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Fünftes Kapitel.
Die wandernde Besserungsanstalt

Es war am Nachmittage des folgenden Tages, als auf dem kleinen Flusse, der die Gartenanlagen hinter Haus Edern abgrenzte, ein Boot abermals sich dem Anlandeplatze näherte. Es kam von aufwärts herunter. Dankmar von Gohr war es, der die Ruder führte, und auf der schmalen Bank hinter ihm saß seine Schwester Hermine.

Der geistliche Rath, welcher im Bunde der beiden Geschwister gewöhnlich der dritte, war nicht bei ihnen; er besuchte überhaupt Haus Edern nicht. Er gab vor, er fürchte, daß die Gräfin mit ihm über theologische Fragen sprechen und daß er sich einer in dem Fache so gründlich gelehrten Dame gegenüber dann schmählich bloßstellen werde. Dabei blinzelte der alte Mann dann sehr satirisch mit den Augen, und die Fältchen des Spottes zuckten um seine Mundwinkel; und so viel Hermine ihm versicherte, daß man ihn aufs freundlichste aufnehmen werde und daß die Frau Gräfin sich jedesmal nach ihm erkundige – er war nicht zu erweichen.

Dankmar reichte, als man gelandet hatte, seiner Schwester die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen; dann legte er den Kahn fest, und beide gingen dem Hause zu. In der Nähe des Pavillons angekommen, sahen sie Gundobald auf sich zuschreiten; er kam mit einem Buche in der Hand, das er unter dem Pavillon schien lesen zu wollen. Als er die Geschwister sah, trat er mit erhellter Miene an sie heran.

Wie liebenswürdig, daß Sie uns zu besuchen kommen, sagte er fröhlich; nun habe ich doch den schönsten Vorwand, mich diesem angenehmen Studium zu entziehen, zu dem mich die Gräfin-Tante eben in den Pavillon schickt, wie einen Tertianer, der sein Silentium halten muß!

Ah! versetzte lachend Dankmar, gewiß ein Handbuch der Bankwissenschaft – die Gräfin hält Sie an, sich ein wenig mit Wechselcursen und derartigen Dingen bekannt zu machen – welche Fürsorge für den jungen Bankdirector!

Die Fürsorge wird gewiß nicht überflüssig sein, fiel Hermine ein – denn ich wette, Sie verstehen gar nichts von der Sache!

Das Buch handelt gar nicht von Wechselcursen.

Einerlei – Sie können aus jedem lernen.

Sie sind immer der Ansicht, daß ich noch viel lernen müsse, das weiß ich, entgegnete Gundobald schmollend – ich glaube, wenn Sie zu befehlen hätten, Sie sendeten mich in die Dorfschule!

In die Dorfschule gewiß nicht! fiel Hermine ein, während man ging, unter dem Pavillon Platz zu nehmen.

Weshalb sagt das Ihre Schwester so boshaft? fragte Gundobald Dankmar. Es steckt eine Bosheit dahinter!

Weshalb eine Bosheit? sagte Dankmar, sich niederlassend. Ich denke, Hermine will sagen, sie würde Sie nicht in die Schule senden, sondern selbst Ihre weitere Ausbildung übernehmen; sie wäre im Stande dazu, denn sie ist eine famose Schulmeisterin, mein liebes Schwesterchen.

Gundobald lachte.

Ah bah, so schmeichelhaft war's nicht gemeint! Sie würde an einen so schlechten Schüler ihre Zeit nicht vergeuden. Nein, sagen Sie mir, Fräulein Hermine, welche Bosheit steckte dahinter?

Ich werde mich hüten, es zu sagen! versetzte das junge Mädchen mit einem gewissen scheuen Blicke in Gundobald's Züge.

Also so schlimm war's? Dann hieß es soviel als: Sie sind ohnehin schon viel zu sehr Schuljunge!

Hermine wechselte leicht die Farbe: ein Ausdruck von Ungeduld und Verletztsein legte sich auf ihre Züge.

War's so? fragte Dankmar.

Ich hätte fast Lust, zu sagen: Ja! versetzte Hermine scharf.

Nun, gewiß war's so! fuhr Gundobald fort. Fräulein Hermine weiß immer mit dem schärfsten Worte zu treffen, wo mir's fehlt, und ich empfinde nie mehr meines Nichts durchbohrendes Gefühl, als wenn sie mich mit einem ihrer Blicke streift und mir damit sagt: welch ein gänzlich untergeordnetes und albernes Menschenkind bist du! Ach, Fräulein Hermine, Sie sollten nicht so streng mit mir umgehen! Was kann ich dafür, daß ich nun einmal alle Welt mir gegenüber verschworen sehe, mich als Souffre-Douleur zu behandeln? Ich füge mich ja auch so geduldig darein!

Das ist recht, Herr von Burghaus, versetzte Hermine mit einem fast zornigen Aufwerfen ihrer Lippen, fügen Sie sich darein; Sie können ja auch nichts daran ändern! Studiren Sie jetzt hübsch in Ihrem Buche da, damit Sie die Kapitel, welche die Frau Gräfin Ihnen aufgegeben hat, recht gründlich und schnell lernen; wir wollen unterdeß hineingehen. Sie würden sonst Schelte bekommen, daß Sie sich stören lassen!

Hineinzugehen brauchen Sie nicht, denn die Gesellschaft wird sogleich hierher kommen, und etwas anderes studiren als die Frage, weshalb Sie mich immer so schmählich malträtiren, würde ich heute doch nicht können. Dankmar, Ihre Schwester ist wirklich abscheulich gegen mich. Ich habe doch neulich, als die jungen Damen hier mich als Hirten Paris verkleidet hatten, ihr den Apfel überreicht und das ist der Lohn für mich!

Sie müssen ihr wol als Hirt Paris nicht gefallen haben, sagte Dankmar lachend.

Nicht gefallen? Gefällt man jungen Damen nicht immer, wenn man alles über sich ergehen läßt, was ihre Scherzhaftigkeit aussinnt? Und hatte ich mir nicht eine wundervolle Nachthaube als phrygische Mütze aufsetzen und einen rothen chinesischen Kreppshawl wie die schönste Chlamys umdrapiren lassen?

Sie sahen aus – ganz bedauernswürdig! sagte Hermine – aber ich will in der That hineingehen, um die Gräfin zu begrüßen.

Sie stand auf und ging; Dankmar wollte sie begleiten, aber Gundobald zog ihn auf den Sessel zurück und sagte:

Bleiben Sie noch einen Augenblick bei mir, Dankmar, ich möchte Ihnen etwas sagen – aber vorher sollen Sie mir in der That gestehen: hat Ihre Schwester etwas wider mich, habe ich sie unwissend durch irgendetwas beleidigt, daß ich so in Ungnade bei ihr stehe?

Sie sind doch ein gutmüthiger Mensch, Burghaus, antwortete Dankmar lächelnd und kopfschüttelnd – wenn Sie sich bewußt sind, daß Sie ihr geflissentlich nichts zu Leide gethan haben, so wäre doch das Recht, sich beleidigt zu fühlen, bei Ihnen.

Ja, das ist wahr, fiel Gundobald ein; aber weiß der Henker, wie es kommt, bei all den andern jungen Mädchen kümmere ich mich nicht im geringsten darum, was sie von mir denken, aber bei Ihrer Schwester ist es etwas anderes. Ich schätze sie so hoch, sie imponirt mir mehr als alle andern. Wenn ich ihr ins Gesicht sehe, ist mir's oft, als ob …

Nun, als ob?

Gundobald erröthete leicht, dann sagte er rasch: Als ob sie – ich weiß es nicht recht auszudrücken – als ob sie eigentlich noch viel schöner wäre, als sie ist.

Schöner, als sie ist? Das verstehe ich nicht!

Sehen Sie, daß ich's nicht auszudrücken weiß! Nein, nicht schöner, aber räthselhafter, merkwürdiger, innerlich ganz anders, als die andern sind; und ich möchte dann mit ihr ernsthaft reden, so wie Leute reden würden, die ein recht, recht tiefes Gefühl und einen reichen Geist haben; und sie würde, so mein' ich dann, darauf auch so zu mir reden – ganz wunderbare Sachen, die kein Mensch sonst in einem Frauenzimmer vermuthet – es müßte aber erst, damit wir so zueinander reden könnten, etwas ganz Merkwürdiges, Seltsames, Trauriges kommen, das uns verbände …

Gundobald's Auge glänzte bei diesen Worten mit seinem ganzen feuchten, eigenthümlichen Schwermuthsausdrucke auf; dann aber verschwand dieser Ausdruck wieder, als er mit herzlichem Lachen hinzusetzte:

Ach, ich schwatze verrücktes Zeug – es ist Unsinn alles – vergessen Sie es, ich weiß recht gut, ein junges Mädchen ist ungefähr so wie das andere; das will sich amusiren, und amusirt sich am meisten, wenn man ihm den Hof macht, und wer das eben auf die lustigste Weise versteht, der hat es. Gehen wir zu ernstern Dingen über.

Nein, bleiben wir bei diesen stehen, Gundobald, sagte Dankmar, der sehr aufmerksam und mit großem Ernste in das Antlitz seines Freundes geblickt hatte; was Sie eben sprachen, macht mich betroffen, denn ich meine, es könnte mir auch so zu Muthe werden, wenn ich ein Mädchen fände, das …

Das? Reden Sie weiter!

Dankmar blickte zu Boden und beschäftigte sich damit, die Spitze seines Stiefels elastisch vom Tischbeine abschnellen zu lassen; er schien es nicht für gut zu finden, zu sagen, was er dachte, und fuhr nun fort:

Wenn Sie bei dem Eindrucke, den Sie mir vorhin geschildert haben, empfinden, es müsse erst etwas Merkwürdiges, Seltsames, Trauriges kommen, um Sie zu einem Verständnisse mit Hermine zu führen, so brauchen Sie sich ja nur in sie zu verlieben – kann jemanden etwas Traurigeres begegnen? setzte er lächelnd hinzu.

Darin widerspreche ich Ihnen nicht, gab Gundobald lachend zur Antwort.

Aber, sprach Dankmar weiter, ich begreife nicht recht, wie Sie darüber noch klagen können, daß meine Schwester Sie schlecht behandelt!

Das begreifen Sie nicht?

Sie können sich doch selbst sagen, daß Sie just das Umgekehrte von dem thun, was Sie thun sollten, um ihr näher zu treten. Glauben Sie, man gewänne die Freundschaft eines Mädchens wie Hermine, indem man ihr das Garn beim Aufwickeln hält oder sich als Paris vermummt und ihr einen Apfel schenkt? Sticken Sie ihr doch lieber gleich einen kleinen Teppich oder bieten sich an, ihr beim Bügeln ihrer Spitzentücher zu helfen, lieber Herr Bankdirector!

Ach, Sie glauben …?

Ich glaube, daß zum Beispiel meine Schwester vorhin Ihnen den kleinen Hieb …

Das nennen Sie einen kleinen Hieb? Sie wurde förmlich grob.

Nur deshalb gab, fuhr Dankmar in seinem Satze fort, weil es sie verdrießt, wenn ein Mann ganz ruhig voraussetzt, man wage ihm zu sagen, er sei ein Schuljunge. Sie müssen nicht solche Worte sprechen, Gundobald, es ist nicht hübsch – seien Sie mir nicht böse, daß ich so offen gegen Sie bin, Sie haben meine Ansicht über die Sache verlangt.

Das also, meinen Sie, war's? Aber mein Gott, ich bin ein bescheidener Mensch, rief Gundobald aus; es ist einmal meine Naturanlage, die alle Welt auszubilden sucht!

Es ist eine Eigenschaft, durch die man nicht immer gefällt und selten etwas erhält, entgegnete Dankmar. Doch da kommen ja die Herrschaften.

Dankmar stand auf, um der Gräfin, die mit Hermine herankam und welcher der Graf Achatz mit Edwine folgte, entgegenzugehen. Während man sich begrüßte, kam auch Boto. Die Gesellschaft nahm unter dem Pavillon Platz und begann über die kleinen Tagesereignisse zu plaudern; ein Diener kam und brachte das Kaffeegeräthe; die Gräfin befahl ihm, auch Comtesse Bertha und ihre Gouvernante herbeizurufen.

Boto hatte sich zu Hermine gesetzt und unterhielt sich mit ihr; Hermine ging sehr ernsthaft auf seine Dampfmühlenanlage ein und that Fragen, als ob die Sache ihr ein großes Interesse einflöße.

Gundobald wurde von Edwine an ihre Seite befehligt und mußte ihr zuerst ein Fußbänkchen herbeischaffen und dann aus dem Hause einen Arbeitskorb holen; endlich hatte er ihr ein Muster, das sie aus dem Arbeitskorbe nahm, nachzuzeichnen. Hermine blickte währenddessen von Zeit zu Zeit zu ihm hinüber; sie sah dabei recht ernst aus, es war, als strenge sie sehr ihre Gedanken an, um Boto's. eifrigen Auseinandersetzungen zu folgen.

Plötzlich aber stand sie auf, trat hinter Gundobald und nahm ihm Papier und Bleistift fort.

Es ist ja schrecklich, wie Sie das machen, und gar nicht anzusehen! sagte sie dabei; geben Sie mir das, es ist Frauenarbeit, ich zeichne so etwas weit besser als Sie.

Gundobald sah sie ganz überrascht an, wie sie leicht erröthend sich abwandte und, auf ihren Platz zurückkehrend, sich an die Arbeit machte.

Welche Gewaltthat! sagte er in klagendem Tone. Sie tyrannisiren mich, Fräulein Hermine; jetzt soll ich nicht einmal mehr Muster zeichnen können! Ich habe es ganz vortrefflich gemacht!

Haben Sie je einen Mann gesehen, der ein Muster zeichnen konnte? versetzte sie, indem sie das Wort Mann betonte.

Sie wissen auch gar nicht, fiel die Gräfin, die bei Herminens gewaltthätiger Handlung betroffen aufgeblickt hatte, ein, ob nicht Edwine mit Gundobald's Arbeit völlig zufrieden ist und sie vorzieht!

Möglich, versetzte Hermine trocken – aber ich verstehe es noch besser.

In der That, sagte Edwine höchst unbefangen, Hermine zeichnet viel zierlicher und genauer.

Das Gespräch wurde durch Anna unterbrochen, die mit Bertha unter den Pavillon trat und von der Gräfin als Fräulein Morell vorgestellt wurde, ohne daß ihr die Fremden genannt worden wären.

Dankmar sprang auf, ihr einen Stuhl herbeizuholen; sie dankte ihm mit einem Blicke, der eine Weile wie betroffen auf seinen Zügen haften blieb. Dann sagte sie, sich niederlassend:

Herr von Gohr? Comtesse Bertha sagte mir soeben, daß Sie so heißen – Ihr Name ist mir nicht unbekannt; ich habe sogar einen kleinen Auftrag in Ihrem Hause auszurichten.

Einen Auftrag in meinem Hause?

In der That – mir ist gesagt worden, es lebe in Ihrem Hause ein alter Geistlicher, ein Rath Zander.

Ganz richtig, mein alter, verehrter, ehemaliger Lehrer.

Und ihm habe ich einen Brief eines alten Freundes zu bringen, der mich um diese Gefälligkeit bat.

Ich wußte nicht, daß unser alter Herr noch Freunde in der Fremde besitze, welche sich seiner erinnern; er steht ziemlich vereinsamt in der Welt, wenn man nicht seine alten und neuen Poeten, die er fleißig citirt, als seine Freunde gelten läßt; deshalb wird er gewiß sehr erfreut sein!

Die Frau Gräfin, fuhr Anna fort, erlaubt vielleicht, daß ich morgen zu ihm hinübergehe; Bertha sagt mir, daß Haus Gohr nicht weit von hier ist.

Nicht viel über zwanzig Minuten, versetzte Dankmar.

Ihre Erscheinung wird sicherlich ein kleines Ereigniß in dem stillen Leben unsers alten Freundes sein, bemerkte jetzt Hermine, die während des vorigen Gesprächs Anna aufmerksam betrachtet hatte.

Und ich biete mich Ihnen zum Begleiter an, rief hier Gundobald aus, da Sie doch allein den Weg nicht finden würden – das heißt, wenn Fräulein Hermine sich meinen Besuch auf Haus Gohr nicht verbittet.

Wie könnte ich das? fiel Fräulein Hermine ein wenig spitzig ein. Wenn Sie so ganz Ihr Amt als dienstfertiger Begleiter der Damen üben, darf man Ihnen doch nichts in den Weg legen!

Nun wahrhaftig, man kann einer Einladung eine freundlichere Wendung geben, Fräulein Hermine! rief Gundobald gereizt aus.

Seien Sie ruhig, Gundobald, fiel lächelnd Dankmar ein – ich bin Herr auf Gohr und lade Sie ein.

Sie kommen aus der Fremde – welchen Eindruck macht Ihnen unser Land? wandte sich Dankmar dann an Anna.

Diese blickte ihn einen Augenblick wie von der Frage überrascht an.

Ich habe mir ein anderes Bild von diesem Lande gemacht, versetzte sie darauf.

Und welches machten Sie sich?

Vielleicht ein thörichtes und romanhaftes. Ich wähnte, das Land selbst müßte mir mit alten Castellen und zerstreuten Oberhöfen und düstern, großen Wäldern unmittelbar poetischer entgegentreten. Aber freilich habe ich ja auch erst einen Blick hineingeworfen und noch so wenig davon gesehen. Im ganzen kann ich nur sagen, daß ich mich weniger in eine Fremde versetzt fühle, als ich dachte.

Als Sie hofften oder fürchteten? fragte Dankmar.

Als ich hoffte! Liegen in der Fremde, der Ferne, nicht immer Hoffnungen für uns?

Sie haben recht, entgegnete Dankmar. Welches Land aber macht uns heute überhaupt noch den Eindruck der Fremde? Die Vorstellungen und die Sitten werden überall dieselben wie seit hundert Jahren die Trachten. Das Besondere, welches wir hier in diesem Lande noch haben, ist nur unser Streben und unser Wille, Besonderheiten festzuhalten oder wiederzugewinnen, von denen die übrige Welt nicht viel mehr hören will. Aber dieser Wille – Sie wissen, Fräulein, wie der Spruch heißt: der Wille ist gut, aber das Fleisch ist schwach.

Das Fleisch ist stark und der Wille oft gar nicht gut, fiel hier Gundobald trocken ein.

Nun ja, das ist richtig, der Wille ist sehr oft auch durchaus nicht gut, antwortete Dankmar lachend.

Sie sind doch auch ein sehr moderner Geist, Gohr, fiel hier die Gräfin Edern unwillig ein. Unsere Besonderheiten haben doch höhern Werth, als Sie ihnen beizulegen scheinen. Wir haben noch alte Sitte und alten Brauch unter uns und die Achtung derselben; wir haben einen Adel, der sich doch zum Theil noch seiner Aufgabe bewußt ist und deshalb den Respect, den er genießt, auch verdient; wir haben Ehrfurcht vor der Autorität, und sie sichert uns innere Güter, die leider anderswo mehr und mehr verloren gegangen sind.

Graf Achatz nahm jetzt das Wort und fiel mit einigen Bemerkungen ein, die seiner Gattin nicht zur Sache zu gehören schienen, denn Gräfin Edern zuckte über diese Bemerkungen des Gemahls die Achseln. Achatz aber ließ sich dadurch nicht stören, er plauderte allerlei über die gute alte Zeit, und wie die schon von selbst zurückkommen werde.

Man muß nur die Menschennatur wirken lassen, sagte er. Die alte Welt war nach der richtigen Menschennatur eingerichtet. Getheilt in Ritter, Mönch und Knecht! Sie brauchen nur drei Menschen ganz allein auf der Welt sein zu lassen. Was wird geschehen? der eine wird dem andern schmeicheln und ihn Eure Gnaden tituliren, und sie beide zusammen werden den dritten zwingen, für sie zu arbeiten. Sie lächeln, Fräulein Morell? Ich sage Ihnen, es ist so. Es ist die Menschennatur. Der eine genießt, der andere beweist ihm, daß er das Recht dazu hat, und der dritte muß schwitzen! Ritter, Mönch und Knecht!

Graf Achatius zwinkerte dabei mit dem linken Auge so schelmhaft, daß ihm seine Gattin einen fragenden Blick zuwarf.

Meinst du, es sei nicht mein Ernst, Wallburg? fuhr er deshalb mit diesem ganz eigenthümlichen Spiel seiner Brauen fort. Sieh doch nur in die Bibel, auf die ersten Blätter: da sind nur erst drei Menschen auf der Welt, Adam, Abel, Kain. Adam der Papa ist der Patriarch, der Fürst, der gnädige Herr. Abel ist der Fromme, und »seine Worte waren heilig«; »er war ein Hirte« – ein Seelenhirte! Da haben wir das Pfäfflein, wie es im Buche steht! »Kain aber ein Ackersmann«, heißt es weiter – er war der Pflüger, der Drescher, der Arbeiter. Ganz wie ich gesagt habe. Ritter, Mönch und Knecht … Und wie belehrsam das ist: dieser Knecht, dieser tückische Kain wird neidisch, er ergrimmt wider diese Weltordnung, er rebellirt, er greift zum Knittel, dieser Jakobiner … aber quos ego … wie hat der liebe Gott ihn gestraft! – Er hat sich seine Lage nur zehnfach schlimmer gemacht; und was von ihm abstammt, Jabel, Jubal, Tubalkain, das ist alles armes bürgerliches Volk, Schmied und so etwas, Gevatter Schneider und Handschuhmacher. Was aber von Adam abstammt, Seth, Henoch, Methusalem, Noah, das ist Patriarch, Stammhäuptling, Adel!

Der alte Herr plauderte lustig so weiter, während Dankmar von Gohr fortfuhr, mit Anna zu reden, mit welcher er in eine sehr lebhafte Unterhaltung gerieth, Gundobald Hermine zusah, wie sie zeichnete, und Edwine und Bertha ein flüsterndes Zwiegespräch führten, dessen Gegenstand nicht kund wurde.

Boto hatte aus seiner Mutter Arbeitskorb jetzt ein Zeitungsblatt genommen, in das er sich zu vertiefen schien, obwol sein Blick von Zeit zu Zeit darüber fort und auf Gundobald und Hermine hinüberflog.

In diesem friedlichen Zusammensein wurde die Gesellschaft durch das Erscheinen einer Gruppe von vier Männern gestört, deren Auftauchen auf dem vom Hause her zu dem Pavillon führenden breiten Kiespfade zuerst der Gräfin einen leisen Ruf entlockte, welcher durchaus nicht den Ton angenehmer Ueberraschung hatte.

Ach, Prinz Günther! sagte sie.

Prinz Seraph! fiel mit vorwitzigem Tone Comtesse Bertha ein.

Die wandernde Besserungsanstalt! flüsterte Hermine von Gohr.

Man erhob sich beim Herantreten der Kommenden. Prinz Günther, eine kleine, schlanke Gestalt mit dunkelm, sehr schlichtem Haar und braunen, sanftmüthigen Augen, die bei der ihm eigenen gesenkten Haltung des Kopfes unter den schwarzen Brauen her aufwärts blickten, küßte der Gräfin die Hand und schüttelte die des Grafen; Achatius war beeifert, die drei jungen Männer, welche im Gefolge des Prinzen waren, zu begrüßen und zwar mit einer Herzlichkeit, die zeigte, daß er nichts von dem Gefühl von Unbehagen oder was es sein mochte empfand, das die andern Mitglieder der Gesellschaft bei dem Erscheinen dieser Gäste mehr oder minder verrathen hatten.

Prinz Günther hatte eine außerordentlich weiche und sanfte Stimme; man brauchte diese Stimme nur einmal zu hören und während weniger Minuten von dem ungewöhnlichen Gedankenkreise Notiz zu nehmen, in welchem sich der Prinz erging, um den Beinamen Prinz Seraph zu begreifen, den Comtesse Bertha ihm gegeben hatte.

Wir haben uns außerordentlich danach gesehnt, wieder einmal ein paar Tage bei Ihnen zubringen zu können, liebe Gräfin, sagte der Prinz, nachdem allen Begrüßungsformalien Genüge geschehen, und neben der Gräfin Platz nehmend, während die andern fremden Herren sich, zu einer Gruppe gesellt, zwischen Bertha und Anna setzten – wir haben uns außerordentlich danach gesehnt, nicht wahr, Graf Axel, wie oft haben wir von unserer lieben Gräfin Edern gesprochen und den angenehmen Tagen, die wir um die Weihnachtszeit hier zubrachten!

O, gewiß! sagte einer der jungen Männer, ein blonder, sehr schlichthaariger Jüngling mit einem langen, etwas misvergnügten Gesichte. Wir reden immer viel von den Häusern, wo wir waren, und wir haben gedacht, im Sommer werde es hier noch schöner sein als im Winter. Das ist es auch.

O ja, und wie sehr! bestätigte der Prinz mit schmelzender, weicher Stimme diese geistreiche Bemerkung. Der Sommer läßt Ihrem reizenden Hause Edern erst sein ganzes Recht widerfahren; die Lage ist vorzüglich und dieser kleine Park ist wirklich charmant.

Und so reizende Blumen darin! fiel der zweite der jungen Männer ein, der ein bleiches, ein wenig aufgedunsenes Gesicht und sehr vorliegende, wasserblaue Augen hatte, indem er mit einer äußerst schlauen Miene lächelnd auf die jungen Damen in der Gesellschaft sah.

Aus den Augen des Prinzen traf ihn ein strafender Blick, der ihn jedoch im heitern Nachgenusse seines guten Einfalls durchaus nicht zu stören schien. Wie um den ungünstigen Eindruck, den die Bemerkung seines Begleiters etwa auf die Gesellschaft gemacht haben könnte, wieder zu verwischen, sagte der Prinz mit einem Blicke auf denselben jungen Mann rasch:

Mein lieber Beltram hat sein großes Gedicht jetzt fast vollendet; Sie wissen, es behandelt die fromme Königin Godiva. Er brennt vor Verlangen, es Ihnen vorzulesen, liebe Gräfin; es ist recht gut geworden, ein recht inniges Bild jungfräulicher Lauterkeit und Klarheit. Ich hoffe, es wird Ihnen gefallen, und Sie werden Beltram ermuthigen können, so fortzufahren.

Der liebe Beltram hatte bei diesen Worten des Prinzen sich bestrebt, eines Ausdrucks von stillem Ernste für seine Züge habhaft zu werden: es war ihm jedoch nicht ganz gelungen, denn Anna, die ihn eben ansah, fragte sich ein wenig verblüfft, wie man mit diesem Menschen, dessen Physiognomie sie eigenthümlich abstieß, die Begriffe von jungfräulicher Lauterkeit und Klarheit in Verbindung bringen könne.

Ich bin sehr begierig darauf, Ihr Werk zu hören, lieber Baron Beltram, antwortete die Gräfin mit gönnerhafter Miene; es freut mich, daß Sie so fleißig waren.

Wir waren alle sehr fleißig, fiel der sanfte Prinz ein, wir haben zusammen ein ascetisches Werk aus dem Französischen übersetzt und dann haben wir Italienisch getrieben. Im Winter werden wir es fortsetzen; mein Bruder hat sich jetzt entschlossen, mir Haus Wesenbruck einrichten zu lassen, wir werden da unsere Residenz aufschlagen.

Hat sich der Fürst endlich dazu entschlossen? fragte Gräfin Edern. Das ist ja eine erfreuliche Nachricht, Prinz Günther!

Gewiß, liebe Gräfin, es ist sehr erfreulich für mich; wir denken uns da recht hübsch und wohnlich einzurichten, ich und meine lieben jungen Freunde. Auch wird sich unser Kreis dann erweitern, es wird ein junger Herr aus der Gegend von Würzburg und ein schwäbischer junger Graf zu uns kommen, die mir von ihren Vormündern anvertraut werden.

Comtesse Edwine hatte während alles dessen für die Bewirthung der neuen Gäste gesorgt und ihnen Kaffee eingeschenkt; als sie dem dritten Herrn, der ein auffallend geröthetes Gesicht hatte und mit etwas scheuer, gedrückter Miene um sich blickte, die Tasse reichte, sagte dieser, plötzlich auflachend:

Wissen Sie noch, Comtesse Edwine, wie wir beide vorige Weihnachten uns abends auf dem Gange in die Arme liefen, weil das Licht ausgegangen war?

Die beiden andern jungen Männer stimmten bei dieser heitern Weihnachtserinnerung in das Lachen des dritten ein, während Edwine dunkelroth wurde.

Ich weiß nur noch, daß Sie bei unserm kleinen Balle sehr ungeschickt fielen, Baron Bruno, versetzte sie.

Ach, das war nicht meine Schuld, entgegnete Baron Bruno; Graf Axel hatte mir ein Bein gestellt.

Welche Beschuldigung! fiel Graf Axel ein; du hattest ganz einfach dich einmal wieder betrunken, lieber Bruno.

Ich hatte keinen Tropfen getrunken!

Einen Tropfen nicht, aber ein Meer! lachte Graf Axel.

Prinz Günther warf während dieser kurzen Unterredung unter seinen Brauen her bekümmerte Blicke auf die jungen Leute, und Fräulein Anna sehr erstaunte auf die ganze Gesellschaft. Sie wußte sich offenbar den sanften Prinzen und seine Hofcavaliere nicht zusammenzureimen. Wie kamen diese jungen Männer von achtzehn bis vierundzwanzig Jahren, in deren ganzem Wesen etwas Befangenes und Gedrücktes und zugleich etwas außerordentlich Rohes lag, in seine Umgebung? Und wenn sie, wie es schien, als Gäste hier bleiben wollten, so begriff Anna die strenge Gräfin nicht, welche unmöglich für ihre Töchter eine solche Hausgenossenschaft wünschen konnte.

Graf Achatz mischte sich ins Gespräch, indem er lächelnd, sein rechtes Auge zukneifend und mit dem linken zwinkernd, versicherte, daß bei einer kleinen Weihnachtsfröhlichkeit weder Punschtrinken noch ein wenig Beinstellen Verbrechen seien; er begann sehr heiter mit den jungen Leuten, die sein specielles Wohlwollen zu haben schienen, zu plaudern.

Dankmar stand unterdeß auf, und da Anna sich erhob, um ins Haus zu gehen, schritt er an ihrer Seite durch die Anlagen und sagte:

Sind Sie vorbereitet gewesen auf diesen Besuch in Haus Edern?

Durchaus nicht, versetzte sie.

So muß er etwas Befremdendes für Sie haben.

Ein wenig in der That. Wer ist Prinz Günther?

Prinz Günther von Welda ist der nachgeborene Sohn eines mediatisirten fürstlichen Hauses. Er ist ein wenig schwärmerischer Natur, wie Sie vielleicht schon selbst geschlossen haben; aber dabei nicht so ganz eine passive Natur, wie sie dazu gehört, um sich in die Rolle eines beschäftigungslosen, nachgeborenen Prinzen zu finden. Er ist Philanthrop geworden, hat sich mit der Verbesserung der Lage arbeitsloser Fabrikarbeiter befaßt und endlich aus der Verwebung der philanthropischen mit den aristokratischen Ideen eine ganz absonderliche neue geschöpft. Er hat sich gesagt, daß es im höchsten Interesse des Standes liege, seine Autorität und sein Ansehen in den Augen der hämischen Welt nicht beeinträchtigen zu lassen durch die sittliche Verkommenheit einzelner seiner Mitglieder, und daß deshalb unserer im Punkte der Moral so streng die Meinung des Scheins verlangenden Zeit nichts mehr noththue, als ein Wirken in dieser Richtung; als ein Mann, der berufen, sich der räudigen Schafe anzunehmen; mit Einem Worte, als etwas wie eine Besserungsanstalt für die in Fäulniß gerathene Crême, die darum doch immer Crême bleibt und nicht mit den abständig gewordenen Molken der übrigen bürgerlichen Gesellschaft zusammengegossen werden darf.

Anna schüttelte lächelnd den Kopf.

Die Sache hat etwas für sich, sagte sie. Er wird die adeliche Ehre als Princip des Heilverfahrens zu Grunde legen und also mit einem »Naturheilverfahren« wirken wollen.

Darüber habe ich nie mit ihm gesprochen. Ich weiß nur, daß sein Heilverfahren keine gerade staunenswürdigen Fortschritte macht. Er wird es auf den Umstand schieben, daß er noch keinen festen Sitz für seine Anstalt hat. Einstweilen ist seine Residenz im Schlosse seines Bruders, des Fürsten; da aber diesem die Suite des Prinzen eine keineswegs angenehme Hausgenossenschaft ist, sieht sich der letztere gezwungen, die Einquartierungslast zu vertheilen und von Zeit zu Zeit auf ein paar Wochen bei den Gönnern seines Unternehmens vorzusprechen – auch Gräfin Edern gehört dazu, um des Zweckes willen, den die junge, es so gut meinende Durchlaucht verfolgt …

Und die drei jungen Männer? fragte Anna.

Sie sind die ersten, dem Prinzen von Aeltern oder Vormündern anvertrauten Gegenstände seiner philanthropischen Aufgabe. Der eine, der mit dem verdrossenen Widdergesichte, ist ein Graf Axel Bloddenstirna, halb Schwede, halb Deutscher, denn seine Aeltern wohnen in der Oberpfalz; er ist ein harmloser und gutmüthiger Mensch, von einer solch vollständigen Schlaffheit des Charakters, daß er sich bisjetzt zu allem, was mit ihm begonnen und versucht worden, durchaus unfähig erwiesen hat. Ein schlimmerer Geselle ist der blonde, blauäugige Herr von Beltram, der Sänger der reinen Herzinnigkeit und der Königin Godiva; er ist ein im höchsten Grade lasterhafter und liederlicher Bursche; und der Baron Bruno, der älteste der drei, der mit dem rothen Kopfe, ist ein bereits leidenschaftlich dem Trunke verfallenes Subject, das im Rausche tobsüchtig wird und mit dem unser Prinz seine liebe Noth hat.

Der arme Prinz! versetzte Anna. Und wie stellt er es an, diese verwahrlosten Gemüther auf dem Pfade der Tugend zu erhalten? Welche Macht hat er über sie?

Ein wenig imponirt ihnen wol der Prinz; und vielleicht noch mehr fürchten sie den Empfang, welcher ihnen daheim würde, wenn der Prinz sie als unverbesserlich von sich fortschickte. Die Wahrnehmung, daß er es wirklich herzlich gut mit ihnen meint und nur mit tiefem Seelenschmerze ihre Ausschweifungen sieht, mag auch nicht ohne Einfluß auf sie sein; gewiß aber ist nicht ohne Einfluß, daß er sie immer von neuem unter fremde Menschen bringt, bei denen das Ehrgefühl sie zwingt, sich zusammenzunehmen und ein wenig zu beherrschen.

Insofern ist die Idee einer wandernden Besserungsanstalt eine gar gute, sagte Anna. Aber da Sie mich vorhin danach gefragt haben, Herr von Gohr, ich gestehe Ihnen jetzt sehr gern, es ist doch eine recht seltsame Welt, in welche mich der liebe Gott geschickt hat …

Hoffentlich wird Ihnen die, in welche Sie morgen kommen werden, nicht noch seltsamer erscheinen, Fräulein Morell. Sie werden doch bei Ihrem Versprechen bleiben?

Gewiß, ich freue mich darauf, Ihren alten geistlichen Herrn kennen zu lernen, versetzte das junge Mädchen, und mit einem lächelnden Kopfnicken entließ sie Dankmar und schritt ins Haus, an dessen Treppe man angekommen war.

Dankmar blickte, stehen bleibend, ihr nach. Sie verabschiedet mich mit dem Anstande einer Fürstin, die eine Audienz beendete, sagte er sich dabei. Wo dieses Fräulein Morell bisjetzt Gouvernante war, muß sie eine sehr bevorzugte Stellung eingenommen haben!

Er kehrte langsam schlendernd zu der Gesellschaft zurück. Hermine, der sein Begleiten des jungen Mädchens auffällig gewesen sein mochte, beobachtete seine Züge, als er zurückkam.

Gräfin Edern hatte unterdeß Fragen des Prinzen nach Fräulein Morell beantwortet; Prinz Günther hatte mit unverkennbarem Interesse sich nach ihr erkundigt; als Gräfin Edern ihm Auskunft gegeben, hatte er kopfschüttelnd bemerkt, er müsse die Dame schon irgendwo gesehen haben, sie habe etwas Bekanntes und daher Anziehendes für ihn; sie sei eine sehr anziehende Erscheinung – die theuere Gräfin schätze sich gewiß sehr glücklich, diese Erwerbung für Comtesse Bertha gemacht zu haben.

Gräfin Edern antwortete ziemlich kühl, daß sie von ihr das Beste hoffe; der Prinz erklärte sich überzeugt, daß sie das Allerbeste hoffen dürfe.

Hermine hatte ihre Zeichnungen vollendet.

So, sagte sie, dieselben Gundobald gebend, jetzt gehen Sie, sie zu überreichen, und ernten sich dafür den Dank Ihrer Dame.

Der Dank gebührt Ihnen – Sie haben mich böserweise darum gebracht, versetzte Gundobald.

So trösten Sie sich; Hercules hat für das Garn, welches er gewiß recht nichtsnutzig und grob und voller Knoten spann, von Omphale auch keinen Dank bekommen – desto mehr dafür, daß er Ungeheuer und Schlangen erlegte.

Soll ich mir daran ein Muster nehmen, wie Edwine an Ihrer Zeichnung? fiel Gundobald ein. Es gibt keine Ungeheuer mehr und höchstens nur noch Schlängelchen, die so allerliebst und reizend sind, daß man ihnen unmöglich etwas zu leide thun kann und lieber den Stich ihrer Züngelchen erträgt.

Man muß nie etwas ertragen!

Das sagen Sie mir?

Weshalb nicht?

Weil ich schon so lange zahllose Bosheiten von Ihnen ertragen muß! Und ach, zum Tragen und Ertragen sind wir ja da! Unser Lebenslauf beginnt damit, daß wir als Schüler Bücher unter dem Arme, dann das königliche Zündnadelgewehr auf der Schulter und endlich ein Amt auf dem Rücken tragen; daneben tragen wir junge Damen auf den Händen oder den Kummer unglücklicher Liebe im Herzen! Zu tragen haben wir armen Männer immer was!

Gundobald sagte dies spöttisch und sah doch merkwürdig melancholisch dabei aus. Hermine lachte aber laut auf und antwortete:

Rechnen Sie sich wirklich zu den Geschöpfen, die zum Tragen in der Welt sind?

Ihre Schwester macht's heute zu arg, Dankmar! rief Gundobald aus. Ich habe sie doch eben nur eine kleine Schlange genannt und erhalte jetzt dafür eine Anspielung, wegen der ich mich mit Ihnen werde schießen müssen!

Gräfin Wallburg unterbrach die Neckerei, indem sie aufstand und die Gesellschaft einlud, einen Spaziergang durch den kleinen Park zu machen. Fräulein Hermine flüsterte im Geräusche des Aufstehens Gundobald zu:

Sie werden es noch dahin bringen, daß Prinz Günther, wenn er Sie näher kennen lernt, Sie in seine Suite aufnimmt!

Meinen Sie? versetzte Gundobald. Aber bei solcher Ausdehnung seines Geschäfts müßte er sich dann jedenfalls nach einer Vermehrung seiner Lehrkräfte umsehen; er müßte den mildernden Einfluß des »ewig Weiblichen« ins Spiel ziehen, um so wilde Gesellen zu zähmen … Sie, Fräulein Hermine, wären so recht wie geschaffen dazu, an seiner Seite dieses ewig Weibliche mit Nachdruck zu vertreten, zum Heile eines der Zucht bedürftigen Geschlechts – was meinen Sie dazu? Sobald Sie als Gouvernante in sein Haus treten, will ich mich gern aufnehmen lassen.

So ist's recht, nickte Hermine, zufrieden lächelnd, mit dem Kopfe; diesmal haben Sie gut geantwortet.

Hab' ich? Nun wohl denn, sagen Sie mir's nur immer, wie ich's machen muß, damit ich wieder bei Ihnen zu Gnaden komme.

Die Gräfin kam in diesem Augenblicke an Hermine heran. Kommen Sie, Hermine, bleiben Sie bei uns, sagte sie, und ihren Arm in den des Fräuleins legend, begann sie mit einer ganz auffallenden Freundlichkeit ein Geplauder mit ihr.

 

Als die Dämmerung hereinbrach, nahmen Dankmar und Hermine Abschied – Dankmar nicht, ohne Anna an ihr Versprechen zu erinnern, am andern Tage Haus Gohr besuchen zu wollen. Dann fuhren je sie in ihrem Kahne heim.

Gräfin Wallburg ließ bald darauf zur Abendtafel läuten. Als diese vorüber, erhoben sich die Mitglieder des prinzlichen Instituts, um auf dem Hofe eine Cigarre zu rauchen, wie sie sagten, mehr wol, um sich dem Zwange zu entziehen, den die Anwesenheit der Gräfin und der andern Damen ihnen auferlegte.

Auch Anna Morell erhob sich nach einer Weile; sie wollte, sich selbst überlassen, die milde Abendluft draußen in den Gartenanlagen genießen, auch wol die Eindrücke ihres ersten Tags in Haus Edern verarbeiten; sie ging wenigstens sehr ernster Stirn und in Sinnen verloren den breiten, gewundenen Pfaden nach, welche zum Flusse herabführten.

Als sie hier angekommen war, hörte sie seitwärts in einiger Entfernung hinter den Gebüschen die Stimmen der jungen Männer, welche vor ihr das Haus verlassen: Sie erschrak ein wenig, und um der Begegnung mit ihnen auszuweichen, wandte sie sich sofort, um wieder dem Hause zuzugehen.

Bei dieser Wendung stieß ihr Fuß an einen neben ihr liegenden Gegenstand. Sie bückte sich, um ihn aufzuheben; es war ein ziemlich abgegriffenes Taschenbuch von dunkelm Leder. Hatte einer der jungen Männer es eben verloren, oder wem gehörte es? Dankmar vielleicht? Es war zu dunkel, um hineinblicken und es untersuchen zu können; zu den drei Jünglingen, deren Stimmen sich näherten, zu gehen, um dieselben zu fragen, nahm Anna natürlich Anstand.

Sie ging ins Haus, begab sich auf ihr Zimmer, und nachdem ihr Licht gebracht worden, öffnete sie das Taschenbuch. Sie öffnete es, um zu sehen, ob ein darin eingeschriebener Name oder eine Karte ihr angebe, wem sie es zurückzustellen habe – sie konnte es dann sofort durch den Bedienten dem Eigenthümer übersenden und brauchte bis zum andern Tage nicht damit zu warten; und als sie es öffnete, erfaßte sie eine gewisse Aufregung, die ihr seltsamerweise mit dem Gedanken gekommen, daß es Dankmar auf dem Wege zum Einschiffen entfallen sein müsse.

Das Taschenbuch enthielt einige von einer ziemlich kindischen, unausgebildeten Hand mit Versen beschriebene Blätter – ein Mann wie Dankmar machte schwerlich Verse, und gewiß schrieb er nicht so; auch hätte er nicht unsaubere Fetzen von Briefen und Rechnungen in seinem Taschenbuche mit sich herumgetragen – das Taschenbuch gehörte nicht ihm, sondern dem Baron Beltram; der Name stand mehrmals auf den Blättern; einmal war er von einer sehr zierlichen Frauenhand, mit Schnörkeln umgeben, auf eins der eingebundenen Pergamentblätter geschrieben, und von derselben Hand stand der Name auf der Adresse eines Briefes geschrieben, welcher in einer besondern Tasche für sich steckte.

Anna Morell erfaßte eine unwiderstehliche Versuchung, diesen Brief zu lesen. Es war nicht anständig, nicht recht. Sie wußte es: ja, es war unverantwortlich! Aber ihre Neugier mußte stärker sein. Was konnte in einem solchen Briefe, den ein Freund oder gar eine Freundin Beltram's – denn es schien eine weibliche Hand – diesem schrieb, stehen? In welche Herzensergießungen, in welche Menschennatur, in welche Gedanken, in welches Treiben konnte sie da blicken? In welche ihr völlig fremde Welt … und hatte es sie nicht immer gestachelt, in den Herzen der Menschen zu lesen, die ihr völlig fern standen, die in ganz andern Kreisen, als die ihrigen waren, lebten? War es nicht ihr alter »Fürwitz«, zu wissen, wie sie dachten, wie sie sich unter sich aussprachen, was sie glaubten, urtheilten über hundert Dinge, von denen man ihr, der Dame, nur die officielle Deutung, die conventionelle Auslegung gegeben?

In der That, die Versuchung war zu stark für Fräulein Anna Morell, sie widerstand ihr nicht, sie nahm den geöffneten Brief und schlug ihn auseinander. Es war eine recht hübsche gefällige Frauenhand, die ihn geschrieben. Er begann mit einem Verse und lautete:

»Ach, aus dieses Thales Gründen,
Die der, kalte Nebel drückt,
Könnt' ich doch den Ausgang finden,
Ach, wie fühlt' ich mich beglückt!

Lamm, sanftes, aus dessen Augenbläue mit rührender Treuherzigkeit das Bild dessen, was es im reifern Alter werden wird, schaut – Deine Fanny ist sehr unglücklich; das Publikum ist nicht mit ihr zufrieden, sie nicht mit dem Publikum; der Director hat ihr ihre Entlassung gegeben – der schwarze Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, die weiße Fanny hat sie nicht gethan, aber gehen können beide; ach, und sie hat so viel Lust, zu gehen zu gehen, so weit die Füße sie tragen!

Ich möchte gehen, ziehen, über alle Meere fort –

Einen Nachen seh' ich schwanken,
Aber ach! der Fährmann fehlt …

Wo bist Du, Lamm? Weshalb fehlt der Fährmann? Weil er denkt, man behilft sich schon ohne ihn! Ginge es nur an auch ohne Geld, so wollte ich Dir nicht widersprechen – aber ohne Geld verhungert man. Ist alle Deine Wolle bis auf die letzte Flocke abgeschoren? Unglücklicher Jüngling! Unglückliche Fanny! Wenn ich auf jenem nicht mehr ungewöhnlichen Wege gestorben bin, so glaube nur nicht, es sei aus Sehnsucht nach Dir geschehen. Nur aus Sehnsucht nach ›dem ewigen Sonnenschein, den goldnen Früchten, winkend zwischen dunklem Laub‹, und nach der Tugend und nach allem, was zu ersehnen für eine Theatersoubrette unmoralisch ist, möchte ich sterben … vor Hunger sterben ist so unästhetisch … doch bin ich entschlossen wie das Fatum … nur werde ich wol meine bisjetzt noch bombenfesten Vorsätze in dieser Beziehung ändern … und sag', hast Du nichts?

Deine Fanny Leutold.«

 

Anna fühlte sich anfangs abgestoßen, kann ergriffen von diesem aus der nächsten Provinzialhauptstadt datirten Briefe. Aus dem muthwilligen Tone, aus all der Leichtfertigkeit schien ihr doch eine wirkliche große Noth, eine gewisse Verzweiflung zu sprechen, in welcher sich gute und edle Regungen umsonst in frivole Scherze versteckten. Wenn dieses Mädchen eine wohlthätige Hand, die sich ihrer in diesem kritischen Augenblicke ihres Lebens annahm, fand, vor welchen Abgründen konnte sie gerettet werden!

Ein Baron Beltram freilich konnte ihr eine solche Hand wol nicht reichen – Anna, die sich im ersten Drange ihres Mitleids gern dazu erboten hätte, konnte es auch nicht; aber sie konnte etwas anderes thun.

Ich will ihr wenigstens die Möglichkeit gewähren, von nun an ihrer Sehnsucht nach allem, was sie für eine Theatersoubrette unmoralisch nennt, zu leben und sich von diesem Beltram freizumachen, sagte sie. Für mich soll's eine kleine Buße für meine Indiscretion sein, die mich diesen Brief lesen ließ. So ist's jedenfalls eine gute That – vollbringen wir sie gleich.

Sie setzte sich an den Schreibtisch und schrieb auf ein Blatt:

»Wenn Sie das eingeschlossene Papier einem Bankhause in Ihrer Stadt vorzeigen, so wird man Ihnen das Geld, welches Sie zu Ihrer Reise ins Land ›des ewigen Sonnenscheins, der goldnen Früchte, winkend zwischen dunklem Laub‹, bedürfen, auszahlen. Gott geleite Sie! Denken Sie an ihn, und er wird Sie schützen.«

Die Zeilen blieben ohne Unterschrift.

Dann stand sie auf und öffnete das künstliche Schloß ihrer Kassette. Sie nahm einen halb bedruckten, halb beschriebenen Papierstreifen daraus, in den sie eine Zahl eintrug und den sie dann mit einem Namen versah, der ein fingirter sein mußte, da er mit dem ihrigen durchaus keine Aehnlichkeit hatte; darauf schob sie das Blatt mit ihrem Briefe in ein Couvert, welches sie mit der Adresse: »Fräulein Fanny Leutold, Schauspielerin zu N.«, überschrieb.

Nachdem sie sorgfältig ihre Kassette wieder geschlossen, ging sie selbst, ihren Brief in den unten im Flur befindlichen Briefkasten zu werfen. Auf ihrem Zimmer wieder angekommen, klingelte sie einem Bedienten, um Baron Beltram möglichst rasch sein Taschenbuch wieder zustellen zu lassen.

Als Anna Morell ihren Einfall ausgeführt, war sie nicht ganz mit sich im Klaren darüber, ob sie recht gethan, in freigebiger Weise die wohlthätige Fee bei der armen, entlassenen Theatersoubrette zu spielen. Vielleicht hatte sie – wie so oft, sagte sie sich – der Eingebung des Augenblicks zu rasch gehorcht. Wozu konnte der so plötzlich in ihren Schos geworfene Schatz – denn das war er für ein Geschöpf in ihren Verhältnissen – diese Fanny Leutold verführen! Welche Wege konnte er einschlagen, wozu verwendet werden!

Ich habe wenigstens gethan, was ich thun konnte, sagte Anna sich endlich. Wenn ich ihr nicht auch besonnene Ueberlegung, Vernunft und Selbstbeherrschung habe geben können, so ist es nicht meine Schuld. Ich habe ihr wenigstens die Unabhängigkeit, die Freiheit gegeben – das Schicksal und die Verhältnisse werden nicht mehr die Schuld haben, wenn sie selbst aus ihres Thales kalten Nebelgründen nicht den Ausgang zu finden weiß, nach dem sie sich wirklich zu sehnen scheint. Möge sie sich retten in das schöne Wunderland voll reiner Luft auf sonnigen Hügeln – der Weg ist ihr erschlossen, und ihres »Fährmanns« bedarf sie nicht mehr!

Und damit wandte sich Anna den andern mächtig auf sie einströmenden Gedanken zu – wenig ahnend, wie bald und wie verhängnißvoll der Schatten dieser Theatersoubrette wieder ihren Lebensweg kreuzen sollte!

Eine Weile ging sie unruhig auf und ab, dann trat sie wieder an den Schreibtisch und setzte sich, um einen zweiten Brief zu schreiben. Mit einer hastig über das Papier fliegenden Hand schrieb sie:

 

»Meine theuere, liebste Marie,

ich werde nicht Ruhe finden, bis ich einen Noth-, einen Hülfsschrei ausgestoßen, bis ich mir die Herzensangst durch ein Wort an Dich ein wenig erleichtert, von der Seele gewälzt habe. Sind wir denn wirklich nichts als scheue, haseherzige, furchtsame, thörichte Geschöpfe, geschaffen für das Zimmer, nach welchem man uns ›Frauenzimmer‹ nennt, oder für die – Klosterzellen?

Manchmal ist mir in der That beinahe so zu Muthe, zum Beispiel eben jetzt – ach Gott, ich fühle es, es ist ein mislich Ding für ein junges Mädchen, zu viel zu träumen und dann auszugehen, um zu erforschen, ob die Träume nicht wahr werden können! Entdeckungsreisen in das Innere unerforschter Welttheile sollen nur die Männer machen, nicht wir armen, zagen, gebundenen Wesen. Ich begreife es jetzt, ich fühle es, mir ist plötzlich so ängstlich zu Muthe wie einem Reisenden durch Innerafrika, der die Grenze von Wadai betritt oder in seiner Nähe den ersten Löwen brüllen hört!

Aber es ist ja Thorheit! Ich lasse es nicht gelten, wenn Du mir zurufst: der Frauen Kraft besteht nur darin, ihre Schwäche verbergen zu können. Nein, nein, es ist mehr in uns. Es haben Frauen vor mir gefährlichere Entdeckungsreisen gemacht! Ich will an diejenigen denken, welche über das Weltmeer schifften, oder die Spitzen von Alpengipfeln erstiegen, oder mit der Karavane trotz Samum und Glut durch die Wüste zogen. Das ist doch gefährlicher als eine Entdeckungsreise ins Innere von Haus Edern.

Und sind es denn Löwen, die ich brüllen höre? Ach nein – Löwen, denk' ich, sind nicht darunter! Aber es ist eine gründlich wunderliche Welt, in die ich gerathen bin – eine Welt, in der mir zu Muthe ist, als ob ich im Traume in sie versetzt sei, in der mich das Bekannte, Vertraute, das mit dem, wie es daheim ist, völlig Uebereinstimmende doch mit einer ganz fremden Physiognomie ansieht.

Ich bin noch viel zu verwirrt von den ersten Eindrücken, um Dir über die Personen viel berichten zu können. – Der Mittelpunkt des Hauses ist die Gräfin, eine stolze, scharfe Dame – hüllt sie mit den starren Falten ihres Herrschermantels eine Seele und ein Gemüth ein, oder nicht – ich weiß es bisjetzt nicht! Graf Achatius ist ein Original, aber ein höchst gutmüthiges, das durch einen kleinen Ansatz ironischer Bosheit nur noch liebenswürdiger wird. Die älteste Tochter Edwine ist ein hübsches harmloses Geschöpf; von der zweiten, Bertha, meinem Zögling, kann ich das nicht sagen, ich glaube, es steckt ein gut Theil von den kleinen weiblichen Erbärmlichkeiten in ihr, die ich so hasse, und die Erziehung wird da ein weites – hoffentlich auch dankbares Feld haben! In der That, ich hoffe es, und daran siehst Du, daß ich in meiner ursprünglichen Absicht, die mich hierher führte, nicht wankend geworden. Ich will noch immer, was ich wollte, praktisch thätig sein, mich ausleben in eigenem nützlichen Wirken und in diesem auf mich selbst gestellten Thun zweierlei gewinnen, Kraft und Muth, nur mir selber zugehören und einen Blick in das wahre und wirkliche Leben der Menschen!

Von den Männern hier will ich heute nicht mehr beginnen, Dir zu schreiben – einer ist darunter, der allerdings aussieht, als wäre etwas vom Löwen in ihm, aber denke Dir, dieser Löwe bringt seine Tage damit zu – so erzählt mir Bertha – einer gestrengen Schwester Gedichte vorzulesen, mit seiner Jagdflinte die Wälder unsicher zu machen und ein erbärmliches kleines Gut zu verwalten. Ist das Indolenz oder Philosophie? Wie kann man ein Mann sein, und so leben? Begreifst Du es? Ich nicht, und weil ich's nicht begreife, ärgert es mich. Ich möchte zu diesem Löwen sprechen: Auf, schüttle deine Mähne – vor dir, endlos und ohne Grenzen liegt die Welt – durch schweife sie als dein Jagdgebiet, laß deine mächtige Stimme hören, damit die Thiere ihren Gebieter erkennen, schrecke, raube, erobere, tödte meinethalb, nur sei Löwe!

Ach, es ist sehr thöricht und was geht es mich an! Wir armen weiblichen Geschöpfe sind immer so in Abhängigkeit gehalten, so am Spalier aufgezogene Pflanzen, daß wir uns ärgern, wenn wir einen Mann sehen, der seine Unabhängigkeit und seine Freiheit nicht zu gebrauchen weiß. Ich glaube auch, es thut nur die böse wilde Mövennatur in mir, daß ich von einem so zahmen Löwen verlange, er soll Flügel haben und ein Adler sein!

Adieu, liebste Freundin, ich muß enden, denn die Augen fallen mir zu! Der beste Beweis, daß es mir gelungen ist, mir die Aengstlichkeit, die ich Dir eben klagte, vom Herzen zu schreiben! Wie sollte nicht auch Ruhe über mich kommen, wenn ich mit Dir plaudere und Dein liebes, stilles, friedliches Gesicht vor mir sehe, mit dem leisen, ein wenig spöttischen, ein wenig wehmüthigen Lächeln, das auf Deine Lippen tritt, wenn Deine thörichte Freundin Dir ihre Extravaganzen beichtet.«


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