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Das erzwungene Bildnis

1823

Mit größtem Vergnügen erfülle ich Ihren Wunsch, das Porträt des Herrn van Beethoven zu verfertigen, und melde Ihnen, daß Herr van Beethoven versprochen hat, mir in einigen Tagen zu sitzen, was mich instand setzt, Ihnen bis ungefähr Hälfte Mai das Bild übersenden zu können ...

Der dies am 18. April 1823 dem Leipziger Musikalienverleger Gottfried Christoph Härtel schreibt, ist der 1793 geborene Wiener Bildnismaler Georg Ferdinand Waldmüller, einer der später gefeierten Meister der Biedermeierzeit. Die hervorragenden Fähigkeiten dieses damals bereits vielbeschäftigten, immerhin verkannten Vorläufers der sich befreienden Malerei beweisen sich allein schon durch sein prächtiges Bild des Fürsten Andreas Rasumowsky, das uns hier als aus dem Beethovenkreise besonders nahe steht.

Beethovens Antlitz darstellen zu wollen oder sollen, ist zu keiner Zeit seines Lebens eine einfache Aufgabe gewesen, und mit den zunehmenden Jahren des Komponisten immer weniger. Louis Letronne, Franz Klein, Ferdinand Schimon, um nur die zu nennen, denen es gelungen, den Meister von der oder jener Seite seines Doppelwesens wirklich zu erfassen, haben große Mühe gehabt, ihn zu den nötigen Sitzungen zu bewegen.

Von Schimon erzählt Schindler aus dem Herbst 1819: Auf meine Fürsprache erhielt der noch junge Maler die Erlaubnis, seine Staffelei neben des Meisters Arbeitszimmer aufzustellen. Eine richtige Sitzung hatte Beethoven standhaft verweigert, denn, in vollem Zuge zu der Missa solemnis erklärte er, keine Stunde Zeit entbehren zu können. Schimon war ihm schon lange auf Weg und Steg nachgeschlichen und hatte bereits mehrere Studien zu seiner Arbeit in der Mappe. Als dann das Bild bis auf ein Wesentliches – den Blick des Auges – fertig war, schien guter Rat teuer, wie dies Allerschwierigste zu erreichen wäre, denn das Augenspiel in Beethovens Kopf, von wunderbarer Art und eine Skala vom wilden, trotzigen bis zum sanften, liebevollsten Ausdrucke, war für den Maler die gefährlichste Klippe. Da kam der Meister entgegen. Das naturwüchsige Wesen des jungen Akademikers, sein ungeniertes Benehmen als sei er in seinem Atelier, sein Kommen ohne Guten Tag und sein Gehen ohne Adieu, behagten Beethoven. Kurz, er lud den jungen Mann zum Kaffee ein. Diese Sitzung am Kaffeetische benutzte Schimon zur Ausarbeitung des Auges, und durch wiederholte Einladungen zu einer Tasse Kaffee ward dem Maler Gelegenheit, seine Arbeit zu vollenden.

Waldmüller hatte nicht soviel Glück. Hören wir die Geschichte seines gleichwohl unvergleichlichen Beethovenbildnisses.

Ferdinand Waldmüller, ein Dreißigjähriger von norddeutschem Typ, ein verbindlicher, zurückhaltender, arbeitsamer, zielbewußter Mensch, selber wenig musikalisch, ist sich von vornherein bewußt, ein Werk übernommen zu haben, das sein malerisches Können vor das Urteil später Zeiten stellt, denn er hört oft genug von der mystischen Gloriole um Beethovens Musik. Auf Erkundigung hin sagt man ihm, der unzugängliche Meister wechsle im Jahre zwei-, dreimal die Wohnung; zurzeit hause er in der Vorstadt Laimgrube, Kotgasse Nummer 61.

Also macht sich der Maler am Dienstag den 17. April auf, Beethoven zu besuchen; aber beim Betreten des häßlichen Hauses in der gräßlichen Kotgasse erfährt er, der närrische Komponist habe zwar im vergangenen Herbst hier gewohnt, sei aber nach drei Monaten wieder ausgezogen. Jetzt habe er sein Heim in der Vorstadt Landstraße, wenn nicht schon wieder wo anders.

Waldmüller begibt sich auf weitere Suche, und es gelingt ihm, kurz vor Mittag in der Ungarstraße 5 im ersten Stock vor Beethovens Tür zu stehen. Auch dies Haus läßt von außen nicht vermuten, daß unter seinen Insassen eine erhabene Persönlichkeit zu finden ist. Es stinkt da nach obskuren kleinen Leuten.

Eine Wirtschafterin öffnet, mürrisch und wortkarg. Sie nimmt die Besuchskarte entgegen und den Zettel, auf dem der Maler vorsorglich anzeigt, daß er im Auftrage der Firma Breitkopf & Härtel in Leipzig anklopft. Eine Minute später sieht sich Waldmüller in einem ziemlich geräumigen, bis auf ein einziges Porträt schmucklosen Empfangszimmer, dem Adjutanten des großen Mannes, Anton Schindler, gegenüber, einem überlangen, wunderlichen, steifen Gesellen.

Der Maler trägt ihm sein Anliegen vor.

»Für Herrn Gottfried Christoph Härtel?« fragt Schindler verwundert. »Soviel ich weiß, steht der Meister mit dem Leipziger Hause seit 1815 nicht mehr in Verbindung.«

Waldmüller meint, offenbar aber schätze man Herrn van Beethoven dort nach wie vor ungemein, da man sein Brustbild in Lebensgröße zu besitzen wünscht.

 

Schindler übermittelt dem Meister im benachbarten Arbeitszimmer Härtels Wunsch und Waldmüllers Bitte um einige Sitzungen. Durch die nur angelehnte Tür hört der Maler das folgende Gespräch, allerdings einseitig, da sich Schindler zu seinen somit unhörbaren Entgegnungen eines Gesprächsheftes bedient.

Hart und ingrimmig erklärt Beethoven: »Ich will nicht mehr konterfeit sein. Es ist oft genug geschehen, und zumeist ohne meinen Beifall.

Mich, den Graukopf, den Todeskandidaten, noch einmal malen wollen, wozu? Der Nachwelt muß Schimons Porträt genügen. Da bin ich ein Halbgott, vor dem meine Verehrer und Verehrerinnen, wenn ich im Grabe noch welche habe, dermaleinst in die Knie fallen können, so es ihnen Spaß macht. Will man mich im vollen Verfalle verewigen? Überdies für Härtel, dem ich nichts schulde? Ja, einst habe ich starke Hoffnungen auf ihn gesetzt. Er ist ein tüchtiger Geschäftsmann von großem Erfolg, gewiß. Meine Fünfte und Sechste Sinfonie sind bei ihm herausgekommen. Und vieles von meinem Besten. Aber am Ende hat er mich enttäuscht. Sprechen wir nicht näher davon! Er hat meine besondre Stellung unter meinen sogenannten Berufsgenossen, meine Bedeutung in der Geschichte meiner Kunst nicht erkannt. Er verleugnet seinen Geschäftsstandpunkt nie. Ich, ich muß auch Geschäftsmann sein. Wir leben nicht mehr im Jahrhundert Mozarts und Haydns. Als erster freier Musiker habe ich es in meinen nun dreißig Wiener Jahren stets abgelehnt, fest angestellt zu werden, ich, ein Mann ohne ererbten Reichtum. Ich fordere, was ich brauche. Mäzene haben mir zunächst geholfen. Dank ihnen! Aber seit dem Staatsbankerott von 1811 gibt es bis auf weiteres in Österreich keine mehr. Eine andre Zeit ist angebrochen, eine Epoche, härter und immer härter für den freien Künstler. Fortan muß der wahre Verleger seinen schöpferischen Arbeiter nicht bloß notdürftig bezahlen, sondern tatsächlich auch dafür sorgen, daß unsereiner alles das ungestört leisten kann, was in ihm ist und was man von außen von ihm erwartet. Härtels guten Kopf kenne ich; von seinem Herzen habe ich nichts erfahren.«

Nach einer Weile, offenbar auf Schindlers Einwürfe sagt Beethoven: »Schön! Gut! Sagen Sie dem Herrn Maler, daß ich ihm eine, eine einzige Sitzung bewillige. Sagen Sie ihm auch, daß ich mitten in einer der größten Arbeiten meines Lebens stehe, einer neuen Sinfonie, die man nicht nur im kleinen Wien hören soll. Sagen Sie ihm endlich, daß ich seit Wochen an den Augen leide. Will er also mit bloß einer Sitzung zufrieden sein, wohlan, so erwarte ich ihn dazu, meinetwegen gleich am kommenden Sonntag. Ich werde in der Frühe wandern und um neun zurück sein. Da kann er mich haben.«

Zur verabredeten Stunde steht Waldmüller erwartungsvoll vor der Staffelei, die er nach Schindlers Weisung im Empfangszimmer aufgerichtet hat. Alles ist vorbereitet, und auch Beethoven erscheint pünktlich. Alsbald sitzt er, umgekleidet, in dunkelgrünem Rocke mit schwarzem Samtkragen, in gelber Weste und weißem Halstuch im Lehnsessel, mit dem Gesicht dem Fenster zu. Schindler, der genau weiß, wie lichtempfindlich der Meister zumal während seines Augenübels ist, hätte hier eingreifen können, aber Waldmüller ist nicht genug weltklug, sich die Gönnerschaft des Egoisten zu erschmeicheln.

Eine halbe Stunde hält Beethoven allen Zwang stumm und still aus; dann aber reizt ihn das grelle Tageslicht. Er wird ungebärdig wie ein verwöhntes Kind, mißlaunig und trotzig. Aufgesprungen, beginnt er im Zimmer hin und her zu gehen. Zuweilen verschwindet er im Nebengemach, um dort am Schreibtische musikalische Einfälle aufzuschreiben. Knurrend wie ein verärgerter Löwe zeigt er sich dann wieder in der Zwischentür und starrt den emsig arbeitenden Eindringling einige Augenblicke mit einer Miene von Gift und Galle an.

Waldmüller, mit Leib und Seele Maler, sich seiner Aufgabe unablenkbar bewußt, hält durch. Nie in seinem Leben war er hartnäckiger als bei dieser heißen Arbeit. Das ungeduldige Modell, der sich wehrende Mann, der ganze böse Beethoven gefällt ihm. Er weiß, daß Beethoven ein Herkules der Arbeit ist. Charaktere von solchem Schlage – sagt er sich – das sind die, die in ihrem Fache jede Schwierigkeit überwinden. Im Kampfe mit der Materie sind wir uns also ebenbürtig.

Doch als es draußen erst von einem, dann von etlichen anderen Kirchtürmen Zwölf schlägt, da macht der hungrige Beethoven nicht mehr mit. Alle Lebensart verleugnend, erklärt er unvermittelt, der Herr Maler könne sich jetzt samt seiner Klexerei auf Nimmerwiederkehr empfehlen.

Voll Künstlerglück hat sich Waldmüller ironisch verbeugt, und während er nun seinen Malertram einpackt, setzen sich Beethoven und Schindler im Eßzimmer an den Mittagstisch. Es ist ein Viertel auf Eins geworden; der Meister ist es gewohnt, Punkt Zwölf zu essen. Und so hat die Wirtschafterin, Frau Schnaps, wie Beethoven sie vor aller Welt zu rufen pflegt (das Mensch sauft! lautet ihre Qualifikation bei ihm), das verzeihliche Mißgeschick gehabt, daß ihr die Maccaroni beinahe zu Brei verkocht sind.

Bis das verunglückte Mahl aufgetragen wird, vertreibt der das Malheur noch nicht Wissende sich die Zeit damit, daß er auf Waldmüller, seine Malefizmalerei und sein schikanöses Benehmen mordsmäßig wettert. Einen Augenkranken gegen das Licht zu setzen! Kein bißchen amüsant zu sein! Überhaupt, wie konnte der reiche Härtel ihm einen grünen Stümper auf den Hals schicken! Kurz, kein gutes Haar bleibt an Waldmüller, der im Nebenzimmer alles vernimmt, zum Glück mit souveränem Selbstbewußtsein. Der hämische Schindler schürt seines Herrn und Meisters sinnlosen Zorn durch hingekritzelte Sarkasmen. Vom ersten Augenblick an war ihm der höfliche, unwienerische, schweigsame, distanzierte junge Mann ein unangenehmer Antipode.

Sodann erscheint der Maler, sich chevalresk zu verabschieden, gerade im Moment im Refektorium, als Beethoven, voller Wut über den Befund der Maccaroni, der Wirtschafterin zur Bekräftigung des ihr soeben erteilten saugroben Rüffels seine Serviette in dickem Holzring an die rote Nase wirft.

Die Szene ist Augenweide für heitere Maleraugen: ein schimpfender Faun, ein grinsender Satyr und vor diesem Tribunal die nicht zum Worte gelangende Küchenhexe ... Dies Bild kann Waldmüller nie im Leben vergessen, und viele Jahre später, Anno 1840, als er in der Zeitung liest, daß vor Schimons Beethoven, den Schindler im Pariser Salon ausgestellt hat, hysterische Männlein und Weiblein gruppenweise in die Knie gesunken sind, da muß er ob solch menschlicher Affenkomödie den ganzen Tag lachen. Er ist einer der komischen Käutze, die ihre Kunst ernst nehmen, im Künstlertum aber persönliches Verdienst nicht gelten lassen. Kann der Agavenbaum in seiner Blütenpracht dafür, daß er kein armseliger Distelbusch ist?

 

In einem zweiten Brief an Härtel vom 3. Mai bezeichnet Waldmüller sein Beethovenbild als halbvollendet. Zugleich teilt er ihm mit, daß er für ein Brustbild zwölf Golddukaten zu verlangen pflege. Nachdem darauf in Leipzig die Bestellung wiederholt worden, versucht der gewissenhafte Maler noch einmal sein Glück in der Ungarstraße, wenn auch überzeugt, daß man ihm keine zweite Sitzung gestatten werde. In der Tat, der Meister empfängt den Maler, verweigert sich ihm aber, und so begnügt sich Waldmüller damit, wie er sich das vorgenommen, seine Unterredung nach Möglichkeit in die Länge zu ziehen. Das unsterbliche Gesicht in sich tragend, vollendet der Künstler sein Bild in der Werkstatt nunmehr rasch.

Einer, der den großen Komponisten oft gesehen hatte, erklärte später bei der Betrachtung des Porträts in Leipzig: Das ist wirklich der Beethoven, wie er aussah, wenn er unwirsch war, wenn er eben Böses gesagt oder gescholten hatte, kurz wie in später Zeit alle ihn nur zu oft haben hören und sehen müssen ...

Dieser lieblose Mann war Musikkritiker; sonst hätte er hinzugefügt: Aber er blieb doch immer der Beethoven, der so wunderbare Harmonien aus sich schöpfen konnte, wie jene Stelle zum Beispiel am Ende des langsamen Satzes im B-Dur-Trio, von der man sagt, sie allein hätte genügt, ihrem Dichter die Unsterblichkeit zu sichern. Er war immer der Beethoven, und immer erklang hinter seinem verkniffenen Auge, dem der grelle Tag zuwider war, die hehre hohe Musik der ewigen Sphära.


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