebwohl! Mittwochs früh bin ich bei Dir. Der Brief [an Therese] ist so geschrieben, daß ihn die ganze Welt lesen kann. Findest Du das Papier vom Umschlag nicht rein genug, so mach ein andres drum. Bei der Nacht kann ich nicht sehen, ob's rein ist. Lebwohl, lieber Freund, denk und handle auch für Deinen treuen Freund Beethoven!

 

Der Versuch zu schlafen, nachdem der Brief fort ist, mißglückt dem grübelnden Freier. Bei Tagesgrauen macht er sich, sein Skizzenbuch in der Tasche, auf und davon. Wie die rote Sonne aufgeht, steht er auf der Höhe des Kahlenbergs. Ausschauend glaubt er gegen Nordosten den Kirchturm von Wolkersdorf zu erkennen.

Sodann, seiner glücklichen Natur zu Dank, alle Gegenwart vergessend, unter einer Eiche gelagert, den herrlichen Ausblick über die vielarmige Donau weithin kaum noch beachtend, verliert er sich in seine Arbeit am F-Moll-Quartett (op. 95), die er einem Vertrauten jener Tage, Nikolaus v. Zmeskall, zu widmen gedenkt.

 

Gleichenstein ist in der Nacht zum Mittwoch zurückgekommen; gegen acht, eine Stunde ehe er in seinen Dienst geht, sitzt auch schon Beethoven an seinem Kaffeetische.

Niedergedrückt von der Gewißheit, verstummt der erst von hundert Fragen Erfüllte.

»Mein Gott« – wagt der verlegene Freund sich zu äußern – »vielleicht ist auch Malfattis Vetter, der Dr. Johann v. Malfatti, dein Arzt seit so vielen Jahren, im Spiele. Ein kranker Mann wie du, darf der überhaupt daran denken, eine Dame der Welt heimführen zu wollen?

Wegelers Antwort samt Taufschein trifft am 24. Mai ein, just am Tage der ersten Aufführung der Egmont-Ouvertüre. Es ist nach Tisch. Der Meister – eben aus Hetzendorf hereingekommen, wo er auf einige Tage gewohnt – sitzt am Fenster, im Lehnstuhle, neben sich auf einem kleinen Tische den Kaffee. Oliva hat ihn nach gewohntem Rezept bereitet.

Beethoven studiert das eingetroffene Dokument.

»Oliva,« sagt er nach einer Weile, sonderbar im Ton seiner Stimme, »das Intermezzo hat mich zwei Jahre gekostet, zwei Jahre meines Lebens.«

Oliva: »Ich verstehe das nicht.«

Beethoven: »Wie ich als kleiner Junge zum ersten Male im Bonner Schlosse spielen durfte, – es mag zu Beginn des Jahres 1778 gewesen sein, kurz bevor ich dann öffentlich in Köln vorgeführt ward, – da gab mich der Vater als sechsjährig aus. Jedermann hat es geglaubt, und ich bis heute auch. Aber – hier steht es verbrieft! – mein Geburtsjahr ist 1770.«

»Merkwürdig,« fährt er fort, »ich fühl es in Fleisch und Blut. Ich bin in diesem Mai wirklich um zwei Jahre gealtert. Nicht bloß durch dies Papier. Und wem zuliebe? Einer schönen Zauberin. Weib? Geliebte? Was war sie mir? Was ich ihr? Ayez-la! Das war die Parole! Ich habe den Feldzug verloren. Mein Wagram. Wohl mir, die Geschichte ist vorüber.«

Er beginnt zu lesen.

Wie er gegen Abend ausgeht, nimmt Oliva das Buch auf. Es ist ein Band Herder, und auf den aufgeschlagenen zwei Seiten ist eine Stelle angestrichen:

Im Ungemach verzage nicht, den Tag zu sehn,
der Freude dir für Sorge bringt und Lust für Gram!
Oft drohte dir ein schwarz Gewölk und ward verweht,
eh' es den Sturm ausschüttete aus dunklem Schoß.
Die Zeit bringt Wunder an den Tag. Unzählbar sind
die Güter, die du hoffen kannst vom großen Gott.

Ignaz v. Gleichenstein, der verlorene Freund, feiert im Mai des nächsten Jahres seine Hochzeit mit Anna v. Malfatti. Das junge Paar verläßt Wien, um im badischen Freiburg sein Haus zu gründen. Therese wird drei Jahre nach des Meisters Werbung die Baronin v. Drosdick. Das große Glück erblüht ihr nicht in dieser Ehe.

Keines der Werke Beethovens, auch nicht die Kuckucks-Sonate, verewigt den Namen der Therese v. Malfatti. Oder doch? Grüßt uns aus diesen Klängen nicht der Hochmut und die Heiterkeit der schönen Italienerin?


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