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Vorwort

Den vor zwei Jahren unter dem Titel Vom Glücke Beethovens im gleichen Verlag erschienenen ersten neun Beethoven-Geschichten folgen hier die zweiten neun. Die dritten und vierten neun sollen 1929 und 1930 nachkommen, so daß schließlich das ganze Leben des Meisters, wechselnd in Chroniken- und Novellen-Art erzählt, vorliegen wird.

Dem Kenner der in fünf Bänden durch den vielgerühmten Amerikaner Thayer gesammelten Beethoven-Materialien wird manche wichtige Abweichung auffallen, sowohl in der Datierung der berührten Begebnisse, wie auch in der Darstellung der Menschen und Leute um Beethoven. Thayers Arbeit liegt weit zurück; er selber ist 1897 gestorben. Über meine eigenen Feststellungen werde ich in zwei, drei Jahren in meinem Itinerarium Beethovenanium ausführlich berichten. Ich gestehe gern, daß mich zunächst die psychologischen Probleme in der Geschichte Beethovens und seiner Zeitgenossen fesseln, und zwar um so mehr, weil Thayer grundsätzlich Wesentliches beschönigt oder verschweigt, wo er auf Zustände, Handlungen und Verwicklungen gestoßen, die seiner spießbürgerlichen nordamerikanischen Moral zuwider waren. Wer nicht gerade im Zuchthause gesessen hat, ist für Mr. Thayer unantastbar. In seinen Augen hat da der Meister immer nur mit Gentlemen zu tun gehabt. Ungern blickt er in das Privatleben von Beethovens Gegenspielern. Und nicht nur seine vielfach beschränkte Weltanschauung hinderte ihn in seinen Biographenpflichten; seine verstaubte Geschichtsauffassung, seine kümmerlichen Literaturkenntnisse, seine arge Ignoranz in der Geschichte des Menschengeistes, alles das wirkt auf den heutigen Menschen geradezu grotesk. Es sei nur auf Thayers lächerliche Stellung zu Napoleon Bonaparte hingewiesen, den er als Advokatensohn und Usurpator abzutun sich erkühnt. Von Klopstock, Herder, Goethe, Schiller, Jean Paul, Kant und Schopenhauer hat Thayer keine Ahnung.

Nachdem persönliche Rücksichten auf Beethovens Zeitgenossen längst keine Berechtigung mehr haben, möchte endlich die durch Unkenntnis, Heuchelei und Prüderie entstellte sogenannte Tradition geklärt und berichtigt werden. Wo die Wahrheit das Wort erhält, erscheint oft ein ganz andrer Beethoven. Es ist gottlob eines der Vorrechte der genialen Männer, daß ihre Werke, Ideen und Taten in jedem Menschenalter neue Gesichter annehmen. Darin wurzelt ihr glänzendes Weiterleben. Wer sich nicht wandeln kann, der stirbt.

 

Auch diesem kleinen Buche ist ein Beethoven-Bildnis beigegeben; und zwar ist das Waldmüllersche aus dem Jahre 1823 gewählt worden, das sich noch immer im Besitze des Verlagshauses Breitkopf & Härtel befindet.

Überlingen am Bodensee, im August 1928

Arthur Schurig


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