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Zweiter Theil.


Ruinen.


Paul war auf dem Heimwege von seinen Reisen begriffen; er kam, von der Sonne des Südens gebräunt, von dem Verweilen in der freien Luft, von dem Klettern in den Apenninen und den Alpen gekräftigt und gestärkt, aus Italien zurück, und war jetzt von den schweizer Bergen in das Thal des Rheins niedergestiegen. Seine Gestalt hatte etwas Ritterliches bekommen, und wie er sich männlicher und kräftiger fühlte, war auch ein gewisses Verlangen nach Aeußerung dieser Kraft, ein Durst nach einer That über ihn gekommen, ein ritterliches Bedürfniß des Abenteuers. Nachdem er die Reise durch die Schweiz zu Fuß gemacht, hatte er sich deshalb zu Pferde gesetzt, weil dies ihm die männlichste Art zu reisen schien. Zwar sah er bald, daß es wegen der Ermüdung und der Kürze der Tagereisen, welche er seinem Thiere zu Lieb machen mußte, die unbequemste Weise fortzukommen sei, die es gäbe. Aber dennoch war ihm wohler und freier in seinen Bügeln, wenn er in die frische Morgenluft hineinritt, als wenn er neben den langweiligen Chausseegräben zu Fuße sich weiter arbeitete oder eingeschlossen war in den klappernden Kasten einer Postkutsche der damaligen Zeit.

Als er durch Straßburg gekommen, fand er dort Alles in einer wunderbaren Gährung und Unruhe. Paris, der große Herd der Revolution, stand in vollen Flammen und der Kessel, in dem man wie zu einer Hexensuppe so viel alten Unrath geworfen, schäumte über, nach allen Seiten hin sich ergießend. Das Gebräu, hieß es, sollte verjüngen, es sollte zu einem neuen Leben neue Kraft in die Adern des Volkes gießen; Paul sah nur, daß es berauschte; er sah nur die Hexenküche. Die französische Revolution, anfangs von ihm mit Jauchzen begrüßt, wurde ihm immer unverständlicher; sie war eine Thatsache, er sah auf den Thürmen Straßburgs ihre Tricoloren wehen, er sah sie in Schaaren Verbannter über alle Landstraßen redende Zeugen von sich aussenden. Aber sie blieb ihm ein Räthsel, ein Unerklärliches; sie hatte etwas Traumhaftes für ihn. Die Leidenschaften, welche sie entfesselt, zeigten ihm in der Menschheit ein dämonisches Gebiet, für dessen Existenz er keine Erklärung in sich hatte, ein Land der Ungeheuer, von dem er früher geglaubt, daß es nur der Fabel, dem Schreckmährchen für Kinder angehöre. Ueber dem Meeresspiegel der Menschheit, den er nur zuweilen von Stürmen zerwühlt, dann aber auch wieder beruhigt gewähnt hatte, um in stiller Majestät die Sonne Gottes wiederzustrahlen, sah er plötzlich eine wüste Insel thierischer Kannibalen auftauchen.

Er dachte oft an seinen Großvater, den Hofgerichtsamtsverwalter in der guten alten Stadt M., was der wol gesagt zu diesem furchtbaren Wetter am Horizont Europas!

Es war an einem warmen Nachmittage im Sommer. Paul hatte sich von der großen Heerstraße, die auf dem rechten Rheinufer nach Norden führt, entfernt; er war auf die andere Seite des deutschen Stromes hinübergeschweift und ritt durch die Schluchten der Gebirgszüge, welche hier von den Vogesen auslaufend Rheinabwärts ziehen, Naturschönheiten und wo möglich Abenteuern nach. Er dachte an Walther von Aquitanien, der einst mit seiner Hildegunde durch diese Schluchten gezogen und hier mit den Niebelungen sich geschlagen, an König Richard, der in einer der nahen Burgen gefangen saß, und an Blondel, der ihn befreite. Er freute sich aus tiefstem Herzen der deutschen Erde wieder; er hatte vorurtheillos und unbefangen mit offner Seele und geneigt zu bewundern, Länder, Städte und Menschen gesehen; aber er hatte nirgends Deutschland gefunden.

Wie er seines Weges ritt, an den sonnigen Bergwänden her, die bald mit Birken und Buchen bewaldet, bald vom röthlichen Haidekraut überzogen waren, hier die grüne Fläche einer grasbewachsenen Halde zeigten, und dort in einem Steinbruch die festen Massen ihres innern Baues wiesen; während aus dem Brombeergestrüpp die Heuschrecke zirpte und helles Sensengedingel aus den Wiesengründen der Thäler klang; wie er mit dem Auge den Kreisen eines Falken folgte, der mit kurz abgestoßenen Schreien um die Trümmer eines verwitterten Burgstalles auf hohem Bühel flog, als ob ihn der goldne Schein anziehe, den die sinkende Sonne auf die Mauertrümmer legte: da war es ihm, als hauche aus dem frischen Wiesenduft, als rausche aus dem Laubgeschwirre der Birkenäste sein friedliches Vaterland ihm einen Gruß zu, der ihn mit Ernst und Wehmuth erfüllte. Es war jene Wehmuth, die uns erfüllt, wenn wir einem blondlockigen Knaben mit frischen Wangen in die Augen sehen, die noch so hell, in das Gesicht, das noch so froh und dreist und rosig angeglüht. Wir denken dann, durch welche Schicksale dies Leben gezogen werden wird, damit dem Schmerze sein Recht werden könne, Runzeln in diese glatte Stirn zu ziehen, der Sorge ihr Recht, diese rothglühende Wange zu bleichen. – So schien Paul das friedliche schöne Land wie aus hellen Augen anzublicken; aber die Vorgänge im Westen warfen eine bekümmerte Ahnung in seine Seele, wie auch hier die Kämpfe und der Streit zu erwachen hätten, um über all den müden Zuständen seiner Zeit eine durch Einheit, Selbstgefühl und die Herrschaft der Wahrheit große Zukunft sich erheben zu lassen.

Paul war an eine Stelle des Weges gekommen, wo sich links eine steinigte und von Regengüssen verwaschene Fahrstraße abtrennte und den Berg hinauf sich nach der Burgruine emporwand, um deren Gemäuer er den Falken hatte schweben sehen. Er ließ sein Pferd diesen Weg betreten, um von der Höhe des Bühels herab, unter den Trümmern, die Gegend zu überschauen. Schon auf der halben Höhe lohnte sich der Abstecher. Ueber die Berge, die längs des Wegs unten zur Rechten herliefen, sah er jetzt in eine schöne und duftig blaue Ebene fort, ein weites Rebengelände; in der Ferne blitzte hier und da der Rheinspiegel auf. Im Vordergrund, kaum eine Viertelstunde entfernt, tauchten Thürme, Warten und dunkle Dächer einer kleinen Stadt über den Rebenhügeln aus dichtem Wipfelkranze empor.

Die Ruine selbst war nicht so verlassen, als Paul geglaubt hatte. Auf einem Anger vor derselben stand ein bepackter Reisewagen, von dem augenscheinlich lange und anstrengende Dienste gefordert worden waren; eine seiner Federn zeigte sich zerbrochen und mit Stricken nothdürftig wieder befestigt, und ein roh zugehauenes Stück Holz diente in einem der Räder als Ersatzmittel für zwei zerbrochene Speichen. Ueber einen Schutthaufen, Bruchsteine, zertrümmerte Wappenstücke und alte, zierlich in feinern Stein ausgemeißelte Säulenknäufe, die von Nesseln und Gestrüpp überwuchert waren, ging es in das Innere; zuerst tief hinab; es mußten Gewölbe unter diesen ersten Gemächern gewesen sein, die, jetzt verschüttet, noch immer eine tiefe Senkung machten; dann führte links eine steinerne Treppe von vier oder fünf Stufen durch eine schmale Bogenthür in einen andern Raum, dessen Decke zwar auch längst in Staub und Asche aufgegangen, dessen Wände zwar auch nur rohe, oben zerbröckelte Mauern waren, dessen Boden ein Teppich von kargem Grase, wie man es in der ganzen Burg sah: und doch hatte dieser alte Saal plötzlich ein Ansehen von Wohnlichkeit, von einer poetischen Wohnlichkeit mindestens bekommen, die für warme Sommertage und laue Nächte nichts zu wünschen übrig lassen mag. Es war ein großes Stück Leinewand über den Winkel, den zwei an einen Thurm im Hintergrunde stoßende Mauern bildeten, gezogen; in der Ecke darunter sahen Wagenkissen, die über alte Planken gelegt worden, wie eine Art Divan aus, auf welchem eine ältliche Dame ruhte, ein Herr stand davor und trieb mit einem Steine, der als Hammer diente, vier hohe Pflöcke in den Boden, wahrscheinlich um daraus und aus einem neben ihm liegenden Brete einen Tisch herzustellen. Gegenüber an der andern Mauer, wo noch eine Art Rauchfang und geschwärzte Steine die Stelle des ehemaligen Herdes andeuteten, prasselte ein Feuer, vor dem ein anderer ältlicher Mann auf den Knien lag, um es zu schüren. Ein Knabe von acht Jahren sägte mit einem kurzen Degen an dem blühenden Weißdornstrauch, der in einer andern Ecke wucherte.

Als Pauls Tritte auf den wenigen Stufen tönten, welche in diesen Raum führten, stand der vor dem Feuer rasch auf, schlug den Staub von seinen Knien und ging Paul entgegen. Es war ein alter Graukopf mit vollen rothen Wangen, die bis an die Ohren von einem reichgestickten Livreekragen bedeckt wurden. Mit einer tiefen Verbeugung sagte er:

Monsieur, le chateau est occupé! – qui aurai-je l'honneur –?

Benoit, laissez donc cela ici! – sagte der Herr, der die Pflöcke eintrieb und, seinen Stein in der erhobenen Hand haltend, sich neugierig gegen den Eingang wendete.

Benoit schien sich nicht irre machen lassen zu wollen; er stellte sich aufrecht neben die alte Bogenthüre und rief meldend mit lauter Stimme:

Monsieur un tel et tel!

Dann ging er gewissenberuhigt zu seinem Feuer zurück. Paul entschuldigte sein unvermuthetes Eindringen. Der Herr beruhigte ihn mit großer Höflichkeit, die Dame auf den Wappenkissen erwiederte seinen Gruß mit einem freundlichen Kopfnicken, und jener begann dann mit außerordentlicher Lebhaftigkeit auf der Stelle Paul in die Verhältnisse der so sonderbar logierten Familie einzuweihen.

Man muß sich zu helfen wissen, sagte er, indem er dem letzten der Pflöcke den letzten Hieb auf den Kopf gab und dann den Schweiß aus seinem fein geschnittenen und ächt aristokratischen Gesichte wischte, das einen Mann tief in den Funfzigen anzeigte; Sie können von uns lernen, junger Mann, wie man durch Anstelligkeit sich durch die Welt hilft.

Freilich, die Anstelligkeit half diesen Emigrantenfamilien, – denn eine solche hatte Paul, wie er auf der Stelle wahrgenommen, vor sich – durch die Welt. Mit einer wunderbaren Geistesbeweglichkeit wußten diese Franzosen sich in jede Lage zu finden; ohne ihrer Würde etwas zu vergeben, ließen sie sich zu jeder Arbeit herab und ein solcher Marquis-Strohkästchen-Macher blieb eine eben so vornehme und Achtung fordernde Gestalt, als er früher gewesen, wo er noch nie mit anderm Stroh umgegangen, als mit dem leeren allenfalls, das er damals gedroschen. So wußte auch der Vicomte Dervilliers sich in seine jetzige Umgebung zu finden; mitten in der Zigeunerwirthschaft, mit aufgestreiften Hemdärmeln, im Schweiße seines Angesichts, allerlei Bequemlichkeiten für ein Nachtlager ersinnend und herrichtend, war er ganz Vicomte – die auf den Wagenkissen ruhende und für den kleinen Chevalier Dervilliers eine Weste flickende Dame war durchaus Vicomtesse und es konnte Paul diesen Leuten gegenüber nicht einfallen, sich mit weniger Rücksicht zu betragen, als wenn er ihnen einen Besuch in den vergoldeten Sälen ihrer Schlösser in Frankreich gemacht hätte.

Nachdem er eine Zeitlang sich mit dem Marquis unterhalten, ihm sein Bedauern ausgedrückt hatte, einen Mann von seinem Range so übel quartiert zu sehen, und erfahren, der Vicomte habe vor, sich nach Pauls Vaterstadt M. begeben, welche das Ziel vieler dieser Familien war, weil gerade dort ein Bruder der unglücklichen Marie Antoinette als Landesfürst residierte, versprach er den Ausgewanderten eine Empfehlung an die Gastlichkeit des großväterlichen Hauses, und nun ließ ihn, der Vicomte nicht mehr gehen.

Wohin wollen Sie – sagte er, als Paul Abschied nehmen wollte; in die Stadt da unten? Da sind in allen Häusern zehnmal mehr Menschen, als jedes fassen kann; wollen Sie in einer dieser räucherigen Hütten der Nachbarschaft ein Unterkommen suchen? Fi donc! Bleiben Sie bei uns hier oben; bleiben Sie bei uns à la fortune du pot; Benoit kocht vortrefflich, und hat allerlei gute Dinge aus dem Städtchen herbeigeholt. Seien Sie so gescheut, wie wir auch gewesen; da wir kein Haus mehr bekommen konnten, haben wir ein Schloß eingenommen, und Gastfreundschaft ist die erste Tugend eines Schloßherrn; ich lasse Sie nicht gehen; aber für ihr Nachtlager müssen Sie selbst sorgen; da drüben den Thurm will ich Ihnen einräumen, dahin müssen Sie sich Laub zusammenholen. Haben Sie schon auf Laub geschlafen? Ich einmal: es war im Walde von Chantilly – Sie wissen, in dem Walde, worin der große Condé einst dem Czar Paul I. zu Ehren eine Parforcejagd mitten in der Nacht anstellte beim Scheine der Fackeln, die seine Vasallen trugen – aber, ich bitte Sie, halten Sie mir einmal dies Bret fest. –

Paul hielt das Bret, der Vicomte trieb einen Nagel mit seinem Stein hindurch und freute sich dann des gelungenen Stücks Arbeit.

Sehen Sie, Madame, es ist kein Acajou, sagte er zu der Dame gewendet, aber ich bin ganz überzeugt, daß es nicht unter Dem zerbrechen wird, was wir darauf zu setzen haben werden!

Madame sah ihren Gemahl mit einem dankbaren Lächeln für seine rührige Unermüdlichkeit an, dann wandte sie ihr Gesicht wieder zu ihrer Arbeit und seufzte mit einem Zuge tiefen Schmerzes im Gesichte.

Benoit, sagte der Vicomte darauf zu dem kochenden Diener, jetzt fängt die schwerste Arbeit für uns an; wir müssen gehen und Pferde aufzutreiben suchen, die uns morgen weiter bringen. In dem Städtchen drüben wird jedes Pferdehaar mit Geld aufzuwiegen sein, wir müssen die Runde bei den Bauerhäusern hier in der Nähe machen; du gehst nach jener Seite hin aus und ich nach dieser.

Benoit nahm einen Rock von gestickter Seide aus einem in der Ecke stehenden Koffer und zog ihn seinem Herrn an. Die Augen des alten Burschen thränten von dem Rauche, in den er geblasen, sein Gesicht war von der Hitze roth aufgedunsen und pustend stöhnte er:

O ce maudit parlement Maupeou!

Du hast wohl recht, so zu sagen, seufzte der Vicomte; dies Parlament Maupeou hat Frankreich ruinert, hat es mit Blut gefärbt, hat dir diese Thränen in die Augen getrieben, armer Benoit!

Herr von Dervilliers stand eine Zeitlang mit untergeschlagenen Armen, die Blicke auf den Boden heftend.

O sprechen Sie diesen Namen nicht aus, Vicomte, sagte die Dame, indem sie ihre Hände in den Schooß sinken ließ und mit trüben Blicken zum Abendhimmel aufschaute.

Als der Vicomte sah, wie seine Worte die Melancholie seiner Gemahlin gesteigert hatten, gab er seinem Gesichte plötzlich wieder einen heitern Ausdruck; er zwang sich zu einem frohen Lächeln und versetzte:

Seien Sie nicht traurig, Madame; Gott wird das schöne Frankreich nicht untergehen lassen; wer weiß, wie bald wir zurückkehren werden, unter der Oriflamme des heiligen Dionys zum Siege geschaart; wer weiß, wie bald wieder der Jubelruf der Vasallen uns auf unserm Schlosse von La Chevaudiere empfängt! – Jetzt komm, Benoit, Adelaide wird indeß nach Deinem Topfe sehen. Adelaide! Mademoiselle Adelaide! setzte er lauter hinzu.

Ich komme, mein Vater, antwortete eine helle Stimme, und in das kleine spitzbogige Thor, welches in der Ecke hinter der ruhenden Dame in einen Thurm führte, welcher der besterhaltene Theil des ganzen Gebäudes war und allein oben noch ein Dach aus der Zerstörung gerettet hatte, trat ein junges Mädchen, das Paul bis jetzt nicht gesehen, weil sie mit der Zubereitung des Nachtlagers für ihre Mutter im Innern des Thurms beschäftigt gewesen war. Sie mochte etwa achtzehn bis neunzehn Jahre alt sein und zeigte in ihrer ganzen Gestalt den ächten Typus französischer Schönheit, die aber weit entfernt war von jener capriciösen und reizenden Mischung von Zofe und großer Dame, welche sich so oft als das Eigenthümliche französischer Schönheiten zeigt. Sie war groß und obwol ihr Haar und ihre Augen dunkel waren, hatte doch ihr Teint eine vollkommene, fleckenlose Reinheit und Weiße. Paul hätte gern länger diese überraschende Erscheinung betrachtet, die plötzlich wie die ewig junge Poesie dieser alten Burgruine, wie ein Gedicht, dessen blühende Schönheiten über den Trümmern der Vergangenheit sich entfalten, heranschwebte. Aber der Vicomte, nachdem er mit einer ausgesuchten Höflichkeit, mit wahrhaft ritterlicher Galanterie seiner Tochter die Fürsorge für den Topf mit der Milchspeise, die Benoit darin zusammengerührt, anempfohlen hatte, beurlaubte sich bei den Damen und Paul folgte ihm, um als ein Dolmetscher bei den Bauern zu dienen, bei denen man Pferde aufzutreiben hoffte. Nachdem er sein eigenes Thier des Sattels entledigt und so gut als möglich in der Burg untergebracht hatte, gingen beide zusammen den Berg hinab.

Sie waren kaum zehn Minuten weit auf dem Wege zum nächsten Bauergehöfte gegangen, als ihnen ein junger Mensch mit einem Gespann tüchtiger Pferde, die einen Pflug hinter sich herschleiften, begegnete.

Wir sind glücklich, sagte der Vicomte; ich wette, dieser Bauer vermiethet uns seine Gäule für den morgenden Tag, wenn Sie die Güte haben wollen, mit ihm zu verhandeln, mein junger Freund.

Paul begann diese Verhandlung mit dem Pflüger, der sich gleich bereitwillig zeigte, seine Thiere zu vermiethen und dafür einen so geringen Preis forderte, daß jener erstaunt ausrief:

Das ist auffallend wenig, Herr Vicomte; man scheint in dieser Gegend wieder gut machen zu wollen, was man in andern sündigt, indem man durch unverschämte Preise die Noth und Verlegenheit ihrer Unglücksgenossen zu benutzen sucht.

Paul war übrigens der seltsame Dialekt des Landmanns aufgefallen; er glaubte in dieser Gegend bis jetzt eine andere Sprechweise bemerkt zu haben; noch auffallender aber war ihm, daß der Vicomte plötzlich dicht vor den jungen Bauern hintrat, der sich hinter dem Halse eines seiner Pferde wie blöde verborgen gehalten hatte, und nachdem er ihm ins Gesicht gesehen, in zornigem Tone sagte:

Mein Herr, glauben Sie, das Auge eines alten Mannes sei deshalb, weil der Schmerz und das Unglück Thränen hineingelockt haben, zu stumpf geworden, um den Schimpf zu entdecken, den man ihm und seiner Familie und seinem unbefleckten Namen bereitet? Gehen Sie, kehren Sie heim dahin, wohin Sie gehören, und lassen Sie sich nicht wieder auf meinen Wegen ertappen, wenn Sie nicht wollen, daß ich mit der Spitze meines Degens diese von Ihnen zu säubern suche; Ihre gefärbten Haare und Ihr falscher Bart helfen Ihnen nichts!

Er wandte dem, wie es schien, vor Ueberraschung verstummten jungen Menschen den Rücken und schlug rasch einen andern Weg ein; Paul eben so überrascht, folgte ihm, aber als er den Vicomte um den Schlüssel zu dieser unerklärlichen Scene bat, sagte der Letztere:

Ich bitte Sie, fragen Sie mich nicht; es macht mein Blut kochen; sagen Sie auch oben den Damen nichts von dieser Begegnung.

Man mußte nun weiter suchen, und zwar mühsam und lange; fast von allen Bewohnern der umher liegenden Gehöfte, die im Besitze eines Gespanns waren, erhielt man dieselbe Antwort, die Pferde seien schon vermiethet. Endlich gelang es, ein Paar magere Gäule zugesagt zu erhalten und zwar für das Dreifache des Preises, den der junge Mann mit dem Pfluge verlangt hatte. Da der Vicomte denken mochte, daß Paul im Stillen über sein räthselhaftes Betragen gegen den uneigennützigen jungen Mann Betrachtungen anstellte, so wurde er schweigsamer und ernster, als ob er Erklärungen dadurch ablehnen wolle, und diese Stimmung war ihm geblieben, auch als sie heimgekehrt, wieder oben in den Ruinen waren. Beim Eintreten sah der Vicomte Adelaide an einem der Bogenfenster stehen und in die Gegend hinausschauen; und mit einem ganz andern Tone, als der war, womit er seine Tochter gebeten, auf Benoit's Topf Acht zu haben, rief er ihr jetzt ein verweisendes: Mademoiselle! zu. Die junge Dame erröthete und indem sie auf Paul einen Blick warf, in welchem sich verlegene Beschämung zeigte, eilte sie, sich neben ihre Mutter zu setzen.

Benoit war schon früher zurückgekommen und zwar unverrichteter Dinge; er hatte unterdeß sich damit beschäftigt, aus allerlei alten Holzklötzen, Mauerbruchstücken und halbvermoderten Planken auf die sinnreichste Weise ein paar Bänke um das Muster von der Tischlerkunst seines Herrn aufzubauen, das dieser früher improvisiert hatte. An einer dritten Seite des Tisches war ein etwas erhöhter Thron für den Herrn Chevalier aufgeschlagen, der seinen Degen mit der großen rothen Bandschleife daran, jetzt in der Scheide von den Heldenthaten gegen die Dornen ausruhen ließ, die Beine mit den kurzen Kniehöschen hin- und herschlenkerte, und indem er mit einem Löffel auf den Tisch klopfte, sehr unumwunden seine ungnädige Stimmung darüber ausdrückte, daß der Papa so lange ausgeblieben und man nicht anfange zu dinieren. Hierzu wurde jetzt auf der Stelle Anstalt getroffen; Tischtücher hatte man nicht, Benoit mußte die schweren Silberteller mit dem Wappen des Vicomte und die silbernen Bestecke auf dem ungehobelten Bret ordnen – aber trotzdem mußte man seiner Kochkunst volle Gerechtigkeit widerfahren lassen; zudem konnte Paul das Mahl mit einer kalten wilden Ente vermehren, die in einem seiner Pistolenhalter verborgen gesteckt hatte; und die Flasche Burgunder, welche der Vicomte aus einer Tasche seines Wagens hervorholte, schmeckte deshalb nicht schlechter, weil man nur zwei silberne Becher hatte, einen für die Damen und den andern für die Männer, mit Inbegriff des alten Benoit, der, früher Kammerdiener, jetzt vom Vicomte zum Generalintendanten seines Hauses ernannt worden war, und, obwol er sich entsetzlich verlegen fühlte, zur Seite des Herrn Chevalier mit in der Reihe saß. Der Vicomte bekam nach und nach seine heitere Gesprächigkeit wieder, und während die Damen fast ganz stumm blieben, setzte er Paul zuerst die Grundsätze einer praktischen Philosophie auseinander, die für eine Lage wie die seinige freilich viel Tröstliches hatte – aber doch, wie es Paul zuweilen schien, im innersten Herzen des Redenden auf bedeutende Widersprüche stieß und deshalb vielleicht am meisten nur darauf berechnet sein mochte, den stillen Gram der Vicomtesse zu mildern, deren Gemüth durch ihr Geschick sehr verdüstert schien.

Sie sehen, sagte er, ich weiß mich zu trösten; es mußte so kommen – es ist gekommen – was kann man thun? Die Geschichte Frankreichs mußte diese Entwicklung nehmen, seit Armand du Plessis, dieser blutrothe Cardinal Richelieu ihren Strom in das Bett gelenkt hat, in welchem sie durch das letzte Jahrhundert geflossen. Er hat die Kraft des Reichs, er hat den Adel Frankreichs gedemüthigt, vernichtet. Jetzt sehen wir die Folgen; was hätte die gesammte Canaille unsers Landes gegen den alten Adel vermocht, gegen den unabhängigen besitz- und lehnsmächtigen Adel, wie er noch in der Fronde auftritt? Nichts! Der Cardinal hat die feste Stütze des Throns gebrochen; jetzt bricht der Thron; ganz natürlich. Wir sind thöricht genug gewesen, uns aus der Mitte unserer Vasallen, aus unsern festen Schlössern durch diesen Cardinal an den Hof locken zu lassen, zum Hofadel erniedrigt. Jetzt ist es aus mit dem Hofe; wir müssen heimkehren, zu unsern alten Schlössern zurück – aber, guter Gott, was ist unterdeß aus unsern Schlössern geworden! Blicken Sie um sich; Sie sehen es! Das sind jetzt die Schlösser unserer Ahnen, diese Trümmer, diese zerbrochenen wankenden Mauern!

Aber, fiel hier die Vicomtesse ein, indem Sie dem Cardinal Richelieu unser Unglück Schuld geben – was mir schon deshalb gewagt scheint, weil er ein Cardinal war, und ich den Glauben nicht fahren lassen möchte, daß auch im Einzelnen auf den Säulen der Kirche etwas von dem Geiste ruht, welcher der Gesammtheit als Lenker verheißen worden ist – so vergessen Sie bei Ihrer Behauptung ganz den unheilvollen Einfluß des Parlaments Maupeou!

Ach ja, Sie haben recht, Madame, das Parlament Maupeou trägt an diesem ganz neuen Schauspiel, daß ein Volk, daß der Pöbel, daß die Canaille wagt, die bestehende Ordnung der Dinge zu kritisieren, über die Maßregeln der zum Herrschen geborenen Rangclassen seinen Verstand zu setzen, im Gesetze nicht den unverletzlichen Willen des Himmels mehr anzuerkennen, endlich, eine Revolution zu machen, das heißt statt eines Königs – mag er auch ein Tyrann sein – den Frevel auf den Thron setzen – ja daran trägt allein jener Mann Schuld, den ich nicht öfter nennen will, als es unumgänglich nothwendig ist. Daß Ludwig XV. Choiseul verbannte, daß er jenem verächtlichen Herzog von Aiguillon als Minister erlaubte, dieselben Parlamente aufzuheben, vor denen dieser Aiguillon als Beschuldigter gestanden, vor denen er verurtheilt war – diese neue Art der Justiz, dem Dieb zu erlauben, die Richter, die ihn auf die Galeeren verurtheilt haben, hängen zu lassen – das hätte dem Königthum immer noch nichts geschadet, aber Maupeou und das Parlament, welches dieser Kanzler von Frankreich zusammengesetzt hat, dieses Kanonenfutter von Legislatoren und Priestern der Gerechtigkeit, diese Falstaffcompagnie – sie haben der erstaunten Welt gezeigt, daß der König von Frankreich und Navarra unter den Händen seines Kanzlers eine lächerliche Figur geworden. Das war der Todesstoß für Frankreich. Die unantastbare Weihe des Königthums war dahin. Das Volk hat gewagt, seine Hand daran zu legen, und hat es ungestraft gewagt! Verstehen Sie mich recht, Madame, hier treffen unsere Meinungen zusammen, daß das Volk wagte, ist Maupeou Schuld, daß aber sein Wagen nicht wie eine bloße Thorheit, wie ein Binsenhalm gegen eine Felsenwand zerschellte, das verschuldet Richelieu, der den Felsen, auf welchem der Adler des Königthums hortet, den Adel zerbrach und zu kleinen Bruchsteinen zerarbeitete, aus dem die Pracht des Versailler Schlosses sich aufbauen sollte.

Madame schien die Deduction ihres Mannes recht verstanden zu haben und schwieg, in ihre träumerische Wehmuth zurückfallend. Der Vicomte aber fuhr fort, seine politischen Ansichten zu entwickeln. Paul hörte ihm mit Interesse, bald mit staunender Verwunderung zu; denn nach und nach wärmer werdend, ließ der verbannte Herr so seltsame Orakelsprüche von seinen fein geschnittenen Lippen gleiten, kramte ein solches Uebermaß von unsinnigen, auf die Rechte der Geburt gegründeten Theorien und Ansprüchen aus, zeigte einen solchen empörenden Hochmuth – nicht des Herzens und der Seele, sondern lediglich der Angewöhnung von Jugend auf – gerieth dabei in so viel Lächerlichkeiten und Absurditäten, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, daß Paul, als er sah, wie die beiden Damen ohne alle Verwunderung wie bekannte und klare Dinge dies Alles anhörten, plötzlich ein grelles Schlaglicht vor seinen Augen das ganze Räthsel der französischen Umwälzung beleuchten sah. Ja, die Impertinenz dieser Weltanschauung mußte endlich, nach Jahrhunderten voll Schmach, einen blutdurstigen Wahnsinn in den darunter Duldenden hervorbringen!

Endlich war der Abend herangekommen; die beiden Damen zogen sich in den noch halb erhaltenen Theil der Ruine, den runden Thurm zurück; nach einer Weile folgte auch der Vicomte ihnen nach und Paul sah sich mit Benoit, der noch mit dem Tischgeräthe kramte und einpackte, allein gelassen.

Herr Benoit, sagte Paul, ich höre Sie da eben bei Gelegenheit jener verbogenen Silberschüssel gegen das Parlament Maupeou eifern; thun Sie mir den Gefallen, meine Neugierde darüber zu beruhigen, wie denn dieser unglückliche Gerichtshof von dem Mißgeschicke Ihrer Herrschaft bis auf die verbogene Schüssel an allem und jedem Elend Schuld sein kann?

Benoit blickte verwundert auf, erhob sich von dem Koffer, vor dem er kniete und setzte sich schweigend auf eine seiner Bänke. Dann, nachdem er seinen Rücken an den Tisch gelehnt und die Arme untergeschlagen hatte, versetzte er:

Mein Herr, wollen Sie damit andeuten, daß ich durch ungeschicktes Verpacken die Schüssel krumm gemacht?

Keineswegs, Herr Benoit! ich möchte nur wissen –

Gut, Sie sollen. Alles wissen. Es ist gut, daß es die ganze Welt erfährt. Sie haben den Vicomte kennen gelernt; sagen Sie mir, mein Herr, sieht dieser Cavalier aus wie ein Mann, der Unrecht haben könnte? wie ein Mann, der ein Erbschleicher wäre, der Andere um das Ihrige bringen wollte, kurz, wie ein Mann, den man einen Proceß verlieren lassen könnte? Und doch hat mein Vicomte, so wie Sie ihn da gesehen haben, einen Proceß verloren, einen wichtigen, großen, einen ungeheuren Proceß, denn es handelte sich um drei Herrschaften und den Herzogs- und Pairstitel. Und von wem hat er dies erleben müssen? Von dem Parlamente Maupeou!

Nun, mein Herr, als ich das mit erleben mußte, da hab' ich mir gleich gesagt: Benoit, jetzt sieh Dich vor, denn mit der Welt wird's nächstens eine sehr schlimme Wendung nehmen, oder eine noch schlimmere Endung. Dein Herr hat seinen Proceß verloren; daraus folgt, daß keine Gerechtigkeit mehr in der Welt ist; und wenn keine Gerechtigkeit mehr da ist, so ist kein Aushalten mehr da und keine Manier und kein ordentliches Betragen von den Menschen; da wär's ja besser, man bände der Welt einen Stein um den Hals und versänke sie ins tiefste Meer. Nein, jetzt wird die Welt zu Grunde gehen, keine vier Wochen mehr kann's währen, so hab' ich gesagt, schon vor vielen Jahren, und hat der alte Benoit nicht recht gehabt? Die Welt ist zu Grunde gegangen, mein Herr!

Und das Parlament? fragte Paul.

Der Parlament wollen Sie sagen, nun dieser Parlament Maupeou mit seinem schwarzen Rabbinertalare und seiner Moutier auf dem Kopf, der die Gerechtigkeit von der Erde vertilgt hat und das Verderben gebracht, das ist Niemand anders als der Antichrist; wer könnte es anders sein? – Hab' ich mich Ihnen deutlich gemacht? oder glauben Sie nicht daran, daß die Welt untergeht? Dann, mein Herr, gehen Sie nach Paris; ich will Ihnen eine Adresse an einen guten Freund mitgeben, der ein Hotel im Quatier latin hält, und Sie können da gegen sehr mäßige Preise für Logis, Kost und Bedienung selber das Schauspiel genießen, wie die Welt sich beträgt und ausnimmt, indem sie untergeht!

Sie haben mich vollständig aufgeklärt, Herr Benoit, versetzte Paul lächelnd; aber Eines noch möchte ich von Ihnen erfahren. Als ich mit dem Vicomte Pferde zu suchen ging, ist uns ein junger Bauer begegnet, welcher ein verkleideter Bekannte Ihres Herrn zu sein schien, und der, weil er für ein freundliches Anerbieten eine sehr zornige Abweisung erfuhr, mich gedauert hat. Wer ist der junge Mann?

Das ist ein Sohn des Parlaments Maupeou.

Paul schüttelte den Kopf; es ist, als wenn diese Leute durch ihr Unglück um den Verstand gekommen wären – dachte er.

Nun? fragte Benoit – glauben Sie das nicht? Weshalb soll denn der Parlament keinen Sohn haben? oder glauben Sie, dem müßte gleich der Moutier auf dem Kopf geboren sein? Nein, wahrhaftig, der ist nicht mit einem Helme auf die Welt gekommen! Er ist unglücklich, der junge Mensch, und zuweilen dauert er mich herzlich, was kann denn er am Ende dafür, daß er den verfluchten Namen führt, und der Vicomte nichts von ihm hören will? Wenn ich so sehe, wie er immer uns nahe ist, wie wir in keine Noth gerathen können, ohne eine unerwartete Hülfe erscheinen zu sehen, die von Niemandem anders, als von ihm herbeigeschickt wird; wie er uns vorauf eilt und in den Wirthshäusern uns Quartiere zu verschaffen sucht, und dabei drei Viertel der Preise vorausbezahlt, ohne daß der Vicomte es ahnt, kurz, wie er nicht ruht und nicht rastet und, wie eine Vorsehung aus der Ferne sorgend, uns zur Seite bleibt; dann dauert er mich oft, denn er ist ein guter Mensch, ein stattlicher junger Mann, und wenn's an mir läge, ich gönnte ihm schon, daß er mit uns reiste und seinen Lohn erhielte aus Mademoiselle Adelaide's freundlichen schwarzen Augen.

Also um der jungen Vicomtesse willen hat er alle jene Aufmerksamkeiten?

Nun freilich; und ich glaube auch, daß sie ihn gerne sieht; aber was hilft's? Er heißt Maupeou und Sie werden selbst einsehen, daß da keine Hoffnung für die jungen Leute ist!

Benoit nahm nun sein Geschäft wieder auf und Paul begab sich, nachdem er noch nach seinem Pferde gesehen, auch zur Ruhe. In seinen Mantel gehüllt, legte er sich in der Ecke eines der Thürme auf einen Haufen trocknen Laubes, das Benoit für ihn aufgeschichtet. Aber das ungewohnte Lager ließ ihn nicht schlafen; er wurde nach und nach immer wacher, innerlich aufgeregter, eine jener Stunden voll innerer Gedankenkämpfe kam über ihn, die für unsere ganze Zukunft maßgebend und entscheidend werden können. Er verglich die Eindrücke, welche er an dem verflossenen Tage empfangen, mit den frühern Bildern, die er sich von Welt und Menschen gemacht. Er sann dem stillen schwärmerischen Harme nach, worein ihn die Scenen und Anschauungen des letzten Theiles seiner Reise versenkt hatten. Er kam aus Italien. Wie anders hatte er sich dieses Land gedacht, wie anders hatte er es gefunden! Er hatte ein Land der Ruinen gefunden, wo er Leben gesucht, nur eine Vorrathskammer der Künste, wo er eine Werkstatt, in welcher noch die schaffende That lebendig, gesucht. Ueberall ein memento mori; Gräber der Helden, deren Steine die Füße von sorglosen Pygmäen austraten; und diese Monumente, diese Mausoleen verschwundener Größe, diese zerbröckelnden Hüllen, aus denen der Geist und die Idee verweht war, welche einst in ihnen gewohnt – wie reich, wie üppig, wie mit einer Art höhnischen Triumphes und mutwillig blühend hatte die Natur sie umrahmt, wie hatte diese die Arme ihrer duftigen Zweige und Ranken so spöttisch um die Denksäulen verschwundener Größe gesponnen! Der Gedanke der römischen Weltherrlichkeit war dahin, die Adler der Dictatoren hoben nicht mehr vom Capitol ihre Schwingen auf, um erdkreisbeherrschende Flüge anzustellen. Aber – noch schlugen am Horizont die Albanergebirge ihre blauen Wellen, noch rauschten die Cascatellen des Horaz, noch sprudelte der Venusinische Quell, noch blühten die Mandelbäume und dufteten die Oliven, in deren Schatten die Heroengestalten einer classischen Zeit geruht. Und nun diese Bewohner des Landes; auch hier war in der Menge nichts, als ein Erzeugniß der Natur, des heißen Klimas, der üppigen südlichen Zone zu entdecken.

Sollte so die Natur über den Menschengeist sich stellen, sollte sie ewig jung bleiben dürfen, und grünen und blühen, wo die herrlichsten Aeußerungen des Geistes und der menschlichen Thatkraft verschollen und zu Grabe getragen waren? War der Mensch mit seinen Tempelbauten nur da, um für einstige Schutt- und Trümmerhaufen zu sorgen, auf denen die Natur in Blüth' und Halmen und wuchernden Gesträuch ausschlagen könne? – Diese Fragen hatten in Pauls Brust eine Saite der Wehmuth angeschlagen, die noch immer nachklang.

Italien hatte in seiner jungen Seele den Gedanken – des Todes geweckt.

Ueberall, wo er gewesen, hatte er Erinnerungen an Thaten gefunden, die geschehen waren, an Werke, die Andere vollbracht und nirgends zeigte sich ihm auf seinem Wege eine große, vom Geiste gebotene, über die Vergänglichkeit hinaushebende Arbeit, in der er die Zeitgenossen begriffen gefunden hätte; nirgends für ihn selbst eine Gelegenheit, mit seiner Kraft einer solchen Arbeit beizutreten. Sollte er die Revolution für eine solche halten? Nein, sie zeigte bis jetzt nichts als Zerstörung. – Wie viel hatten diese großen Männer der Vorzeit, an die Italien erinnerte, gethan; wie viel Muth, wie viel Entsagung, Selbstverläugnung, Geistesgröße hatten den verschwundenen Jahrhunderten auf diesem Schauplatz der Götter würdige Schauspiele gezeigt! – Und er! – der Gedanke an den Tod stachelte ihn einer den Tod und die Natur überdauernden That zu; wo war, wo zeigte sich die That? Er hätte die Welt nach ihr durchziehen mögen, nach einer großen und lebendigen That, die als reine Aeußerung des Lebens nicht dem Tode verfallen könne.

Er verstand jetzt Manuel: es schien ihm der gleiche oder doch ein ähnlicher Drang, was den jungen Mönch gegen die Gitterstäbe seiner Gefangenschaft mit dem Kopfe rennen ließ, bis er wund und ohnmächtig geworden. Er verstand auch das blutige Drama, das Frankreich aufführte. Aus den Reden des Vicomte hatte er gesehen, daß der Geist aller mittelalterlichen Institute dieses Landes, daß der Gedanke seiner ursprünglichen Staatsformen gestorben und nun zur innerlich leblosen Carricatur alle dortigen Lebensgestaltungen gemacht hatte. Das Leben hatte sich gegen den Tod empört; der Drang zur That war allmächtig geworden, aber die lang zurückgehaltene Kraft hatte sich über sich selbst hinausgeschnellt. Daher dieser schreckliche und blutige Kampf, als schon kein Kampf mehr nöthig war; daher dieses grausige Schauspiel eines die Vernichtung überdauernden Hasses; ein Kampf, wie ihn auf den Catalaunischen Feldern Hunnen und Römer geliefert, fortwüthend gegen die Gefallenen, in den Lüften leere Schemen gegen Schemen streitend.

Paul war ausgezogen mit einem Uebermaß von Illusionen; er hatte sich aus seinen Träumen das Leben aufgebaut als eine Summe einfacher, naturwahrer, ungekünstelter Zustände; daß ihm der innere lebendige Geist dieses Baues ganz von selbst, in Folge des bloßen unbewußten Gefühls, der Gedanke der Freiheit geworden, war bei einem Gemüthe wie das seine, bei einer ungehemmten naturgemäßen Entwicklung eine innere Nothwendigkeit. In der Welt aber, die er nun als die wirkliche gesehen, hatte er nicht die Freiheit, wohl aber und überall den Zwang gefunden: nicht allein in der Zelle des einsam trauernden Mönchs, in der Oede des Waldschlosses mit der geheimnißvollen Dame, in dem Geschick der Tochter des Vicomte und ihres Geliebten, wo der Zwang sich in eine fixe Idee gekleidet hatte; nein, auch im Großen, im Geschicke der Völker und aller einzelnen Entwicklungen hatte er diesen Zwang wiedergefunden als das bestimmende, das tyrannisch herrschende Princip.

War nicht der Zwang in die Welt gekommen, weil die Welt der That entsagt?

Es war ein Zwiespalt in Pauls Brust entstanden durch Betrachtungen dieser Art. Auch für sich selber hoffte er Heilung dieses Zwiespalts durch die That, und – da ja so oft unsere, auf die schönsten und gründlichsten Philosopheme gebauten Entschlüsse oder Ansichten als Keim ihrer ersten Entstehung ein ganz besondres persönliches Gefühl haben – zuweilen so klein und unphilosophisch, daß wir uns selbst nicht gestehen mögen, aus diesem winzigen Korn sei der mächtige Baum unserer Ueberzeugung emporgewachsen – so war auch der Gedanke an Frau von Lescomte für ihn ein Stachel, eine große That zu suchen, die ihm das Beschämende dieses Gedankens austilge. Ein Mann ist nie ein größerer Löwe, als nachdem er sich gestanden hat, von einer Coquette am Fädchen gehalten worden zu sein.

Paul wurde in diesen Gedanken durch ein Geräusch unterbrochen; er glaubte ein Flüstern und leichte vorsichtig auftretende Schritte in den Ruinen zu hören. Als er sich aufrichtete, um zu lauschen, war Alles wieder still geworden; er legte sich zurück und war endlich gegen Morgen in einen leichten Schlummer gefallen.

Aber nicht lange; ein ängstlicher Schrei erweckte ihn; es war die Stimme des Vicomte, der mit dem Namen seiner Tochter Adelaide, laut und zu wiederholten Malen das Echo der alten Steinwände wach rief. Bald hörte er auch Benoit's Stimme und einen Schrei, der von den Lippen der ältern Dame zu kommen schien. Er stand auf, zerrte hastig seine Kleider zurecht und eilte aus seinem Thurme. In dem Raume, wo er gestern die Familie getroffen, sah er die Vicomtesse halb ohnmächtig sich auf die Schulter ihres Mannes stützen, der ein beschriebenes Blatt in seinen zitternden Händen hielt, und mit stieren Augen, den Ausdruck einer tiefen Erschütterung in seinen Mienen, auf die Schriftzüge starrte. Benoit stand neben ihm, die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend, während der kleine Chevalier ihn heftig am Rocke zupfte und zu wissen verlangte, was die Mutter habe, und wo Adelaide denn sei?

Die verzweifelnde Familie, aus ihrer Heimat, ohne Habe in die Welt hinausgetrieben, unter dem freien Himmel übernachtend, nur noch Ruinen zum Schutze habend, sie selbst die Ruine einer glänzenden Existenz – jetzt vom härtesten Schlage getroffen – bildete eine Gruppe, die von der tiefsten Wehmuth ersonnen und vom Schmerze in Stein ausgehauen schien. So hatte der plötzliche Schrecken diese Gestalten starr und unbeweglich gemacht.

Paul trat zu dem Vicomte; dieser hielt ihm das Blatt hin; es enthielt die Worte:

»Herr Vicomte!

Unsere letzte Zusammenkunft hat mir hinreichend bewiesen, daß ich weder von der Zeit, noch von der Macht überzeugender Gründe, weder von der Stärke meiner Leidenschaft für Ihre Tochter, noch von der Nothwendigkeit, worin Sie versetzt sind, meine Hülfe nicht abzuweisen, jemals erwarten darf, es könne in Ihnen das Vorurtheil sich tilgen lassen, welches zwei Menschen unglücklich macht, um des Klanges eines Namens willen. Ich glaube, es wird deshalb Niemand mich verdammen, daß ich Adelaide beredet habe, mit mir zu fliehen. Erschrecken Sie nicht, Herr Vicomte; in ihren jetzigen Verhältnissen ist Ihre Tochter als Ihre Stütze, als Ihr Trost Ihnen nothwendig, ich will sie nicht rauben. Im Laufe des folgenden Tages wird sie wohlbehalten in Ihre Arme zurückkehren. Aber als meine Frau. Ich habe einen Priester gefunden, der eine kleine Tagereise von hier uns erwartet, er wird uns trauen. Mich rufen meine Verhältnisse nach Frankreich zurück; ich muß Adelaide mit Ihnen in die Ferne ziehen lassen; aber ich wollte es nicht, ohne den beruhigenden Gedanken zu haben, daß sie, ob in der Ferne auch, mein sei. Mit der Ruhe, mit dem Glücke, das nach Frankreich heimkehrt, wird dann auch mein Glück heimkehren. Sie werden nicht zu trennen wagen, Herr Vicomte, was der Himmel vereint hat.

Charles de Maupeou.«

Dies Schreiben hatte ein Bauerbursche gebracht. Paul wußte nicht, welchen Trost er aussprechen sollte für den so hart verletzten alten Mann. Dieser blieb eine Weile in seiner starren Unbeweglichkeit, dann fuhr er mit dem Ausruf auf:

O nachsetzen, nachsetzen – o Gott, hätt' ich Pferde, Pferde! Vielleicht ist es nicht zu spät; ehe meine Tochter einen Maupeou heirathet, könnte ich in die Hölle reiten!

Paul eilte hinaus; er hatte den Bauerburschen gaffend bei dem Wagen des Vicomte stehen sehen, er fand ihn noch dort und erfuhr von ihm den Weg, den die Flüchtigen eingeschlagen. Sie waren in einer leichten und gut bespannten Chaise vor zwei Stunden beim ersten Grauen der Dämmerung auf der Straße, die in das Elsaß führte, davon gefahren.

Herr Vicomte, sagte Paul, zu diesem zurückeilend, überlassen Sie mir die Sorge des Nachsetzen; mein Pferd ist rasch und meine Glieder sind jünger als die Ihren.

Die Vicomtesse hätte aus Dankbarkeit bei diesen Worten sich fast in Pauls Arme geworfen, der alte Herr aber stürzte zu dem Raume fort, worin Pauls Pferd untergebracht war, mit dem Ausruf: Satteln Sie, satteln Sie – verfolgen Sie diesen Maupeou, schlagen Sie sich mit ihm, thun Sie Alles, um mein graues Haupt vor Schande zu bewahren – erdrosseln Sie ihn!

Das Pferd wurde bei den Ohren genommen, der Vicomte warf den Sattel auf seinen Rücken, so, daß der Knopf hinten lag, und als er ihn endlich zurecht gebracht, machte Benoit sich über die Schnallen her, bis der linke Bügel zwischen den Gurten und dem Bauch des Thieres eingeschnürt war, das ungeduldig zu steigen begann.

O mille contretemps, je te reconnais, ma mauvaise fortune! rief der Vicomte aus.

Paul saß endlich im Sattel und eilte mit einem kurzen Gruße davon.

Nachdem er eine Strecke geritten, ließ er sein Pferd einen langsamern Schritt annehmen, um mit sich selbst zu Rathe zu gehen, welchen Zweck er eigentlich verfolge, und welche Mittel er habe, ihn durchzusetzen. Er hatte sich in einem großmüthigen Drange, zu trösten und zu helfen, auf den Weg gemacht, und mußte sich nun gestehen, daß er selber nicht wisse, was er wolle, da es unmöglich seine Absicht sein könne, die Hindernisse zu vermehren, welche sich so lange zwischen das arme flüchtige Paar und das Glück gestellt hatten. Er fand das Betragen Maupeou's, falls er Wort halte und das Mädchen zurückbringe, keineswegs so durchaus tadelnswerth, um ihm wie einem Verbrecher nachsetzen zu mögen. Doch, sagte er sich, ich kann ja, da ich mich einmal in die Angelegenheiten dieser Familie gemischt habe, wenigstens das für sie thun, auf Adelaidens Rückkunft zu ihren Eltern, welche sie ihnen in ihrer jetzigen Lage schuldig ist, zu dringen, falls dies unternehmende Paar seine Versprechungen vergessen sollte.

Erkundigungen, die er von Zeit zu Zeit einzog, hielten ihn auf der Spur der Flüchtigen. Nachdem er sich und seinem Thiere während der Mittagshitze eine kurze Rast gegönnt, eilte er weiter. Er hatte schon am Vormittag die Gränze des Elsaß überschritten; jetzt, als die Schatten anfingen länger zu werden, gelangte er in ein freundliches Dorf, vor dessen Schenke ein Wagen stand, welcher dem, ihm am Morgen von dem Bauerburschen in der Ruine beschriebenen ähnlich sah.

Wir sind am Ziel, rief er seinem schweißtriefenden Pferde den Hals klopfend, sprang aus den Bügeln und warf die Zügel einem aus dem Hause springenden Laufburschen zu. Er fragte nach Fremden; zwei junge Leute, wie Herr von Maupeou und Adelaide Dervilliers waren allerdings vor etwa zwei Stunden angekommen; sie wären zusammen zur Kirche gegangen, hieß es. Die Kirche lag ein paar Steinwürfe weit. Sie hatte eine erhöhte Lage; über eine Art Hühnerstiege, die als Treppe an die Mauer von unbehauenen Feldsteinen lehnte, welche den Kirchhof einfaßte, – dann oben über ein klapperndes, ausgetretenes Eisengitter, das über eine Grube gelegt war, um den Schafen und Ziegen der Dörfler den Zugang zu wehren, kam man auf den Kirchhof, wo ein Wald von hohen, im leisen Winde säuselnden Gräsern und Halmen die buntbemalten Eisenkreuze umwucherte, und aller Bemühungen der Pietät spottete, welche über den Hügeln geliebter Geschiedenen dieser Vegetation ein schmales Blumenbeet abzuringen versucht hatte. Die weißen Rosen, die blauen Convolvolus, die rothgestreiften Malven, Alles war diesem wuchernden Grase erlegen, verkümmert, wie alle die Lebensblüthen, die darunter bestattet. Die Kirche war klein und, wie es schien, uralt; der Thurm mit seinem großen, von der Sonne und dem Wetter vieler Jahre abgebleichten, in breite Risse zersprungenen Zifferblatt, ragte kaum so hoch, wie die zwei ungeheuren breitblätterigen Linden, deren moosige Aeste ihn ganz umhüllten, und dann wie müde Arme sich auf das Dach der Kirche legten. Sie standen vor dem Thurme, zu beiden Seiten; trat man zwischen sie, durch ein Gestrüpp dunkelrother Schößlinge, die aus ihren Wurzeln aufgeschlagen einen Kranz um die Stämme bildeten, dann sah man durch die Lücken von Holundersträuchen und eine alte Weißdornhecke einen steilen Hang hinab, an dessen Fuße durch Wiesen und Gärten ein kleiner Fluß sich schlängelte

Die Linden blühten und dufteten und nährten ganze Schwärme summender Bienen; an eins der Kreuze war eine bis an den Bauch im Grase stehende Ziege gebunden, wahrscheinlich des Küfers schwelgend Eigenthum, und Hunderte von Sperlingen stoben, als Paul sich näherte, schreiend aus der blühenden Weißdornhecke auf, der immer bewegliche, immer schreiende Pöbel des Reichs der Gefiederten. Sonst war Alles still; in der Kirche hörte man den Tiktakschlag der rostigen Thurmuhr in das Summen der Fliegen tönen, denen eine laut schnurrende Hummel den Vorsänger zu machen schien, gaukelnd in den Strahlen der Nachmittagssonne, die gelb auf der einen der Wände lagen. Die Kirche war reinlich gehalten; frisch gestreuter Sand knirschte unter Pauls Füßen, die vergelbten Fahnen, die dunklen Bänke waren abgestäubt und ohne Schmuz – es war ein Gedanke von Frieden, von Glauben, der nicht schwer wird, und von einer Hoffnung, die bis zu bessern Tagen genügsam sich einzurichten weiß – der in dieser Weihrauch durchdufteten Atmosphäre athmete.

Es war Niemand in der Kirche; – doch ja, hinter einem Seitenaltare kniete eine betende Gestalt, eine junge Dame, in dunkle Stoffe gekleidet, voll Anmuth in ihrer Haltung. Ihr zur Seite an der Wand stand aufrecht eine in Stein nicht ohne Kunst ausgemeißelte Ritterfigur, das einzige Denkmal des kleinen Gotteshauses. Der Ritter hatte den Helm neben sich auf seinen Schild gesetzt; er zeigte Adel und Milde in seinen Zügen und die verfeinerten Locken hingen reich um seine Wangen; er hatte die umschienten Arme etwas vorgestreckt, eben so die gefalteten Hände. Er betete; er hatte seit Jahrhunderten in diesen stillen Gewölben vom Gebete nicht abgelassen und jetzt feine Hände über der Brust in der Richtung nach der vor ihm Knienden haltend, schien der todte alte Ritter für das junge Mädchen zu beten, deren Gestalt voll der Anmuth der Lebenskraft und Fülle über seinem Grabe kniete.

Paul nahte sich ihr. – Mademoiselle Adelaide! sagte er mit etwas schüchterner Stimme, da er nicht recht wußte, wie sich und seine Mission einzuführen.

Die Betende sah auf; es war nicht die Tochter des Vicomte; es war eine andere junge Dame, von großer Schönheit; eine hohe, königliche Gestalt mit einem Gesicht, in dem sich die Ruhe, die weiche Regelmäßigkeit, die harmonische Innerlichkeit und das daraus herfließende zufriedene Beruhen auf sich selber offenbarte, wie wir es als vollendeten Typus einer classischen Schönheit auf ausdrucksvollen Cameen dargestellt finden oder noch weicher, tiefer, Seele und Gemüth ausleuchtender auf der Leinwand der venetianischen Schule bewundern. Sie war eine auffallende Erscheinung; hier in der Umgebung der stillen Dorfkirche war sie es noch mehr und für Paul endlich war sie es in einem Maße, daß er sprachlos, eine Hand aufs Herz drückend und die andere mit der Geberde der höchsten Ueberraschung ausstreckend, vor ihr stand.

Für Paul hatte die junge Dame, die er vor sich sah, etwas Ueberirdisches, Traumhaftes, hier in dem fremden Raume mit dem Weihrauchduft und dem goldnen Schein der Nachmittagssonne, der Aureolen um die Köpfe der Heiligenbilder spielte, mit dem leise dröhnenden Uhrschlag und dem die Jahrhunderte durchbetenden Ritter; sie war ein Mährchen, eine blumenhafte Kindergeschichte, die er vergessen glaubte, und die nun plötzlich wieder vor ihm auftauchte, ohne irgend etwas von der ursprünglichen Kraft verloren zu haben, von der ihr erster Eindruck auf ihn begleitet gewesen war.

Die Fremde war Louise von Meerheim.

Aber nein, sie war es nicht; sie war größer, sie war stärker, schöner, ihre Züge hatten mehr Regelmäßigkeit, als die des milden und sinnigen Mädchens, das wie eine gütige Fee mit Blumen und Bildern in Pauls Kinderträume niedergestiegen war und an dem er gehangen mit aller Kraft seines jungen Herzens. Aber es war Louisens Stirn, es war ihr blaues Auge, ihr Mund, ihre Haltung – sie war es und war es nicht.

Sie sah ihn verwundert an, und da er nicht sprach, fragte sie ihn, ob er sie zu sprechen wünsche.

O wie kannte er diese Stimme, wie schlug sie, ein lang verklungener süßer Ton, begabt mit einer seltsamen Gewalt, verschollene Zustände, Empfindungen und Gedanken der Erinnerung zurückzurufen, an sein Ohr! – einem Liede gleich, dessen schwermüthige Melodie oft eure Mutter euch gesungen, als ihr noch zu ihren Füßen saßet – sie, die keine Lieder mehr euch singt!

In Pauls Augen traten ein paar helle Thränen! Die junge Dame wußte augenscheinlich nicht, ob sie verlegen werden oder gar sich fürchten solle vor dem fremden Menschen, der sie mit einem so sonderbaren Ausdruck des Gesichtes anstarrte, und auf ihre Frage keine Antwort gab. Die Bank, in welcher sie gekniet, war mit dem einen Ende dicht bis an den steinernen Ritter geschoben, an dem andern stand Paul, und so fühlte sie sich zwischen dem alten Helden mit seinen starren unbeweglichen Beterzügen und dem jungen Manne, dessen Züge sie ebenfalls fromm wie ein Gebet ansahen, aber wie ein schwärmerisches, wie ein Gebet der Exstase – so eingeschlossen, daß sie ihn noch einmal anredete: Wenn Sie mir nichts zu sagen haben, so bitte ich Sie, mir den Weg frei zu lassen.

Ich suchte eine Dame de Dervilliers hier! stotterte er zur Seite tretend.

Sie wird wahrscheinlich dort in dem Pfarrhause sein, versetzte sie auf eine kleine Thüre in der Nähe des Altars deutend, und schritt dann mit einer anmuthigen Beugung des Kopfes an Paul vorbei dem Haupteingange der Kirche zu, um diese zu verlassen. Paul stand noch immer wie fest gewurzelt, ihr nachsehend. Als sie einige Schritte gemacht, blickte sie zurück nach Paul. Dieser wandte sich nun auch, beschämt über sein Gaffen, und rannte in seiner Verwirrung statt zu der Thüre, welche die Fremde ihm gezeigt, durch eine andere in einen staubigen Raum voll alten Gerümpels, bestäubter Bahren, Breter, Holzcandelaber und dergleichen. Als er zurückging, kam die Fremde wieder die Kirche herauf.

Dort jene Thüre meinte ich, sagte sie mit einem Lächeln, in dem etwas von dem Gefühl lag, welches keine Frau von sich abwehren kann, wenn sie bemerkt, einen tiefen Eindruck gemacht zu haben und sollte es auch auf einen Narren gewesen sein.

Paul fand nach einigen Augenblicken in dem Garten des Pfarrhauses, nach dem er gewiesen worden, noch immer seiner Sinne nicht ganz Herr; aber nachdem er lange wie unter dem Einfluß eines betäubenden Zaubers dagestanden, und des Pfarrers gelbe Sonnenblumen gerade so verwirrt angestarrt hatte, wie eben noch die Fremde, wurde ihm eine zweite Ueberraschung bereitet, die ihn aus der ersten reißen sollte. Die Thüre des Pfarrhauses öffnete sich, ein schwarzgekleideter Herr kam zwischen den Beeten auf ihn zugegangen, blieb vor ihm stehen und legte mit einem freudigen Ausruf die Hand auf seine Schulter.

Manuel! rief Paul aus, Sie hier?

Sie hier? Möchte auch ich ausrufen; was führt Sie hierher?

Paul fuhr mit der Hand über seine Stirne. Das ist eine Frage, die zu rechter Zeit kommt. Ich stehe hier wie ein Träumer und doch haben zwei Menschen alle ihre Hoffnung auf die Thätigkeit und Eile gesetzt, mit der ich meinen Auftrag ausführe. Ich suche einen Herrn von Maupeou und ein Fräulein von Dervilliers.

Die jetzt Madame Maupeou heißt, fiel Manuel lächelnd ein; Sie haben doch Ihren Auftrag nicht vom alten Vicomte?

Von keinem Andern.

Dann kommen Sie zu spät; ich habe die Trauung vor einer Stunde vollzogen.

Sie, Manuel?

Ja, die jungen Leute dauerten mich; ich habe den Herrn von Maupeou vorgestern, als die Dervilliers hier übernachteten, und er ihnen im Pfarrhofe eine Unterkunft zu verschaffen kam, als einen biedern und achtungswerthen Mann kennen gelernt, und da er mir versprach, die junge Vicomtesse ihren Eltern in ihrer jetzigen Lage nicht rauben, sondern sie ihnen wieder zuführen zu wollen, habe ich keinen Grund gefunden, ihm die Trauung zu verweigern. Die Formalitäten waren erfüllt, die Zeugnisse über in Frankreich geschehenen Ausruf sind in meinen Händen, weshalb sollte ich mich nicht über die thörichte Weigerung der Eltern hinwegsetzen? Lassen wir sie; nach der Trauung haben sie einen Spaziergang dort hinaus durch die Wälder gemacht, morgen, dafür bürg' ich, reisen beide zu dem Vicomte zurück, der sich dann hoffentlich erweichen lassen wird. Kommen wir auf unsere eigenen Angelegenheiten – woher kommen Sie, mein alter theilnehmender Freund?

Paul erzählte es in wenigen Worten und stellte dann dieselbe Frage, und wie Manuel sich von der Clausur befreit habe?

Ja, von der bin ich frei, rief Manuel aus, gelobt sei Jesus Christus und Kaiser Joseph II. Das ist der weiteste, der edelste, der größte Regent, den die Welt gesehen! Ihm dank' ich die Freiheit; er hat mein Kloster aufgehoben, wir sind hinausgeflattert wie eine Schaar Buben, denen man die Schulthüre öffnet. Ich bin vermöge einer kleinen Pension mein eigener Herr geworden und zugleich ein anderer Mensch. Es ist mir gelungen, die Erlaubniß zum Reisen auszuwirken; Ihnen dank' ich die Nachricht über eine Familie, die mir angehören könnte; ich habe mich auf den Weg gemacht, dem Norden zu, und bis hierher sehen Sie mich gekommen; meine Habe langt nicht, um die Reise ohne Aufenthalt machen zu können; wo ein Pfarrer von Arbeiten überhäuft oder krank ist und einen Gehülfen bedarf, da bleib' ich eine Weile und suche Reisegeld, um weiter ziehen zu können. Deshalb sehen Sie mich hier; der Pfarrer hält mich seit vierzehn Tagen als seinen Gast bei sich, da er kränkelt.

Aber wenn Sie aus Oestreich nach dem Norden reisen, dann, Manuel, sind Sie gewaltig weit links ab verschlagen!

Ich weiß es, versetzte der Exmönch erröthend, – um offen gegen Sie zu sein – was in Paris vorgeht, zieht mich gewaltsam an; ich möchte mich wie eine Phaläne, die sich in ein Licht stürzt, in diesen Strudel stürzen, ich möchte Hand anlegen beim Zertrümmern einer Welt und beim Neubau einer andern – und sollte meine eigene Existenz darüber zertrümmert werden. Es ist ein fortwährend Jauchzen in mir beim Gedanken an diese Macht der That, die plötzlich wie ein siegend Meteor durch die dumpfe stagnierende Luft, durch diese drückende Atmosphäre unserer eselsträgen Zustände lodert, ein Blitz, der in den dürren Baum unserer Geschichte geschlagen, um ihn zu einem prachtvollen Osterfeuer auflodern zu lassen. Ja, über den Völkern, ist der Auferstehungsmorgen angebrochen! Die Wolken um eine herrlich erstehende Sonne, sind sie nicht immer blutig gefärbt? O wer in ihnen, in ihrem Glanze sich baden könnte! Ich scheue die blutrothe Färbung nicht! Wie die Menschen um mich her noch so ruhig sind, das ist mir unbegreiflich; unbegreiflich, daß nicht Alles mit vollem Drange, mit jauchzender Kraft sich in die That stürzt; unbegreiflich, daß noch alle diese geschichtlichen Bande und Joche auf uns liegen. Weshalb gibt es noch Könige, weshalb noch Priester? Freilich, diese haben zwei grimme Schwerter, mit denen sie in ihre Kirchen treiben, den Schmerz und die Todesfurcht; und der Mensch ist schwach!

Manuels Fanatismus machte auf Paul einen widerwärtigen Eindruck; er sah darin eine Carricatur des eigenen Dranges nach einer würdigen Kraftäußerung, deshalb sagte er:

Lassen Sie uns das nicht hier verhandeln; ich muß Ihnen gestehen, daß es mir vom höchsten Interesse ist, eine Dame aufzusuchen, die ich in der Kirche sah und die ich durchaus sprechen muß; ich habe eben mit einer unbegreiflichen Albernheit vor ihr gestanden, und sie nicht anzureden gewagt! Kommen Sie, vielleicht erfahren wir im Dorfe von ihr.

Sie erfuhren im Dorfe das Folgende: die junge Dame war mit einer andern Dame und einem Herrn, beide in mittlern Jahren, so eben abgefahren; die letztern waren vorausgegangen, während der Kutscher vor der Schenke seinen Pferden Brot gegeben, die junge Dame hatte Neugier gezeigt, unterdeß die kleine Kirche zu sehen, deren Thür offen stand. Der Bediente, den sie bei sich gehabt, habe nur Welsch gesprochen, sagte der Wirth der Dorfschenke; doch habe er von ihm verstanden, daß sein Herr ein welscher Graf sei und auf der Martinsburg wohne, weiter ins Elsaß hinein; er heiße Vittorio Alfiro – Alfiri oder so ungefähr –

Doch nicht Alfieri fiel Paul ein, Vittorio Alfieri?

Ja richtig, so war's, sagte der Wirth.

So sei Gott gedankt, welches Glück! Den hab' ich vergebens in Florenz aufgesucht – dort hieß es, er wohne in Paris. Manuel, Sie sind der verantwortliche Vormund für das junge Paar, das sie getraut haben; ich überlasse Ihnen die Sorge, daß der alte Vicomte nicht betrogen wird. Lassen Sie mich in Ihrer Wohnung an diesen schreiben; ich habe ihm versprochen, ihn den Meinigen zu M. empfehlen zu wollen; seine Tochter wird den Brief mitnehmen. Ich muß zur Martinsburg.



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