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Stürme.


Es mochte um die Mitternacht sein. Der Sturm hatte den höchsten Grad erreicht, indem er nicht allein die See zu hohen Wogen aufpeitschte, sondern auch wie ein wüthendes Heer riesiger und dämonischer Nachtgestalten wirre Wolkenmassen vor dem Monde hertrieb, so daß auf Augenblicke der matte Dämmerungsschimmer, der fortwährend auf der Küste und den Wassern lag, in eine Helle überging, welche nicht zu ferne Gegenstände deutlich erkennbar machte. Außerdem fiel ein heller flackernder Lichtschein von einem der Schloßthürme weit ins Meer hinaus; eben von jenem, dessen hölzerner Ueberbau dem Stallmeister aufgefallen war. Auf der Felsenstiege, welche vom Schlosse zum Strande führte, standen der Baron und sein Diener Wilm, der eine durch doppelte Glaswände vor dem Winde geschützte Laterne trug, welche die Gruppe der beiden Männer beleuchtete, wie sie, in Pelzröcke geschnürt, ihre ganz in ein schauerliches Nachtstück passenden Gestalten dem Sturme preisgaben. Greller Schein und schwarze Schatten theilten sich in starken Contrasten in ihre unheimlich düsteren Physiognomien, welche Spannung und doch wieder phlegmatische Ruhe zeigten, ganz als ob sie der rauhen Nacht nur um einer wissenschaftlichen Beobachtung willen sich aussetzten.

Sich verständlich zu machen, war bei dem Wogengebrüll, dem sie so nahe waren, daß ihre Kleider von Zeit zu Zeit vom Schaum bespritzt wurden, höchst schwierig. Nur zuweilen bedeuteten sie sich etwas durch Zeichen; Wilm deutete einmal mit der Hand nach einem Gegenstande zu seiner Rechten und des Barons Auge folgte seinem Fingerzeig, indem er einige unverständliche Worte sprach. Dort stand eine weibliche Figur auf einem Felsenvorsprunge; wenn der Mond auf Augenblicke ganz enthüllt wurde, sah man, wie ihre Haarflechten, vom Winde losgerissen, sie umflatterten, wie ihre Gestalt von Zeit zu Zeit vor den Windstößen zurückschwankte, die zerwehten Falten ihres Mantels sie mit fortzureißen schienen, und sie durch ein an den Mund gedrücktes Tuch sich den Athem mußte zu erhalten suchen; aber dennoch wich sie nicht, ein erhabenes Bild unerschütterlicher Willenskraft, die in den Stürmen des Lebens wie in denen der Elemente sich aufrecht zu erhalten weiß – gestützt auf einen innern Geist des Gottvertrauens und der Selbstverläugnung, und wer weiß, ob nicht auch auf eine Macht, die vielleicht unsichtbar in diesem Augenblick durch die Schatten der Nacht einherschwebte und mit schützenden Flügelschlägen die heroische Gestalt der Tochter des Schloßherrn umrauschte.

Der dumpfe Donner eines gelösten Geschützes tönte vom Sturm getragen durch das Getöse der Brandung: man sah es hell durch die Nacht aufblitzen, als ob die fürchterliche Wogenschlacht, die sich draußen lieferte, auch ihre Feuerschlünde habe, als ob sie den Blitz und den Donner des Himmels zu sich niedergerissen habe. Ein Schuß folgte dem andern und warf jedesmal ein schnell vorüberfahrendes Licht über einen großen dunklen Gegenstand, augenscheinlich den Rumpf eines unglücklichen Schiffes, das der Küste zu nahe gekommen war und seine Nothsignale, seine vergeblichen Hülferufe aussandte.

Sie werden denken, wenn sie mit Mann und Maus zu Grunde gegangen sind, ist's Pulver ihnen ohnehin unnütz, flüsterte Wilm in den Bart: es wird nicht lange mehr währen!

Drei Schüsse folgten rasch nach einander; die Blitze zeigten, wie ein Mast gekappt über Bord fiel.

Sie sitzen auf! fuhr Wilm fort; ich wette, ihr Kiel steckt ellentief in der Norvern-Bank; jetzt wird's heißen: alle Mann an die Pumpen!

Es war, als ob einzelne Schreie in dem Heulen des Sturmes verwehten. Dann war Alles still; das Schießen hörte auf und es währte mindestens eine halbe Stunde, ehe wieder ein Gegenstand sichtbar wurde, etwas Dunkles, das von den Wellen jeden Augenblick wieder den Blicken entzogen, rasch sich vergrößerte, und, wie es schien, reißend schnell herangetragen wurde. Noch eine Zeit lang und es erschien als ein großes mit vielen Menschen besetztes Boot, das bald auf-, bald niedertauchend unaufhaltsam fortgeschleudert, sich jetzt der Brandung näherte.

Nach wenigen Augenblicken befand es sich mitten im ärgsten Wogenkampf: das Vordertheil wurde emporgehoben, wie ein bäumendes Pferd, das im Begriffe ist, hinten überzuschlagen; dann auf die Seite geworfen und von einer aufschäumenden Wassermasse den Blicken verhüllt, schien es endlich von dem Elemente überwältigt und unrettbar verloren zu sein. Wilm griff zu einer langen Stange mit einem gekrümmten Eisen an der Spitze, einer Art Enterhaken, die neben ihm lag, und sprang von den Stufen auf den Strand nieder, wo er, bis an die Knie von den auslaufenden Wellen durchnäßt, seine Laterne über den Kopf emporhob. In dem Lichtkreis, den sie warf, fuhr, wie eine Riesenschlange mit gekrümmtem Halse, grün schillernd und Schaum zischend, in demselben Augenblicke ein Wogenungethüm, auf einem Nacken das Boot mit einer Fülle dunkler Gestalten tragend und es wie mit letzter Kraftanstrengung weithin tief in den Sand des Ufers schleudernd.

Es war ein offenes Boot, das, wie es schien, die Equipage des verlassenen Schiffes enthielt. Man sah nur Männer, welche sich rasch von den Knien erhoben, auf welche der letzte Prall sie geworfen, aus dem Boote sprangen, aufs Trockene wateten, und eine höchst abenteuerliche Versammlung triefender, die wunderbarsten Physiognomien mit dem Ausdruck der heftigsten Gemüthsbewegungen und Erschütterungen dem gelben Laternenschimmer bietender Gestalten, wie sie augenblicklich den Baron und seinen Knecht umringten; aber obwol mehrere sich durch gewaltiges Schreien den letztern verständlich zu machen suchten, ließ doch der Sturm nichts Anderes vernehmen, als einige Flüche, welche ein korpulenter Mann in holländischer Sprache ausstieß.

Der Baron war im Begriffe auf die viermal von diesem ins Ohr geschrieene Frage: Zum Teufel, was soll Euer Leuchtthurm denn? – eine Antwort zu geben, als einer der Schiffbrüchigen, den er noch nicht gesehen, ein großer und, wie man trotz der Nässe seiner Kleidung bemerkte, vornehmer als die Uebrigen gekleideter Mann ihn am Arme faßte und gefolgt von einem kleinern frostzitternd an seinem Arm sich schmiegenden Herrn zum Schlosse emporzeigte, als ob er ihn heiße, sie hinaufzuführen. Der Gutsherr that es; er ließ die Fremden die Stiege hinaufschreiten und folgte ihnen, indem er Wilm mit der Laterne zum Leuchten voraussandte; der ganze Haufen der Gelandeten zog hinter ihnen her.

Oben und in dem schützenden Schloßhofe angekommen, befahl der Baron in einem Raume der Nebengebäude ein großes Herdfeuer für die Schiffbrüchigen anzuzünden. Die eben erwähnten Fremden, an welche sich noch zwei andere angeschlossen hatten, führte er in das Innere des Schlosses.

Die Eröffnungen, welche er von diesen erhielt, mußten ihn veranlaßt haben, ihnen eine gastlichere Aufnahme zu bereiten, als sie den andern verunglückten Seefahrern wurde. Wir finden den großgewachsenen Herrn und seinen kleinern. Begleiter nach kurzer Zeit im Besitz eines ganz wohnlichen und gewiß des luxuriösesten Zimmers, welches sich im ganzen Schlosse vorfand, vor einem hellprasselnden Feuer, an welches Beide sich Stühle gerückt, während ein wärmendes Getränk in einer Bowle auf dem Tische dampfte.

Ich sage Ihnen, Sir Lionel Monglerai, sagte der kleinere der beiden Gäste, es ist wol ein Anflug von Verzweiflung, von Zorn über die eigene Ohnmacht und unsere Rettungslosigkeit über mich gekommen, aber keine Furcht, keine eigentliche Bangigkeit. Nein, ich habe keine Furcht vor dem Tode gefühlt; ich habe in dem Sturm das Flügelrauschen eines allmächtigen Gottes gehört, stark genug, um eine leichte und aetherische Seele über die Wogen dahin zu tragen, ohne sie in das grauenhafte Grab unter uns versinken zu lassen; ich habe in den Schatten der unendlichen über den Wassern rollenden Nacht die Schatten der Ewigkeit gefühlt, und was sollte ich fürchten, den kurzen Schritt in Das hinüber zu machen, das mir so nahe war? Monglerai, Sie kennen genug von mir und von meinen Schicksalen, um mit mir fühlen zu können, welche Gedanken der Anblick des Todes in mir erregen mußte.

Darum darf ich doch ihren Heroismus bewundern; wie Viele haben wie Sie, haben mehr wie Sie Ursache, am Tode die versöhnendern Seiten ins Auge zu fassen; aber wie unendlich Wenige mögen sein, die ohne vernichtende Herzensangst sich der Lösung jenes grauenhaft höhnischen Räthsels nahe sehen, das aus den leeren Augenhöhlen eines Schädels uns anstarrt.

Lassen wir es! – ich wollte Vittorio wäre bei uns gewesen: diese fürchterliche Sturmnacht, das Scheitern des Schiffes und die verschiedenen merkwürdigen Charakter- und Gemüths-Offenbarungen, welche die drohende Todesgefahr aus unsern Mitreisenden lockte; dann dies alte meerbespülte Schloß, das sich immer deutlicher vor unsern spähenden Blicken mit seinem flammenden Thurmlichte über der dunklen Küste emporhob, unser letzter Kampf mit der Brandung, die Gruppe der Geretteten endlich – wie würde das Alles sich in grandiosen Bildern seiner Dichterseele, seiner glühenden Phantasie eingeprägt haben!

Aber wo mögen die Kleider bleiben, welche man uns zu bringen versprach? Apropos, Monglerai, haben Sie die dunkle Frauengestalt gesehen, welche neben dem Schlosse auf einer Terrasse oder etwas Aehnlichem stand und ihre Hände wie in einer Anwandlung von Ekstase zum Nachthimmel emporhob?

Nein, Hoheit! ich habe es zu meiner ausschließlichen Aufgabe gemacht, die Gestalt und die Gesichtszüge des Schloßherrn zu beobachten. Sie wissen, welchen Verdacht der holländische Kapitain unsers Schiffes aussprach. Ist Ihnen nicht die seltsame Beleuchtung des einen der Schloßthürme aufgefallen und dabei die Frage, wozu? Zudem, wir sind an die Küste des Churfürstenthums H. verschlagen worden, ein Land, in welchem wir wohlthun, die äußerste Vorsicht anzuwenden, und Jeden auf das Korn zu nehmen, ehe wir uns ihm anvertrauen.

Die Thüre des Zimmers öffnete sich; die Tochter des Barons trat herein, gefolgt von einem Mädchen, das einen Korb mit Frauenkleidern trug. Ach, ich kann mich beurlauben, sagte Sir Lionel Monglerai, hier ist die Dame, welche der Baron zu senden versprach. Gute Nacht, Hoheit!

Schlafen Sie Ihren Salzwasserrausch aus, Monglerai, versetzte die Hoheit; indem sie dem Andern die Hand reichte, die dieser küßte.

Als er gegangen war, reichte sie dieselbe weiße und kleine Hand der eingetretenen Dame, indem sie mit einer höchst gewinnenden Freundlichkeit fragte:

Wem muß ich dankbar sein für diese Güte?

Ich heiße Louise von Dietburg, sagte die Tochter des Barons, indem sie Kleidungsstücke aus dem Korbe nahm und über die Sessellehne vor dem Kaminfeuer zum Wärmen aufhing. Dann half sie dem Gaste sich des nassen Anzuges zu entledigen, und indem sie den Pelzrock und die lange gestickte Weste ihm auszog, die gepuderte Perücke von einem rabenschwarzen und reichen geflochtenen Haar fortnahm, schälte sie aus diesen Hüllen eine volle und reizende weibliche Gestalt los, die jetzt, wo sie in ihre Frauengewänder zurückzukehren begann, um Vieles größer erschien, als in dem Männeranzuge, und endlich im weißen Nachtkleide eine auffallend liebliche Erscheinung bildete. Ihre Schönheit hatte weniger strenge Regelmäßigkeit, als die ihrer jüngern Gesellschafterin; sie hatte nichts Heroisches, aber in dem Glanz ihrer dunklen Augen, in den an raschen Wechsel des Ausdrucks gewöhnten Zügen trug sie das Gepräge eines vielleicht überlegenen Geistes und einer schwärmerischen Phantasie; in der Erscheinung Louisens von Dietburg lag etwas, das an den sonnigen blauen Himmel Joniens erinnerte, an ein Gemüth, das spiegelglatt und tief und perlenreich wie das Meer, an dessen Ufer die schaumgeborene Göttin getragen wurde. Hier in dem öden Schlosse, am Strande der Nordsee erschien sie wie eine Iphigenie auf Tauris, aus einer glücklichern Zone verbannt und voll Grams, das Land der Griechen mit der Seele suchend.

Die Fremde dagegen erinnerte durch ihre zierliche und doch imponierende Gestalt, die viel zurückhaltender Würde zu behaupten wußte, durch das ganze Wesen ihrer Schönheit an andere Scenen. Sie war eine unendlich reizende Episode voll Trost und Versöhnung in einem großartigen Epos voll Leidenschaft und Seelengewalt, voll tragischer, Schuld und Tod in ihrem Schooße tragender Entwicklungen. Sie hatte die weißeste Haut und blondes Haar bei schwarzen Augen, von denen ihr berühmter Sänger sang:

» Negri, vivaci, in dolce fuoco ardenti.«

Die beiden Frauen geriethen, während die Fremde sich mit dem Beistande Louisens entkleidete, Dank der Aufregung, in welche beide die Ereignisse der Nacht versetzt hatten, in ein lebhaftes Gespräch, das sich im Anfange um gleichgültigere Gegenstände fortspann, bis die Fremde sagte:

Haben nicht Sie auch sich dem Orkane dieser Nacht ausgesetzt, um uns landen zu sehen? Ich glaube, ich sah Sie seitwärts am Strande.

Es ist möglich, versetzte Louise von Dietburg; ich wollte Den, der im Sturme dahinfährt, um die Rettung Ihres Schiffes anflehen oder, wenn mein Gebet nicht erhört worden, zu retten suchen, wo zu retten gewesen wäre.

Die Andere stutzte über diese Antwort. Ganz natürlich, sagte sie dann halblaut wie für sich; und doch ist es seltsam, ungewöhnlich mindestens, daß ein junges Mädchen so denkt, oder wenn sie es denkt, daß sie trotz Sturm und Wetter es ausführt. Und doch liegt eigentlich nichts Befremdendes darin.

Ich wette, fuhr sie nach einer Pause fort, ein Charakter, wie der Ihrige mir scheint, muß die unweibliche Art mißbilligen, in welcher Sie mich in Männerkleidern, nur von Männern begleitet, reisen sehen. Nicht wahr, Baronesse?

Ich würde wahrscheinlich aufhören, es zu thun, wenn ich Ihre Beweggründe kennte.

Es ist mir daran gelegen, daß Sie aufhören, es zu thun, meine Liebe, und ich will Ihnen diese Beweggründe mittheilen, obwol Monglerai es leichtsinnig nennen wird; aber ich weiß, daß in Ihrer Brust ein Geheimniß sicher ist, um so mehr, wenn eine Verbreitung Dem, dessen Vertrauen Sie es verdanken, Gefahr bringt. Ich bin die Gräfin von Albany.

Louise von Dietburg machte eine Verbeugung, mit einer Miene, welche deutlich genug ausdrückte, daß sie dadurch um nichts klüger geworden.

Sie haben nie von der Gräfin von Albany gehört, nicht wahr? So muß ich Ihnen zuerst sagen, daß der Graf von Albany ein directer Nachkomme der Stuart's ist und Ansprüche, gerechte und unabweisbare Ansprüche auf den britischen Thron besitzt. Die Verfolgung derselben, aber noch mehr die Verhältnisse von einzelnen Besitzthümern und Vermögenstheilen in Schottland haben die persönliche Anwesenheit meines Gemahls in diesem Lande nöthig gemacht. Da der letztere aber von einem Uebel befallen wurde, welches ihm für lange Zeit größere Reisen unmöglich zu machen droht, habe ich mich entschließen müssen, die Tour nach Schottland zu wagen und begleitet von einigen treuen Anhängern des Hauses Stuart und Vertheidigern unserer Rechte ist es mir gelungen, allen Gefahren dieses Unternehmens zu entgehen. Wir waren auf der Rückreise begriffen und hatten die Absicht, in einem holländischen Hafen zu landen, um von dort aus über Deutschland Florenz zu erreichen, wo der Graf sich aufhält. Da trieb uns der Sturm der vorletzten Nacht in die Nähe dieser Küste und wie wir in der heutigen hier gelandet sind, davon waren Sie selbst Zeuge. Werden Sie jetzt noch tadeln, wenn ich keine von meinen Frauen meine Gefahren theilen lassen wollte, und in der männlichen Kleidung mich auf einer Reise für gesicherter hielt, welche freilich die Gräfin von Albany nicht sollte im strengsten Incognito zu machen genöthigt sein?

Ich kann nur noch Ihren Muth bewundern, gnädigste Frau.

Nun und da Sie heute eben so viel Muth bewiesen, Baronesse, denn es gehört Muth dazu, sich ans Ufer zu stellen, wenn man erwarten muß, daß der nächste Augenblick eine vom gräßlichsten Todeskampfe verzerrte Leiche ausspülen wird, wenn man Zeuge von Schrecken und Todesangst werden kann, welcher Weheschreie entpreßt werden, die das Brausen des Sturmes selber übertönen, – wenn das Ringen, das verzweifelnde Kämpfen der Unglücklichen, in dem Augenblick, wo sie die Woge verschlingt, das wahrscheinliche Schauspiel ist, dem man entgegengeht – in der That, Baronesse, ich weiß nicht, ob ich den Muth hätte, wenn ich auch in der Gefahr selbst fast meine ganze Ruhe bewahrt habe. Aber was wollte ich sagen? Ja, reichen Sie mir die Hand, Louise; lassen Sie uns Freundinnen sein, Verbündete; zwei muthige Frauen, was sollten die nicht durchsetzen können? In der That, wir können stolz auf uns sein: muthige Frauen sind immer eine Seltenheit; denn auch jener Muth des Leidens, denn man uns im Allgemeinen als eine angeborene Tugend nachrühmt, ist sehr, sehr oft nichts als Mangel an Muth; nur Feigheit, die sich unfähig fühlt, durch eine energische Willensentschließung das Leiden abzuschütteln.

Die Augen des jungen Mädchens nahmen bei den letzten Worten der Gräfin einen erhöhten Glanz an. Sie stand vor der jetzt wieder in dem Sessel ruhenden fremden Dame, die Louisens rechte Hand in der ihrigen hielt; und während die Gräfin mit dem an die Rückenlehne gestützten Haupte zu dem sinnend in ihr Gesicht schauenden Mädchen aufblickte, zeigte sich in den Zügen des letztern eine große innere Bewegung.

Sie bieten mir Ihre Freundschaft an, Frau Gräfin, sagte sie dann mit bebender Stimme – ich weiß nicht, ob das eine bloße und in den Kreisen, worin Ihr Leben sich bewegt, nichts weniger als ungewöhnliche Freundlichkeit ist, welche Sie hier vielleicht gegen die Tochter des Hauses, das Ihre Anwesenheit ehrt, ganz am Orte halten. Aber ich will es nicht glauben; indem ich in Ihre Züge sehe, will ich nicht daran erinnert sein, daß es Menschen gibt, die anders sprechen, als sie im innersten Herzen denken. Ich nehme Sie beim Worte, gnädigste Frau. Sie sind die erste mir Zutrauen einflößende Frau, welche mir in meinem ganzen Leben begegnet ist; und Sie gerade müssen mir sagen, es sei nur Feigheit, ein unnatürliches Leiden nicht durch energische Willensentschließung abzuschütteln – Gott, ich danke Dir!

Nach diesen Worten warf sie sich vor der Gräfin auf die Knie nieder, und indem ihre ganze Gestalt wie krampfhaft durchzuckt und erschüttert wurde, rief sie aus:

O retten, retten Sie mich, wenn Sie mir Freundin sein wollen; o Gott, ich habe nicht den Muth, den Sie mir zuschreiben, ich kann, ich will nicht länger Zeuge der gräßlichen Schauspiele sein, welche Sie selbst soeben beschrieben haben und welche sich hier nur zu oft wiederholen; nein, es tödtet mich – es ist ja nicht das allein, es ist weit, weit schrecklicher als Sie denken und ich es Ihnen sagen darf. Fragen Sie mich nicht; aber wenn Sie selbst einen Ertrinkenden, der mit dem letzten Kraftaufwande nach Ihnen die Hand ausstreckt, nicht versinken lassen werden, dann werden Sie auch mich in dem tödlichen Kampfe nicht untergehen lassen, in welchem ich mit der ersten Hoffnung, aber vielleicht mit dem letzten Angstschrei mich an. Sie klammere. Was sonst dem Menschen das Heiligste, das Göttlichste ist, das zerfleischt mir die Seele – was sonst ihm allein das Leben schön und selig macht, das stößt mir das Herz ab; das höchste, das schönste Gefühl ist für mich die Herzenswunde, an welcher ich unrettbar verblute, wenn nicht eine heilende Hand sich darauf legt, zu stillen und zu hemmen. – O, um Gott, Gräfin, diese Hand, lassen Sie es die Ihrige sein, – gerade Ihnen, nur Ihnen kann ich sagen und Niemandem wieder, was mir die Angst wie blutige Schweißtropfen aus der Seele preßt.

Nach diesen Worten verbarg sie heftig schluchzend ihr Gesicht in dem Schooße der Gräfin, die sich erschüttert über sie beugte und ihre Hände um die Schläfen der Knienden legte.

Louise – armes Mädchen – sprechen Sie um Gottes willen, was ist Ihnen, was kann ich für Sie thun – o sagen Sie mir, was Sie verlangen, gebieten Sie mir –

Ich wünsche ein Doppeltes von Ihnen, gnädigste Frau, sagte Louise von Dietburg, indem sie ihr weinendes bleiches Gesicht zu der Gräfin emporrichtete: erstens, daß Sie mich nie über den eigentlichen Grund, der mich so grenzenlos elend macht, auszuforschen suchen, und zweitens, daß Sie mich mit sich fortführen von hier, irgend wohin, wo Sie wollen, wo sich ein Asyl mir bietet!

Ist das Alles? versetzte froh lächelnd die Gräfin von Albany, indem sie ihre weißen Finger durch die aufgerollten dunklen Locken der Bittenden gleiten ließ, – wie verpflichtet werde ich mich Ihnen fühlen, wenn Sie mich auf dieser Reise und für immer als meine Freundin begleiten wollen. Aber wenn Ihre Wünsche so bescheiden sind, konnten Sie dann nicht längst schon deren Erfüllung erreichen, und Ihrem Schmerze, mag er einen Grund haben, welchen er nun will, ein Ende machen?

Nein, sagte Louise zögernd – ich konnte es nicht, ich werde fast als Gefangene hier gehalten und ich stehe so außer aller Verbindung mit der Welt, daß ich nicht weiß, ob es Verwandte und Freunde in derselben für mich gibt oder nicht.

Die Gräfin schüttelte den Kopf und sah sinnend eine Zeit lang in das Kaminfeuer.

Wird Ihr Vater. Ihnen erlauben, mich zu begleiten?

Ich habe Ursache, es zu hoffen, vorausgesetzt, daß die Reise uns weit führt.

Dann, Louise, reichen Sie mir noch einmal die Hand; wir sind Freundinnen im vollen Sinne des Worts und für immer! Gehen Sie jetzt; bereiten Sie sich zur Reise vor und lassen Sie mich in einem kurzen Schlafe Kräfte dazu sammeln.

Sie umarmte sie und indem sie die schlanke Gestalt innig an sich drückte, küßte sie die Thränen fort, die an ihren langen Wimpern hingen. Louise versuchte Worte des Dankes zu flüstern; aber die Worte reichten ihr nicht aus, sie wandte sich zum Gehen. Als sie im Begriffe war, die Thüre zu öffnen, eilte die Gräfin ihr nach, ergriff noch einmal ihre beiden Hände, und ihr so mit einem Blicke von unbeschreiblicher Güte und Treuherzigkeit in die blauen verweinten Augen blickend, sagte sie leise, aber ausdrucksvoll: Ich danke Ihnen – und wandte sich dann rasch ab.


Wir müssen uns nun nach unserm Gefangenen umsehen. Er hatte eine unruhige Nacht gehabt; zuerst hatte ihn das Nachsinnen nicht schlafen lassen, was in aller Welt Jemanden bewegen könne, ihn wie einen kostbaren Singvogel oder eine Menagerie-Merkwürdigkeit einzusperren, da er weder singen konnte, noch auch, wie er erst am selben Morgen zu seiner Mortification innegeworden, ein Vogel war. Dann hatten ihn die Nothsignale von dem scheiternden Schiffe, Getöse unten am Strande, Lärmen im Hofe, im Hause selbst, Auf- und Zuschlagen von Thüren beunruhigt; und nachdem er endlich eingeschlafen war trotz seiner Neugier, die Ursache dieses ungewöhnlichen Geräusches in dem geheimnißvollen, sonst so öden alten Castell zu erfahren, das erst mit der Nacht aufzuleben schien, weckte ihn bald wieder, am frühen Morgen, ein fester und schwerer Männertritt in seinem Zimmer. Er schlug die Augen auf: Wilm stand, wie er ihn gestern gesehen, ganz das verkniffene grobsarkastische Gesicht, das über seiner Matrosenjacke saß, wie der Kopf eines Schneemannes auf dessen Rumpf, vor seinem Bette und sagte trocken:

Guten Morgen, Herr! beliebt Euch jetzt das Fohlen anzusehen? Wir haben es heut Morgen Alle im Hause etwas eilig.

Was zum Teufel habt Ihr mich denn die Nacht über eingeschlossen?

Nun, nun, ereifert Euch nicht, Herr; Fürsicht ist zu allen Dingen nütze. Der Baron war nur besorgt, Ihr möchtet zu früh aufstehen, weil er Euch gleich für einen großen Aufsteher erkannt hat, der auf mehr Dingen stehen kann, als ein anderer Mensch. Die Jugend hängt sich heutzutage gar zu leicht den jungen Mädchen an den Hals und man hat dabei allerhand Fälle, wobei einer zu Falle gekommen ist; ja, junger Herr, nehmt es von einem alten Manne nicht übel, wenn er Euch einen herzlich gut gemeinten Rath gibt: hängt Euch nicht zuviel an die Mädels, man kann vielmehr dabei zerbrechen, als Einer meinen sollte, außer Ehr und Reputation, was man sich heutzutage noch am ersten wieder zusammenleimt, wie 'ne zerbrochene Blumenscherbe.

Unverschämter Schlingel! schrie der Stallmeister aus den Federn springend, und sich nach seiner Reitpeitsche umsehend; aber sein Zornanfall wich bald dem Erstaunen, woher der Kerl sein Abenteuer hatte erfahren können; dieser hatte keine Lust, sich darüber weiter auszulassen und log mit einer unverschämten Naivetät, er wisse gar nicht, was der Herr meine.

Als der Stallmeister dem Knecht in den Hof folgte, sah er hier mehrere Gruppen von Menschen zusammenstehen, theils wie Matrosen, theils in einer andern Tracht als der des Landes gekleidet; sie unterhielten sich in holländischer Sprache. Aus einem Thore der Nebengebäude wurde eine alte bestäubte Reisekalesche geschoben; durchnäßte Waarenballen wurden von Trägern in den Hof geschafft, aber der Knecht schien bemüht, die Aufmerksamkeit seines Begleiters von diesen Gegenständen abzulenken, indem er geschwätzig die Eigenschaften des zu verkaufenden Fohlens hervorhob.

Sagt mir nur, unterbrach ihn der Stallmeister, wozu dient denn Eurem Herrn der Glaskasten da oben auf dem Thurme rechts?

Funfzehn Pistolen ist wahrhaftig kein Geld, unter Brüdern ist's mehr –

Ich habe Euch nach dem Thurme gefragt, Wilm!

Ja so, da hat der Herr Baron sein Laboratorium, wo er Gold macht – aber wie gesagt, unter zwanzig thut sich's nicht und ich wette, der Churfürst würde Euch schön den Kopf waschen, wenn er das Fohlen sähe und hörte, um zwanzig lumpiger Pistolen willen habe sein Stallmeister es nicht eingehandelt. Mein Herr Stallmeister, würde der Churfürst sagen, hängt sich halt viel zu viel an die Mädels, um nicht darüber die Pferde laufen zu lassen.

Der Stallmeister mußte jetzt selbst lachen über die grandiose Unverschämtheit des Menschen und brachte den Handel zu Ende. Um Jemanden zu finden, der das Thier fortführe, wandte er sich zum Strande, wo eine große Menge Menschen aus der umliegenden Gegend versammelt war, die im Frohndienste des Gutsherrn sich damit beschäftigten, die von dem gescheiterten Schiffe ans Ufer geschwemmten Gegenstände aufs Trockne zu ziehen und als Strandgüter ins Schloß zu schaffen. Zwischen ihnen bewegten sich Andere, welche zur Zahl der Schiffbrüchigen zu gehören schienen und lärmten, zankten, protestierten, wenn eine Sache, auf welche sie persönliche Rechte zu haben behaupteten, ihnen streitig gemacht wurde. Denn nur die Schiffsladung, nicht das persönliche Eigenthum der Bemannung und der Passagiere, wenn diese sich mit ihrer Habe zugleich ans Ufer retteten, gehörte dem Strandherrn, nach der Definition jenes empörendsten und himmelschreiendsten aller Rechte, welche sich je wie eine »ewige Krankheit« von den brutalen Legislationsideen unserer Väter fortgeerbt haben. Der Stallmeister wurde so empört über den Anblick, der sich ihm darbot, über den Gedanken, daß, wo die Natur ihren Zorn abgelegt und geschont, da der Mensch seine Frevel zu beginnen wage, – daß er, ohne sich von dem mitten in den Gruppen verkehrenden Gutsherrn zu verabschieden, sich mit seinem Fohlen auf den Heimweg zu den Seinigen machte, mit einem gewissen frohen Gefühl der Erleichterung das düstere und geheimnißvolle Schloß am Meere hinter sich lassend.



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