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Die Frau mit der Sammetmaske.


Nach dem, was oben über die frühesten Umgebungen Pauls gesagt wurde, wird es nicht befremden, ihn jetzt aus einem träumerischen stillen Kinde einen jungen Mann geworden zu sehen, der mehr gewöhnt, seinen Geist an der Hand der Phantasie auf abenteuerliche Gedankenfahrten und Bilderjagden auszusenden, als ihn immer gegenwärtig zu halten, wie einen auf den nächsten Kreis der Wirklichkeit aufmerksamen Wächter. – Der Geist hat eine apostolische Mission; er soll für das Reich Gottes in uns, als dessen Gesandter, ausziehen und es mit angeworbenen Gedankenseelen bereichern. Aber nur zu oft vergißt er, diese Sendung zu erfüllen; nur zu oft hält ihn die enge heimatliche Schwelle fest und bloß in den Charakteren, welche, wie der Pauls, schon frühe durch ihre Umgebung zu einer gewissen Anschaulichkeit hingeleitet werden, liebt er es, immer aufs Neue in die Ferne zu ziehen.

Paul war in einer alten Stadt, in einem alten Hause, bei einem alten Herrn aufgezogen, wo alles Mahnung und Erinnerung war, nichts wirkliche Gestalt, nichts fesselndes Leben, nichts Gegenwart. Die abergläubischen Erzählungen, mit denen man seine Phantasie nährte, und die alten Domthürme, die in sein Schulfenster blickten; der Großvater mit seinen Schilderungen von frühern Hoffesten, von feierlichen Fürstbischofs- und Kaiserwahlen, von dem Sein und Leben der Urgroßeltern; der zackige Rathhausgiebel mit den römischen Königen davor, welcher in seinen Spielplatz herüberlugte; die Geschichten von altem Familienglanze und den Fahrten und Kriegszügen der Ahnen; das bleiche Antlitz seiner ersten Freundin, das wie eine Ossiansche Gestalt ihn weich und trauernd aus den wallenden Nebeln der Seeküste anblickte: alles dies zog seine Träumereien, seine Gedanken in die Ferne der Zeit und des Raumes. Die herrlichste Landschaft bot ihm z. B. weniger intensiven Genuß, als einzelne Bilder daraus, welche die Phantasie nach jenseit der Gränzen des überschauten Landstrichs hinüberlenkten; ein weit abziehender Weg, der in ferne Gefilde sich verlief, und der seine Gedanken mit sich davon führte in die blaue Ferne, fesselte seine Augen länger, als die schönste Felsenpartie, die schönste Berggruppierung oder Waldlandschaft; der einzelne, über einer weiten und öden Horizontlinie am Abendhimmel sich abzeichnende einsame Baum beschäftigte ihn mehr, als der Anblick eines nahen, angebauten und warmen Thales. Und als er später durch Reisen und durch Lektüre ein größeres Stück der Erde kennen gelernt, als ihm nach und nach die Illusionen schwanden, welche sich ihm in poetisch verklärendem Lichte gezeigt, fühlte er, daß dem Menschengeiste dieser kleine, bald umsegelte Erdball zu eng ist, und daß er das Bewußtsein einer größern Heimat in sich trägt.

Und wie ihn die Ferne des Raumes anzog, so die der Zeit. Er konnte sich einleben in den Kreis heroischer Gestalten der Geschichte, bis er sich mit ihnen identifiziert hatte, während der Kreis, der ihn umgab, ihm immer fremder und fremder wurde, bis ein schwermüthiges und peinliches Gefühl ihn übermannte, daß er nicht in seine Umgebung gehöre, daß er überhaupt in keine gehöre und wie ein ungebetener Gast auf der Welt sei. Es war ihm, als sei er einer der großen vor dem Rathhausgiebel seiner Vaterstadt gemalten römischen Könige, der zum Wiedergehen verdammt, nichts Verwandtes und Anheimelndes mehr gefunden, als was er selbst aus seiner Zeit mitgebracht, die eigene Hoheit seines Sinnes und seines Herzens.

Daß das Abenteuerliche nun einen außerordentlichen Reiz auf ihn ausübte, ist ebenso begreiflich. Er wäre ganz der Mann gewesen, sich wie der Fürst von Saintonge schwärmerischen Andenkens in die unbekannte Gräfin von Tripolis, – in eine ferne, nie gesehene Schöne zu verlieben, hätten Schilderungen sie ihm mit einem poetischen Gewande umgeben. Die Geschichte, welche Frau von Lescomte von der gefangenen Dame erzählt hatte, ließ ihn nicht ruhen; er wollte, er mußte die schwarze Maske dieses Geheimnisses lüften, der ritterliche Befreier, der Rächer werden, auch auf die Gefahr hin, zum Donquichote daran zu werden. Hat doch jeder geist- und gemüthreiche Mann eine Seite, wo er Donquichote ist; nur die Philister sind überall Sancho.

Ich will Dich morgen meinem Freunde, dem Prälaten von Mondsee, vorstellen, sagte der Domherr v. S. eines Tages und Paul willigte gern in den Ausflug ein, der ihn mit dem Innern einer der reichen österreichischen Abteien bekannt machen sollte. Sie liegt nicht weit von Salzburg entfernt und war am folgenden Morgen nach einer Fahrt von einigen Stunden erreicht.

Der Administrator des Stiftes, dem Kaiser Joseph II. nach dem Tode des letzten Abtes die Wahl eines neuen bisher nicht verstattet hatte, war ein freundlicher Mann, der alle Eigenschaften zu besitzen schien, welche man nur irgend von dem Prälaten einer reichen und mächtigen Abtei verlangen kann. Er bewirthete seine Gäste aufs Trefflichste, und als die Tafel aufgehoben war, winkte er, einen Wunsch Pauls an dessen Augen absehend, einen Dienst thuenden Pagen herbei.

Planner, sagte er zu dem Knaben, führe den jungen Herrn zum Bruder Manuel und sage ihm, er möge ihm das Stift und die Gegend zeigen.

Bruder Manuel war ein junger Mönch, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als Paul. Er hatte ein bleiches Gesicht, eine gebeugte Figur und einen etwas schwankenden Gang, als ob er seit Kurzem erst von einer schweren Krankheit genesen. Seine Züge waren ausdrucksvoll und schön, obwol ihnen alle Frische und Blüte fehlte; dabei lag etwas von mißtrauischer Verschlossenheit in ihnen, das für einen oberflächlichen Beobachter abstoßend, für einen tiefern vielleicht um so anziehender gewesen wäre. Sie hatten für Paul etwas Bekanntes, diese Züge; er erinnerte sich nicht, den Mönch je gesehen zu haben, aber Jemand, der ihm ähnlich, mußte ihm einmal begegnet sein. Unser Kloster wird wenig Anziehendes für Sie haben, sagte er; Kirchenschätze und alte Manuscripte sehen Sie in St. Peter in Salzburg besser; die Kirche ist groß, aber überladen, und wenn Sie kein Verlangen tragen, unsern alten Abt Konrad, den man heilig sprach, weil er die Klostergülden strenge beitrieb und dafür von den Bauern erschlagen wurde, auf dem Hochaltare sitzen, oder die Leichensteine alter Prälaten zu sehen, so wandern wir lieber gleich ins Freie. Ich werde Sie auf den Mariahilfberg führen.

Der Mönch schien sich aus seiner Zelle in die freie Luft zu sehnen und deshalb mochte Paul ihm nicht widersprechen. Er folgte seinem Führer dahin, wo dieser ihm die beste Aussicht auf das Thal versprach.

Dies Thal des Mondsee's ist einer der schönsten Erdflecke, auf welche die Alles schauende Sonne ihre Strahlen wirft. Ein langer und hoher von Süden nach Norden laufender Bergrücken bildet über dem Kloster einen mehrere hundert Fuß hohen Bühel oder Vorsprung, auf welchem eine Kapelle erbaut ist, die beschattet wird von dem Wipfel einer großen und uralten Linde. Von hieraus überblickte Paul die Landschaft. Eine Natur lag vor ihm, deren stiller und einsamer Charakter etwas durchaus Unberührtes, Jungfräuliches, noch vom Menschen Ununterjochtes hatte, und die in stolzer schweigsamer Majestät die Siedlungen der Anbauer, die sich ihr aufgedrungen, durch ihre Großartigkeit zu Termitenhütten hinabzudrücken und zu verdecken schien; eine Landschaft, in welcher man wol den kurzen Schrei des Adlers von den Felshöhen herab, das Krachen eines vor Alter morschen und niedersinkenden Astes, höchstens die Glockentöne einer verborgen im Grünen liegenden Waldkapelle – nicht aber das Gedingel der Sense, den Ruf des Fuhrmanns, das Klappern einer Dreschtenne vermuthet.

Vor den Beschauern lag spiegelglatt die stundenlange Fläche des Sees in einsamer Größe, tief und unergründlich wie ein vereinsamtes Menschenherz, dunkelgrün, hier und da von eigenthümlichen und magisch schönen Tinten überstreift und ein paar Kähne tragend, welche über lange Silberfurchen immer weiter dem jenseitigen Ufer zuschwebten. Dort, den Beschauern gegenüber, spiegelte sich die ungeheure Felsenmasse der Lorenzwand, nackt und kahl mit Riffen und Zacken aufstarrend, in so traumhaft colossalen Dimensionen, wie sie nur die grandioseste Alpennatur zeigt. An ihrem Fuße die Lorenzkirche mit ihren zwei geschmackvoll gezeichneten Thürmen; links bespült der See eine Landzunge, die in Hügeln mit dunklen Tannengehölzen ausläuft; über ihr ragt mit der ganzen Riesengestalt der Schafberg ins Thal herein, eine steilabgeschnittene Höhe, deren schneebedeckte Kuppe fast 6000 Fuß weit in die Lüfte gedrungen ist – ein dreister »Wolkenspalter« – während ihm schneeige Häupter anderer Alpen aus blauer Ferne über die Schulter lugen. Zur Rechten der Bergkapelle blickt das große Quadrum der Abtei und die Stiftskirche aus dichtbelaubten Baumgruppen, umgeben von dem weißen freundlichen Markt und den zerstreuten Häusern, die mit Dachwerk und Galerien wie die Aelperwohnungen der Schweiz, aus grünen Wipfeln schauen. Ueber Alles aber hat die üppigste, die reichste Vegetation ihren dunkel und saftig grünen Teppich gebreitet und mit einer Fülle unzähliger Blumenarten von der Alpenrose bis zum Myosotis überstreut und ausgestickt.

Ein namenlos schönes Thal! rief Paul aus, nachdem er lange in stummem Anschauen verloren – und welcher herrliche Tag liegt duftig und doch sonnenklar über den Bergen!

Ich lehne mich lieber an den Stamm dieser Linde, wenn ein schlechteres Wetter Leben und Bewegung in diese todte Natur bringt, versetzte der Mönch; wenn es gewittert, wenn es regnet und die Wolken an den Felsenwänden herflatternd in Fetzen zerrissen werden, wenn ein Sturm die Seewellen durcheinander peitscht, daß die Fische in die Vogelnester der Uferweiden schauen können.

Und ist die Natur sonst todt für Sie?

Nicht todt, aber eine Bewegung, eine Sprache, der ich lauschen mag und die mich ergötzt, kommt sie nur dann, wenn die Elemente aus ihren Fesseln, über ihre Schranken hinüberstreben. Es freut mich dann, mich in der Hoffnung zu wiegen, daß der nächste Augenblick. Alles durcheinanderschlagen wird in einer Himmel und Erde erschütternden Verwirrung. Denn ich habe nur noch einen Wunsch, den nämlich, bei der Zertrümmerung des Erdballs zugegen zu sein.

Der Mann sagte dies in einem Tone so kalt und trocken, als ob er von der Zertrümmerung eines ausgeleerten Weinfasses in den Kellern seines Prälaten spreche. Paul sah ihn verwundert an; es lag nichts Anderes als ein Ausdruck von Langeweile in seinen Zügen.

Sie sind sehr aufrichtig und deshalb lassen Sie mich es auch sein. Sie haben sehr viele Wünsche und weil Ihnen dieselben unerreichbar sind, haben Sie sie um diesen excentrischen vermehrt.

Höchst scharfsinnig geschlossen, junger Herr! sagte der Mönch mit einem bittern und ironischem Tone.

Sie sind unglücklich – fuhr Paul, etwas gereizt dadurch fort – aber nicht tief unglücklich, denn sonst würde Ihnen die Natur mehr sein, sonst würden Sie gelernt haben, Trost zu lesen aus der grandiosen Hieroglyphenschrift, womit sie Erd' und Himmel vollgeschrieben hat.

Der Mönch stutzte wie unangenehm berührt. Wer sich ganz unglücklich hält, ist eifersüchtig auf sein Unglück; wer es ihm bestreitet, scheint ihm sein Letztes auf Erden schmälern, den Rest seiner Habe nehmen zu wollen. Es gibt Charaktere, die sich so in einen Schmerz eingesponnen haben, daß sie den, der sie trösten will, wie einen Feind betrachten. Pauls Führer schien solche Eifersucht zu fühlen, und sehr lebhaft werdend versetzte er:

Natur – Trost – das sind schöne Worte. Die Natur hat nur für den Menschen Trost, dem sie von einem lebendigen, in ihr sichtbar werdenden Gott spricht, welcher, wie er sie, die Natur, trägt, doch auch den Menschen schützen wird. Ich aber glaube an keinen lebendigen Gott; ich glaube nur an einen gestorbenen. Als er lebte, hat er die Welt erschaffen, aus sich heraus und in ihr aufgehend; sein Körper ist die Materie geworden, sein Geist in dem Geiste der Menschen aufgegangen; denn er ist nie nur Geist gewesen; ein Geist ohne allen Halt, ohne alles Bedürfniß des Raums ist ein Hirngespinst. Nun ist er todt, seine Schöpfung hat ihn überlebt; wie Alles stirbt, nachdem es Neues erzeugt hat. Es liegt ein tiefer Sinn in der Idee des Todes Gottes für die Menschheit; er ist in der That für sie gestorben, aus seinem Leben ist das Leben der Menschheit hervorgegangen. Ist es aber ein Wunder, daß der einsame Mensch sich jetzt unendlich verlassen fühlt, da er es in der That ist?

Ich glaube jetzt wirklich, daß Sie tief unglücklich sind! erwiederte Paul kopfschüttelnd.

Wie die Schöpfung überhaupt, fuhr Manuel fort, wie alle Geister, die in ihr leben. Sie hat sich vorgefunden, sie ist zum Bewußtsein über sich gekommen, und hat zugleich alle die tausend Regeln und Gesetze, von deren Beobachtung anfangs, für die erste Zeit ihres Bestehens, ihre Existenz abhing, endlich als Fesseln und Bande gefühlt. Denn auch sie will wachsen, sich erhöhen, Neues schaffen, sich frei fühlen, um für eine Umgestaltung ihres Wesens in ein potenziertes und besseres thätig sein zu können. Aber des todten Gottes Regeln binden sie, wie die Völker ihrer todten Könige Gesetze. Beide waren für die Zeit, für welche sie gegeben, nothwendig; jetzt aber ist es natürlich, daß der Drang sie abzuschütteln, erwacht ist, daß Revolutionen entstanden sind, in welcher die Elemente sich durch einander geworfen haben, so daß Meer Land und Land Meer geworden, das Thal Berg und Fels und der Berg unergründlicher See; andere Revolutionen ferner, in welchen die Völker wie dort die Elemente sich gebärdet haben. Denn Alles strebt nach der Freiheit, sich in ein besseres Wesen umzugestalten, trotz der Regeln und Gesetze, welche den alten Zustand als den ewigen festhalten wollen; und weil der Drang, die Sehnsucht nach dieser Freiheit das ist, was durch die ganze, die todte und die lebende Creatur geht, was Alles umfaßt, als ewiger Geist über Allem schwebt, so ist die Freiheit der jetzige Gott der Schöpfung zu nennen. Und wenn ich wünsche, die Zertrümmerung der Erde zu erleben, so wünsche ich nichts, als den Sieg dieser Gottheit; in dem Augenblicke, wo es ihr endlich gelingt, die letzten der festhaltenden Regeln und alten Gesetze zu sprengen, beginnt die Schöpfung sich aufzulösen, um in eine neue Welt überzugehen, und über der rauchenden Schädelstätte der Vernichtung unsers Seins schwebt die triumphierende Freiheit.

Gott schütze uns vor ihr! rief Paul aus, mit einem tiefen Seufzer die Beklemmung feiner Brust loszuwerden suchend.

Aber verzeihen Sie, – setzte er hinzu – vielleicht fordert ihre trostlose Philosophie Achtung und Mitleid als das Resultat mancher trostlos durchdachten Stunde; es ist ja eine Philosophie der ödesten Verwaisung; vielleicht auch – und er sah mißtrauisch Manuel von der Seite an – wollen Sie mich mystifizieren und in unserer Zeit aufgetauchte aberwitzige Doctrinen verspotten.

Der Mönch antwortete nicht.

Worauf stützen Sie ihren Beweis, daß Gott todt sei, fragte Paul nach einer langen Pause.

Weil er seine Schöpfung, die ein so schöner Garten sein könnte, von dem Unkraut Schmerz überwuchern läßt; weil er sein liebstes Kind verwildern läßt; weil er den Menschen einsam läßt. Die Einsamkeit und der Schmerz lassen ihn verwildern, machen ihn schlechter.

Nicht immer!

Freilich, oft auch wahr; aber diese Wahrheit – hinterbringen Sie meinem Obern die Wahrheit, welche ich Ihnen eben gesagt habe, und Sie werden hören, wie er sie nennt.

Der Mönch war Paul unheimlich geworden; er verabschiedete sich nach einer Weile von ihm, um seinen Oheim aufzusuchen, konnte aber nicht umhin, halb aus Mitleid mit dem vereinsamten Klosterbruder, eine Einladung desselben, ihn später auf seiner Zelle zu besuchen, anzunehmen.

Die beiden geistlichen Würdenträger saßen, von der untergehenden Sonne beschienen unter einem Berceau des Klostergartens und hatten sich in eine sehr heitere Laune geschwatzt. Von dem abendlich angeglühten Laube überschattet, während einzelne Sonnenstrahlen die großen geschliffenen Gläser voll des besten steiermärkischen Luttenbergers durchleuchteten, umduftet von blühendem Gaisblatt und Centifolien, bildeten die beiden gemüthlichen alten Herren an ihrem mit Obst und Confitüren besetzten Steintische eine höchst anmuthige Gruppe. Aber ihre Gespräche, die sich um harmlose Neckereien, Anekdoten und Jugenderinnerungen drehten, standen zu sehr im Contrast mit den lichtlosen Phantasien des Mönches, welcher Pauls Einbildungskraft beschäftigte, als daß der Letztere hätte Geschmack daran finden können. Er wollte sich wieder entfernen, als der Prälat ihn fragte:

Wie hat Ihnen Ihr Führer gefallen? Ich hoffe, er hat Ihnen alle Auskunft gegeben, welche Sie wünschen können, über unsere Stifter Odilo und Thassilo, die Bayernherzoge, über die Wallfahrtsorte in der Nähe, zu Sankt Wolfgang und am Falkenstein, wo jeder Pilger das Glöcklein der Felskapelle läuten muß, und was unsere schöne Gegend sonst noch an Merkwürdigkeiten besitzt. Er weiß in der That am besten zu reden unter unsern Conventualen, obwol er einer der jüngsten ist.

Er muß sich unglücklich fühlen, versetzte Paul.

Unglücklich? daß ich nicht wüßte! Nun ja, es mag freilich sein. Er ist ungesellig, düster, leidenschaftlich. Die Andern suchen ihn wenig auf. – Wissen Sie, fuhr der Prälat mit leiser Stimme zum Domherrn gewendet fort, es ist der junge Dietburg.

Der Domherr nickte mit dem Kopfe und lenkte das Gespräch auf einen andern Gegenstand. Der Name Dietburg, den Paul als Kind so oft gehört hatte, weckte seine Neugierde. Für jetzt aber durfte er nicht hoffen, mehr zu erfahren, da die beiden Herren sich in eine ganz andere Materie vertieften. Er beschloß also, den Domherrn später zu fragen, und ging zu der Zelle des Mönches.

Manuel bewohnte ein düsteres Zimmer mit der Aussicht auf ein Wirthschaftsgebäude. Es war höchst einfach meubliert, obwol nicht so ascetisch arm, wie die Zellen in den Klöstern strengerer Orden, als der des heiligen Benedikt von Nursia ist, der seinen Stolz seit je mehr in dem thätigen Wirken für die Cultur des Geistes und seine irdischen Besitzungen setzte, als in müssiger Beschaulichkeit und »Abtödtung«.

Es ist eine eigenthümliche Welt, die in dem Zimmer eines Geistlichen, eines jungen Geistlichen vor euch aufgeht, ein seltsames Gefühl, das euch in ihm ergreift; und noch seltsamere Gedanken sind es, die in ihm verschlossen sind, wie kostbare Schätze hinter ihren schützenden Riegeln, aber auch wie gefangene freiheitsdurstige Vögel in ihrem Kerker.

Ich meine das Zimmer eines katholischen Geistlichen, eines jungen Mönchs.

Die größten Gedanken Gottes sind die Liebe und der Tod. Der größte Gedanke des Menschen ist die Kirche. In der Zelle eines Mönchs wohnen alle drei Gedanken.

Er hat der Liebe entsagt; aber der Gedanke der Liebe wohnt in seiner Zelle; er flimmert in den Strahlen der Abendsonne, die schräg durch die hellen Scheiben fällt, die gelb auf der weißen, wie die Entsagung nackten, Wand liegt; oder spielt mit dem dunklen Mooskranz an dieser Wand, den eine besorgte Schwester gewunden hat. Er blickt mit den kleinen hellblauen träumerischen Augen aus der Schüssel voll Vergißmeinnicht auf dem Tische des Mönchs, die eine junge und fromme Verwandte pflückte und brachte, als sie zu verkünden kam, daß sie Braut sei. Er schaut groß und selig und sehnsuchtweckend aus den Augen der Madonna, deren Bild in schwarzem Eichenholzrahmen über dem Kruzifixe hängt. Der Bewohner glaubt, er habe der Liebe entsagt; – armer Mönch! – als wenn Dein offenes Auge dem Lichte entsagen könnte! Entsagt, nein! aber in deine Zelle verschlossen hast du den Gedanken der Liebe; – er ist der gefangene freiheitsdurstige Vogel, der bei dir einen Kerker fand.

Und wie der Gedanke der Liebe, so tritt der Gedanke des Todes in der Zelle des Mönchs euch entgegen, er ist Bruder jenes Gedankens; er ist hier eingeschlossen wie ein Schatz hinter schützenden Riegeln. Aus seiner Liebe schuf Gott den Tod. Er hätte uns ewig lebendig lassen können auf dieser Erde; ein verknöcherndes Geschlecht ewiger Juden, unseliger Ahasvere; er hätte den Himmel sich rein gehalten von Bewohnern, die einmal in ihrem frühern Leben wenigstens einen Tribut an die Sünde zahlten, er hätte dann thronen können unter den ewig Reinen, unter den im Purpur seines Lichtes geborenen Himmlischen, ein aristokratischer, exclusiver Gott! Er hat es nicht gewollt, er hat den Tod uns gegeben, den Hüter unsers geistigen Lebens, wie der Schmerz der Hüter unsers körperlichen Lebens ist. Und mit dem Tode ist die Gottesfurcht, ist die Andacht, ist die Philosophie in unsern Geist, ist die Poesie in unser Leben gekommen. Der Tod ist die Sphinx, welche ihr Räthsel ausspricht, auf das sie Antwort heischt. Wer sänne, wer dächte, läge nicht die Sphinx da mit ihrem Räthsel? – Er ist die Wehmuth; wer dichtete, träte nicht die Wehmuth an sein Herz?

In der Zelle des Mönchs wohnt der Gedanke des Todes. Er hat die Hand dem grauen Kirchenvater geführt, der jenen Folianten voll tiefer und mystischer Weisheit niederschrieb; er hat die Stola dort gestickt, er hat dies schwarze Gewand um die Schulter des Mönchs geschlagen; er hat diese vier Bände des Breviers geschrieben, Wort für Wort, er, mit seiner knöchernen Hand. Der Tod ist der Gärtner, der die kranke, müde Lilie der Legende gezogen, welche aus jenem Buche voll Heiligengeschichten, voll frommer Mährchen euch entgegenduftet; er ist es, der den Kelch der mystischen Rose mit Purpur färbte und blutroth den Sammt ihrer Blätter umschlug.

Der dritte Gedanke, den nicht Gott, – – aber genug; ich wollte euch die Zelle des Mönchs Manuel beschreiben, und nun sind die Gedanken, welche darin wohnen, bis auf diese Stunde noch so mächtig, daß sie mich ergreifen und mich fortführen dahin, wohin ihr keine Lust habt zu folgen. Denn mich umschließen jetzt die engen Wände der Zelle, zwischen denen wie ein wunder, gefangener Adler die gequälte Seele des Mönchs Manuel flatterte. Es ist nicht gut sein zwischen diesen Wänden; der Raum ist düster und unheimlich und lichtlos; und wenn die Nacht in die Kreuzgänge und die weiten Bogenwölbungen der Abtei gezogen ist, dann beginnt es einen tollen Wirbeltanz um mich – es sind die spukenden Ideen des unseligen Mönchs. –

Auch damals war es öde in der Zelle Manuels – es herrschte eine gewisse regellose Zerfahrenheit in ihr, und weil die bewohnten Räume eine eigene, zu den Charakterzügen des Bewohners passende Physiognomie annehmen, so sprach dieser Raum nicht für die Klarheit und den Ordnungssinn, noch auch für das Gemüthsbedürfniß des Bewohners nach kleinen, durch irgend eine Beziehung werthen Gegenständen, nach unbedeutenden Habseligkeiten, die doch als Erinnerungen an irgend ein inneres Erlebniß, irgend eine frühere Sympathie, uns zu unserer Umgebung so nöthig werden können, sollen wir uns behaglich bei uns fühlen. – Uebrigens waren alle Stühle und Tische mit Büchern bedeckt, als ob die halbe Klosterbibliothek hereingewandert sei.

Als Paul eintrat, fand Manuel, die Arme untergeschlagen, sinnend am Fenster; ich danke Ihnen, daß Sie kommen, sagte er, ich befürchtete, einen Eindruck auf Sie gemacht zu haben, der Sie abschrecken könnte, mich wieder aufzusuchen. Ich habe selten meine Gedanken ausgesprochen, aber ich habe nie gefunden, daß sie mir eine Freundschaft erworben hätten – und doch kocht mein bestes Herzblut in meinen Gedanken.

Paul lächelte; seine Hand auf die Schulter des Mönchs legend und ihm treuherzig in die Augen schauend, citierte er die Verse Petrark's:

So di che poco canape si allaccia
Un anima gentil, quand ella è sola,
E non è chi per lei difesa faccia!

Ja, versetzte Manuel, es kann sein, daß ich mich in dünne Schlingen gefangen habe, weil ich vereinsamt bin. Und glauben Sie mir, daß ich die redlichste Mühe anwendete, um nicht in Vorurtheilen oder einseitiger Lebensansicht zu verknöchern. Und doch das niederschlagende Vorurtheil, wenn es eines ist, kann ich nicht fahren lassen, daß eine Art bösen Willens als Rächer über uns gesetzt für ein Verbrechen, welches wir begangen haben müssen, ohne es selbst zu wissen. Es wird eine Geißel über uns. Alle geschwungen, wir mögen nun glauben oder nicht glauben. Ich bitte Sie, lesen Sie diese Verse, die in mir eine rauschende Kirchenmusik wach gerufen hat. – Er gab ihm das folgende Gedicht:

Kirchenmusik.

––––

Und wieder, gleich dem ems'gen Akoluth,
Deß Blicke über seine Räume gleiten
Mit einem Ausdruck von besorgter Huth –
Seht ihr des Doms Portale mich durchschreiten,
Drin die Musik in vollen Klängen rollt:
O jauchzende, o helle Melodien,
Von tiefen Donnern kräftiglich durchgrollt,
Ich seh' im rauschenden Vorüberziehen,
Im vollen Wogen dieser Tön' und Stimmen
Der Prophetie Visionen vor mir schwimmen.

Was voller Traur aus David's Harfe klang,
Was tief erschüttert die Sibylle schaute,
Was heil'ger Wahnsinn zitternd dem Gesang
Des düstern dies irae anvertraute,
Was je Entsetzliches im Weltloos war –
Ich seh es um mich kreisen und erstehen,
Ich fühl' die Fittiche von jenem Aar
Um meine feuchten Schläfen flattern, wehen –
Der sichtbar wurde über Patmos schwebend,
Ein dunkles Bild in sonn'ge Lüfte webend;

Der zum Johannes einst herniederkam,
Dem heil'ger Chrysam von den Schwingen thaute
Auf jenes Stirne, daß es wundersam
Durch des Apostels glühnde Seele graute. – –
O furchtbar ist, wenn plötzlich aufgerollt
Die Moysesdecke vom Mysterium schwindet,
Und wenn das Aug' selbst in dem Flammengold
Des Abendroths die Flamme wiederfindet,
Drin Huß und Savonarola gelodert,
Und die zum Opfer einst die Erde fodert.

Dem Menschen gegenüber tritt der Tod
Und wirft ihn dem Gedanken in die Arme,
Und ruft ihm zu das herrische Gebot:
Versöhne denkend dich mit deinem Harme! –
Doch wenn er nun mit ganzer Seele sinnt,
Und trägt ihn himmelaufwärts der Gedanke,
Dann heischt ihn heim das dräu'nde Zorneskind,
Der alte Glaube, in die enge Schranke,
Der Glaube, der Jahrhunderte gezügelt,
Und der mit Strömen Blutes ward besiegelt! –

Er ist der Menschheit Zügel und ihr Fluch! –
Wer jemals treu gewesen dem Gedanken,
Wer je der Wahrheit Banner vor sich trug –
Ihr wißt es Alle, wie sie elend sanken;
Der ruft euch laut aus seinen Flammen an,
Und der – bekehrt – von einem Sterbebette;
Der weint verbannt, ein thränenwerther Mann,
Und Jenes Schmuck ist die Gefangnenkette;
Sie wollten All' am Wohl der Menschheit bauen –
Was thaten sie's – die Menschheit soll nicht schauen!

Darum durchpocht ein krank und blutig Herz,
Ein Strom des tiefsten Wehes ihre Adern;
Daß ihr zum Gott gegeben ward der Schmerz,
Hat sie ein Recht zu zürnen und zu hadern;
Doch ob sie zürn', geknechtet ist sie doch
Des Glaubens schwere Büßung zu verrichten,
Und sich leibeigen in ein eisern Joch
Zu schmiegen unter todesernste Pflichten –
Oder – wer stolz sich selber treu – wird müssen
Gleich harte Strafen für die Wahrheit büßen.

Das schalt aus diesem donnernden Triumph,
Mit dem die Töne das Gewölbe füllen,
Des Geistes Ohnmacht feiernd, der sich stumpf
Muß in die Schleier der Entsagung hüllen!
Und der Besiegten wimmernd Angstgeschrei,
Der Allmacht selbstzufriedne Schlachtgesänge,
Die Klagen der Gestalt, die ewig neu,
Des Geistes Bild, durchtönen diese Klänge –
Prometheus' Stirne seh' empor ich tauchen,
Ein Golgatha des freien Denkens rauchen!

Den Engel seh' ich, der mit blutger Hand
Des Zornes Schale über uns ergossen,
Der uns das Buch des Lebens hat entwandt,
Und es mit sieben Siegeln zugeschlossen;
Er weist verheißend nach der ew'gen Stadt,
Die des Apostels Visionen sahen; –
Wer aber ist es, der die Schlüssel hat?
O sag', o sag', wer von uns wird ihr nahen?
Sind es die Gläubigen, die Büßungskranken?
Sind es die sich geopfert dem Gedanken?

Das ist Blasphemie, sagte Paul, nachdem er das Blatt gelesen, mit strengem Ausdruck. Das haben nicht Sie, das hat der Unmuth, die Verzweiflung geschrieben.

Mag sein; aber Sie würden diese Verzweiflung natürlich finden, wenn Sie den schrecklichen Kampf kennten zwischen dem Verstande, der sagt, es ist Alles, Alles nichts, was du geglaubt, was du gehofft, du bist ein verstoßenes Kind des Zorns – und der Seele, welche sich mit ihrer letzten Kraft an die Idee eines gütigen alllenkenden Vaters klammert, welche heiße Reuethränen weinen und sich im Augenblick nach der Blasphemie, wie Sie es nennen, zerknirscht im Staube beugen möchte.

O um Gott, folgen Sie diesem Antriebe; es wird Sie beruhigen, wenn auch nicht heilen. Sie waren so offen gegen mich, daß ich es gleichfalls gegen Sie zu sein wage, offen und ehrlich. Ich glaube Sie in einem großen Vorurtheil verknöchert, obwol Sie behaupten, nach dem Gegentheil zu streben. Sie beurtheilen die Existenz und die Welt von Ihrem Ich aus. Sie sind krank an Ihrem Ich, Sie müssen heraus aus diesem Ich, damit ein verschiedener Standpunkt Ihnen die Existenz und die Welt in einem andern Lichte zeigt. Wie Sie ewig um Ihr Ich mit Ihren Gedanken kreisen, im schwindlig machenden Wirbelschwung, so kreiset natürlich, nur nach der andern Seite, Ihnen entgegen, die Welt um Sie her. Wie wollen Sie da ihren Lauf beobachten? Sie sagen, das Leben sei eine zu schwere Bürde, weil die wichtigsten Fragen das Woher, Warum, Wohin unserer Existenz uns nicht hier schon beantwortet werden und eine Antwort auf dieselben doch uns durchaus nothwendig ist, wenn auch nicht zum äußern Thun, doch zu dem wichtigern innern, zum Denken. Ich gebe das zu, wenn wir auch das Christenthum haben, so weiß doch ein Bewohner der nächsten neuentdeckten Insel, der so fragt, keine Antwort. – Nun bauen Sie Philosopheme auf; die Hand aufs Herz – lösen diese irgend eine jener Fragen so, daß Sie im innersten Herzen der erhaltenen Antwort trauen? Dringt irgend ein Gedanke daraus wie ein Kundschafter über eine gewisse Schwelle? Nein; also weshalb den Bau so hoch aufgipfeln, da er Sie durch seine Spitzen unglücklicher macht, als Sie früher waren? Jede Philosophie, die hoch baut, legt in den obersten Kammern ihres Babelthurmes, Folterkammern für den Philosophen an. Jede Philosophie, die zu kühne Spitzen, durch die Wolken dringende, himmelspaltende Spitzen auf ihr Gebäude setzt, wird sie als verwundende Pfeile herunter in das Herz des Baumeisters fallen sehen.

Manuel ging schweigend auf und ab. Dann sagte er: Lassen wir einmal dies Thema; lassen Sie mich besser und freundlicher meinen Gast unterhalten. Ich sehe so selten ein intelligentes Menschengesicht, daß ich mich sogleich darin verliebe, wenn es mir irgendwie begegnet. Auch Paul fand sich nach und nach angezogen von dem Mönche. Es sprach aus Allem, was er sagte, zwar Bitterkeit, Satyre, stolzes Selbstvertrauen auf die eigenen Gedanken und ein unbeugsamer Geist, aber auch Tiefe des Gemüths und Leidenschaft. Diese Leidenschaft aber war es, was am meisten Pauls Interesse an ihm weckte; er selbst hatte sie nie gefühlt, er trug in seinem ruhigen beschaulichen Innern gar nicht den Schlüssel zu ihr in sich; nur Wohlwollen hatte ihn von Kindheit an umgeben und ein günstiges Geschick seine Pfade geebnet; woher sollten ihm die Stürme der Leidenschaft gekommen sein? Desto mehr aber zog ein leidenschaftlicher Charakter ihn an, und der Manuels um so mehr, weil er nach und nach fand, daß alle seine Eigenschaften aus einem ursprünglich edeldenkenden Gemüthe hervorgingen, welches das Geschick durch seine Lenkung für jetzt auf Abwege getrieben.

Die Geschichte seines Lebens war kurz, aber tief tragisch. Er kannte seine Aeltern nicht, nicht einmal ihren Namen. Wenn sich auch kein Gott den Menschen mehr offenbart und ihr Verlangen nach Liebe stillt, sagte er, so haben sie doch Eltern, sie haben eine Mutter, welche für sie eine halbe Gottheit ist, die Liebe nämlich, ohne die Allmacht. Ich habe, so weit mein Gedächtniß reicht, nur Benediktinermönche um mich gesehen, Mit mehrern andern Knaben wurde ich hier erzogen; diese wurden entlassen, da sie eine Heimat hatten; ich wurde hier behalten, bis ich erwachsen war und Mönch wurde. Daß dies mein Lebensberuf sei, verstand sich von selbst; ich bin nie um eine Wahl gefragt worden, und ich hätte ja auch keine gehabt; denn wohin in die fremde Welt, in der Niemand, Nichts mein war? Ich habe nur die tödtliche Oede meiner Umgebung, das Dach da draußen vor meinem Fenster, die geweißten Wände der Zelle, alte Bücher und auf den langen zugigen Corridoren den Widerhall aufgesperrter und zugeschlagener Thüren, oder der schweren klappernden Schritte eines langsam wandelnden Mönchs. Und dann diesen Drang nach der That und nach dem Leben in sich zu fühlen! Aber es herrscht ein Fatum, das den Menschen immer an einer empfindlichsten Seite straft, denn wir alle werden von vorn herein vom Leben wie Sträflinge behandelt. Und was haben wir verbrochen? Sollte es Mangel an Gehorsam gegen die höchste Idee, die in uns und in der Welt lebendig ist, gegen die Freiheit sein? Sollte Feigheit unser Verbrechen sein, daß wir nicht muthiger das Banner unserer Göttin auf den Brechen der Zwingburgen veralteter Gesetze aufpflanzen? Werden wir deshalb so hart gestraft an Leib und Seele, die verkümmern oder untergehen muß in Armuth, Schmerz und Gefängniß, statt eine freie harmonische Entfaltung in innerem Reichthum, Freude und Tugend, für welche sie allein da sein kann, auch durch ihre Lebensstellung und alle Bedingungen ihres Daseins unterstützt und befördert zu sehen? Wenn der Gärtner zur Rose sagt: blühe, dufte, entfalte dich farbenprächtig und leuchtend, – kann sie dann nicht fordern: so schütze du mich vor der Dürre, welche mich aushungert, vor den Raupen und vor der sengenden Sonne? Statt unser tägliches Brot gib uns heute! sollten die Menschen beten: Gib uns heute unser tägliches Glück!

Manuel schritt während dieser Worte rasch im Zimmer auf und ab; sein dunkles Auge sprühte zornige Blicke, seine Gestalt hatte sich groß aufgerichtet.

Ich wollte, ich wäre, da ich doch wie ein Gespenst fremd durch meine Umgebungen schreiten muß, der ewige Jude Ahasver, der furchtlos durch die Jahrhunderte schreitet, ohne Bangen an jede That sich wagen darf und hohnlachen kann über das Ende!

Paul erstaunte immer mehr über den gewaltigen Vulkan in einer Menschenbrust, den er in den stillen Klostermauern gefunden. Er blieb bis spät am Abend bei ihm, gefesselt nicht allein von dem ihm völlig fremden Ideenkreis, in den die sprudelnden Gedanken des dreisten Mönchs ihn zogen, sondern auch von innigem Mitleid mit Leiden, die so tief und stürmisch schienen wie der dunkle See, in dessen empörtes Aufwogen sie ihre Schmerzensschreie riefen.

Manuel hatte endlich Pauls ganzes Herz erobert, als er ihm den Tag beschrieben, an welchem er eingekleidet worden. – O, über sich selbst diesen Begräbnißpomp für die gebannte Seele halten zu sehen, unwiderruflich von Licht und Leben, von That und Liebe abgemauert zu werden und während alles dessen sich sagen zu müssen, daß auf der weiten Erde Niemand ist, dessen Herz ein solches Zertretenwerden vom Schicksal rührt, mit Theilnahme erfüllt – in einer solchen Stunde keine Mutter, nicht die Erinnerung an eine Mutter zu haben – nichts, nichts, als eine todtenhafte Oede und Leere in der Brust und ein wirres, trostloses Meer von dumpfen Orgel- und Liedertönen im Kopf – doch was beschwöre ich die Erinnerung an diesen schrecklichen Tag herauf? Zürnen Sie mir nicht, ich hätte Sie mit angenehmern Dingen unterhalten sollen; aber es ist mir heute nicht möglich. Sie selbst, in meinem Alter stehend, so frei, so reich an Gesundheit, Lebensmuth, Frische der Empfindung und Wohlwollen für Alle: Sie selbst haben mich in eine meiner dämonischen Launen gestachelt.

Als Paul am andern Tage neben seinem Oheim im Wagen saß, sagte er:

Sie wissen etwas Näheres über die Geschichte des Mönchs Manuel; der Administrator nannte Ihnen seinen Namen, und dieser Name interessiert mich ebenso, als der Bruder Manuel selbst.

So, nannte der Prälat seinen Namen? Das hätte er nicht, nicht, nicht thun sollen. Im Thomas von Kempis steht – er suchte in seiner Rocktasche, aber vergebens; – ich habe meinen Kempis vergessen, fuhr er fort, und begann eine Melodie zu pfeifen.

Der Mönch heißt Dietburg, von Dietburg, nicht wahr?

Er heißt so, wenn Du's einmal weißt, aber frag mich nicht weiter; seine Geschichte ist mir sub sigillo confessionis anvertraut und außer mir nur, nur, nur dem Prälaten bekannt; auch ist sie nicht für Kinder, Paul.

Paul konnte sich also schweigend den Erinnerungen und Bildern überlassen, welche der Name von Dietburg in ihm erweckte.

Als er Frau von Lescomte wiedersah, machte sie ihm Vorwürfe über seinen Ausflug: – Wo waren Sie? Haben Sie nicht einen Streifzug auf neue Abenteuer gemacht, mein treuloser Ritter? Wer ist nach der Dame mit der Sammetmaske ausgezogen? Beichten Sie!

Ich in der That nicht; aber ich muß Ihnen bekennen, daß ich die größte Lust dazu hätte; für jetzt aber beschäftigt mich ein anderes geheimnißvolles Schicksal noch mehr. – Er erzählte nun, was er von Manuel erfahren.

Frau von Lescomte schien im höchsten Grade gespannt, Pauls Worten zuzuhören. Sie erkundigte sich mit einem Interesse nach dem Mönch, daß Paul endlich scherzend sagte: – Sie haben sich verliebt in meinen Freund Manuel.

Glauben Sie, versetzte sie lächelnd; ich muß gestehen, daß seine Erscheinung etwas unendlich Anziehendes für mich haben würde. O es geht nichts über einen so recht tiefen Schmerz in einer Menschenbrust, die blutend einen Retter, einen Heiler sucht; ich glaube, ich bin zu einer soeur grise geboren. Und diese grandiosen kühnen Ideen von der Freiheit! Ja, Freiheit, nur Freiheit. Wir sind alle mit Ansprüchen auf freie Entfaltung unsers Wesens geboren; und doch knechtet Eins das Andere. Dieser Mönch wär' ein Freund für mich; von Ihnen, Paul, wünscht' ich eigentlich, daß Sie ein Frauenzimmer wären, da ich Sie lieber zur Freundin hätte.

Sie beobachtete Pauls Züge bei diesen Worten; da sie aber nichts darauf wahrnahm, was einer Regung gleich gesehen hätte, die sie vielleicht hoffte, vielleicht auch hervorzurufen beabsichtigte, fuhr sie fort: Machen wir eine Coalition, um unsere beiderseitigen Geheimnisse zu enthüllen. Sie ziehen zur Rettung der bedrängten Unschuld der Dame mit der schwarzen Maske nach, und ich bearbeite Ihren Onkel, um ihm die Geschichte Manuels zu entlocken.

Sie werden wahrscheinlich um nichts klüger werden, als um eine lehrreiche Stelle aus dem Thomas von Kempis, der ihn aufs Trefflichste vor allen Anfechtungen zu schützen weiß, versetzte Paul.

Es verflossen mehrere Wochen, während welcher bei beiden Theilnehmern der geschlossenen Allianz das Interesse an ihren Geheimnissen sich nach und nach abstumpfte, zugleich aber auch die gewisse ruhige Schwärmerei noch ruhiger wurde, welche Paul für seine Freundin genährt hatte. Aber er war, wie ich oben sagte, eine contemplative Natur; desto weniger verstand er, wie gewöhnlich solche Menschen, das kleine Detail, die leisern Nuanzirungen der Charaktere, den Hinterhalt ihrer Gedanken zu beobachten, und da er zudem keine Eitelkeit besaß und der Gedanke, Frau von Lescomte oder irgend ein anderes weibliches Wesen könne andere als rein freundschaftliche Gefühle für ihn gefaßt haben, ihm nie im Traume eingefallen war – so ließ er sich in dem Verhältniß zu der lebhaften und schönen Frau mit einer so unschuldigen Unvorsichtigkeit gehen, daß er endlich eines schönen Tages zu seinem Erstaunen inne ward, Frau von Lescomte sei mit ihrem ganzen Herzen sein. Paul müßte kein junger Mann gewesen sein, wenn ihm dies, als das erste Ereigniß seines Lebens der Art, nicht einen gewissen freudigen Rausch erweckt hätte. Sie lag an seiner Brust und flüsterte in weichem und zärtlichem Tone seinen Namen: Paul! – Paul fuhr in diesem Augenblick der Gedanke an seines Oheims Spruch aus dem Thomas von Kempis durch den Sinn.

Eine Stunde nachher lief er in einer halb noch geschmeichelten, halb gedemüthigten, mit sich unzufriedenen, über sein Betragen unklaren – in einer jedenfalls sehr aufgeregten Stimmung auf einsamen Feldwegen spazieren. – Ich will ihr schreiben und dann abreisen, sagte er endlich – als plötzlich ein junges Mädchen von zehn bis elf Jahren um eine Gartenhecke bog und ihm entgegenkam. Das Kind zeigte einen Ausdruck von zornigem Verdruß in den erhitzt glühenden, von einer Fülle blonder Locken beschatteten Zügen. Der Grund war leicht zu errathen, die Kleine hatte einen schweren Korb zu schleppen, den sie abwechselnd bald mit einem, bald mit dem andern ihrer schwachen Händchen faßte.

Was trägst du denn da so schwer, mein Kind? fragte Paul sie, und indem ein paar Thränen in ihre blauen, weit geöffneten Augen traten, antwortete sie:

O allerlei, Fleisch, Mehl, Gewürz, da drüben hin nach dem Gehölze.

Paul hob den Korb auf.

Das ist in der That schwer, wie kann man dir eine solche Last aufbürden! komm' zeige mir den Weg, ich will dir den Korb tragen.

O Sie lieber Herr! rief das Mädchen aus und lief trippelnd vor ihm her. Aber die ganze Strecke sollen Sie's nicht tragen; es ist sehr weit und ich muß den Weg alle zwei Tage machen; oft wird's ganz dunkel, ehe ich heimkomme.

Wer bekommt es denn? Haben die Leute nicht einen größern Boten, den sie in die Stadt senden können?

Die Leute? Es sind halt gar keine Leute!

Nun wer bekommt's denn?

Ich weiß nicht; ich stelle den Korb nur auf die Treppe vor dem Waldschlößl.

Nimmt ihn dir denn Niemand ab?

Nein, Herr; ich laufe fort, wenn ich's dahin gestellt habe, und wenn ich am zweiten Tage wiederkomme, steht der leere Korb vom vorigen Male immer wieder da und das Geld für meinen Vater – das ist der bürgerliche Mehlstößler in der Getraidgasse, wissen's, der das große schöne Schild über der Thür hat – das Geld für meinen Vater liegt jedesmal richtig in dem Korbe.

Das ist ja seltsam! sagte Paul; höre, ich will dir den Korb ganz dahin tragen, um dein Waldschlößl zu sehen.

Bis an den Wald, gelten's? Weiter dürfen's nicht mitgehen, ich darf Niemand mitnehmen, auch des Pfragners Creszens, meine Schulkameradin nicht.

Und weißt du denn gar nicht, wer die Sachen nimmt, wer in dem Waldschlößl wohnt?

Nein, Herr, ich hab' mir sagen lassen, es sei ein Hexl dadrin eingesperrt, ein gar schön's, das die Leute närrisch macht, die's sehn. Ich weiß aber nicht, ob nicht Einer sein Gspaßl hat mit mir haben wollen.

Bist du nie stehen geblieben, um zuzuschauen, wer aus dem Hause kommt und deinen Korb holt?

Behüt' Gott; ich fürcht' mich halt zu viel und lauf', daß ich heim komme.

Sie mochten eine Viertelstunde gegangen sein, als sie am Saum eines Gehölzes standen, in das eine dunkle Allee von hohen Fichten und Lerchentannen führte

So, hier müssen's fein heim gehen, sagte das Mädchen; nun dank' ich gar schön!

Sie nahm den Korb und eilte damit die Allee hinab, während Paul unschlüssig, ob er folgen solle oder nicht, ihr nachsah. Um sie nicht zu beunruhigen, trat er seitwärts in das Gehölz und wartete ihre Zurückkunft ab, die nach weniger als zehn Minuten erfolgte. Einen leeren Korb am Arme schlüpfte sie, ohne ihn zu sehen, mit raschen Schritten der Stadt zu eilend an ihm vorüber. Paul wandelte nun den Baumgang hinab, bis er das Waldschlößl vor sich sah. Es stand auf einem Rasengrunde in der Mitte des Waldes, dicht beschattet von hohen Lerchentannen und Laubholz, ein Gebäude von zwei Stockwerken und so geringem Umfang, daß es eher ein Jagdpavillon als ein Schloß zu heißen verdiente. Doch hatte es, so viel die Dunkelheit, die schon in dem Walde herrschte, erkennen ließ, einen aristokratischen Anstrich, durch hohe Essen, Steinhauerarbeit, die in der Form von Jagdtrophäen an den Mauerfeldern der Fronte niederhing und durch eine schwere Balustrade vor der Treppe, welche mit zwei Flügeln zur Eingangsthüre hinauf leitete. Diese Thüre war halb geöffnet und vor derselben auf der Balustrade saßen zwei männliche Gestalten, von denen der Eine einen Korb auf den Knieen hielt, während er das Kinn auf den Bügel desselben stützte, der Andere aus einer kurzen Pfeife rauchte. Paul trat hinter den Baumstämmen ihnen nahe genug, um ihr Gespräch zu verstehen.

Ihr müßt ein paar verwegene Kerl sein, Wilm, sagte der mit dem Korbe.

Das sind wir auch, versetzte Wilm, den Kopf zurücklegend und eine mächtige Wolke in die Höhe blasend.

Und reich müßt Ihr auch sein, bei Euch daheim.

So, so; passiert!

Hat Euer Baron Kinder?

Eine Tochter, ein verflucht stolzes Weibsbild, Gott verdamme sie; jetzt ist die oben im Land, bei einer vornehmen Dame.

Hört, Wilm, ich möchte wohl mit Euch gehn, wenn Ihr mit der da, – der Mann deutete mit dem Arm auf die Fenster des obern Stockwerks – wenn Ihr mit der da abreist. Hier im Land ist dann meines Bleibens doch nicht mehr.

Mit mir gehen – antwortete Wilm gedehnt; würde mir sehr angenehm sein, denn ich zweifle ganz und gar nicht, daß Ihr ein sehr unterhaltender Reisegefährte wäret, und daß mein Baron nicht sehr erfreut wäre, einen solchen Diener wie Euch zu besitzen; es ist nur leider der Umstand im Wege, daß wir Euch ganz und gar nicht gebrauchen können. Habt Ihr nicht Eure guten Kronthaler von mir ausbezahlt bekommen? Könnt Ihr damit nicht gehen, wohin Ihr wollt, in die schönsten Länder dieser Erde, dahin zum Beispiel, wo der Pfeffer wächst, was ein sehr angenehmer Aufenthalt sein soll? Nein, Casper, ich nehme viel zu sehr Theil an Eurem ungeschmälerten Wohlergehen, als daß ich Euch mitnehmen möchte an die See, wo Ihr unausbleiblich in den ersten vier Tagen den Schnupfen bekämet, und ich bin so entschlossen, Euch davon abzuhalten, daß ich Euch, wenn ich Euch mir auf den Fersen wahrnehme, unfehlbar den Hals umdrehen werde. Verstanden?

Wilm legte den Kopf wieder in den Nacken und ließ eine wirbelnde blaue Säule aus seinem Munde hervorgehen. Das Gespräch war zu Ende; die beiden Bursche gingen nach einer Pause ins Haus und Paul hörte, wie die Thüre von innen sorgfältig verriegelt wurde. Er trat aus seinem Versteck hervor und umging das Gebäude. Auf der Rückseite fiel ein heller Lichtschein aus einem der Fenster auf die Baumwipfel des Waldes, der jetzt in völlige Nacht gehüllt war. Pauls Neugierde war erregt genug und seine Hoffnung, der Frau mit der Sammetmaske auf der Spur zu sein, hinreichend wahrscheinlich, um ihn einen der nächsten, jenem Fenster gegenüberstehenden Bäume hinanklimmen zu lassen, bis er in gleicher Höhe mit dem zweiten Stockwerk einen freien Blick in das erleuchtete Zimmer bekam. Sein erster Blick durch die unverhüllten Scheiben traf auf eine weibliche Gestalt, die Niemand anders sein konnte, als eben die gesuchte geheimnißvolle Dame; lag doch ein schwarzer Gegenstand, der ganz wie eine italienische sammetne Halbmaske aussah, neben ihr auf dem Tische, während sie selbst zurückgelehnt auf einem Sopha ruhte, den Ellenbogen des linken Armes auf den niedern Tisch stützend, die Hand geschlossen an die Schläfe stemmend. Lange fließende Locken von dunklem Haar hatten sich über diese Hand geworfen, die klein und zart zu sein schien. Ihr Gesicht konnte Paul nicht erkennen; sie hatte es etwas ab- und der Rückenlehne des Sophas zugewandt; doch sah er den Schatten, den ihr Profil an die Wand warf, und nach diesem Profile, das einen regelmäßigen griechischen Schnitt hatte, mußte ihr Gesicht schön und edel sein.

Das Zimmer war, wenn nicht luxuriös, doch wohnlich und bequem eingerichtet. Schwere blaue Vorhänge hingen zu beiden Seiten des Fensters nieder, in dessen Brüstung ein Stickrahmen stand; ein elegant gearbeiteter Schrank im Hintergrunde des Zimmers zeigte halbgeöffnet Reihen von Büchern, und auf dem Tische vor dem Sopha trug ein silberner Armleuchter von altmodiger Form zwischen einem Paar niederer Vasen voll kleiner Waldblumen, die brennenden Kerzen. Auch ein musikalisches Instrument, ein Clavier, stand an der einen Wand, bedeckt mit Büchern, Notenheften und weiblichen Kleidungsstücken, ein etwas unordentliches Durcheinander. Die Gefangene – wenn sie anders eine solche war – schien demnach mit vieler Rücksicht und Aufmerksamkeit behandelt zu werden.

Paul stand lange Zeit auf den Baumästen, von denen herab er ungehindert diese Beobachtungen machen konnte. Die geheimnißvolle Dame blieb fortwährend in derselben Stellung; dem jungen Beobachter wurde endlich ganz seltsam traumhaft zu Muthe; hinter ihm der nächtlich dunkle Wald, in dessen Blättern der Abendwind rauschte, welcher die Wipfel und Aeste, Schlummerlieder singend, in Schlaf zu wiegen schien; vor ihm das finstre und düstre Gebäude, das in der stillen Einsamkeit des Forstes wie über eben so düstern Geheimnissen brütend dastand – und endlich, während Alles schwarz und dunkel war, das Licht in dem einen Gemache, hinausstrahlend auf die nächsten Stämme und Zweige, und hell die Gestalt der bewegungslos ruhenden Dame bescheinend. – Paul glaubte die Entdeckung einer in Zauberschlaf eingelullten verwünschten Schönen gemacht zu haben, die, von einem Riesen oder andern Ungethüm bewacht, schlummern müsse, bis er als rettender Held die Bannformel gefunden, welche die Kraft des Zaubers löse.

Müde geworden durch seine unbequeme Stellung, mußte er endlich den Baum verlassen und den Heimweg antreten, freilich noch ganz ohne Aussicht, je durch einen glücklichen Zufall in Besitz jener lösenden Formel zu kommen.

Früh am andern Tage eilte er zu Frau von Lescomte, um ihr sein Erlebniß mitzutheilen. Er mußte in ihrem Vorzimmer warten, weil sie noch mit den Anfängen ihrer Toilette beschäftigt war. Die Gestalt der einsamen Bewohnerin des Waldschlosses hatte bis jetzt seine Einbildungskraft so ausschließlich beschäftigt, daß darüber die Erinnerung an die Scene, in welche er am gestrigen Tage mit Frau von Lescomte gerathen, in den Hintergrund getreten war. Jetzt fiel ihm sein Verhältniß zu ihr doppelt schwer aufs Herz, und unruhig auf- und abschreitend, sann er darüber nach, wie er mit Schonung und ohne zu verletzen auf den Standpunkt ihr gegenüber zurücktreten könne, den er nie hätte verlassen sollen und dürfen. Da fiel sein Auge auf die Adressen zweier Briefe, die in einem Arbeitskörbchen auf der Fensterbrüstung lagen; die eine mit dem Postzeichen Turin, lautete: A Mademoiselle de Lescomte, die andere: An die Hochwohlgeborne Demoiselle von Lescomte u. s. w. Er blickte verwundert auf das Papier, als sie selbst mit einem frohen lächelnden Gesichte aus ihrem Zimmer trat und auf ihn zu eilte.

Sind die Briefe an Sie? fragte Paul kalt.

Sie erröthete. – Nun ja, freilich; Sie sind hinter mein Geheimniß gekommen, Sie Arger, aber es schadet nicht, vor Ihnen will ich ja keines haben!

Hinter Ihr Geheimniß? Ich muß bekennen, ich stehe ganz erstaunt davor!

Sie nahm seinen Arm und zog ihn in einen Armstuhl; dann sich ihm gegenübersetzend und forschend in sein Gesicht sehend, sagte sie: Nun so hören Sie, Sie wissen, wie hoch vor Allem ich die Freiheit schätze, wie sie mein erstes Bedürfniß ist, nothwendig wie die Luft der Brust; und Sie wissen auch, wie groß die Freiheit ist, welche die Ansichten unserer Gesellschaft einer unverheiratheten und unglücklicher Weise noch so allein stehenden jungen Dame, wie ich es bin, gewähren. Deshalb, als ich in einer fremden Stadt, wie diese ist, eine Zeitlang ganz und ungetheilt mir selbst leben wollte, da beschloß ich statt Mädchen mich Frau nennen zu lassen. Weshalb sollte ich es nicht? Es gibt weibliche Erscheinungen, denen der letztere Name viel besser steht, als der erstere, die er jünger und schöner macht, pikanter, anziehender. Doch, werden Sie sagen, das heißt der Eitelkeit auf Kosten der Wahrheit fröhnen, und um diesem Vorwurf zu begegnen, mein Freund, will ich mit meinem letzten und eigentlichsten Grunde nicht hinter dem Berge halten: er liegt in euch Männern!

In uns? Wie werden Sie das erklären?

Nun ja, nichts einfacher als das: in der Schwäche eurer Liebesfähigkeit und der Heftigkeit eures Begehrens, wenn Hemmnisse euch entgegentreten. Wenn ihr ein junges Mädchen liebt, dann sieht man euch einige Monate lang – vorausgesetzt, ihr habt Passion genug, um es so lange auszuhalten – in einen Zustand von gelinder Aufregung und zuckerwässeriger Liebenswürdigkeit versetzt. Am Ende dieses Zeitraums schafft die gütige Mutter Natur, nach ebendenselben Gesetzen, wonach sie aus der Puppe den Schmetterling sich entwickeln läßt, euch in jene Figur um, die nie genug bewundert wird, es sei denn, daß es von ihr selber geschähe, in einen Bräutigam nämlich, das ist von allen Geschöpfen zweifelsohne das selbstzufriedenste, beglückteste, respektabelste und nebenbei langweiligste, das es gibt. Er hat Alles erworben, eingekauft, was dazu gehört, ein Bräutigam zu sein, und da das nicht wenig ist, geht er umher wie eine lebende Lobrede auf sich selbst; der Zeit, wo sie sein wird, geht er sehr ruhig entgegen, überzeugt, neben seiner Braut noch hundert andere bekommen zu können; er weiß, daß er sie glücklich macht, daß sie ihn zum Sterben liebt, und daß, wenn er ihr zu Liebe das Tabakrauchen aufgegeben hat, es eigentlich eine gutmüthige Schwäche war, die er auch hätte unterlassen können; nun, sie ist ein herzlich gutes Kind, denkt er, und deshalb reut's ihn nicht, da es zugleich eine bedeutende Ausgabe weniger ist. In seinen Ansichten ist er plötzlich sehr conservativ geworden und möchte ja nicht der Welt den Schaden und den Verdruß anthun, etwas an ihr zu ändern, wenn sie damit Gefahr lief, ihn nicht mehr gerade so, wie er jetzt ist, und als ehrenwerthes Mitglied und Familienvater sein wird, zu besitzen.

Ja, Braut – fuhr sie fort – das Wort laß ich mir gefallen, es liegt etwas Inniges, Weiches in dem Worte, es liegt Musik darin, die schönste Musik vielleicht, die von dem harten Resonanzboden des Lebens ab- und uns entgegenklingt – aber Bräutigam! nein, das ist nichts für mich, ich fordere aus dem Quell des Lebens kein Zuckerwasser, sondern eine Schale voll schäumenden goldenen Weines, einen glühenden und berauschenden Trunk will ich daraus schöpfen, in dem sich die Perle eines wahren, urkräftigen und lodernden Gefühls aufgelöst hat, um mir den Trank würziger zu machen. Ich will eine Leidenschaft, eine rechte, ächte, verzehrende Leidenschaft; und wer weckt euch Männern dieser schalen, matten, tänzelnden Zeit eine solche? Der Werth eines weiblichen Wesens selbst und nur der allein? Nimmermehr; ihr verlobt euch mit ihm, und sobald ihr verlobt seid, habt ihr nichts Eiligeres zu thun, als ein – Bräutigam zu werden. Ihr seid alle Bären, welche es nach dem Kampfe dürstet; nicht für die Liebe, sondern für den Streit seid ihr geschaffen; darum weckt nur eine Frau eine große Leidenschaft, weil ihr, um zu ihr zu gelangen, Gesetz, Sitte, Gewissen, die Verhältnisse, die ganze Welt bekämpfen müßt.

Trotz dieser Schutzrede machte das, was er entdeckt, verbunden mit dem Gedanken, daß sie fähig gewesen, so lange und so ruhig eine große Unwahrheit durchzuführen, einen unendlich unangenehmen Eindruck auf Paul. Es schien ihm einen großen Mangel von Zartgefühl in ihr zu beweisen, daß sie so ganz und gar hatte außer Acht lassen können, wie es einem künftigen Geliebten von der Art, welche sie verlangte, einem leidenschaftlichen nämlich, die quälendsten Gefühle erregen oder ersparen müsse, je nachdem sie den Namen Frau oder Jungfrau trage. Paul sah hier nicht tief genug; sie mochte es nicht so ganz außer Acht gelassen haben, aber dennoch es in ihrem Interesse finden, in diesem Punkt jetzt ihm gegenüber eine so kindliche und rührende Unbefangenheit zu zeigen.

Es ist ein unendlich demüthigendes Gefühl für uns, wenn wir uns gestehen müssen, nahe daran gewesen zu sein, in die Schlingen einer Coquette zu gerathen. Die Sucht, gefallen zu wollen, die uns so sehr geschmeichelt hat, so lange sie sich nur uns gegenüber zeigte, scheint uns, auf Andere ausgedehnt, plötzlich ein Frevel und unser Urtheil wird als dann so hart, als ob wir zu dem verdienten Tadel noch alle die Vorwürfe auf die Gefallsüchtige bürdeten, welche wir gerechter unserer eigenen Eitelkeit machen sollten, die so leicht verführbar und so blind war.

Paul war seiner Eroberung vollständig überdrüßig; er konnte es nicht einmal mehr übers Herz bringen, sie in Beziehung auf seine Entdeckung vom vorigen Abend ins Vertrauen zu ziehen und dankte endlich Gott, als es ihm gelungen war, mit einer süßsauren Freundlichkeit von dem Fräulein von Lescomte sich zu verabschieden. Er ließ sie in der für ein Weib peinvollsten Situation zurück, in der nämlich, wo Eröffnungen gemacht sind und unrecht aufgenommen scheinen, und wo man die halbe Welt darum gäbe, wenn der, welchem man das A gesagt hat, nicht gegangen wäre, ehe er das B angehört hat – in dem Stadium eines Verhältnisses, in welchem es um Alles nicht abgebrochen werden darf.

Paul jedoch war hierzu so entschieden entschlossen, daß er auf der Stelle sich von seinem Oheim verabschiedet hätte, um eine Reise fortzusetzen, wären nicht die zwei Räthsel gewesen, die ihm eine Lösung von ihm zu verlangen schienen, das des Mönches und das der gefangenen Dame. Aber in Beziehung auf das erstere fand er den Oheim unerbittlich; er mußte sich also begnügen, an Manuel zu schreiben und ihm mitzutheilen, daß er ihn habe durch den Administrator seines Klosters von Dietburg nennen hören; daß er jedoch weiter nichts hinzufügen könne, als daß vor einer Reihe von Jahren ein Herr von Dietburg eine Dame aus seiner Vaterstadt M. geheirathet und auf ein Gut an der Nordsee geführt habe; über diesen Wohnort des Namensvetters Manuels würde er Genaueres zu erfahren suchen, da er ihm nur im Allgemeinen als zum Churfürstenthum H. gehörend bekannt sei. Uebrigens seien die Herren von Thilen und von Merzhof in M. Verwandte jener Dame und er nenne diese als Adressen, wenn Manuel direkte Nachforschungen über jenen, einen gleichen Namen mit ihm tragenden Herrn in Norddeutschland anstellen wolle.

Was aber das zweite Räthsel anging, so fand Paul es noch schwerer zu lösen, weil seine nächste abendliche Wanderung nach dem Waldschloß ihn wahrnehmen ließ, daß das ausgeführt sei, was er nach dem belauschten Gespräche der beiden Männer, die auf der Treppe saßen, als er das erste Mal hinkam, vermuthen konnte. Das ganze kleine Gebäude schien verlassen, die Gefangene entführt zu sein. Wenigstens zeigte keine Spur, daß irgend ein Bewohner sich mehr darin aufhalte; und als Paul zum drittenmal und zwar am hellen Tage davor stand und sich ein Herz fassend den Klopfer vor der Thüre in Bewegung setzte, hörte er in den innern Räumen nur ein dumpfes hallendes Echo dem verursachten Geräusche antworten.

Dafür fand er heimkommend auf seinem Tische ein Billet von Fräulein von Lescomte. Es verrieth eine große Gefühlsaufregung und eine ebenso große Unsicherheit des anzunehmenden Tones; bald ironisch, bald zärtlich, bald von verletztem Stolze zeugend, bewies es überall eine große Befangenheit der Schreiberin. Paul beschloß, es unbeantwortet zu lassen; und doch wurde ihm dieser Entschluß schwer. Ein zweites, ein drittes kam; Paul fand für räthlich, seinen Koffer zu packen. Als er hiermit beschäftigt war, erhielt er die folgenden, letzten Zeilen:

Ich weiß, daß Sie reisen. Ich weiß auch, daß Sie zurückkehren werden, wenn Sie der Alltagscharaktere, der Alltagsgefühle, denen Sie in dieser interessanten Welt entgegengehen, genug haben werden. Leben Sie wohl. Da Sie Florenz berühren werden, habe ich Ihnen das anliegende Empfehlungsschreiben beigelegt. Benutzen Sie es ja; es ist weniger der egoistische Wunsch, Sie dadurch mir dankbar zu machen, als das Verlangen, Sie wenigstens mit einer belohnenden Ausbeute von Ihren Reisen heimkehren zu sehen, was mich bewog, es zu schreiben.

Die Adresse dieses beigefügten Schreibens lautete: Al signor Conte Vittorio Alfieri in Fiorenza.



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