Paul Schreckenbach
Der König von Rothenburg
Paul Schreckenbach

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VIII.

Nach diesen Geschehnissen lag der Burggraf noch eine Woche lang vor Rothenburg. Er ließ nichts unversucht, sich der Stadt zu bemächtigen, aber alles schlug fehl. Mit den Donnerbüchsen, das sah er bald ein, war den Mauern nicht beizukommen, und daß man die Stadt aushungern könne, hatte er selbst niemals geglaubt. Er kannte die Tatkraft und die Klugheit ihres Bürgermeisters zu gut, um nicht zu wissen, daß Rothenburg auf lange Zeit mit Lebensmitteln und Proviant reichlich versehen sei. Darin bestärkte ihn auch der Ritter von Seckendorff, der wegen Auswechslung eines Gefangenen in der Stadt gewesen war. »Herr,« sagte der bei seiner Rückkehr, »es ist wahrlich nicht zu glauben, wie sie drinnen mit allem wohl im Stande sind. In den Straßen, durch die ich ritt, lag in den Läden der Bäcker Brot in Hülle und Fülle, und die Metzger verkauften viel Fleisch, und in den Trinkstuben waren sie voll und lustig, als wäre guter Friede im Lande.«

Da zog Friedrich die Stirne in finstere Falten und rief: »So bleibt uns noch eins: der Sturm. Wir haben Leute genug und übergenug, und dem Mutigen gehört die Welt!«

So erfolgte denn der Angriff auf die Stadt und zwar an drei Stellen zugleich. Während das Spitaltor heftig beschossen ward, stürmte am Rödertor und am Würzburger Tore die Sturmkolonne gegen die Mauer vor, suchte die Gräben zu überbrücken und dann auf hohen, mit Haken versehenen Leitern in die Höhe zu klimmen. Aber nach zwei Stunden hartnäckigen Kampfes ließ der Burggraf zum Rückzuge blasen. Er sah ein, daß er auf diese Weise nimmermehr den Sieg gewinnen könne, denn die Gräben waren zu tief, die Mauern zu hoch und zu gut bewehrt. Das ganze Ergebnis der zweistündigen Bestürmung war der Verlust einiger hundert Leute, die mit zerquetschten und zerbrochenen Gliedern in der Tiefe lagen. Ihr Ächzen und Schreien klang bis hinüber ins Lager, und der Burggraf sandte seinen Seckendorff zum zweiten Male in die Stadt, um zu erlangen, daß man die Gefallenen und Verwundeten ungestört ausheben könne.

Darauf gab Topler zur Antworte »Saget seiner fürstlichen Gnaden, aus Achtung gegen ihn wolle ich es für diesmal erlauben. Verdient hat es das Raubgesindel nicht, das gegen uns gezogen ist, um sich an unserem Gute zu bereichern, und zum zweiten Male wird's auch nimmer gestattet.«

Darum weigerten sich am anderen Tage die Führer der schwäbischen Söldner, an einer anderen Stelle noch einmal gegen die Mauern vorzurücken, denn ihre Leute seien zu gut, als daß sie wie die Wölfe in einer Fanggrube verenden sollten. Und der Bischof von Regensburg erklärte dem Burggrafen kurzab, er könne seine Mannschaften nicht mehr bezahlen und werde abziehen, da hier nichts zu holen sei, führte das auch aus in der Nacht und ritt ohne Abschied von dannen. In der nächsten Nacht machte es ihm eine ganze Anzahl kleinerer Herren nach, und so begann das Heer zusammenzuschmelzen wie Märzschnee in der Sonne.

Dagegen ritten andere ins Lager ein, ungebetene und unerwünschte Gäste, die man aber trotzdem nicht abweisen konnte. Das waren die Abgesandten des Mainzer Erzbischofs, des Grafen von Württemberg und vieler Städte, die entweder bittend oder drohend zum Frieden mahnten. Der Marbacher Bund erhob jetzt kühn sein Haupt und forderte ernstlich, daß die große Fehde ein Ende nehme und man sich vergleiche. Er bot seine guten Dienste an, einen billigen und für beide Teile ehrenvollen Frieden zu vermitteln, und der Burggraf sah ein, daß er klug tue, ihrem Drängen bald nachzugeben, ehe seine Kassen noch leerer wurden und seine Streitmacht noch mehr zusammenschmolz. Auch sein alter Seckendorff riet ihm dringend dazu. »Wenn Eure Gnaden sich ganz und gar erschöpfen,« meinte er, »so wird man Euch beim Abschlusse des Friedens auch noch das absprechen, was Ihr bereits erobert habt. Denn Ihr wisset es selbst, gnädiger Herr: Wen die Menschen nicht mehr fürchten, der hat von ihnen nichts mehr zu hoffen.«

Sie hielten beide zu Roß auf der Höhe des Wachsenberges, abseits vom Lager, während der Ritter so zu seinem Herrn sprach. Friedrich, der düster und schweigsam nach der Stadt hinübergeschaut hatte, wandte ihm nach diesen Worten sein Antlitz zu, in dessen Zügen Zorn und Kummer um die Oberhand stritten.

»Du weißt es, Seckendorff, daß ich ohnehin nur noch den Schein aufrechterhalten kann,« erwiderte er schmerzlich. »Gehet die Fehde weiter, so ziehen meine Bundesgenossen immer einer nach dem anderen ab, und ich kann nur eine kleine Macht im Felde erhalten. Wüßten es die von Rothenburg, wie wenig Geld in meinen Truhen ist, wahrlich, sie bedächten sich dreimal, ehe sie Frieden machten.«

»Es wird da drüben nicht anders stehen, gnädiger Herr,« tröstete der Ritter. »Das Gebiet ist verwüstet, die Dörfer verbrannt. Sie müssen ihren Zinsbauern Holz und Getreide und Vieh geben, um sie wieder in Stand zu bringen. Das geht nicht ab ohne hohe Steuern, und sie sind des Steuerzahlens gänzlich entwöhnt. Der Topler wird einen bösen Ansturm aushalten müssen, und seine Feinde werden von frischem versuchen, ihn zu stürzen.«

»Das ist meine einzige Hoffnung!« rief Friedrich.

»Wie meint das Eure fürstliche Gnaden?«

»Ich meine: Wenn er in Not gerät, in Todesnot und sieht, daß er sich der Meute nicht erwehren kann, die ihn umbellt, so wird er an mich denken. Dann wäre diese Fehde doch nicht vergeblich gewesen, und auf einem Umwege würde ich dann doch noch Herr über Rothenburg.«

Seckendorff schüttelte den Kopf, aber er erwiderte nichts.

»Du meinst nicht?« fragte Friedrich mit gerunzelter Stirn und nicht ohne Schärfe.

»Ich habe meinem gnädigen Herrn jederzeit gesagt, was ich denke, und will es Euch auch jetzt nicht verhehlen. Erweist sich Eure Voraussicht der meinigen überlegen, so werde ich mich um so mehr freuen. Aber ich glaube nicht daran, daß sich jener Mann Euer fürstlichen Gnaden unterwirft.«

»Und warum meinst du das?«

»Aus zweierlei Ursach', gnädiger Herr,« versetzte Seckendorff, »er scheut zu sehr die Gewalttat, und er hängt zu fest an seinen Eiden.«

Der Fürst blickte ihn verwundert fragend an, und so fuhr er fort: »Sehet, Herr, neulich als ihn das ganze Volk zum obersten Hauptmann der Stadt gekürt hatte, da hätte er ganze Arbeit machen müssen. Er mußte den alten Rat stürzen, das Volk gegen die Ehrbaren aufwiegeln, seine Feinde zu Tode bringen oder aus der Stadt vertreiben. Er hätt's gekonnt, und steckte ein Medici oder Viskonti in ihm, so hätt' er's getan. Statt dessen ist er zufrieden, wenn ihm das Volk die Macht gibt auf ein Jahr und lässet alles beim alten, und die ihm nach dem Leben trachten, dürfen ruhig in seinem Schatten wohnen. Glaubt Ihr, daß er sogar den Schurken hat begnadigen wollen, der ihm nach dem Leben stand, und den Ihr ihm zuschicktet? So hat mir der Wintersteiner erzählt, er ist zu dem Bluturteil nur gedrängt worden durch seine Gesellen. So sehr scheut er vor dem Blutvergießen zurück und haßt jede Gewalttat!«

Friedrich sah ihn nachdenklich an. »Aber wenn er nun merkt, daß die gemeinen Bürger nicht mehr für ihn sind, weil sie zahlen und steuern sollen? Dann muß er nach einer Hand ausschauen, die ihn aus der Not reißt.«

»Wenn dann nur nicht seine Eide dem im Wege stehen, gnädiger Herr! Der Topler hat seiner Stadt geschworen, daß er ihr treu sein und nur ihr Bestes bedenken wolle. Sollte er die Hand bieten, ihr die Freiheit zu rauben? Ich kann das nicht glauben, denn er gehört in dieser bösen Zeit zu den wenigen, die ihr Wort halten und noch etwas von Treue wissen. Überdies, gnädiger Herr, gibt es für ihn alle Tage noch einen Ausweg.«

Friedrich hob schnell den Kopf. »Ja, wenn er ins Elend wandern will, überall verfolgt von Rächern und Feinden.«

»Das braucht er nicht, gnädiger Herr. Die Nürnberger nehmen ihn jederzeit mit Freuden auf.«

»Die Nürnberger? Als was denn?«

»Als Bürger ihrer Stadt und geehrten Ratsmann.«

Der Burggraf lächelte spöttisch und sah den Ritter mit aufblitzenden Augen an. »Als einen von vielen?« rief er. »Ha, Seckendorff, kannst du dich so wenig denken in dieses Mannes Art und Gemüt? Der Adler will fliegen, und Heinrich Topler will herrschen, und jedes Geschöpf ist elend, wenn es leben muß wider seine Natur. Er wird eher das Leben lassen, als die Herrschaft!«

Seckendorff erwiderte eine Weile nichts, dann sprach er ruhig: »Mög' Eure fürstliche Gnaden recht behalten! Der Tag wird wohl sicherlich kommen, da er sich entscheiden muß. Dann wird sich zeigen, ob ihm die Sucht zu herrschen höher steht oder die Treue gegen seine Stadt.«

»Leider ist der Tag noch nicht da, guter Seckendorff,« seufzte der Burggraf. »Wir können ihn hier auch nicht erwarten, sondern müssen in den sauren Apfel beißen und einen Waffenstillstand eingehen. Morgen früh hebe ich die Belagerung auf und rücke ab. Ich sehe ein, es geht nicht anders.«

So sahen denn am anderen Morgen die Rothenburger Bürger, die auf den Mauern und Toren die Wachen hatten, wie die großen Geschütze des Feindes zwischen den Schanzkörben herausgezogen und weggefahren wurden. Anfangs meinten sie, die Feinde wollten sie nur an eine andere Stelle bringen, von der aus sie die Stadt um so wirksamer beschießen könnten. Aber als sie dann wahrnahmen, daß die Zelte abgebrochen und die Holzbaracken in Brand gesetzt wurden, da begriffen sie, was das zu bedeuten habe und brachen in ein lautes Siegesgeschrei aus. Blitzschnell verbreitete sich die frohe Kunde durch die ganze Stadt; alles Volk strömte nach den Mauern, von denen aus man den Abzug des feindlichen Heeres beobachten konnte, und als der Bürgermeister am Würzburger Tore erschien, kannten der Jubel und die Begeisterung keine Grenzen mehr. Mit einem wahren Freudengeheul stürzte ihm die Menge entgegen, er ward im Nu, obwohl er sich dagegen sträubte, von einigen kräftigen Männern auf ihre Schultern gehoben und unter betäubendem Heilrufen der sich nachwälzenden Volksmasse zum Rathause getragen. –

Walter Seehöfer war gerade, als das geschah, bei seinem Freunde, dem immer noch kranken Häuptlein, zum Besuche eingetroffen. Er wollte sich erkundigen, wie der Alte die Nacht überstanden habe. Er war um sein Befinden sehr besorgt – nicht aus übergroßer Zärtlichkeit, sondern weil er in ihm den besten Bundesgenossen gegen seinen Feind gefunden hatte. Denn in Sebastian Häuptleins Seele lebte nur noch ein Wunsch: Rache zu nehmen an dem, dessen Machtwort seinen Sohn zum Schafott gebracht hatte. Dieser glühende Rachedurst erhielt ihn noch am Leben, von ihm aufgestachelt, wehrte er sich gegen den Tod, der seinen verfallenen Körper schon gepackt hatte und wie es schien, nicht wieder loslassen wollte.

In diesem Todeshaß hatten sich nun die beiden Greise zusammengefunden, die früher nur kühlfreundlich miteinander zu verkehren pflegten. Endlich war Seehöfer auf einen gestoßen, der den Topler haßte, wie er selbst es tat, ja der ihn an wildem Hasse fast noch übertraf. Es gab ja viele unter den Ehrbaren, die dem Bürgermeister von Herzen feind waren und den Tag seines Sturzes herbeisehnten, aber ein gemeines Verbrechen hätten sie deshalb doch nicht begangen. Den beiden dagegen war jedes Mittel recht, und es war ja auch nicht ihre Schuld, daß der »Bluthund«, wie sie ihn nannten, noch immer im Lichte der Sonne wandelte.

Der Schlaganfall, den Häuptlein vor Schreck und Enttäuschung erlitten, hatte deshalb Seehöfers Geist und Gemüt in große Angst versetzt. Er hatte ihn erst in seinem Hause mit aller Sorgfalt gepflegt, und nun, nachdem der Kranke nach seinem eigenen Hause übergesiedelt war, kam er jeden Tag drei- oder viermal gelaufen und verweilte oft stundenlang an seinem Lager. Dabei redeten die beiden von nichts anderem, als von ihrem Hasse, ihren Befürchtungen und Hoffnungen und entwarfen Pläne über Pläne, wie sie ihre Rache endlich sättigen könnten.

Als Seehöfer heute eintrat, hatte sich sein Freund in den Kissen in die Höhe gerichtet und blickte ihm erregt und gespannt ins Gesicht. »Was ist das draußen auf der Straße? Was soll das Lärmen und Schreien?« rief er mit seiner schwachen, pfeifenden Stimme.

»Der Burggraf und seine Gesellen ziehen ab, drum stürzt alles nach den Toren.«

»Das klingt doch aber, als kämen sie im Getümmel die Straße herauf. Sie werden doch nicht etwa den roten Peter gefaßt haben?«

»Dummes Zeug,« knurrte Seehöfer. »Der ist längst über die Mauer und sitzt wohl schon hundert Meilen von hier im Ungarland, wo er her war. Plag' dich nicht mit Gespenstern, Gevatter. Aber wir wollen sehen, was das Geschrei bedeutet.«

Er öffnete das Erkerfenster, das dicht neben dem weißen Turme lag, und von dem aus man die ganze Würzburger Gasse hinabschauen konnte. Kaum hatte er jedoch einen Blick hinausgeworfen, so fuhr er zurück, als hätte ihn eine Hornisse ins Gesicht gestochen, und warf das Fenster zu, daß die Scheiben klirrten. »Heil Topler! Heil dem großen Bürgermeister! Heil Heinrich Topler!« so klang es von unten brausend herauf.

Mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke des Hohnes und der Wut im Antlitz kehrte er sich dem Kranken zu. »Der Pöbel trägt den König von Rothenburg auf seinen Schultern durch die Straßen! Natürlich! Die Stadt ist gerettet, der Feind zieht ab, und das alles hat er vollbracht, der große, unvergleichbare Mann, der Prophet, der Gesalbte Gottes, der Heiland, der blutige Schuft, Heinrich Topler!«

Er lachte heiser auf und ließ sich in seinen Stuhl fallen.

Häuptlein war in seine Kissen zurückgesunken, hatte die Augen anklagend nach oben gerichtet und ließ, ohne etwas zu erwidern, seine Blicke ruhelos an der Decke umherwandern. Endlich murmelte er: »Es gibt wohl keinen Gott, Seehöfer, und was die Pfaffen von ihm sagen, ist eine Mär für die Kinder. Aber wenn's doch einen gibt, dann bitt' ich von ihm nur eines: daß dieser Mensch in seinem Blute ersticke! Aber ich werde es nicht erleben, denn über's Jahr bin ich tot.«

Seehöfer blickte ihm starr ins Gesicht. »Quäle dich nicht mit solchen Gedanken! Aber wenn du auch nur noch ein Jahr hättest, Gevatter, ein Jahr ist lang. Da kann vieles geschehen.«

»Es geschieht nichts. Ach, sie tragen ihn ja auf den Schultern, den Blutmenschen, und wir können nicht an ihn heran!«

»Wenn erst die Kosten kommen, und sie müssen zahlen und immer wieder zahlen, dann werden sie schnell anders denken lernen. Heute ist vielleicht der letzte Tag, daß sie ihn feiern. Hörst du? Sie läuten mit den Glocken. Das ist vielleicht das Totengeläut für den König von Rothenbnrg.«

»Du glaubst es ja selber nicht, Seehöfer, was du da sprichst,« entgegnete der Kranke niedergeschlagen. »Was gibt's?« wandte er sich unwirsch an seine alte Muhme und Haushälterin, die ohne anzuklopfen in der Tür erschien.

»Der Pater Ambrosius ist drüben und möchte dich sehen.«

»Sage ihm, er solle in ein paar Stunden wiederkommen.«

Die Alte verschwand. »Zu keiner Tages- und Nachtzeit ist man vor dem Pfaffenvolke sicher!« brummte Häuptlein. »Seitdem ich etwas habe verlauten lassen, daß ich das Kloster wolle zum Erben einsetzen, sind sie alle Tage da.«

»Du willst die Kuttenmänner dein Geld erben lassen?« fragte Seehöfer verwundert. »Für so heilig hält' ich dich nimmer gehalten.«

»Was soll ich mit dem Plunder anfangen? Mein Vetter Kunz ist mein Feind, der soll's auch nicht haben. Am liebsten schenkt' ich's dem Kloster schon bei meinen Lebzeiten und behielte nur einen Rest für mich, sonst ficht der Halunke am Ende gar mein Testament an und erwischt den Bissen doch noch. Ha, so rund hunderttausend Gulden – das wäre ein Fraß für den mageren Schlucker!«

Dem Seehöfer blieb der Mund vor Erstaunen offen stehen. »Hunderttausend Gulden hast du? Da bist du ja reicher als ich! Bist überhaupt nächst dem Bluthunde der Reichste in der Stadt! Das hätt' ich doch nicht gedacht, wenn ich auch wußte, daß du viel Geld hast.«

Der Kranke lächelte bitter. »Und was nützt mir's nun? Am liebsten würf' ich's in den Dreck, denn mich ekelt's davor.«

Da packte ihn Seehöfer plötzlich mit festem Griffe beim Arm, und sein Gesicht glänzte. »Mensch,« rief er, »wenn du wirklich so denkst und das keine Redensarten sind, so haben wir eine furchtbare Waffe! Dann haben wir den Sieg!«

»Unsinn!« knurrte Häuptlein. »Laß mich los! Bist du besessen? Was du meinst, das weiß ich. Aber ich habe schon das eine Mal Angst genug ausgestanden, und ich will nicht auf dem Rade sterben.«

»Du weißt aber nicht, was ich meine,« versetzte Seehöfer, und immer triumphierender wurde der Ausdruck seines Gesichtes. »Du weißt es nicht, denn es ist eine Eingebung, eine Erleuchtung, die mir eben kommt. Höre, Sebastian, als ich achtzehn Jahre alt war, da erzählte mir mein Vater eine Geschichte. Da wollte einer in Mainz Erzbischof werden, den von den Kapitelherren keiner mochte. Aber als es zur Wahl kam, da hatten ihn die allermeisten gewählt. Freilich hatt's ihm sechzigtausend Gulden gekostet.«

»Nun und was soll das?«

»Was das soll, fragst du? Wenn man für sechzigtausend Gulden die Kapitelherren kauft, so wird man wohl für achtzigtausend Gulden die kaufen können, auf die sich der Bürgermeister von Rothenbürg stützt.«

»Wie?« sagte Häuptlein und setzte sich aufrecht. »Du willst Northeimer und Spörlein und Wernitzer –- –-?«

»Dummkopf!« unterbrach ihn Seehöfer ungeduldig. »Wer redet von denen? Die helfen ihm alle nichts, die gemeine Bürgerschaft hat ihn erhoben, die muß man von ihm abwendig machen.«

»Du kannst doch nicht das ganze Volk bestechen?«

»Das Volk ist eine Hammelherde, die dahin rennt, wohin die Leithammel rennen.«

»Die Zunftmeister, meinst du?«

»Dieselben. Darunter sind mehrere, die sind reich, mehrere auch, die ihm sehr ergeben sind. Die lassen wir aus dem Spiele, denn da war' der Preis zu hoch. Aber die Mehrzahl wird zu haben sein, besonders wenn sie nun merken, was die Stadt zahlen muß. Dazu muß man ihnen weismachen, sie kämen auch ohne ihn in den Rat. Wenn das Geld daneben klimpert, glauben die Leute vieles, was sie sonst nicht glauben würden. Es ist ja auch noch nicht dagewesen, daß einer eine solche Summe aufwendet gegen seinen Feind in der Stadt. Nein, es ist unerhört, und kein Zweifel kann sein, daß wir damit die meisten fangen, die er in seinem Netze wähnt.«

Häuptleins Gesicht hatte sich während dieser Rede immer mehr gerötet, die vorher matten Augen funkelten, und er sah den Sprechenden an, als wolle er ihm die Worte von den Lippen trinken. Dann sagte er tief aufatmend: »Du kannst den Leuten versprechen, was du willst, Seehöfer, ich löse es ein. Nur zehntausend Gulden will ich behalten und dieses Haus. Und weiß Gott, wüßt' ich, daß ich damit die Rache kaufte, so gäbe ich auch das noch dahin und stürbe als Bettler im Spital!«

»Wir werden so viel gar nicht brauchen. Was, meinst du, sind für einen Handwerksmeister tausend oder gar Zweitausend Gulden? Ein Kapital, das er noch nicht gesehen hat, noch weniger in der Hand gehabt. Bei manchem biete ich nur fünf- oder sechshundert.«

»Und fängst du heute schon deine Arbeit an?«

»Wo denkst du hin? Heute ist alles im Taumel, und das ganze Volk schreit: Hosianna dem Sohne Hermann Toplers! Aber wenn sie in ein paar Wochen merken werden, daß ihnen ihr Heiland eine große Schuldenlast auferlegt hat, dann werden sie hellhörig, darauf verlasse dich. Dann ist unsere Zeit gekommen.«

»Denke aber immer daran, daß ich nicht lange mehr leben werde,« murrte der Kranke. »Ein paar Wochen sind für mich eine lange Zeit.«

»Ich war kränker als du, Häuptlein, und bin doch wieder genesen. Ein guter Haß erhält das Leben,« versetzte Seehöfer. »Aber sieh da!« fuhr er fort und öffnete das Erkerfenster von neuem. »Was kommt denn dort die Gasse herauf? Sechs, acht Berittene. Es sind Nürnberger.«

»Wo kommen die her zu der frühen Stunde?« unterbrach ihn Häuptlein.

»Sie haben gewiß im Lager beim Burggrafen genächtigt als Gesandte der Stadt. Mir scheint, sie werden eine Waffenruhe vermitteln wollen. Potztausend! Da ist ja der Holzschuher, mein Patenkind! Der steigt jedesmal bei mir ab, wenn er nach Rothenburg kommt. Da muß ich heim, Gevatter. Leb' wohl für jetzt, ich sehe heute noch einmal nach dir.«


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