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Zweites Kapitel.
Ein Geschäftsmann

Während die Tochter so in der Abwesenheit des Vaters auf und neben dem trockenen Brunnen in Ludwig's Arbeitshofe die neckende Undine machte, fuhr, wie wir vernommen haben, der Vater des jungen Mädchens mit einer fremden Dame über Land. Sie waren jetzt schon stundenweit von der Stadt, denn ein gutes, lebhaftes Pferd trabte mit dem leichten Gefährt, in dem die beiden Reisenden saßen, über eine wohlgehaltene Chaussee rasch dahin.

Der Mann, der mit untergeschlagenen Armen in einen eleganten Ueberzieher eingeknöpft in der einen Wagenecke zurückgelehnt saß, war keine Erscheinung, welche etwaigen künftigen Bewerbungen eines lockenhäuptigen Kunstjüngers um die Hand seiner Tochter viel Gutes versprach. Er hatte ein rothwangiges Gesicht, ein enorm großes, festes Kinn, derbe, aber sehr bewegliche Züge und ein großes, braunes, unruhig bewegtes Auge, das von Zeit zu Zeit wie hastig prüfend das geradeaus die Chaussee hinabblickende Antlitz seiner Reisegefährtin überflog.

Er mochte beschäftigt sein mit dieser seiner Reisegefährtin. Eine auffallende Erscheinung war sie. Schon deshalb, weil sie in der That ganz so schön war, wie Ludwig es gesagt hatte. Sie war schön für ein Künstlerauge, das sofort von dem ganzen Adel dieser regelmäßig und fein gebildeten Züge betroffen wurde und Linien darin fand, wie sie bei den Frauenköpfen der Alten häufiger sind als bei den unsern. Ueber dem ganzen Antlitze ruhte ein gleichmäßig warmer, zarter Farbenton, der auf den Wangen sich nur um ein Geringes mehr geröthet zeigte. Ihr Auge war blau, von einer weichen, feuchten Bläue, die freilich nicht ganz mit dem strengern Charakter des übrigen Ausdrucks in Einklang stand. Ihr Anzug war einfach.

Sie trug ein braunes Kleid von leichter Seide, ein Säckchen von schwarzem Tuche ohne Besatz darüber, und einen einfachen grauen Strohhut mit grauer Feder und blauem Schleier. Ein wollenes Tuch lag halb über ihre Schulter. Vor ihr auf dem Rücksitze stand eine elegante, mit grünen Maroquin überzogene Kassette.

Man kam über eine lange, schwarz und weiß angestrichene Holzbrücke; jenseit des kleinen Flusses bog ein Weg rechts von der Chaussee ab, und der Wagen schlug diesen Weg ein. Da man hier in Sandgleise gerieth und das Rasseln erstarb, wurde die Unterhaltung erleichtert.

Der Fluß da, sagte Helenens Vater, ist schon der, an welchem Haus Edern, Ihr Reiseziel, liegt. Wir fahren jetzt aufwärts; die Gegend bleibt immer dieselbe so ungefähr; Büsche und Kämpe und Bauergehöfte mit Hürdenzäunen; die großen Bauerhöfe sind fast alle neu gebaut oder durch Anbauten vergrößert; das Volk kommt in die Höhe, es werden »Oekonomen« daraus – Herr Böhmer sprach dieses Wort mit einer leise ironischen Betonung –; der Fluß ist aber noch viel kleiner bei Haus Edern. Er fließt da hinter dem Hause her, durch den kleinen Park, den die Gräfin angelegt hat; weiter aufwärts liegt dann noch ein anderes Gut, das Haus Gohr heißt.

Gehört es ebenfalls der Familie Edern? fragte die Gouvernante, die diesem Geplauder wie zerstreut zuhörte.

Nein, es ist nur eine kleine Besitzung; es wohnen die Kinder des frühern Regierungspräsidenten von Gohr darauf, ein Sohn und eine Tochter – der Mann hat ihnen weiter nichts hinterlassen – man weiß ja, wie es in so manchen dieser Familien zugeht – geringe Einnahmen und große Feste, Bälle, Diners – nun müssen die Kinder sich auf dem kleinen verfallenen Besitzthume behelfen. Der Sohn ist ein talentvoller junger Mensch – aber das ist nicht genug – was hilft mir das Talent, wenn ich's nicht gebrauche? Arbeit ist die Hauptsache, das beste Talent ist Betriebsamkeit, liebes Fräulein. Da lob' ich mir den Grafen Boto Edern, den Stammherrn der gräflichen Familie – das ist ein junger Mann, der es zu etwas bringen wird; der ist betriebsam – hat den Kopf voller Plane – ich habe mit ihm über die Stiftung einer Bank in unserer Stadt zu reden – er hat Dampfmühlen angelegt, welche einen bedeutenden Reinertrag versprechen, ganz bedeutend …

Wird der Adel auch in dieser Gegend so industriell? fragte die junge Dame.

Weshalb sollte er nicht? Die Herren vom Adel haben sich in ältern Zeiten vielleicht auf eine sauerere Weise bereichert – weshalb sollten sie's nicht jetzt, wo's leichter geworden ist?

Muß denn alle Welt arbeiten, sich zu bereichern? sagte die junge Dame lächelnd, wie versucht, Herrn Böhmer ein wenig irre an seinen Grundsätzen zu machen.

Gewiß, nur die Arbeit adelt, rief Herr Böhmer emphatisch.

Ist das wirklich wahr? Sind die großen Faulenzer der Geschichte, die großen Müßiggänger der Poesie, Diogenes in seiner Tonne, der Scheikh, der im Schatten seiner Dattelpalme ruht, oder König René, der in seinem glücklichen kleinen Reiche für Feste und für seinen Dichterhof lebt, nicht adelig?

Herr Böhmer sah sie verwundert an. Liebes Fräulein, sagte er, wir leben in einer christlichen Zeit …

Gewiß, darum scheint mir, man sollte nicht so unbedingt die Arbeit adeln, die nur Reichthum erwerben will, um ihn auf Zinsen zu legen; man sollte nicht so industriell sogar die Kirche nur als eine Assecuranzgesellschaft, die uns gegen die gewissenhafte Erfüllung bestimmter Bedingungen die ewige Seligkeit garantirt, betrachten!

Aber ich bitte Sie, Fräulein, wo sind Ihnen denn solche Gedanken gekommen?

In dem Lande, das ich eben verlassen habe, mit der Vorstellung, ich würde hier in einem andern leben, wo die Menschen noch altfränkischer, das heißt unabhängiger in ihrem Denken und Wesen wären. Patriarchalischer nennt man es auch. Man rühmt es diesem Lande ja nach: Guter Brauch und alte schöne Sitte sollen ihm ein besonderes Gepräge geben. Ist das nicht so?

Nun, es ist manches wahr daran, obwol ich Ihnen gestehen muß, ich habe es öfter sagen hören, als selber wahrgenommen. Unsereins, wissen Sie, hat nicht viel Zeit, an das Allgemeine zu denken, weil er mit dem Einzelnen zu schaffen hat …

Bei uns, fuhr die Gouvernante fort, sind die Leidenschaften freier, aber die Gedanken gebundener. Die Menschen haben mehr Antworten als Fragen … Wer noch Fragen hat, der scheint ihnen keine Religion zu haben. Sie haben das Geld der Religion zu Münzen ausgeprägt und verlangen gleichen Curswerth für dieselben bei jedem! In Deutschland, denk ich, ist das anders. Andere Lebensformen lassen da jeden unabhängiger seinen Weg gehen, seiner besondern Art und seiner individuellen Natur nach.

Der Reisebegleiter des jungen Mädchens sah dieses wieder überrascht an und fragte dann:

Wie verstehen Sie das, liebes Fräulein? Ich meine, man ist dort drüben doch auch rechtschaffen religiös?

Der heilige Augustinus, versetzte das junge Mädchen lächelnd und offenbar ergötzt an seinem Erstaunen über ihre Reden, sagt: »Einige erschleichen sich den Himmel, einige erkaufen sich ihn, einige reißen ihn mit Gewalt an sich und einige reißt der Himmel mit Gewalt an sich!« Wenn er unsere französische Welt gekannt, würde er hinzugesetzt haben: »Eine große Menge aber glaubt sich ihn erkokettiren zu können!« – Sie kokettirt mit dem lieben Herrgott und all seinen Heiligen.

Herr Böhmer lächelte gezwungen; die Aeußerung des jungen Mädchens schien nicht seinen Beifall zu finden.

Nun ja, sagte er nach einer Weile, jeder hat seine Art und Manier. Frömmigkeit ist immer das Maß dessen, was der Mensch werth ist, und wenn er dabei zierlicher und mit glätterm Scheitel seine Devotion verrichtet als die alten, robusten Tugendhelden und Weltüberwinder in der Wüste, was schadet's? Ein junges Mädchen sollte daran keine Kritik üben. Es ist am besten, wenn sie sich in die Formen schickt, von denen sie sich umgeben sieht. Sie wollen andere Lebensformen finden? Mein liebes Fräulein, das lautet mir etwas überspannt, wenn Sie's nicht übel nehmen. Auch nicht ganz religiös, denn sonst würden Sie denken: unter den Lebensformen, unter denen Gott mir meinen Beruf gibt, muß ich nun einmal meine Seligkeit suchen. Andere suchen, darin liegt ein krankhafter Wunsch nach Unabhängigkeit.

Ist der Wunsch nach Unabhängigkeit denn immer krankhaft?

Für ein Frauenzimmer, ja.

Wenn er unbedingt ist, mag er unweiblich sein, versetzte die Gouvernante. Ich meine, das Schwierige dabei ist nur, das rechte Maß darin zu finden, in der Abhängigkeit sich so viel Freiheit zu bewahren, wie es nöthig ist, daß unser eigenstes Wesen sich entwickeln, sich behaupten und nach seiner eigenen Natur gut und tüchtig werden kann.

Das sind nicht meine Grundsätze, sagte Herr Böhmer gar nicht meine Grundsätze. Ich habe eine erwachsene Tochter, die nach ganz andern erzogen ist im Kloster bei den Ursulinerinnen, in Zucht und Folgsamkeit; es ist eine etwas wilde Hummel freilich, das aber kann ich Ihnen versichern, an Unabhängigkeit denkt sie nicht. Sie würde keinen andern Gedanken haben, als von dem sie weiß, daß er auch ihres Papas Gedanke sein würde – und so, meine ich, müssen Frauenzimmer immer erzogen werden.

Die Gouvernante antwortete nicht.

Herr Böhmer aber dachte im stillen: Weiß auch nicht, ob das die richtige Gouvernante für Ederns ist! Soll mich wundern, ob sie da gutthut! Und was sie in der grünen Kassette da haben mag, die so merkwürdig schwer ist?

Herr Böhmer plauderte noch eine Weise von seinen Erziehungsgrundsätzen weiter und erzählte von den wunderbaren Erfolgen, welche diese bei seiner folgsamen Helene gehabt.

Man kam so dem Ziele näher und näher, durch Wälder, die schon zu Haus Edern gehörten; dann erblickte man, über eine mit Kornfluren bedeckte Bodenschwellung fahrend, die hohen Essen von Haus Edern. Und nach einer Viertelstunde hielt man auf dem Hofe vor dem stattlichen, in alterthümlichem Stile aufgebauten, aber mit neuerm Verputze bekleideten Herrenhause.

Ein Bedienter kam heran, um Herrn Böhmer und die Gouvernante in die für sie bestimmten Gemächer zu führen. Die Gouvernante überließ dem Diener die Sorge für ihr Gepäck, ihre Kassette nahm sie selber unter den Arm. So folgte sie dem Bedienten, während Böhmer mit seinem Kutscher zu sprechen hatte und dann als ein in Edern wohlbekannter Gast allein ins Haus ging, im großen Flur unten an eine Thür links klopfte und auf ein kaum vernehmliches »Herein!« in das Zimmer trat.

Es war der Wohn- und Empfangssalon auf Haus Edern – ein geräumiges, aber nichts weniger als prunkend eingerichtetes Gemach. Herrn Böhmer's Empfangszimmer daheim in der Stadt sah ganz anders aus – da war alles lackirt, da zogen sich Goldleisten um Thüren und Plafond, da gab es schön eingerahmte Madonnen in feinsten Kupferstichen, Sammtmöbel und kostbare Lampen, Photographienalbume und Stereoskopen … alles modern und sehr, sehr luxuriös!

Hier sah es ganz anders aus – man war in Haus Edern um ein halbes Jahrhundert in der Mode zurück. Alles Holzgetäfel war ohne Anstrich, das nackte von Alter gebräunte Eichenholz; statt der Sammtmöbel Roßhaarüberzüge auf Sofa und Stühlen und statt der schönen Lampen verdrehte silberne Armleuchter auf den kleinen marmornen Spiegeltischen; über den Thüren gemalte Supporten, die niemand anblickte, auf den Panneaux der verschossenen grünen Tapete einige alte Gemälde, die freilich vielleicht von Werth für den Kenner waren; der Hausherr, der Graf Achatius von Edern, behauptete es wenigstens; ein blonder junger Mensch in rothem Sammt von einem Spanier Vasquelez oder Velasquez und eine Landschaft von Both, ein Schlachtstück von Wouwerman; oder die Landschaft war von Wouwerman und das Schlachtstück von Both – was verschlug es, es war doch alles altfränkisch und geschmacklos und mit Herrn Böhmer's schönen Sachen nicht zu vergleichen.

Nur das große Bild über dem marmornen Kamingesims imponirte Herrn Böhmer einigermaßen, denn es stellte einen großen stolzblickenden Mann in einem rothen hermelingefütterten Fürstenmantel dar, neben dem Krone und Inful auf einem Taburet lagen – einen Fürsten, den die Familie Edern dem Lande gegeben. Auch wußte er, daß die Leute nun einmal Werth auf die alten Sachen legten, und daß man ihnen einen Gefallen thue, wenn man sie schön finde – Herr Böhmer war ganz der Mann, ihnen diesen Gefallen zu thun!

Als er eintrat, kam ihm eine ältliche ziemlich starke Dame mittlerer Größe, mit scharf ausgebildeten Zügen, in einem braunen Seidenkleide entgegengerauscht. Sie hatte am Fenster gestanden und die Ankommenden beobachtet mit langsamer gemessener Bewegung reichte sie jetzt dem Eintretenden die Spitze ihrer Finger, indem sie sagte:

Also das ist die neue Gouvernante, die Sie uns bringen?

Gnädigste Gräfin, Ihr gehorsamster Diener, antwortete Herr Böhmer. Die neue Gouvernante, allerdings. Ich habe sie soeben draußen wohlbehalten abgeliefert und bitte mir einen kleinen Revers darüber aus, für alle Gefahr – diese junge Dame scheint mir ein etwas pretiöser Gegenstand!

Herr Böhmer lachte bei diesem Scherze hell auf.

Die Gräfin Wallburg Edern schien jedoch keinen Geschmack daran zu finden; sie deutete ernst auf einen Stuhl und setzte sich selbst ins Sofa, indem sie sagte:

Das junge Mädchen scheint Ihnen keinen günstigen Eindruck gemacht zu haben …

O nicht doch, nicht doch, ich will das nicht behaupten … nur ein wenig selbstbewußt … und … wie soll ich sagen … altklug in den Redensarten … absonderlich … nun, Sie werden ja selbst sehen, Frau Gräfin, und bei einer Gouvernante mag es just das Richtige sein …

Wir werden sehen, antwortete die Gräfin Edern … das junge Mädchen ist mir sehr warm empfohlen und einstweilen danke ich Ihnen sehr, daß Sie sie in der Stadt in Empfang genommen und hierher geleitet haben. Was macht Ihre Helene?

Wohlauf und munter, Frau Gräfin, wie immer; das möchte über die Dächer fliegen, und ist doch die Bravheit und Folgsamkeit selbst … ich habe Freude, viel Freude an dem Kinde, Frau Gräfin.

Ich wünsche Ihnen Glück dazu, antwortete diese in ihrem kühlen und gemessenen Tone. Uns ältern Leuten kann ja nur die Freude noch von unsern Kindern kommen. Der liebe Gott möge sie Ihnen so erhalten. Und was bringen Sie außer der neuen Gouvernante Gutes?

Erstens, die Vollmacht vom Herrn Baron Chevaudun, mit Ihrem jungen Herrn zu unterhandeln, und das, denke ich, ist was Gutes, und sodann die von Ihnen gewünschte Abschrift jener Abschrift, von der wir redeten, als ich das letzte mal die Ehre hatte – wir können hoffen, daß wenigstens nichts Uebles für das hochgräfliche Haus daraus entstehe, wenn man auch gerade nicht jagen kann, daß es an und für sich etwas Gutes sei.

Herr Böhmer überreichte bei diesen Worten der Gräfin ein Papier, das er aus seiner Brusttasche hervorzog und das sie, ohne es zu mustern, in den Falten ihres Kleides verbarg.

Etwas Gutes? sagte die Gräfin dabei mit einem Seufzer – nein, das kann man von ihm nicht sagen. Es ist mehr Thorheit und mehr Schlechtigkeit darin, als je auf einigen wenigen Blättern Papiers geschrieben sein mag.

Thorheit und Überwitz wenigstens – wie alles, was Ausgeburt des Unglaubens ist; Sie haben recht, gnädige Gräfin, es so zu nennen. Und deshalb wollen wir darauf vertrauen, daß der liebe Gott nicht zugeben wird, daß es je in rechtsgültiger Gestalt das Licht des Tags erblicke!

Wir wollen darauf vertrauen, Herr Böhmer, antwortete die Gräfin. Wir wollen auch nichts unterlassen, was weltliche Klugheit vorschreibt, um im schlimmsten Falle den äußersten Folgen zuvorzukommen. Ich will noch heute mit Boto über die Sache reden.

Er wird gewiß alles billigen und zu allem willig sein, was Sie in dieser Beziehung zu beschließen für gut finden, Frau Gräfin. Kann ich sonst noch in der Sache dienen?

Das ist eine etwas seltsame Frage von Ihnen, Herr Böhmer! Sie wissen recht gut, worin Sie bei dieser Sache mir am besten dienen könnten, womit Sie mir eine große Beruhigung zu geben vermöchten – könnte ich die Orginalabschrift mit eigenen Händen verbrennen, dann …

Freilich, freilich, freilich, fiel Herr Böhmer ein, aber Sie wissen, was mich davon abhält; es sind mancherlei Gründe. Nehmen wir nur einen: ich bin Geschäftsmann; das Papier kann unter gewissen Voraussetzungen für mich oder meine Erben Werth bekommen – in dieser Idee ist es mir von meinem guten Vater vererbt worden, und so – Sie wissen, Frau Gräfin, was ich schon früher darüber gesagt – Sie sind billig genug, mir nicht deshalb Ihre Gnade zu entziehen. Um auf die Gouvernante zurückzukommen …

Lassen wir die Gouvernante, welche ich gleich selber sehen werde, fiel ihm die Gräfin Edern kühl ins Wort – bleiben wir bei dem Testamente meines Onkels stehen, Herr Böhmer.

Ganz recht, bleiben wir dabei stehen, versetzte Herr Böhmer, nämlich bei dem, was wir abgemacht haben – die Copie habe ich Ihnen versprochen und da ist sie – Sie haben sie erhalten – die Originalabschrift habe ich Sie längst in meinem Hause lesen lassen – die aber, bitte, lassen Sie mir!

Herr Böhmer blickte wie ein wenig zerstreut oder gelangweilt zu der stuckverzierten Decke des Gemachs hinauf und sagte dabei: Diese alten Krystallkronleuchter, wie Sie da einen haben, sind doch prächtig!

Es ist mir ganz unbegreiflich, daß Sie Werth darauf legen, fuhr die Gräfin fort, denn …

Auf die Kronleuchter? O, ich lege auf diesen alten Geschmack großen Werth!

Machen Sie mich nicht ärgerlich, Herr Böhmer! fuhr die Gräfin dazwischen. Es handelt sich viel darum. Seien Sie doch offen gegen eine alte Bekannte wie ich. Wir haben als Kinder zusammen gespielt auf Dornegge. Ich meine, Ihr Vater und durch ihn auch Sie hätten meinem Onkel Nesselbrook genug zu verdanken gehabt …

Ih gewiß, gewiß! fiel Herr Böhmer lebhaft ein, indem er die alte Dame, die sich so gnädig herabließ, gemeinsame Jugenderinnerungen heraufzubeschwören, mit einem außerordentlich klugen Blicke von der Seite ansah; gewiß haben wir ihm viel zu verdanken, Ihrem lieben seligen Onkel, und sehen Sie, Frau Gräfin, das ist's ja eben – ebendeshalb geb' ich ein so überaus werthvolles Andenken an ihn nicht aus den Händen!

Diese gottlose Schandschrift?

Herr Böhmer zuckte die Achseln.

Was wollen Sie - gottlos oder nicht, es blickt Sie, wenn Sie's lesen, doch der ganze merkwürdige alte Nesselbrook daraus an; man sieht den Mann vor sich, man hört ihn sprechen – was er eigentlich will und meint, ich hab's dazumal, als er noch auf Dornegge saß, nicht verstanden und versteh's auch jetzt nicht recht, wenn ich sein Testament lese; aber wie er leibt und lebt, wie er sich räuspert und wie er spuckt, sagt Schiller das sieht man wieder vor seinen Augen, und darum lege ich Werth auf das alte Papier in der saubern Handschrift meines guten, lieben Vaters – können Sie's übers Herz bringen, mir ein so theueres Andenken zu nehmen?

Schwindel, miserabler Schwindel! sagte die Gräfin unwillig.

Gewiß kein Schwindel, Sie thun mir wahrhaftig unrecht, meine Gnädigste, antwortete Böhmer, die Hand auf die Brust legend. Meinen Sie denn, ein Geschäftsmann wie unsereins hätte nicht auch seine anhänglichen Gefühle, hielte nicht auch ein Andenken an einen braven, alten Mann, der uns in der Jugend viel Gutes gethan, heilig?

Mein Onkel war leider bis zum Ende kein braver alter Mann, das zeigt am besten dieses Testament …

Aber Gutes hat er uns gethan, Frau Gräfin, und ein gescheiter Mann war er doch; wenn er so in dem großen Saale auf Dornegge – man wußte nicht, war's ein Saal oder eine Kirche – in seinem Wolfspelzschlafrocke auf- und abging und man ihn reden hörte von Dingen, von denen man sonst und anderswo nie reden hörte, bekam man einen heillosen Respect vor ihm. Ich war freilich dazumal noch ein kleiner Junge, aber ein pfiffiger, aufgeweckter Knabe, das war ich immer, Frau Gräfin, und mit den Ohren nicht faul, und wenn er den geistlichen Rath Zander, wenn der mit ihm stritt, zurechtsetzte – der geistliche Herr wurde oft so kleinlaut, daß er kein Sterbenswörtchen mehr sagte und unterduckte wie eine Krickente –, wahrhaftig, so verstand ich's schon, wie der gute alte Herr oben blieb und wie er alles wußte, und im stillen hatte ich auch einen schönen Plan auf ihn gebaut; denn weil ich ihn immer so von den Elementen und den Urbildungen und dem Lebensprincip und dem mysteriösen Zwange des Geistes über die Naturkräfte und was weiß ich alles reden hörte, hatte ich mir eingebildet, er könne alles und wisse alles, und wenn ich größer würde, dann wolle ich Eins von ihm lernen, was ihm gewiß nur ein Kinderspiel sei und was ich doch gar zu gern verstanden hätte, und das war nichts anderes als das Goldmachen.

Herr Böhmer lachte über seine kindliche Phantasie und stand auf.

Ich wollte, Sie wären wahrer und offener gegen mich, Herr Böhmer! sagte die Gräfin.

Gnädigste Gräfin, Sie verkennen mich, versetzte der Geschäftsmann mit dem aufrichtigsten Tone von der Welt. Senden Sie mich durchs Feuer für Sie – Sie sollen sehen: Böhmer geht! Aber mein Andenken an den alten Nesselbrook, das lassen Sie mir – wenn wir auch das Goldmachen nicht von ihm gelernt haben; was das anbetrifft, so müssen wir uns auf andere Weise zu helfen suchen und darüber möchte ich mit Graf Boto sprechen – Sie wissen, von wegen der Bankgeschichte … Ist Graf Boto zu Hause?

Sie können Boto sprechen, er ist in seinem Zimmer, versetzte die Gräfin. Aber bleiben Sie noch, Böhmer. Gehen Sie nicht, bevor wir uns ganz offen ausgesprochen haben.

Haben wir das nicht?

Nein. Sie nicht gegen mich. Sie reden mir Dinge vor, an die Sie nicht denken. Als Erinnerung an meinen Onkel ist Ihnen die Schrift, von der wir reden nicht einen Schuß Pulver werth. Unterbrechen Sie mich nicht. Es ist so. Sie denken an ganz etwas anderes; an Verhältnisse, an Lagen, in denen wir gezwungen sein könnten, Sie wegen dieses Besitzes zu fürchten; Ihnen große Vortheile zu bieten, um ihn Ihnen abzugewinnen geradezu, Ihnen Geld, viel Geld dafür zu bieten …

Herr Böhmer legte die Hand auf sein Herz.

Frau Gräfin, sagte er mit dem Tone des Vorwurfs, Sie thun mir unrecht, bitter unrecht!

Ei was unrecht! Sie haben's mir ja im Anfang selber angedeutet … also lassen Sie die Komödie und machen wir das Geschäft gleich. Sagen Sie offen heraus: was wollen Sie für die ursprüngliche Abschrift? Nennen Sie die Summe! Offen und ehrlich!

Herr Böhmer war durch diese herrische Sprache in der That beleidigt.

Sie glaubt doch gar zu cavaliermäßig mit mir umgehen zu können, sagte er sich, diese gute Dame! Und jetzt bekommt sie das Papier erst recht nicht!

Gnädigste Gräfin, antwortete er dann laut, es thut mir leid, das ich von Ihnen verkannt werde. Aber hoffen Sie niemals, daß mein Handeln diese Ihre Voraussetzung rechtfertigen wird. Das Geschäft, welches Sie mir vorschlagen, muß ich ablehnen.

Sie wollen in der That nicht?

Nein!

Nun wohl denn, die Offenheit, welche Sie nun gegen mich haben, will ich gegen Sie haben. So wissen Sie denn, daß jene Schrift niemals auch nur den allergeringsten Werth für Sie erhalten wird; denn ich bin jetzt entschlossen, einen Plan auszuführen, den ich im stillen längst überdacht habe, und der das Testament meines Onkels zu einem sehr harmlosen und gleichgültigen Dinge für uns macht, so schlimm auch immer seine Fassung bleiben mag. Schädigen wird es uns dann nicht mehr!

Und dieser Plan ist?

Das ist meine Sache, Herr Böhmer!

Ich sehe, Sie entziehen mir Ihr Vertrauen, gnädigste Gräfin. Das ist hart, sehr hart für einen so ergebenen Diener. Aber ich tröste mich mit der Gewißheit, daß ich Graf Boto beweisen kann, wie sehr Böhmer beflissen ist, dem gräflichen Hause ehrlich zu dienen!

Wobei das gräfliche Haus Ihnen wieder dienen soll, indem es seinen Namen für Ihre Speculation herleiht, fiel achselzuckend die Gräfin ein.

Speculation … meine Speculation … so nennen Sie ein … wie soll ich sagen, ein Weltinstitut!

Nun, gehen Sie mit Ihrem Weltinstitut nach oben, zu Boto … Burghaus und Gohr sind bei ihm und erwarten Sie, denk ich … Adieu, Herr Böhmer.

Herr Böhmer machte seine tiefste Verbeugung und verließ das Zimmer.

Die Gräfin aber ging zu einem unter dem Fenster stehenden mit großen Büchern und Schreibgeräth bedeckten Tische. Dort setzte sie sich in den Lehnsessel, der davorstand, zog aus den Falten ihres Kleides das Papier hervor, welches ihr Böhmer gebracht hatte, und begann sich mit düsterer Stirn, mit zusammengezogenen Brauen so darin zu vertiefen, daß sie bald alles um sich her vergessen zu haben schien, und insbesondere auch, sich nach der eben angekommenen neuen Gouvernante umzusehen!


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