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Drittes Kapitel.
Das Weltinstitut

Der gräfliche Stammerbe empfing Herrn Böhmer in seinem Arbeitszimmer im obern Stocke des Hauses. Es war ein großer, von einer Menge von Gegenständen erfüllter Raum, höchst unharmonisch geschmückt mit guten alten Gemälden und jämmerlichen neuen Lithographien, mit Abbildungen von Dampfmaschinen und ausgestopften Vögeln. Der Gipsabguß einer Pietà stand auf einer Console, neben welcher Reitpeitschen und schwere alte Reiterpistolen hingen; daneben Eisenbahnfahrpläne und der Thür zunächst ein kleines altes Weihwasserbecken. Zu der blauen Tapete standen die rothgeblümten Kattunvorhänge in schreiendem Widerspruche – es lag etwas Unruhiges, etwas Unreinliches in der Einrichtung des ganzen Zimmers, obwol überall auf dem Schreibtische und auf den andern Möbeln die peinlichste Ordnung herrschte.

Graf Boto, der in einer Sofaecke saß, war ein hübscher, schlank gewachsener Mann von etwa dreißig Jahren; er war in graugrüner Hausjoppe und in Reitstiefeln über Hirschlederbeinkleidern. Aus den scharfgeschnittenen Zügen blitzte ein graues Auge mit trockenem, hartem Blicke.

Zwei andere junge Männer waren bei ihm; sie waren beide um mehrere Jahre jünger als er. Der eine schlank, mager, beweglich, fast unruhig in seinem Wesen, mit einem seltsamerweise desto stillern, beinahe melancholischen Blicke der dunkeln Augen; der andere eine auffallend schöne Erscheinung, stattlich und kräftig gebaut, mit einem braungelockten, imponirenden Kopfe, der mit den Jahren in eine Aehnlichkeit mit irgendeinem classischen Heroenkopfe hineinzuwachsen versprach.

Herr Böhmer, schien es, war mit allen dreien aufs beste bekannt; er schüttelte allen höchst cordial die Hände, indem er den zweiten jungen Mann, der neben Boto im Kanapee saß, den mit den melancholischen Augen, Herrn von Burghaus, und den dritten, den jungen Heroen im Rohrsessel neben Boto's Schreibtische, Baron Gohr nannte.

Nehmen Sie sich einen Stuhl, lieber Herr Böhmer, sagte Boto, und dort aus dem Kistchen eine Cigarre. Ihre Prospecte und Druckschriften haben wir erhalten und sind nun sehr gespannt auf den Vortrag, den Sie uns halten werden.

Daran soll es nicht fehlen, versetzte Herr Böhmer, sich mit einer Cigarre beschäftigend. Nicht wahr, die Sache verdient, daß Sie ihr Ihre Aufmerksamkeit zuwenden? Sie sehen aus den Druckschriften, welche ich Ihnen übersandte, die ungeheuere Entwickelung, welche die Unternehmungen des Barons Chevaudun schon gewonnen haben.

Es handelt sich, fuhr Herr Böhmer, sich mit der entzündeten Cigarre in einen Sessel niederlassend, fort, nicht blos um den Gewinn, es handelt sich um Höheres. Die positiven Ideen, welche die Grundlage der Gesellschaft bilden sollen, sagt der Baron Chevaudun, sind in unserer Zeit in einer großen, entsetzlichen Verflüchtigung begriffen. Ihnen allen schiebt sich eine einzige, andere Idee, eine negative, eine dämonische, alles beherrschende Idee unter – das Geld!

Nennen Sie das Geld eine neue Idee? fragte lachend Herr von Burghaus.

Sie sehen, Herr Böhmer geräth in Schwung, fiel Baron Gohr ein. Stören Sie ihn nicht. Wenn das Geld sich aller Kräfte und Gedanken der Menschen bemächtigt und der Zeit Richtung und Signatur gibt, ist es keine Thatsache mehr, sondern eine Idee.

Ich wiederhole Ihnen hier nur den Gedankengang des Barons, meine Herren, sprach Herr Böhmer weiter. Mögen Sie ihn prüfen; was die Sache selbst betrifft, so habe ich sie geprüft, lange geprüft, und sie gut befunden. Was aber das andere, das Philosophische, dabei angeht, so begnüge ich mich damit, daß der Sinn und die Absicht gut sind. Also fahren wir fort. Das Geld, sagt der Baron, ist nun der Materialismus, und der Materialismus ist am Ende die Gewaltthat: soll also nicht der Materialismus die menschliche Gesellschaft rückwärts in die Uncultur hinein entwickeln, so muß man zu einem Heilmittel greifen, das über die ganze Zeit Gewalt hat; dies hat aber nur das Geld, und so bleibt nichts übrig, als Beelzebub mit Beelzebub auszutreiben. Ziehen wir das Geld an uns, machen wir es uns unterthan; weisen wir ihm seine Strombetten an, durch die es fliegen soll; graben wir es den Gottlosen ab und lassen es dahin strömen, wo es Gutes thut und die gesunde Saat befruchtet. Ist euch das Geld ein Zauber geworden, wohl, so seien wir die Magier, denen es gehorcht! Sehen Sie, meine Herren, das ist der Gedanke des Barons, und in diesem Sinne arbeitet er. Baron Chevaudun ist eine Macht, und die leichtsinnige, entchristlichte Welt wird den Druck dieser Macht bald genug empfinden! Das zusammenhängende System von verschiedenen Banken aber, worüber ich Ihnen die Rechenschaftsberichte gesandt habe, ist nur eine einzelne Bethätigung seines Wirkens. Hinter diesem Wirken steht ein Consortium von Großen, von Freunden und Gönnern seiner Ideen, die ihm mehrere hundert Millionen zur Verfügung gestellt haben. Millionen haben wir nicht, meine Herren, um sie ebenfalls für die gute Sache darzubringen, mit der Aussicht auf anständige Verzinsung, heißt das aber wir haben unsere Kräfte, und die können wir herleihen …

Ebenfalls mit der Aussicht auf anständige Verzinsung! fiel Herr von Burghaus ein.

Ich mache Ihnen mein Compliment über Ihren vortrefflichen Vortrag, Herr Böhmer, sprach lächelnd Graf Boto dazwischen.

Pectus facit disertum, bemerkte Herr von Gohr – die Begeisterung liegt im Stoffe!

Freilich, rief Burghaus aus, was wäre begeisternder als Herrn Böhmer's neue Weltidee? Die eisernen Grundklammern, welche die Welt zusammenhalten, Recht und Glauben, halten nicht mehr vor – er macht uns neue aus Silber.

Nehmen wir die Sache ernst, ihr jungen Herren, denn sie ist ernst! fiel Herr Böhmer ein. Sechshundert Millionen sind die Operationsbasis. Damit besiegt man die Welt. Der Feldherr ist der erste Financier der Gegenwart. Die Parole ist die Aufrechterhaltung der gesitteten Weltordnung. Der Feldzugsplan ist …

Eine Art unterirdischer Röhrenleitung durch alle Länder der Welt, fiel Burghaus ein. Dadurch wird das Silber aus den Ländern, wo dessen viel ist, in die Länder geflößt, wo dessen wenig ist, wo es am höchsten im Werthe steht …

Richtig, ganz richtig, unterbrach ihn eifrig Herr Böhmer. In einem Theile Europas stockt die Speculation, die Handelsbewegung, der Verkehr, die Unternehmungslust; dort häufen sich die Kapitalien an und liegen müßig. In andern Ländern unterdeß fehlt das Geld, während die Unternehmungslust, das Bedürfniß nach Kapital in hohem Grade da ist! Unsere in dem einen Lande errichteten Banken saugen es nun dort an sich, um es unsern Banken in dem andern Lande zuzuwerfen. Man braucht diese internationalen Banken nur zu errichten in London, in Amsterdam, in Antwerpen, in Paris auf der einen, und in Wien, in Pesth, in Konstantinopel, in Odessa auf der andern Seite … Die Erfolge des Systems kann ein Kind einsehen … Die fernere Absicht aber ist, der Aussaugung des conservativen Grundbesitzes durch das Kapital ein Ende zu machen. Das in Grund und Boden steckende, seiner Natur nach conservative Kapital soll der Vortheile theilhaftig werden, welche bisher nur das flüssig umlaufende, lavinenhaft anwachsende Kapital hatte …

Das Nähere ergibt der Prospectus, lächelte Burghaus.

Herr von Burghaus, Sie nehmen die Sache zu leicht, zu leicht, sagte Herr Böhmer; man muß Geldangelegenheiten nie leicht nehmen.

Meine eigenen habe ich leider immer sehr leicht nehmen dürfen, Herr Böhmer, versetzte Burghaus heiter.

Bleiben wir bei der Sache, fuhr Böhmer eifrig fort. Wie ist's, wollen Sie mir Ihre Hülfe, Ihre Kräfte, Ihre Namen hergeben bei der Errichtung einer solchen internationalen Grundbesitzbank? Wollen Sie mit mir ein Directorium solch eines Gliedes in der großen Kette bilden?

Ich will es! versetzte Graf Boto ernst.

Das wußte ich, sagte Herr Böhmer – Graf Boto, ich wußte, daß ich auf Sie rechnen konnte! –

Dann wandte sich Böhmer zu Burghaus:

Und Sie, Herr von Burghaus?

Um des guten Zweckes willen bin ich bereit, mich dahin zu opfern, daß ich an den Dividenden theilnehme; was aber die Verantwortlichkeit angeht …

Verantwortlichkeit ist keine dabei für Sie! Sie sollen nur die Controle führen helfen – Sie sind Referendar, Sie sollen der Justitiar der Bank werden!

Dann immerhin! Ich werde Ihr Justitiar!

Und Sie, Herr von Gohr? fragte Böhmer weiter.

Lieber Herr Böhmer, zu diesem Tanze um das Goldene Kalb gehört einer, der die Musik dazu macht – lassen Sie mich den Musikanten sein!

Sie wollen nicht?

Nein!

Sie haben kein Vertrauen zur Sache?

Kein Vertrauen zu mir, daß ich sie mit ganzer Seele fördern würde. Deshalb ziehe ich vor, sie auch nicht zu unternehmen.

Nun wohl, sagte Herr Böhmer, wie Sie wollen! Ich will Ihnen noch vierzehn Tage zum Entschlusse lassen. Und das übrige besprechen wir wol auf dem Wege zu Graf Boto's Dampfmühlen – wollen Sie mich heute hinführen, Herr Graf? Auf dem Wege haben wir Zeit, unsere Bank fertig zu machen. Ich muß vor Abend wieder in der Stadt sein; der Kirchenvorstand meiner Pfarre hält eine Sitzung – wichtige Beschlüsse – meinen Einspänner habe ich schon nach Ihren Dampfmühlen vorausgeschickt.

Wenn Sie so eilig sind, Herr Böhmer, wollen wir zu den Dampfmühlen fahren, sagte Boto, und zog die Klingel. Wir halten dann auf unserm Jagowagen die erste Sitzung unsers Bankdirectoriums ab; während wir berathen, componirt sich Dankmar Gohr die Musik dazu …

Ich denke, ein lustiges Crescendo, das die anwachsenden Millionen andeutet, fiel Burghaus ein.

Christian soll anspannen! Er soll die Jucker und den Jagdwagen nehmen! befahl Boto dem eben eintretenden Diener.

Die vier Herren saßen kurze Zeit nachher auf einem zwar nicht sehr modernen und schon viel gebrauchten, aber leichten und bequemen Jagdwagen, der mit einem leichtfüßigen Juckergespann, hochbeinigen Thieren in ungarischem Riemengeschirr, bespannt war. Der Wagen eilte mit ihnen durch das Gehölz um Haus Edern und sodann auf einem zwischen hohen Aehrenfeldern sich dahinschlängelnden Sandwege fort.

Dankmar von Gohr saß nachdenklich, die Arme untergeschlagen, in seiner Bank zurückgelehnt; sie andern rauchten ihre Cigarren und sprachen in großer Aufregung, mit lebhaft bewegten Mienen. Ein Blick in eine Welt, wo die Millionen wie Sterne um das Haupt der glücklichen Sterblichen kreisen, hat etwas seltsam Aufregendes. Die Gedanken werden mit fortgerissen in diesen Wirbel, schwere Thatsachen bekommen Flügel und Unmöglichkeiten werden leichtfüßige Wesen, die in kokettem Tanze nichts anderes verlangen, als sich haschen zu lassen.

Herr Böhmer und Graf Boto sahen in dem Baron Chevaudun, dessen Agent der erstere geworden, das größte Börsengenie der Gegenwart – und vielleicht war es dieser Mann. Sie waren mit dem Mistrauen, das kühne Plane in realistischen Menschen erwecken, an die Prüfung der ersten Mittheilungen gegangen, welche ihnen über das Finanzsystem des Barons und seinen Wunsch, in ihrem Lande eine seiner Banken zu gründen, gemacht worden. Sie hatten geprüft, Erkundigungen eingezogen und allen Argwohn fahren lassen Ermittelungen gegenüber, die sie mit Staunen und Respect erfüllten, mit Staunen vor der Genialität und mit Respect vor den Erfolgen des Barons.

Jetzt war alle Zweifelsucht, alle Kritik in ihnen dahin; sie waren entzückt über die Aussicht, für Ideen mitwirken zu sollen, welche ihre Sympathien hatten, und als Lohn ihres geringen Mühens für diese überschwenglich reiche Früchte erwarten zu dürfen.

Dankmar von Gohr, der diese Stimmung nicht theilte, hieß den Kutscher halten, als man ein im Felde stehendes Heiligenbild erreicht hatte, an welchem sich ein Weg abzweigte.

Du willst nicht mit zu den Mühlen hinaus? fragte Boto.

Ich will hier absteigen, um den Feldweg zu gehen. Ich habe Herminen versprochen, nicht zu spät heimzukommen.

Bist du schon fertig mit der Musik? fragte Burghaus.

Sie ist fertig nach dem bekannten Thema im »Robert « – der Teufel trägt es da vor!

Die Herren lachten, Dankmar reichte Boto und Burghaus die Hand, grüßte Herrn Böhmer durch eine Berührung seines Hutes und sprang von dem Wagen hinab, der sich gleich wieder in Bewegung setzte.

Dankmar steht gewaltig unter dem Pantoffel seiner Schwester, sagte Boto.

Er hat recht, fiel Burghaus ein; sich unter ihren Pantoffel beugen, ist der einzige Weg, mit ihr im Frieden zu bleiben.

Ist sie so schlimm? fragte Herr Böhmer.

Nur für Gundobald Burghaus, gab lachend Boto zur Antwort; sie hat sich seine Erziehung zur Aufgabe gestellt und findet ausnehmende Schwierigkeiten dabei.

Ich hoffe, ihr von nun als Bankdirector zu imponiren! rief Burghaus aus.

Zieh sie uns nur nicht als »Frau Bankdirectorin« ins Collegium! sagte Boto.

Ach nein, versetzte Gundobald Burghaus ein wenig kleinlaut, das hast du nicht zu fürchten! Du sagst ja selbst, daß sie mich »ziehe«, ich nicht sie!

 

Unterdeß war Dankmar, anfangs gemächlichen, dann raschern Schrittes – er gehörte zu den Menschen, die nicht langsam gehen können, sondern welche die innere Energie ihres Gedankenlebens am Ende stets in einen gelinden Trab fallen läßt – links abgegangen, dem Wege durch hohe, wallende Kornfelder nach. Wenn er links hinblickte, sah er über die hohen Halme fort, an denen sich eben die Aehren bildeten, ein höchst freundliches Landschaftsbild.

Eine weite Thalsenkung lag da unter ihm, eine muldenförmige Fläche, durch deren Mitte sich ein breiter Streifen grüner Wiesenfluren und zusammenhängender Waldpartien zog, während jenseits wieder Kornfelder die leise ansteigenden Hügelrücken bedeckten. Blaue Berge schlossen, von rechts her mit sanften Wellenlinien ziehend, den Hintergrund. Aus dem Waldstücke, welchem der Weg Dankmar's zulenkte, erhob sich sein kleiner Edelhof mit gezacktem Giebel und kleinem Thurme.

Dankmar schritt zehn Minuten später zwischen zwei alten Steinpfeilern hindurch, welche am Eingange einer Eichenallee standen, die auf sein Vaterhaus zuführte. Aus der Allee herauf kamen zwei Personen ihm entgegen, ein alter Herr und eine junge Dame. Sie gingen rascher, als sie ihn sahen. Als alle drei sich gegenüberstanden und sich mit freundlichem Händedruck begrüßt hatten, nahm die junge Dame Dankmar's Arm.

Wie warm dir geworden ist, bist du so schnell gegangen, Dankmar?

Dabei trocknete sie seine hohe, gewölbte Stirn und strich ihm dann das reiche, dunkle Haar mit der Hand zurück. Sie that das mit der Zärtlichkeit einer Mutter. Der Kopf des jungen Mannes verdiente, daß eine Schwester mit so strahlendem Blicke an ihm hing. Wir haben schon gesagt, daß er etwas von einem Heroentypus hatte. Unter der hohen, stolzen Stirn Dankmar's leuchteten ein Paar dunkler großer Augensterne voll eigenthümlichen, durch einen Ausdruck von Melancholie gedämpften Feuers; die Nase war nicht lang, fein und doch kräftig, die stark ausgebildeten Lippen vom frischesten Roth – um diese Lippen zuckte etwas von Stolz, Kühnheit und Selbstvertrauen, auch etwas von weicher Schwärmerei wieder – es waren ein Paar Lippen, die es aussprechen durften, was Dankmar unlängst zu seiner Schwester gesprochen:

»Ich weiß nicht, wie Goethe das sagen mag:

Und was uns alle bändigt, das Gemeine,
Lag hinter ihm in wesenlosem Scheine.

Ich danke meinerseits für diese Gemeinsamkeit des Gemeinen!«

Die Züge seiner Schwester hatten große Aehnlichkeit mit den seinen. Die Köpfe beider waren in derselben Form gegossen. Aber Dankmar's Kopf war wie von der Hand des Künstlers nach dem Guß überarbeitet, ciselirt, vollendet. Die Züge Herminens hatten nicht dieses Gepräge der Vollendung erhalten, sie waren unentwickelter geblieben, stiller, demüthiger; aber die Farben waren rein und frisch, klar wie die dunklern des Bruders, und auch Hermine war eine schöne und gewinnende Erscheinung.

Sie war sehr einfach gekleidet, in ein graues, bis zum Halse schließendes Kleid mit grüner Einfassung, ohne Tuch und Hut, nur mit einem Sonnenschirm versehen, den die Schatten der Allee überflüssig machten.

Der alte Herr neben ihr, ein mittelgroßer, wohlgenährter Mann mit sehr hellen blauen Augen, war seiner Tracht nach ein Geistlicher. Er hatte ein sanftes, gewinnendes Gesicht, dem man die Zahl der Jahre – der Mann war nahe an Siebzig – nicht ansah.

Sie kommen rascher zurück, als wir Sie erwartet haben, lieber Dankmar, sagte der geistliche Herr. Ist aus der Angelegenheit nichts geworden und Ihr Herr Böhmer nicht eingetroffen?

Er ist eingetroffen, versetzte Dankmar, indem er mit seiner Schwester und dem Geistlichen langsamer vorwärts schritt; er ist um halb vier gekommen und saß um halb fünf schon wieder auf Boto's Jagdwagen, um nach dessen Dampfmühlen zu sehen. Ich habe die Herren auf dem Wege dahin verlassen. In der kurzen Zeit haben wir vollaus Muße gehabt, uns eines großen Theils der in der Welt umrollenden Millionen zu bemächtigen, damit alle conservativen Grundlagen der Gesellschaft zu stützen und nebenbei hier im Lande eine Grundbesitzbank zu gründen; Boto und Gundobald Burghaus sind Feuer und Flamme für die Sache.

Der gute Gundobald! sagte Hermine. Wenn er eine Geldspeculation macht, so wird es nur sein, um allen Damen seiner Bekanntschaft ausschweifend kostbare Vielliebchen zu schenken oder eine große Stiftung zur Beschaffung der Cotillonorden für alle Bälle der Provinz zu machen!

Die beiden Männer lächelten. Der geistliche Herr fuhr dann fort:

Und Sie sind nicht Feuer und Flamme für die Sache, Dankmar?

Nein – mich würde sie beunruhigen; die Rolle, welche Herr Böhmer mir so gütig dabei zudachte, würde mir gründlich unbehaglich sein.

Das Vertrauen fehlt Ihnen noch immer, und der Glaube?

Nicht gerade das. Nach all den vielseitigen Erörterungen der uns vorgelegten Berichte und Berechnungen und Prospecte kann ich an der Richtigkeit des Grundgedankens, auf den dieser geniale Baron von Chevaudun sich stellt, um so etwas wie der »Retter der Gesellschaft« zu werden, nicht zweifeln. Auch sprechen die glänzendsten Erfolge für ihn – er gebietet wirklich über Millionen; eine Summe, die ans Märchenhafte grenzt, ist ihm für seine Operationen zur Verfügung gestellt – die Börsenmänner erkennen in ihm einen Mann von seltener Weite des Blicks, unter den sie sich beugen.

Aber – das Aber? fiel Hermine ein.

Das Aber, antwortete Dankmar, liegt in meinem Zweifel an seiner Kraft, die Natur der Dinge zu verändern. Das Geld hat seine Natur, seinen Charakter und seine eigene Logik. Des Teufels Schwanz und Klauenfuß – woher hat er sie als vom Goldenen Kalbe? Der Baron wird es inne werden; er wird dem Geiste, den er gerufen, unterthan werden und ihn nicht mehr meistern können; er wird sehen, daß die Millionen eigensinnige Potenzen sind, welche ihre eigenen Wege einschlagen und sich nicht um die Glaubensbekenntnisse kümmern.

Es steckt freilich ein Dämon im Golde, bemerkte der Geistliche, und mir fällt hier etwas ein, was mir mein alter Freund Nesselbrook erzählte: es gibt russische Ketzer, welche behaupten, die Menschen fielen schon droben im Jenseits; da schuf Gott die Erde als einen Strafort für sie – er setzte sie in Leiber als Kerker. Sind sie nun hier gut, so werden sie durch den Tod aus der Haft der Leiblichkeit befreit; sind sie aber schlecht, so sinken sie in immer niederere Formen hinab; sie werden Thiere, danach Pflanzen, endlich gar Metalle, und die äußerste Strafstufe ist das Gold, in dem die Seelen der Verdammten stecken. Das ist der Duchoborzen Glaube.

In dem Poesie ist wie in allen Ihren Nesselbrook-Geschichten, sagte Hermine lächelnd.

Sie haben also die Angelegenheit ganz von sich abgewiesen, Dankmar? sprach der geistliche Herr weiter.

Ja, versetzte Dankmar, schon deshalb, weil ich keinen Theil an einer Gesellschaftsrettung durch das Geld haben mag. Eine durch das Geld gerettete Gesellschaft! Gott schütze uns davor! Das Geld das innere Bindemittel der moralischen Welt, das Geld ein wiedererweckter Kaiser der alten Weltordnung! Nein, lieber Freund, fuhr er, seine linke Hand auf die Schulter des neben ihm schreitenden Geistlichen legend, fort, dazu habe ich in Ihren Geschichtsstunden zu viel gelernt; wir wissen zu gut: als das Kaiserthum von seiner Höhe herabstieg und das Papstthum nach Avignon zog, da holten sich die verlassenen Menschen in der Sehnsucht: »O, daß ein Geist herniederstiege!« ein neues Herrscherwesen herbei und setzten es auf den Thron des verwaisten Weltbürgerthums: die Bildung, die Wissenschaft, die Humanität, die »Renaissance«. In ihr schlossen die Parteien, die Nationen ihren Frieden miteinander, sie ward der Mittelpunkt des neuen Weltbürgerthums, und in ihrem kaiserlichen Zeichen wird noch heute allein die Gesellschaft sich retten, das heißt, sich selber retten – durch die Kaiserin Bildung! Sind Sie einverstanden, lieber Zander?

Ja, versetzte der Geistliche, wenn auch ein wenig wie Pilatus, als er fragte: »was ist Wahrheit?« So frag ich: »was ist Bildung?«

Alles, was zu innerer Freiheit führt!

Sieht man dem Wege immer an, wohin er führt?

Den meisten doch, ob sie vorwärts führen, ob hinauf, ob hinunter!

Und nachdem man viel hinauf-, hinuntergelaufen und herzlich müde geworden, spricht man wol auch:

Ich fühl's, vergebens hab' ich alle Schätze
Des Menschengeist's auf mich herbeigerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft …

Es muß doch noch etwas hinter der Bildung stehen, über ihr, und das ist der Glaube!

Die wahre Bildung, antwortete Dankmar, führt zum Glauben, aber zu einem befreienden!

Unser lieber Zander beginnt zu citiren! fiel hier lächelnd Hermine ein. Es wird Zeit, daß ich dieses fürchterlich gelehrte Gespräch unterbreche; ohnehin sind wir zu Hause.

Sie waren an das Ende der Allee gekommen, wo eine Holzbrücke über einen breiten Graben führte. Jenseit der Brücke lag der Hof, rechts verfallene Nebengebäude und im Hintergrunde das Herrenhaus, ebenfalls ein alter, verfallener und keineswegs stattlicher Bau; das Haus stammte aus dem siebzehnten Jahrhundert, die Fenster der obern Reihe waren viereckig, mit Karyatiden verziert und anderm Schmuck im Barockstil auf den Sandsteineinfassungen; aber sie waren zum Theil noch mit alten Rautenscheiben in Blei geschlossen. Die untere Fensterreihe über dem Souterrain war neu verglast, und das Fenster an der Ecke rechts bis nach unten ausgebrochen, sodaß es eine Glasthür geworden, die über einige Stufen in eine geräumige Veranda von weißangestrichenem Lattenwerke führte, an dem junge Reben in die Höhe kletterten.

Die Fugen zwischen den Ziegelsteinen der Wände aber waren von der Zeit ausgefressen, die Treppe vor der Hauptthür ausgetreten und gesunken; so machte das Ganze den Eindruck des Verfallenen, an das erst in neuerer Zeit sich stellenweise die Herstellung gewagt hatte, welche noch ein weites Feld ihrer Thätigkeit finden konnte.

Zur Linken des Herrenhauses war durch den Abbruch eines alten Gebäudes Raum für eine kleine Gartenanlage geschaffen, die bis an den das Ganze umgebenden Graben rückte. Im Hintergrunde dieser Anlage schloß sich ein kleiner, alter Thurm an das Herrenhaus, und neben ihm führten Steinstufen zu einem wasserreichen, klaren und lebhaft dahinrauschenden Flusse hinab, der die Fundamente des Thurms bespülte und den Graben auf der Vorderseite des Hofs speiste; eine schmale Laufbrücke führte hier über den Graben; ein Nachen lag am Fuße der Treppe angekettet.

Die nächste Umgebung des Edelhofs jenseit des Grabens und des Flusses bestand aus Obstgarten und Wiesenflächen. Umher zog sich in dichtem Kreise Laubwald, üppig wucherndes Gehölz, das sich rechts und links in dem vom Flusse durchströmten Grunde weit hinauf- und hinunterzog.

Die drei Leute, welche diesen hübschen, stillen, aber wenig stattlichen Landsitz bewohnten, wandten sich der Veranda zu. Der alte Herr hatte da, an einen Gartenstuhl gelehnt, eine Tabackpfeife stehen, die er jetzt wieder in Thätigkeit setzte, Hermine nahm eine liegen gelassene Näharbeit auf, und Dankmar setzte sich zu ihnen, nachdem er durch die Glasthür ins Innere geschritten und gleich darauf im bequemen Hausrock und mit einem Buche zurückgekommen war.

Und was macht Boto? fragte jetzt Hermine, auf ihre Arbeit blickend.

Was du dir denken kannst: Plane, versetzte Dankmar. Plane zu großen Dingen; sein rühriger Geist läßt die Schwingen darum nicht sinken, weil Baron Chevaudun die Güte hat, Geldsäcke daranzuhängen. Er wird zunächst die Verhältnisse seines Bergwerks genau untersuchen und hofft von Chevaudun's Bank die Mittel zu erhalten, um die verlassenen Arbeiten neu in Schwung zu setzen, und dann beschäftigt ihn die Einrichtung seiner Dampfmühlen, von denen er so viel erwartet. Du weißt, er hat immer alle Hände voll zu thun, um die Projecte seines anschlägigen Kopfes ins Werk zu setzen.

Man muß Respect vor einem Ehrgeiz haben, der sich so viele Mühe gibt, seine Ziele zu erreichen, sagte lächelnd der geistliche Rath.

Aber welche Ziele! fiel Dankmar ein.

Sind sie seiner nicht würdig? sagte Hermine. Sie sind praktisch, und darum verachtet sie mein etwas zu idealistisch angelegter Bruder. Habe ich nicht recht, lieber Rath?

Der Rath blies langsam eine Tabackwolke von sich. Sie haben immer recht, Fräulein Hermine, versetzte er dann mit einem schlauen Augenblinzeln. Mein misrathener Zögling Dankmar hier sollte sich an Graf Boto ein Muster nehmen, wie man sich in die Höhe bringt. Ich habe diese Ederns noch gekannt, wie sie zwar die ältesten und vornehmsten Edelleute des Landes, aber auch die ärmsten waren. Sie hatten ein halbes Dutzend Güter freilich, aber wie viel davon gehörte ihnen eigentlich? Boto's Großvater war noch ein wahrer Cincinnatus; es konnte sein, daß ihn der fürstliche Fourier, der ihm ein großes Cabinetsschreiben mit der Aufforderung brachte, als Landtagsmarschall unsere Stände einzuberufen, in der Scheune fand, beschäftigt, einen Maltersack voll Weizen auf den Speicher zu schleppen – denn einen ganzen Maltersack konnte er auf den breiten Schultern tragen; keiner seiner Knechte nahm es darin mit ihm auf. Seine Frau zog Gänse auf, und wenn sie fett waren, fuhr sie dieselben auf einem Leiterwagen zur Stadt und überwachte die Knechte bei deren Verkauf. Seitdem die jetzige gnädigste Gräfin mit ihrem, oder besser dem Nesselbrook'schen Gelde nach Edern gekommen, ist das alles anders geworden; ihre Schätze haben die morsche Herrlichkeit des Hauses neu aufgerichtet, und ein anderes Panier flattert heute von den Zinnen von Haus Edern.

Mir, sagte Dankmar lächelnd, kommt diese stolze Dame stets wie die Norne des Feudalismus vor. Wie eine Norne sitzt sie da und spendet aus ihrem Borne der Weisheit. Wer einen Zaubertrank aus dem Urdarbrunnen will, der muß ihr geben, was einst die Nornen unter der Welteiche Igdrasil verlangten und selbst Odin darbringen mußte, ein Auge – er muß zur Hälfte wenigstens blind werden – für das Licht unserer Zeit!

Ihrem Gatten, dem ehrlichen Grafen Achatz, fiel der geistliche Herr mit seinem Augenblinzeln ein, hat sie eigentlich beide genommen. Er sieht gar nicht mehr, was um ihn vorgeht …

Ohne aus dem Borne der Weisheit darum mehr bekommen zu haben, bemerkte Dankmar.

Desto besser für ihn, daß er eine so gescheite Frau hat und einen so thätigen Sohn wie Boto, sagte Hermine.

Dankmar zuckte schweigend die Achseln.

All dieses Treiben und Ringen und Mühen um Reichthum, Einfluß, Macht und Erhöhung ist doch klein und unwürdig, erwiderte er. Große Naturen haben nicht diese Art des Ehrgeizes!

Große Naturen haben auch ihren Hochmuth, versetzte Hermine. Es kommt darauf an, welcher Ehrgeiz die wirksamste Triebfeder zu großen Leistungen und wohltätigem Schaffen ist.

Und was schafft all dieses feudale und unfeudale Streben? fragte Dankmar.

Nun, Sie müssen doch einräumen, daß Prinz Benno mit seiner wandelnden Besserungsanstalt für gefallene Standesgenossen wenigstens eine große, wohlthätige Leistung ist, sagte der geistliche Herr kaustisch.

Die beiden Geschwister lachten, und ihr Gespräch ging dann von den Angelegenheiten anderer zu den eigenen über. Und über die eigenen war manches zu sprechen: Bruder und Schwester standen verwaist in der Welt, ihre Aeltern waren beide todt; der Vater, welcher, wie wir schon aus dem Munde Herrn Böhmer's hörten, Präsident einer Behörde im Staatsdienste gewesen, war gestorben, ohne ihnen ein Vermögen zu hinterlassen außer dem kleinen, vernachlässigten Stammgute Gohr.

Dankmar hatte nach dem Willen des Vaters sich ebenfalls für den Staatsdienst bestimmt und die ersten Stadien desselben durchlaufen, aber mit tiefem, innerlichem Widerstreben wider den Dienst als Rad im großen Maschinenraume, in welchem die Regierung so viel unsichere Werthe producirt … Er hatte sich freigemacht und ohne Ehrgeiz, wie er sich sagte, sich mit der Schwester auf seine kleine Hufe Landes zurückgezogen, um dort seinen Kohl zu bauen, seiner Schwester, sich selbst und seinen Gedanken zu leben.

Nur der geistliche Herr war ihnen gefolgt; er war Dankmar's Erzieher gewesen und dann eine Zeit lang bischöflicher Rath, und dann war er, weil die neue, schärfere und schroffere Richtung der Zeit die milden, duldsamen und nach »Freigeisterei« schmeckenden Anschauungen des alten Mannes nicht vertrug und als unzuverlässiges Element beseitigte, in das Haus des Präsidenten zurückgekehrt, um nun endlich seine kleine Pension im Frieden und im gemüthlichen Stilleben bei seinen Zöglingen zu verzehren. Er ließ sich jetzt von Dankmar erziehen, sagte er; er ließ sich von ihm zu seinem Wirthschaftsinspector ausbilden; Dankmar verstand von der Oekonomie auch nichts, meinte er, aber desto mehr sei er berufen, faßlich und ganz vorurtheilslos darüber zu belehren.

Als es zu dämmern begann, kamen ein paar Knechte von der Arbeit zurück. Dankmar ging zu ihnen, um mit ihnen zu reden. Hermine holte sich ein Tuch aus dem Innern des Hauses und dann ging sie nach dem Thurme in der Ecke des Hofs, stieg die Stufen zum Wasser nieder und kettete den Kahn los. Als sie hineingestiegen, ließ sie das Schifflein ruhig von den Wellen des Flüßchens stromabwärts treiben.

Nach einer Weile kam Dankmar von dem Oekonomiegebäude her zurück, und da er seine Schwester vermißte, schaute er sich nach ihr um. Er entdeckte sie nach einer Weile schon eine gute Strecke weit unterhalb des Hauses, in ihrem Kahne dahingleitend; nur der Kopf und ihre Schulter waren sichtbar über dem niedern Wiesenufer.

Er rief und winkte mit seinem Tuche, damit sie zurückkomme und ihn mitnehme auf ihrer Fahrt, aber sie schien ihn nicht zu bemerken, nicht zu hören; der Kahn glitt voran und verlor sich im Schatten des Waldes, der eine kurze Strecke weiter seine breiten Laubäste über das Gewässer streckte.

Hermine hat seit einiger Zeit eine seltsame Neigung für einsame, abendliche Wasserfahrten, sagte Dankmar zu dem Rathe, indem er zu diesem durch die Glasthür ins Wohnzimmer trat.

Lassen Sie sie lernen, ihr Schifflein allein zu führen; man kann's nicht früh genug im Leben! versetzte der geistliche Herr.

 

Wir wollen Hermine von Gohr auf ihrer Fahrt nicht folgen, sondern sie allein lassen, wie sie unter den grünen Gewölben der Wipfel ihren Kahn auf dem sacht strömenden Wasser dahingleiten läßt, an Schilf und Röhricht, an blühenden weißen Seerosen vorüber, die Ruder leise in die Flut tauchend, um die Amsel nicht zu stören, welche ihr Abendlied im Bude am Ufer singt.

Wir haben in raschem Scenenwechsel die Gestalten, von deren Schicksalen diese Blätter berichten werden, die Umgebungen, in welchen sie leben, und die Interessen, von denen sie im Augenblick in Anspruch genommen sind, kennen gelernt, und es wird Zeit, daß wir uns denjenigen unserer neuen Bekannten zuwenden, welche uns zunächst beschäftigen müssen.


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