Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Buch.

Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand.

Goethe.


Erstes Kapitel.
Eine heidnische Göttin

Ein junger Mann in einem weißen Arbeitskittel, mit üppigen braunen Locken, die fast bis auf die Schultern fielen und ein frisches, höchst einnehmendes Gesicht beschatteten, stand in dem Hofe eines kleinen, ein wenig verkommen und hinfällig aussehenden Hauses. Es lag in einer Gegend der Stadt, welche vor wenigen Jahren noch eine Art von Vorstadt gebildet hatte zwischen lauter großen und stattlichen Neubauten; gewiß war der dürftige kleine Bau von seinem Eigenthümer verurtheilt, auch einmal einem solchen glänzendern, aber ungemüthlichern Speculationsbaue zu weichen, und bis der Tag dieses Verhängnisses gekommen, wurde der Zeit überlassen, den Abbrucharbeitern ihre Aufgabe zu erleichtern.

Um das kleine einstöckige Haus war es nicht schade; aber es war schade um den hübschen Hof dahinter, in den so hell und warm die Nachmittagssonne eines Frühsommertags schien, wenn er ebenfalls dem Industrialismus der Gegenwart und seinem Attribut, dem frischen Ziegelsteine, hätte weichen müssen.

Eine hohe Mauer umgab diesen Hof nach drei Seiten; die vierte bildete die Rückseite des Hauses. Wenn man aus der eben offen stehenden und den Einblick in eine Bildhauerwerkstätte gewährenden Thür an dieser Rückseite auf den Hof trat, hatte man zur Linken einen vorn offenen Schuppen, unter dem allerlei angefangene oder halbvollendete Steinhauerarbeiten standen.

Die Mauer gegenüber und die zur Rechten waren mit wilden Weinreben dicht überkleidet; an ihren überwuchernden Ranken hatte sich ein Gärtnermesser noch weniger zu schaffen gemacht wie eine Friseurscheere an den dunkeln Locken des jungen Mannes, der in diesem Raume waltete.

In dem Winkel, welchen diese laubbedeckten Mauern bildeten, zeigte sich eine alte Brunnenvorrichtung, ein aus der Wand vortretender Löwenrachen, der einst Wasser in eine darunter befindliche geräumige Sandsteinschale gespien hatte; am Boden unten war eine noch größere Schale angebracht, um das überströmende Wasser aus der höhern aufzunehmen.

Das alles aber war bestaubt, bemoost, zerbröckelt; der Löwenrachen war jetzt seit Jahren schon so trocken, wie ein vor Durst lechzender Löwenrachen in der Wüste es nur sein kann; der den kleinen Hof zur Hälfte füllende Rasenfleck war ebenfalls trocken, und die paar Blumenbeete, die, auf demselben angebracht, einige Büsche von Phlox und immergrünen Astern und Stockrosen zeigten, waren so verkümmert und staubbedeckt, daß sie in derselben Wüste, und wäre sie die Sahara gewesen, sich kaum übler hätten befinden können.

Der junge Mann stand mit der Stirn an ein kleines Eisengitter gelehnt, das eine fast ganz von Ranken überhangene viereckige Oeffnung in der Mauer zur Rechten verschloß und einen Einblick in den Nachbargarten erlaubte. Vielleicht machte er da Studien, wie man einen Rasen in Ordnung hält und seinen Blumen die gehörige Pflege gewährt.

Denn gepflegt und wohlgehalten und geschmückt war dieser Nachbargarten, der, zehnmal größer als der kleine Hof, eine schöne, saubere englische Anlage zeigte – Rasen wie Sammt, ausländische Bäume und Gesträuche, fein geharkte Pfade und allerlei Schmuckwerk, kleine aus Tuffstein künstlich zusammengesetzte Felsenpartien, auf deren Vorsprüngen Töpfchen mit Schlingkräutern standen, Vasen aus gebranntem Thon, dick mit weißer Oelfarbe überstrichene Kinderfiguren, welche die vier Jahreszeiten darstellten, und winzige Bassins mit winzigen Springbrünnlein und kleinen Goldfischen darin.

Gewiß, sie war sehr reizend und sehr niedlich, diese ganze Ziergärtnerei – der junge Mann aber schien nicht mit ihr beschäftigt. Seine Blicke hafteten auf etwas noch Zierlicherm, noch Blühenderm und vielleicht nicht weniger Kokettem als diese geputzte Gartennatur.

An der Rückseite des stattlichen Hauses, zu welchem der Nachbargarten gehörte, stand ein Fenster im obern Stocke auf, und in diesem Fenster stand ein junges Mädchen, welches damit beschäftigt war, mit einer Hand den Knoten ihres blonden Haares zu lösen, während ihre andere Hand einen kleinen Spiegel hielt, in dem sie sich während dieser Operation betrachtete, von Zeit zu Zeit den Kopf wendend und nach der Maueröffnung hinüberschauend, hinter der sie, wie es schien, den Lauscher erkannte trotz des Eisengitters und des Laubvorhanges; in der That, sie erkannte ihn, denn sie nickte jetzt und schüttelte den Kopf mit den nun lang herunterhängenden Haarflechten und nickte dann wieder, machte ein Zeichen mit der Hand und verschwand vom Fenster.

Auch der junge Bildhauer trat von seinem Späherposten zurück; er ging zu einer kleinen, alten Thür, welche da, wo die Rückseite seines Hauses an die Hofmauer stieß, in dieser letztern angebracht war, zog einen Schlüssel hervor und öffnete sie möglichst geräuschlos; an der Seite des Nachbargartens standen dichte Gebüsche und Strauchwerk davor; unten auf dem Boden lagen allerlei Scherben – die Thür war offenbar seit Jahren nicht mehr für den Gebrauch bestimmt gewesen.

Doch standen da unten in dem weichen, feuchten Erdreiche zwischen den Scherben zahlreiche Eindrücke eines schmalen, zierlichen Fußes, und einige Nesseln waren zertreten und frische Blätter lagen abgerissen am Boden; auch bewegten sich nach wenigen Minuten die Gesträuche, und das junge Mädchen tauchte dazwischen auf und schmiegte sich durch das Grün, daß sie aussah wie Daphne im Lorberstrauche.

Hoch aufathmend, einige Blätter und Blüten in ihrem Haar und auf den Achseln tragend, kam sie über die Schwelle der Thür. Der junge Mann schloß rasch und behutsam die alte Thür wieder, und dann sich zu dem Mädchen wendend, wollte er sie umschlingen, aber die Daphnenatur, schien es, verließ sie nicht, sie hatte sich ihm im Augenblick entwunden und sagte lächelnd:

Was haben Sie mir versprochen, Ludwig? Erst den Schlüssel!

Trauen Sie mir so wenig, Helene? Da ist der Schlüssel.

Sie nahm ihn und antwortete spöttisch: Trauen – dem Herrn Ludwig – einem solchen langlockigen Künstlerjüngling, einem solchen abscheulichen Heiden trauen – ich traue ihm gar nicht, daß er's nur weiß! Und den Schlüssel muß ich haben, um jeden Augenblick wieder auf- und davongehen zu können, wenn mir einfallen sollte, daß es eigentlich doch recht sündhaft ist, was ich thue! Machen Sie sich nur gleich an die Arbeit, Ludwig, denn ich stehe Ihnen nicht gut dafür, daß es mir nicht sehr bald einfällt!

Das ist recht, sagte Ludwig, für ihre Einfälle steht eine so gescheite kleine Libelle nicht Bürge.

Libelle – was das wieder für ein Ausdruck ist!

Gibt es etwas, was flatterhafter ist und mehr – schillert?

Ich flattere gar nicht, ich werde sogleich eine äußerst gesetzte Person sein, und ich schillere auch nicht, höchstens mein Teint so ein wenig zwischen Lilien und Rosen, worüber Sie aber in Ekstase sein sollten, statt sich über mich lustig zu machen, undankbarer, Mensch, Sie!

Damit lief sie davon, der Ecke des Hofes zu, wo sich das Brunnenwerk befand, und schwang sich mit anmuthiger Leichtigkeit auf die obere Sandsteinschale: hier setzte sie sich so, daß die Spitze ihres linken Fußes auf dem Rande der untern Schale ruhte, während der rechte Fuß in die Höhe gezogen war – sie nahm die Stellung einer Dame zu Pferde auf ihrer Brunnenschale an, nur senkte sie den Kopf und legte die Hände lässig in den Schos.

Ist's so recht, junger Canova? sagte sie dabei – sagen Sie mir's nur, ob es recht ist, und lassen Sie Ihre abscheulichen, thonfeuchten Hände von mir fort, hören Sie wol!

Der junge Canova schien nicht zu hören; er machte sich im Gegentheil eifrig mit den Falten ihres weißen Kleides, die er zurechtlegte, zu schaffen, und dann erfaßte er den Unterarm des jungen Mädchens und gab ihm wie den beiden Händen eine veränderte Stellung.

So, sagte er dann, und jetzt müssen Sie die Arme und Hände recht stillhalten, ich werde gleich dabei beginnen.

Sie sah ihn, regungslos dasitzend, von der Seite an, dann fuhr plötzlich der linke Arm mit souveräner Verachtung dieses Gebots aus seiner kunstgerechten Stellung. Der Rücken der Hand führte einen raschen Schlag dem Künstler an seinen Lockenkopf, und ohne eine Miene zu verziehen, saß das junge Mädchen im nächsten Augenblick wieder regungslos da.

Was hat mein armer Kopf verbrochen, daß Sie ihn schlagen, Helene?

Ich wollte nur sehen, wie hart er sei.

Das sollen Sie nicht, antwortete der Bildhauer; mein Kopf geht Sie nichts an, Ihnen gehört nur mein Herz!

Dabei strich er ruhig seine Locken zurück.

Darum eben muß er gestraft werden, weil er einen andern Weg wie das Herz geht, lachte das junge Mädchen.

Das ist nicht wahr, er geht denselben Weg, nur freiwillig, während das Herz es gezwungen thut im Zauberbann Ihrer Reize, Helene:

Alle meine Gedanken sie sind bei dir, mein Kind!

Ich glaub's, solange ich hier vor Ihnen sitze und so gutmüthig bin, Ihnen als Modell zu dienen.

Nein, immer und nun sitzen Sie still und bringen die Falten nicht wieder aus dem plastischen Wurf, in den ich sie mühsam gebracht habe, sagte der junge Mann, der eben ihren Rock in die rechte Lage gebracht zu haben glaubte.

Er trat zurück und prüfte die ganze Gestalt – sie war in der That plastisch und reizend genug; sie war schlank und zierlich in allen Linien, voll Anmuth der gesenkte Kopf mit der Stirn, die vorgewölbt war wie die eines Kindes, mit der feinen, ein wenig gebogenen Nase und den geschwellten Lippen eines völlig regelmäßig gezeichneten Mundes – ein Bildhauer konnte sich kein besseres Modell für die Skizze einer am Brunnenrande sitzenden Undine wünschen als dieses junge Mädchen in dem schlichten weißen Kleide.

Nun holen Sie Ihren Thon herbei und beginnen zu kneten, sagte Helene – Sie abscheulicher Mensch, Sie!

Weshalb bin ich denn so abscheulich heute? lachte Ludwig, aus dem Schuppen ein Gestell mit einer Drehscheibe und einem verhüllten Gegenstande darauf herbeiholend.

Weil Sie mich zu einer heidnischen Göttin machen – ist das nicht abscheulich? Konnten Sie nicht einen betenden Engel aus mir machen oder irgendeine Heilige oder so etwas? Das hätte meinen frommen Nönnchen gefallen und dem Papa auch, und dann brauchte ich wol gar nicht so heimlich zu Ihnen zu schlüpfen durch die garstige alte Thür mit den Sträuchern davor; der Papa käme am Ende gar selber mit und hälfe Ihnen, denn der Papa kann alles, just alles – und wäre das nicht besser?

Ich kann Sie ja nächstens auch als Engel modelliren, und dann als Puck, und dann als kleine Teufelin – steckt das nicht alles in Ihnen? Was aber den Papa angeht, so ist es doch besser, daß er über Land gefahren ist, nicht wahr?

Sie nickte dreimal feierlich mit dem Haupte, wie es der steinerne Comthur auf seinem Pferde in der Oper macht.

Und weshalb sagen Sie, ich machte eine heidnische Göttin aus Ihnen? fuhr der Bildhauer fort, der unterdeß ein nasses Tuch von der Drehscheibe genommen hatte und nun an der darunter zum Vorschein gekommenen halbvollendeten Gestalt zu kneten begann. Eine Undine ist keine heidnische Göttin – haben Ihre Nönnchen Sie das nicht gelehrt? Und zur Göttin habe ich Sie nur in meinem Herzen gemacht, und wenn Sie eine kleine Heidin sind, die ihre guten Nönnchen foppt, daß sie darüber verzweifeln möchten, so ist das nicht meine Schuld; und daß Sie die Göttin in meinem Herzen sind, ist auch nicht meine Schuld, das thut blos, weil ich Sie so hinreißend hübsch, verführerisch, liebenswürdig, bezaubernd, berückend, kokett und so grenzenlos übermüthig …

Wollen Sie aufhören, Sie nichtsnutziger Bildhauer? Kann man heutzutage nicht mehr mit solch einem jungen Menschen Nachbarskind sein und ihm nicht mehr erlauben, sich einen neuen Schlüssel zu einer versteckten alten Thür machen zu lassen und einem zuweilen, wenn der Mond scheint und der Abend warm ist, einen kleinen Höflichkeitsbesuch abzustatten, ohne daß er sich berechtigt glaubt, einem Liebeserklärungen zu machen? Es ist kein Anstand und keine Zucht mehr in der Welt, sagt Schwester Agnes. Ich bin da gar nicht Ihre Göttin, ich will Ihre Göttin nicht sein, ich hasse Götter!

Ach, und ich, ich habe die Götter so nöthig!

Nöthig, wozu? fragte das junge Mädchen.

Ich habe die Götter nöthig, weil sie schön sind. Weil sich in ihren Bildern die ganze Herrlichkeit der unverhüllten, reinen, schönen Menschengestalt darstellt; die wundervollen, ungebrochenen Linien …

Sie, Ludwig! unterbrach ihn Helene.

Was ist?

Denken Sie auch daran, daß ich den Schlüssel habe?

Ich denke daran, Bösewicht!

Dann hören Sie auf von Ihren Göttern!

Weshalb? Sie wissen viel zu gut, wie reizend und anbetungswürdig Sie aussehen, wenn Sie mit Ihren losgelösten Flechten, Ihrem feinen Profilkopfe so in der schönsten Beleuchtung dasitzen – Sie laufen mir jetzt nicht fort!

Nein, dieses Scheusal, dieses Ungeheuer von einem Bildhauer! rief Helene zornig aus. Das will ich Ihnen zeigen!

Sie rührte sich jedoch in ihrer Stellung nicht. Ludwig lachte.

Wenn ich von meinen Götteridealen nur einmal eins, nur eins ausführen könnte! fuhr er dann fort. Davon wissen Sie nichts, Helene, aber glauben Sie mir, es ist eine unselige Qual, solche Bilder freier Schönheit in der Seele zu tragen und um des jämmerlichen lieben Brotes willen verdammt zu sein, immer nur die steifen Ausgeburten kirchlich-kindischer Stilistik, alle nach einer und derselben Schablone, arbeiten zu müssen, ein Künstler zu sein und gebunden an die kanonische Regel. Sanct-Joseph muß eine fahle Glatze haben und Sanct-Nepomuk eine viereckige Haube! Da ist keine Freiheit der Gestaltung, kein Individualisiren, kein Schönheitsgesetz; erst muß man ein Mönch werden und einen ascetischen Gedanken höher stellen lernen als die Schulterlinie der Venus von Melos!

Davon verstehe ich freilich nichts, von solchem Elend, lachte Helene auf. Sie sind ein wunderlicher Mensch, Ludwig. Da Sie nur solche Bestellungen bekommen, so hauen Sie den Leuten doch aus, was nach der Leute Geschmack ist – können Sie denn dabei nicht glücklich sein, da Sie doch …

Da ich doch?

Sie erhob leise ihre Hand und winkte ihn mit dem Zeigefinger herbei.

Was wollen Sie, Helene?

Sie saß unverrückt still, winkte ihn aber wiederholt mit dem Zeigefinger zu sich heran.

Ludwig verließ seine Arbeit und trat zu ihr.

Jetzt legte sie die Hand auf seinen Kopf, drückte diesen näher an sich und flüsterte ihm ganz leise ins Ohr: Da doch der Schlüssel da ist!

Er wollte seinen Arm um ihre Schulter legen und sie umschlingen, aber sie schob ihn fort und sagte mit der ernstesten Miene von der Welt:

Jetzt arbeiten Sie weiter, weiter, die Zeit vergeht! Wir müssen fleißig sein, fleißig, furchtbar fleißig; Sie müssen reich werden, Ludwig, und wenn Sie Ihren Heiligen nur erst ein Zehntel von dem abgewonnen haben, was mein kluger Papa aus allem, was mit den Heiligen zusammenhängt, herausschlägt, so treten Sie stolz vor ihn hin und werben feierlich um meine Hand! Es ist möglich, daß er Sie dann noch immer zur Thür hinauswirft – aber das thut nichts, Sie armer Kunstjünger, Sie, das thut nichts, denn dann …

Sie winkte ihn wieder herbei, gerade wie eben.

Hören Sie, Ludwig!

Er gehorchte diesmal rascher dem Winke.

Dann flüsterte sie, sich jetzt mit dem Arme auf seine Schulter stemmend und zu ihm niederbeugend:

Dann geh' ich mit Ihnen zur Thür hinaus! Unartiger Mensch, rief sie gleich darauf lachend., als er sie wieder umarmen wollte, Sie zerren mich ja von meinem Sitze herab – da, die Hand dürfen Sie mir küssen – und nun gehen Sie fort – hören Sie nicht, fort sollen Sie gehen!

Aber sie kam doch aus dem kunstgerechten Sitze, und eine kleine Weile dauerte es, bis sie wieder saß wie früher, bis Ludwig aufs neue allen Falten ihres Kleides die rechte Lage gegeben. Und als er dann wieder an der Arbeit war, sagte sie:

Nun wollen wir recht vernünftig reden. Hat Ihre Mama Ihnen den geheimnißvollen Brief gezeigt?

Ludwig nickte mit dem Kopfe.

Gezeigt hat sie mir ihn schon öfter, versetzte er.

Wenn Sie meinem Papa nur das Siegel zeigen könnten, der würde gleich sagen, von wem er ist, er kennt alle Siegel. Konnten Sie nicht ein wenig seitwärts hineinschielen?

Nicht möglich, es ist ein großes Couvert umher.

So müssen wir uns also noch die sechs oder acht Wochen gedulden, bis Sie ihn überbringen dürfen und er eröffnet wird, sagte das junge Mädchen mit einem Seufzer. – Wissen Sie, daß ich ganz furchtbar neugierig auf den Inhalt bin? plauderte sie dann weiter. Ganz entsetzlich! Ich habe die Ahnung, daß darin steht, Sie seien eigentlich ein verwunschener Prinz, und man solle Ihnen jetzt alle Ihre Schätze geben, Ihre Schlösser und Ihre Reiche. Werden Sie dann nicht stolz werden, Ludwig, und dann noch an Ihre Undine denken? Ach, ganz gewiß nicht! Sie werden gewiß Ihrer alten Bildhauerbude da einen Fußtritt geben, daß sie einstürzt. Ich sehe Sie schon mit vier Pferden fahren, den Jäger mit einem großen Federbusche auf dem Bocke neben dem gepuderten Kutscher, den Bedienten hintenauf –, und wie der Prinz gnädig und huldvoll der kleinen Helene zunickt, an der er vorüberfährt – er kennt sie wirklich noch, der gute, liebe Prinz – er nickt ihr mit einer bezaubernden Freundlichkeit zu – wie hübsch ist es von ihm, ihr zu zeigen, daß er sich ihrer noch lebhaft erinnert – er hat ein gar so gutes Herz, und alle Welt schwärmt für den schönen, süßen, braungelockten Prinzen!

Sie sind ein Kind, ein rechtes Kind! rief der Bildhauer geärgert aus, während Helene laut auflachte. Und wenn Sie sich nicht bessern, wissen Sie, was ich dann thue?

Nun – was werden Sie thun? Thun Sie es gehen lieber gleich, denn fürs erste liegt es nicht in meiner Absicht, mich zu bessern, daß Sie's nur wissen – ich bin für Sie schon viel, viel zu gut, Sie abscheulicher Bildhauer, Sie!

Wohl denn – so werde ich es gleich thun, das heißt, wenn wir erst Juli haben, und wenn ich dann meinen Brief abgegeben habe, und wenn dann, wie die Mutter sagt, auf immer für mich gesorgt ist. Dann werde ich das erste Geld, welches man mir gibt, in zwei Theile theilen; den einen werde ich meiner Mutter geben und mit dem andern werde ich fortgehen, in die Welt, in den Süden, ins Land der Kunst!

Und da werden Sie sich eine andere heidnische Göttin suchen?

Nur heidnische Götter und Göttinnen!

Versuchen Sie's einmal!

Sie sollen sehen, daß ich's thue!

Sie werden es nicht übers Herz bringen!

Weshalb nicht?

Weil ich es nicht will!

Kümmert mich das?

Kümmern soll's Sie auch nicht, nein, freuen, es soll Sie ganz fürchterlich freuen, daß ich nicht will, daß Sie fortgehen, und aus Freude darüber sollen Sie hübsch still hier bleiben. So, jetzt bin ich von diesem langweiligen, unausstehlichen Sitzen müde. Sind Sie bald fertig?

Noch lange nicht – noch ein paar Augenblicke wenigstens müssen Sie sitzen bleiben, noch so lange, um mir zu erzählen, wer denn die schöne Dame war, mit welcher vorhin Ihr Vater davonfuhr, und wohin er mit ihr gereist ist.

Wer die schöne Dame war? Das rathen Sie nicht. Rathen Sie einmal.

Wie kann ich das? Ihr Vater kennt so viele Herren und Damen vom Adel.

Schien sie Ihnen eine Dame vom Adel?

Gewiß, sie hatte eine schöne, stolze Gestalt, sie könnte eine Prinzessin sein.

Zügeln Sie Ihre glühende Phantasie, schwärmerischer Kunstjüngling. Sie haben sie sich schon wol zu Ihrer Prinzessin ausgesucht für die Zeit, wo Sie sich als Prinz entpuppen? Da haben Sie falsch gerechnet. Zum Adel gehört sie freilich, aber nur als Anhang; sie ist nichts als eine Gouvernante!

Eine Gouvernante – die?

Nichts weiter. Eine vornehme Dame in Belgien hat sie als Gouvernante der Gräfin Edern empfohlen und diese den Vater gebeten, sich ihrer anzunehmen und sie nach Edern zu bringen; sie hat die Nacht bei uns gewohnt und ist gegen uns alle sehr liebenswürdig gewesen.

Helene warf bei diesen Worten ihre reizenden Lippen auf, sodaß sie einen noch entschiedenern Ausdruck von Spott annahmen, als im Tone ihrer Stimme lag.

Weshalb spotten Sie über diese Liebenswürdigkeit?

Weil sie so außerordentlich huldvoll und gnädig war. Die gute Person muß wol glauben, in den vornehmen Häusern, worin sie früher diente, sei sie mit der Vornehmheit angesteckt und müsse uns schüchternen Bürgersleuten nun zeigen, daß sie das gar nicht stolz gemacht habe.

Helene lachte wieder laut auf.

Sie sind boshaft – wenn Ihre frommen Nönnchen das hörten, welche scharfe Zunge Sie über solch ein armes Mädchen in dienender Stellung haben!

Armes Mädchen in dienender Stellung – gerade deshalb soll sie hübsch demüthig und kleinlaut sein; meine frommen Nönnchen würden das auch sagen, nichts anderes.

Ach, versetzte Ludwig unwillig, daß die es sagen würden, ist ganz möglich, aber ebendeshalb sollen Sie es nicht sagen. Sie ist nun einmal schön, sie ist sehr schön, und vielleicht ist sie auch sehr gescheit und sehr gebildet; weshalb soll sie denn nicht stolz sein und vornehm auftreten, wenn sie sich vornehm fühlt? Weshalb soll sie sich nicht geben, wie sie ist, sondern sich sagen: du bist eine arme Gouvernante, und deshalb mußt du den Leuten Demüthigkeit und Unterwürfigkeit vorgaukeln? Das wäre ja doch nur Heuchelei; wenn's ihr nun einmal nicht demüthig ums Herz ist?

Also sehr, sehr schön finden Sie sie? fragte Helene mit demselben Aufwerfen der Lippen wie vorhin. Nun, solch ein Künstler wie Sie muß sich darauf verstehen. Aber wo haben Sie sie denn so genau gesehen, daß Sie sich so rasch in sie verlieben konnten?

Ich stand am Fenster in unserm Wohnzimmer nach vorn hinaus und bewachte die Abfahrt Ihres Papas. Da habe ich sie gesehen und ihre schöne Gestalt bewundert. Aber verliebt habe ich mich nicht in sie, Sie böse Undine! Ich nehme nur ihre Partei, weil Sie sagen, daß sie arm und doch stolz ist. Das bin ich auch, stolz, fürchterlich stolz, damit Sie's nur wissen – und doch grenzenlos arm!

Stolz worauf? lachte Helene. Auf den Brief und Ihr Prinzenthum darin?

Sie haben unrecht, immer darüber zu spotten. Kann ich dafür, daß meine Mutter soviel Hoffnungen auf den Brief setzt? Ich denke wenig daran. Ich habe nicht gelernt, an Glück zu glauben, und ich habe nichts als das Vorgefühl einer großen Täuschung bei dieser ganzen Geschichte! Einigen Menschen geht es immer gut und andern immer schlimm, und wer einmal drinsitzt im Schlimmgehen, dem hilft auch ein alter Brief, den die Mama in ihrem Eckschränkchen verwahrt, nicht. Zu einem Künstler kommt alles: die Begeisterung, die Sehnsucht, die Muse, die Undinen sogar, nur das Glück nicht.

Während Ludwig, über seine Arbeit gebückt, so sprach, war Helene mit Blitzesschnelle von ihrem Sitze heruntergeglitten und stand im nächsten Augenblicke hinter dem jungen Manne. Sie faßte diesen an beiden Schultern, schüttelte ihn, so stark sie mit ihren mädchenhaften Armen konnte, und dann gab sie ihm rechts und links Schläge an seinen dunkeln Lockenkopf.

Abscheulicher, undankbarer, ruchloser, falscher, schlechter, dummer Jüngling, Sie! rief sie aus, während er sie umschlang und sie festzuhalten suchte. Jetzt werde ich gleich gehen und nie wiederkommen!

Sie hörte plötzlich auf, mit ihm zu ringen, sie schloß die Augen und ließ sich wie leblos fallen, sodaß er sie auffangen mußte und sie im nächsten Augenblicke wie todt an seiner Brust und Schulter ruhte. Er küßte sie auf die Stirn, aber sie rührte sich nicht.

Laß mich dein Auge sehen, Undine!

Sie rührte sich nicht.

Bist du todt?

Sie war stumm, regungslos.

Sprich, Helene, sieh mich an!

Keine Antwort. Er küßte sie wieder auf die Stirn.

Auch das belebte sie nicht.

So sprich doch, du ängstigst mich!

Aber sie sprach nicht, sie regte und rührte sich nicht, bis es Ludwig wirklich unheimlich wurde. – Was war ihr? Sie war doch nicht am Ende ohnmächtig – was hatte sie?

Endlich öffnete sie leise das Auge, erst ein wenig, dann halb, dann ganz, und dann blickte sie ihn mit einem Ausdrucke von voller Innigkeit und Hingabe an, und dann fuhr sie, wie von Federkraft aufgeschnellt, aus ihrer ruhenden Stellung auf und warf sich stürmisch an seine Brust und schüttelte ihn, als wolle sie ihn zerbrechen.


 << zurück weiter >>