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IX.

In derselben Sofaecke, in welcher Max am gestrigen Abend brütend gesessen und die Stunden verträumt, nur von Zeit zu Zeit durch das Erscheinen Brigittens gestört, die, jetzt auch um ihn besorgt, ihm ihre Herzstärkungen brachte – in derselben Ecke lag heute am Vormittage Ludgardens schöner, leicht geröteter, wie unendlich verfeinerter Kopf. Sie hatte Brigitten beteuert, daß sie sich wohl fühle, daß sie eine ruhige Nacht gehabt; sie hatte darauf bestanden, Max sprechen, anhören zu wollen. So lag sie denn jetzt, sorglich von ihrer getreuen »Tante« eingehüllt, im Wohnzimmer, und Max saß ihr zu Häupten und erzählte ihr von sich, von den Seinigen, alles das, was er ihr bei seinem letzten Scheiden mitzuteilen verheißen, und, auf so unglückliche Weise, ihr auszusprechen verhindert worden war.

Er sprach ihr von dem Ehrgeiz seines Vaters, von dessen Wunsch, ihn in der diplomatischen Karriere zu sehen, von seinem eigenen Widerstreben gegen diese; um ihm die Unterlage der dazu nötigen großen Geldmittel zu verschaffen, habe der Vater seine Verbindung mit der Tochter eines Börsenbarons geplant, und er aus respektvoller Nachgiebigkeit gegen den Vater diesen gewähren, und auch mit Eifer den Prozeß wegen Nyvenheim verfolgen lassen, dessen jener zur Ausführung seiner Pläne bedurft. Und doch habe dieser Prozeß ihm etwas Beunruhigendes und Drückendes gehabt; es sei ihm von Anfang an ein fataler Gedanke gewesen, daß man ein junges Mädchen, welches doch offenbar, nach allem natürlichen Gefühl, besser berechtigt gewesen als er, um seinetwillen berauben wolle. Er habe oft an die Lage der ihm unbekannten, fernen Verwandten gedacht, und höchst erregt sei er geworden, als ihm eine Dame in der Hauptstadt eines Abends in ihrem Salon von dieser Cousine, deren Mutter sie gekannt, gesprochen und versichert habe, dieselbe leide an einer Überspannung des Wesens; in ihrer ganzen Umgegend sei man überzeugt, daß ihr der Verlust von Nyvenheim, welches sie unter keinen Umständen fahren zu lassen fest entschlossen sei, den Verstand kosten werde. Er sei sich selber nun wirklich als ein Räuber, ein Frevler vorgekommen, habe dies sodann auch seinem Vater nicht verhehlt und seinen Entschluß ausgesprochen, bevor er dulde, daß ein weiterer Schritt geschehe, die Cousine sehen, kennen lernen, sich selber von ihrem Wesen überzeugen zu wollen, von der Wirklichkeit der Gefahr, wovon jene Dame ihm geredet. Sein Vater habe das zugeben müssen, und da er nicht als ihr verhaßter Prozeßgegner vor Ludgarde treten und unbefangen mit ihr verkehren können, habe er schon unter dem fremden Namen, und mit dem Vorwand juristischer Hilfe, sich bei ihr einführen lassen müssen, wie es geschehen. Was er ihr dann als Jurist geraten, sei eigentlich eine Perfidie wider seinen Vater gewesen, zu der ihn die Teilnahme für Ludgarde verleitet, da damit für diese ein Aufschub und ein Zeitgewinn zu erreichen gewesen. Denn tiefste Teilnahme habe ihn bei ihrem ersten Anblick ergriffen und mit jeder Stunde, die er sodann weiter mit ihr verlebt, sei er von dem Zauber ihrer Erscheinung mächtiger umstrickt und gebunden worden.

»Sie haben die Stärke und Gewalt der Leidenschaft, welche so rasch Herr über mich ward, als ich mit jedem Worte, welches Sie zu mir sprachen, die Stärke Ihres Herzens und die Klarheit Ihres Verstandes, die Höhe Ihres Geistes verehren lernte, Ludgarde, nicht ahnen können – ich bin eine stille, an sich haltende Natur. Ich konnte auch nicht um Ihre Neigung werben, bevor ich die Täuschung gestand, die ich mir erlaubt hatte, und so sehr ich diese Täuschung zu gestehen wünschte, so schwer wurde es mir doch, weil ich sie motiviert gestehen mußte mit etwas für Sie Verletzendem: ich mußte Ihnen sagen, ich kam, weil... nun, wozu es wiederholen, was mich dazu brachte, unter falschem Namen zu kommen, um Sie und Ihr Wesen kennen zu lernen? Als ich das letzte Mal von Ihnen ging, war ich jedoch entschlossen, am andern Tage mich offen vor Ihnen auszusprechen, Ihnen alles zu sagen, Ihre Verzeihung meiner Täuschung zu erstehen und Ihnen dann, wenn sie mir geworden wäre, auch zu sagen, wovon mein Herz voll war, voll ist. Da will das Unglück, daß ich, in den Gasthof des Städtchens hineinkommend, diesen von Gästen eingenommen finde, unter denen einer, ein Offizier, mir aus der Hauptstadt, aus demselben Kreise, in welchem ich dort verkehrte, bekannt ist. Ich kann mich der Gesellschaft nicht entziehen, und bitte nur den Bekannten, mein Inkognito nicht aufzudecken, wobei ich ihm denn gestehen muß, daß ich mich unsers Prozesses wegen dabefinde. Er willigt gern ein, diskret zu sein, beweist sich aber beim späteren Zusammensein sehr indiskret, bringt das Gespräch auf Sie, Ludgarde, von der er auch bereits in der Hauptstadt reden hören, und gebrauchte Ausdrücke, die ich ihm aufs gründlichste verweisen mußte. Vielleicht gestaltete sich diese Zurückweisung um desto schärfer, weil das ganze Auftauchen solch eines Bekannten mir natürlich überaus lästig und störend war – und so nahmen die Dinge einen Verlauf, dessen Ende war, daß ich hilflos an einer Schußwunde krank dalag und mich auch darein ergeben mußte, als mein Vater, dem ich durch den Arzt hatte Kunde geben lassen müssen, plötzlich ankam und mich entführte.«

Ludgarde hatte, mit seelenvollem Blicke ihn bei dieser Erzählung anschauend, langsam ihre Rechte ausgestreckt, und sie ihm jetzt reichend, flüsterte sie halblaut und tiefbewegt:

»Um meinetwillen!«

»Sie sollten mich tadeln wegen dessen, was ich tat, weil es so unselige Folgen hatte, die ich Unbesonnener nicht überdachte – so kopflos nicht daran denkend, wie Ihnen mein wahrer Name zugetragen werden könne! Ich dachte nur an die Auseinandersetzung mit meinem Vater, der ich entgegenging und die, sobald ich wieder Herr meiner Bewegungen war und mich auf den Weg zu Ihnen machen konnte, dann auch erfolgte. Sie war weniger stürmisch, als ich erwartete. Mein Vater willigte ein, daß ich gehe, um Ihre Hand zu werben; er selbst mochte zur Einsicht gekommen sein, daß ich zum Diplomaten nicht tauge, und wünschen, daß der Prozeß ein Ende finde. Und so eilte ich denn zu Ihnen, Ludgarde, und kam ...«

»Kamen, um mein Lebensretter zu werden,« sagte sie leise, und sah ihn an mit einer eigentümlichen Verklärung ihres Antlitzes; es war, als ob eine Taube aus diesen unendlich milden, schönen Zügen blickte.

»Ich kam, um Sie zu fragen,« fuhr er fort, indem er warm ihre Hand drückte, »ob Sie mir verzeihen können, was ich an Ihnen verschuldet habe, und sich entschließen können, die Meine zu sein, die Frau eines Mannes, der Sie unsäglich liebt und mehr und tiefer liebt, als sein unberedter Mund es auszudrücken weiß.«

»Gehöre ich Ihnen denn nicht schon?« versetzte Ludgarde, auch ihre andere Hand ihm hinstreckend. »Sie gaben mich neu dem Leben zurück: wem anders kann das wiedergewonnene Leben gehören als Ihnen, Max?«

Max kniete vor ihrem Ruhebette nieder; stürmisch ihre Hände mit Küssen bedeckend, sagte er: »O, sprechen wir von dieser Lebensrettung nicht, nie mehr – mich soll sie nur ewig daran erinnern, daß ich mir eine Perle aus einem dunklen Element geholt!«


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