Paul Schreckenbach
Der König von Rothenburg
Paul Schreckenbach

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XII.

Drei Tage später trat Jakob Topler schnell und aufgeregt in die Schreibstube seines Vaters ein. Er war auf den Höfen der Grundholden und Hintersassen gewesen, die als Toplersches Eigentum überall im Tauberlande zerstreut lagen, um dort nach dem Rechten zu sehen, auch Zinsen und Gefälle einzutreiben. Die Fahrt hatte ihn zwei Tage und eine Nacht fern gehalten, und erst vor einer Stunde war er in die Arme seines Weibes zurückgekehrt.

»Ein sonderbar Gerücht durchläuft die Stadt, Vater!« sprach er nach hastigem Gruße. »Sie sagen, du habest Henrich, den Stadtschreiber, heimlich richten lassen.«

Der Bürgermeister saß vor einem mächtigen Tische von Eichenholz, auf dem allerlei Schreibwerk lag. Der letzte gelbe Schein der untergehenden Sonne, der durchs Fenster fiel, ließ sein Antlitz noch fahler und bleicher erscheinen, als es ohnehin war, sodaß ihn sein Sohn erschrocken anstarrte, da er die Hände, die sein Haupt stützten, sinken ließ und den Blick zu ihm erhob.

»Das Gerücht redet recht, Jakob,« erwiderte er hart. »Vorige Nacht hat ihn der Nachrichter durch den Strang vom Leben zum Tode gebracht.«

»Um Gottes willen, warum, Vater?«

»Aus zwei Ursachen, deren jede genug war. Zum ersten: Er hat dem Burggrafen angeboten, mich zu vergiften!«

Jakob schrie laut auf. »Unmöglich!«

»Wahr und wahrhaftig.«

»Woher weißt du das, Vater?«

»Von Herrn Friedrich selbst. Er hat ihn gebunden zurückgesandt, Peter Northeimer und der von Winterstein haben ihn mir überliefert.«

Jakob stand eine Weile wie versteinert. »Ist jemand Zeuge gewesen, als er mit dem Burggrafen handelte?« fragte er endlich.

Heinrich Topler richtete sich auf. »Du meinst, der Burggraf könnte die Sache erfunden haben? Ja, wenn es der Bischof von Würzburg wäre! Aber der Zollern lügt nicht. Überdem – ich brauchte die Natter nur anzusehen, und ich wußte, woran ich war.«

»Hat er es eingestanden?«

»Er hat vor seinem Tode kein Wort mehr gesprochen.«

Jakob schüttelte den Kopf und sah seinen Vater bekümmert an. »Ich habe den klugen, heimlichen Kerl nie gern gehabt, aber immer hätt' ich ihn solch' einer Schändlichkeit für fähig gehalten. Bei Gott und allen Heiligen! Wem soll man noch trauen in der Welt?«

»Ja, wem soll man trauen?« wiederholte Topler finster. »Er war fünfzehn Jahre in der Stadt Diensten und sieben Jahre meine rechte Hand. Und doch hat er mich verraten und mich nicht allein, auch die Stadt!«

»Ja, wer dich verrät, der verrät auch die Stadt,« sagte Jakob.

»So mein' ich's nicht, mein Sohn. Der Schuft hatte einen Plan, die Stadt zu schädigen. Ich habe seine Habe einziehen lassen, als er festgesetzt war und alle seine Schriftstücke mir bringen lassen, die er im Hause hatte. Darunter hab' ich gefunden, was ihn dreimal des Todes schuldig machte.« Er hielt inne und seufzte schwer auf. Dann fuhr er fort: »Ich weiß nicht, was ihn getrieben hat zur Untreue gegen mich, seinen günstigen Herrn. Wohl der Hunger nach Geld, denn er war sehr geizig, hat auch eine große Summe nachgelassen. Aber ich hätt' ihn darum nur aus der Stadt verbannt, er hätte sich müssen über die Donau schwören.«

Jakob fuhr unwillig auf. »Wie, Vater? Sollt' ein Meuchler frei von dannen gehen? Er gehörte auf's Rad.«

»Ach, mein Sohn, mich ekelts vor dem Blut! Zuviel schon ist über meinen Weg geronnen. Aber wen ich sterben ließ, der starb um der Stadt willen, nicht meinetwillen. Und auch diesen habe ich wegen der Stadt mit meinen Freunden gerichtet und ihm Leib und Leben abgesprochen.«

Er stand auf und nahm aus seinem Schranke ein Pergament. »Das hat man im Hause des Gerichteten gefunden. Ich darf dir's nicht zeigen, denn keines Menschen Blick darf darauf ruhen als dreier Geschworener. Der eine bin ich, der andere ist Peter Kesselweiß, der dritte Hans Spörlein, des Rates vereidigter Baumeister. Das Pergament, von dem dieses eine Abschrift ist, liegt im Rathause an geheimer Stelle. Es ist der Plan der unterirdischen Leitung, durch die wir unserer Stadt das Wasser zuführen. Grübe sie ein Feind ab, der Rothenburg belagert, so wäre große Not, denn die eigenen Brunnen der Stadt reichen für Vieh und Menschen schwerlich zu.«

Jakob Topler war während dieser Rede so blaß geworden, wie es sein Vater war. Ein Laut kam aus seiner Kehle, der fast wie ein Stöhnen klang. Er hatte bisher nur undeutlich munkeln hören, daß zu einigen Brunnen seiner Vaterstadt das Wasser aus der Ferne zugeleitet werde, und er hatte sich auch niemals Gedanken darüber gemacht. Nun mit einem Male dämmerte ihm die Erkenntnis, daß die furchtbare steinerne Rüstung, die Rothenburg fast unbezwinglich erscheinen ließ, doch nicht vor jedem Feinde zu schützen vermochte. Die Stadt glich dem hürnenen Siegfried, von dem die alten Sagen meldeten, der am ganzen Leibe unverwundbar war bis auf eine Stelle im Rücken, dort konnte ihm der Verräter den Speer ins Herz stoßen. Und für ihn, der auf seine Vaterstadt stolz war und für ihre Ehre und ihren Glanz lebte wie sein Vater, war das eine niederschmetternde Erkenntnis.

»Kann ein Mensch«, stammelte er, »die Quelle entdecken und die Leitung finden, der den Plan nicht kennt?«

»Gewiß nicht ohne Zauberei und die Hilfe des Teufels,« entgegnete Heinrich Topler und schlug ein Kreuz.

»Und niemand kennt den Plan, als du und die beiden?«

»Niemand. So einer von uns stürbe, müssen die zwei anderen einen dritten zuschwören lassen, den der innere Rat kürt. Sonst erfährts keiner. So ist's gehalten worden seit König Rudolfs des Habsburgers Tagen.«

Jakob atmete auf. »Aber wie ist der Schuft dazu gekommen?«

Der Bürgermeister zuckte die Achseln. »Es sind Dietriche bei ihm gefunden worden; er hat wohl Kleinodien vermutet in der alten Truhe. Geredet hat er auch darüber nicht.«

»So hätt' ich ihm die Tortur anlegen lassen!« rief Jakob.

»Wozu? Seine Schuld war erwiesen.«

»Und warum hast du ihn heimlich gerichtet? Warum ihn nicht vom Stadtgerichte richten lassen?«

»Ich bin der Stadt Schultheiß und erster Richter und habe nicht allein gerichtet, sondern mit sechs Schöffen. Heimlich in meinem Hause, wie ich sonst nur meine Hintersassen richte, habe ich das Gericht gehalten, weil ich nicht will, daß über den ruchlosen Frevel geredet werde. Die Leute erfahren nur, daß er um schändlicher Bübereien und Verrätereien willen zum Tode gebracht worden ist. In Rothenburg denkt niemand daran, daß wir solche Gruben haben unter der Erde, und wird einmal davon geredet in einer Trinkstube oder sonst, so dünkt es vielen, den meisten, ein Märlein. Und unsere Feinde wissen nichts davon. So sie aber erführen, daß etwas daran ist, wahrlich, sie gäben sich von Stund' an alle Mühe, es zu erkunden, und der Bischof von Würzburg hat einen welschen Pfaffen, der ist der schwarzen Kunst mächtig.«

»Du hast recht, Vater. Aber viel übel Nachreden wirds machen!«

»Was kümmere ich mich darum! Ich tue, was ich für Recht halte. Aber nun, mein Sohn, gehe heim zu deinem jungen Weibe. Du bist ja noch im Reisegewande, und sie war schon ungehalten, daß ich dich nach Tauberscheckenbach und nach Entsee sandte. Über das, was du ausgerichtet, handeln wir morgen. Mache zu, eile, spute dich!«

Er bot ihm die Hand, und Jakob legte lächelnd die seine hinein. »Lebe wohl, Vater! Aber noch eins: Mich wundert, daß der Verräter nicht lieber diesen Plan dem Burggrafen verkauft hat, als daß er dir ans Leben wollte.«

»Viel Ehr' für mich, mein Sohn!« versetzte Topler mit grimmigem Lachen. »Er hat wohl gemeint, ich wäre den Rothenburgern mehr nötig, als selbst das Wasser. In Wahrheit steht's wohl so: Bracht' er mich um, so strich er den Judaslohn ein, und widerstanden die Rothenburger dann dem Burggrafen dennoch, so konnt' er zum zweiten Male reich werden. - Gute Nacht, Jakob.«

»Gute Nacht, Vater.«

Der Bürgermeister schloß, als sein Sohn gegangen war, das Pergament des Verräters wieder in den Wandschrank und stieg dann hinab ins Untergeschoß. Es war schon finster auf den Stufen, und Frau Margarete trug eben mit einer Magd in dampfenden Schüsseln die Abendmahlzeit auf den Tisch, die sie selbst mit bereitet hatte. Denn die Frau des hochgebietenden Bürgermeisters, der für sein Geld ein paar Reichsgrafschaften hätte kaufen können, würde es für eine Schande gehalten haben, wenn sie nicht in ihrem Haushalte von früh bis abends selbst mit tätig gewesen wäre.

Bei dem Mahle saßen Herrschaft und Gesinde an demselben Tische. Der älteste Sohn sprach ein kurzes Gebet, ohne das im Toplerschen Hause nichts gegessen noch getrunken wurde, das Amen am Schlusse sprachen alle nach. Dann begann der Hausherr mit seiner Frau ein Gespräch, auch die Kinder und das Gesinde durften sich miteinander unterhalten, denn nichts war dem Bürgermeister unlieber in seinem Hause, als steifer Zwang und ein gedrücktes Wesen. So schwer ihm manchmal die Bürde seiner Ämter auf den Schultern lag, so ernst und düster seine Gedanken waren – in seinen vier Wänden merkte ihm das keiner an, da war er fast immer voller Frohsinn und guter Laune und sah es gern, wenn auch die anderen scherzten und fröhlich waren.

So verhielt er sich auch heute, obwohl ihn der Verrat des Stadtschreibers im Innersten verwundet hatte. Seiner Frau hatte er verschwiegen, daß eine so große Gefahr nahe seinem Haupte vorübergegangen war, damit er sie nicht unnötig in schwere Sorgen stürzte. Sie wußte nur, was die anderen wußten, nämlich, daß der Gerichtete eine arge Untat begangen hatte, und sie konnte sich denken, daß gerade dieses Mannes Untreue die Seele ihres Gatten schwer verwundet haben mußte. Aber ebenso wußte sie, daß es ihres Mannes Art war, schweigend in sich das Schwere zu überwinden, was das Leben brachte, und daß er bei ihr und im Kreise seiner Familie vor allem Freude und Erholung suchte. Schon deshalb vermied sie es, an die Sache zu rühren, und die Gegenwart des Gesindes legte ihr ja ohnehin Schweigen auf.

Nach der Mahlzeit erklärte Heinrich seiner Frau, daß er noch in der Stadt zu tun habe. Es könnte wohl zwei Stunden dauern, bliebe er länger aus, so sollte sie sich ruhig schlafen legen und ihn nicht erwarten.

Dann begab er sich in seine Kammer, um sich zu rüsten für den nächtlichen Ausgang. Er legte ein feines, italienisches Stahlhemd an von Mailänder Arbeit, das ihm sein Vetter, der Goldschmied, einmal von einer Romfahrt mitgebracht hatte. Darüber zog er sein gewöhnliches leichtes Sommerwams, so daß niemand die Panzerung erkennen konnte. Dolch und Schwert hängte er sich an die Seite und stülpte ein samtnes Barett auf, das inwendig mit stählernen Reifen ausgelegt war. So gerüstet verließ er sein Haus, schritt die Schmiedegasse hinab, bog in die Burgstraße ein und gelangte, ohne daß ihm in der Dunkelheit ein Mensch begegnete, nach der alten Burg, indem er vorsichtig mit gedämpftem Tritt an der inneren Stadtmauer hinwandelte. Dort, wo der uralte Pharamundturm wie ein gespenstischer Riese in den Nachthimmel hineinragte, hielt er an. Im Schutze des Turmes befand sich an dieser Stelle ein eisernes Mauerpförtchen, durch das man auf einem halsbrecherisch steilen Pfade ins Taubertal hinausgelangen konnte.

Der Wächter kam eilend herbei, als er die Schritte vernahm, denn daß um diese Zeit ein Mensch die Gegend der alten Burg betrat, war ungewöhnlich. Nur alle drei Stunden machte die Stadtwache die Runde um die ganze Stadt und löste die einzelnen Posten ab.

Das Erstaunen des biederen Handwerksmeisters, der hier die Wache hatte, wuchs um ein Bedeutendes, als er beim Scheine seiner Laterne das allmächtige Haupt der Stadt vor sich sah.

»Es ist mir lieb, Meister Stieb, daß ich dich so wacker auf deinem Posten finde,« sagte Topler. »Nimm einen der Schlüssel hervor und schließe die Pforte auf, ich will hinab in meine Hofstatt.«

»Herr!« warnte der Wächter, »es hat am Nachmittage geregnet. Ihr könnt das Genick brechen, wenn Ihr ausgleitet. Der Mond geht in einer Viertelstunde auf, da könnt Ihr besser sehen!«

»Wo einer als Bube gespielt hat, da bricht er das Genick nimmer. Schließ' auf, guter Freund, und sorge dich nicht!«

Der Alte kam kopfschüttelnd dem Befehle nach, und Topler schlüpfte hinaus. Er mußte in der Tat sehr auf den Weg achten und kam mehrmals in Gefahr zu fallen, bis er auf einem breiten Pfade anlangte, auf dem er dann ruhig ins Tal hinabschreiten konnte. Als er auf der Tauberbrücke stand, blickte gerade die gelbe Mondscheibe in seinem Rücken über die Dächer von Rothenburg und übergoß das weiße, turmartige Gebäude vor ihm, das im Volksmunde das Toplerschlößchen hieß, mit ihrem fahlen Lichte.

Der Bürgermeister blieb einen Augenblick stehen und atmete tief auf, denn es ward ihm beim Anblick seines Lusthauses ganz eigenartig zumute, und seine Gedanken flogen rückwärts in eine ferne, längst entschwundene Zeit. Sein verstorbenes Weib hatte hier ein wundervolles Rosengärtlein gehegt, dem zur Seite er mit Erlaubnis des ehrbaren Rates das Schlößchen errichtet und für seine Eheliebste mit verschwenderischer Pracht ausgestattet hatte. Selige Tage waren es, die ihm mit ihr damals hier verronnen waren, und ein schwerer Seufzer drang aus seiner Brust, als ihm das alles jetzt wieder ins Gedächtnis kam, als wäre es erst gestern gewesen. Dann tauchte vor seiner Seele das Bild seines königlichen Freundes und Gönners Wenzel auf, der vor gerade zwanzig Jahren zum letzten Male nach Rothenburg gekommen war. Als der vor dem seltsamen Baue gestanden, da hatte er gelacht und gesagt: »Topler, solch' ein Häuslein sah ich noch nie, nicht im deutschen, nicht im böhmischen Lande. Es gleicht einem Flughause für Riesentauben und gefällt mir herzlich wohl, hier will ich wohnen.« In Wahrheit hatte der wunderliche Herr sogleich seine Prunkwohnung in der Stadt verlassen und war in die winzigen Gemächer eingezogen mit seinen ungeheuren Humpen, seinen riesigen Doggen und seinen schönen böhmischen Dirnen, und wer ihn dort besuchte, ward in den drei nächsten Tagen nimmer nüchtern. Damals nannten die Leute, das Schlößchen auch den Kaiserstuhl. Ach, das war nun alles so lange her! Längst vergangen waren seine Träume, mit Wenzel zusammen das Reich zu reformieren, die Städte über die Fürsten und Ritter zu erhöhen. Sie waren gescheitert an dem Eigenwillen und dem gegenseitigen Neid der Städte, deren keine sich ganz für das Ganze einsetzen wollte, und der König, der einst so Großes träumte, hatte sich gänzlich unfähig erwiesen, das Reich zu regieren. Er saß tatenlos in Prag und trank und schickte wohl hin und wieder seinen Freunden Briefe, die sie zum Aushalten mahnten, rührte aber selbst keinen Finger, um ihnen zu helfen.

Ein Gegenkönig war von einer Anzahl Fürsten auf den Schild erhoben worden, ein redlicher, aber machtloser Mann, ein Spielball in den Händen derer, denen er den Schein der Macht verdankte.

Immerhin war sein Dasein der Stadt schädlich, denn alle, die ihr übel wollten, konnten ihre eigensüchtigen Pläne gegen sie unter dem Vorwande verfolgen, daß sie des Reiches und König Ruprechts Acht gegen sie vollstrecken hülfen.

Der persönlich Edelste, aber dabei auch weitaus Mächtigste und Entschlossenste dieser Feinde war der Burggraf, und der hatte ihm zugleich mit dem gefesselten Verräter ein Brieflein zugesandt, worin er ihn bat, den Ritter von Seckendorff in einer ganz geheimen Sache zu empfangen. Topler hatte zurücksagen lassen, der Geheime Rat des Fürsten möge nicht in die Stadt einreiten, wo sein Erscheinen zu allerlei Gerede und Deutungen Anlaß geben werde. Er wolle vielmehr bei Dunkelheit mit ihm in seinem Tauberschlößchen zusammenkommen, dort könnte der Ritter übernachten und früh beim ersten Hahnenschrei ohne Aufsehen weiterziehen.

Wie ihm der Knecht des Fuchsmüllers, dessen Mühle neben dem Lusthause lag und der sein Hintersasse war, gegen Abend zugetragen, war Seckendorff eingetroffen, und so hatte auch er sich aufgemacht. Festen Ganges überschritt er jetzt die Brücke und traf alsbald auf den Fuchsmüller, der auf ihn gewartet hatte.

»Der fremde Herr ist eingetroffen? Hast du sein Pferd und seine Knechte wohl untergebracht und ihm selbst Speise und Trank gegeben?« fragte Topler.

»Ich habe alles getan, was Ihr befohlen habt, Herr. Ich habe auch meine Knechte ausgestellt, daß sie auf der Stelle künden sollen, wenn jemand herankomme,« antwortete der Müller und nahm dabei die Mütze ab.

»Es ist gut,« erwiderte Topler, ging über die Zugbrücke und zwängte sich die engen Stiegen empor. Gleich darauf stand er vor dem alten Ritter, dessen ehrwürdiges Haupt durch einen Krug von ungeheurer Größe halb verdeckt wurde. Der Fuchsmüller mußte wohl geglaubt haben, sein Herr habe den Fremden zu einem heimlichen Saufgelage entboten, denn ein zweites Gefäß von ähnlichem Umfange war noch auf dem Nebentische aufgepflanzt.

»Gott zum Gruße!« sagte Topler beim Eintreten zu Seckendorff, der sich erhob und ihm entgegenging. »Euer Herr hat verlangt, daß ich von ihm eine geheime Botschaft höre. So redet denn, meine Zeit ist knapp bemessen. Merken sie droben in der Stadt, daß ich ins Tal entwichen bin, so könnt's sein, daß mir einer nachschleicht, um zu erkunden, wer bei mir war.«

»Herr Topler,« begann der Greis und nahm dem Bürgermeister gegenüber wieder Platz. »Seine fürstliche Gnaden entbieten Euch seinen Gruß und lassen Euch sagen, daß Ihr möchtet meine Worte aufnehmen, als ob sie aus seinem eigenen Wunde kämen.«

Der Bürgermeister neigte schweigend das Haupt und sah den Sprechenden gespannt an.

»Seine Gnaden sind auch der Weinung, daß Ihr die ganze Wahrheit hören könnet, auch die über Euch selbst, und daß Ihr nicht einer der Schwachen seid, die sich selbst betrügen.«

»Ich bin dem Herrn Burggrafen ob seiner Wohlmeinung sehr dankbar. Aber ich bitt' Euch, kommt zur Sache!«

»So höret in Geduld, Herr Topler, wie mein gnädiger Herr Eure Lage betrachtet. Seid Ihr ehrlich gegen Euch, so sag' ich Euch nichts Neues. Die Ehrbaren in Rothenburg sind Euch gram, zum wenigsten die meisten, und Ihr wäret bei der jüngsten Ratskürung Eurer Ämter verlustig gegangen, hättet Ihr Euch nicht auf die Gemeinen gestützt. Durch die gemeine Bürgerschaft seid Ihr jetzt das, was Ihr Euch neulich vor meinem Herrn rühmtet zu sein: ,Der König von Rothenburg.' Aber Eure Macht steht auf schwankem Grunde.«

»Wie aller Könige Macht,« warf Topler ein.

Seckendorff überhörte die Anspielung und fuhr fort: »Von allen Herren der Launischste und Wetterwendigste ist der Herr Omnes, das Volk. Einem, der tausendmal größer war als Ihr, ist es begegnet, daß heute das Volk Hosianna sang und drei Tage später sein Kreuzige schrie. So kann es einem jeden gehen, der mit dem Volke zu tun hat.«

»Ohne Zweifel, das ist eine gemeine Weisheit, Herr Ritter.«

»Ihr habt nun gesehen, wie der Verrat um Euch lauert und seine Netze spinnt. Der Eure geheimen Schriftstücke kannte und jeden Tag in Eurer Nähe war, hat Euch nach dem Leben getrachtet. Konntet Ihr Euch auf den nicht verlassen, auf wen könnet Ihr bauen? Außer den wenigen, die von Eurer Sippe sind, auf keinen, das wißt Ihr so gut wie wir. Drum läßt Euch mein Herr, der Burggraf, sagen: öffnet ihm die Stadt und nehmet sie von ihm zu Lehn. Ihr werdet seinen Eid empfangen mit Wort und Schrift, daß Ihr unter ihm der Herr sein sollt bis an Euer Lebensende und Euer Sohn nach Euch. Und Ihr wisset, daß, wenn etwas feststeht im Himmel und auf Erden, so ist es Friedrichs von Zollern Eid. So seid Ihr sicher in der Stadt Regiment und braucht nichts mehr zu fragen nach der Ehrbaren Haß und des gemeinen Volkes Gunst. Das ist Herrn Friedrichs, meines Herrn, Botschaft an Euch.«

Topler hatte ihn ruhig ausreden lassen und ihn nur unverwandt mit funkelnden Augen angesehen. Auch nachdem der Ritter aufgehört hatte zu sprechen, kam zunächst kein Wort über seine Lippen. Endlich, nachdem er sein stürmisches Herz zur Nuhe gezwungen, entgegnete er mit einem dumpfen Grollen in der Stimme: »War das Euers Herrn Botschaft an mich, so höret nun die meine an ihn! Sie lautet: Niemals und nimmermehr! Soll ich zum Verräter werden an meiner Stadt, weil andere zum Verräter werden an mir? Der Eid, den ich geschworen, verbietet mir solches, auch wenn ich selbst mich fügen könnte unter eines Fürsten Herrschaft.«

»Halt!« rief Seckendorff unerschrocken dazwischen. »Verbietet nicht auch der Stadt Recht und Gerechtigkeit, daß ein einzelner Mann Herr sei in ihren Mauern? Und doch seid Ihrs, Herr Topler, wie der Burggraf Herr ist in seinem Fürstentum.«

Der Bürgermeister richtete sich stolz empor. »Noch bin ich's durch der Gemeine Wahl und Willen, und was die Zukunft bringt, weiß keiner. Ich bete, daß Gott und seine Heiligen mich erleuchten und beraten mögen, auf daß ich nicht wider meinen Eid handeln muß aus Not, wenn meine Feinde mich jemals allzu hart bedrängen. Und ich bin der Zuversicht, daß Gott mir zeigen wird, wie ich dann immer wieder des Volkes Gemüt lenken und für mich gewinnen kann.« Er stand von seinem Stuhle auf. »Habet Ihr sonst noch von Euerm Herrn etwas an mich auszurichten?«

»Noch eins!« erwiderte Seckendorff, sich gleichfalls erhebend. »Seine fürstliche Gnaden lassen Euch sagen: Dieses Angebot gelte für alle Zukunft, auch wenn Ihr jetzt nicht einwilligen wolltet. Das Tor der Kadolzburg steht Euch jederzeit offen, wenn Ihr Euch etwa einmal anders besinnen solltet.«

»Schiebt getrost einen Riegel davor!« versetzte Topler trotzig. »Indes, daß mir Euer Herr so wohl will, deß bin ich ihm dankbar und bitt' Euch, ihm das zu sagen. Es gehört zu den Dingen, um die ich Leid trage im Leben, daß wir Feinde müssen sein, denn ich achte keinen Mann im Reiche so hoch wie ihn. Aber ich muß mich wider ihn setzen. Und nun, Herr Ritter von Seckendorff, erlaubet, daß ich Urlaube von Euch nehme und heimgehe. Ich wünsche Euch eine geruhsame Nacht. Ihr schlafet hier, wo König Wenzel schlief, als die Eide noch galten, die wir ihm geschworen. Für morgen wünsch' ich Euch glückliche Heimkehr. Gott befohlen!«

Er schüttelte dem alten Ritter die Hand und schritt hinaus. Vor der Tür auf der Zugbrücke erwartete ihn der Fuchsmüller mit einem Windlichte und wollte ihn den Berg hinaufgeleiten. Aber Topler wies ihn zurück, denn der Mondschein machte den Pfad fast tageshell.

Durch das Mauerpförtchen, durch das er gekommen, schlüpfte er auch wieder in die Stadt hinein. »Johann Stieb,« sagte er zu dem wachthabenden Bürger, »der Gang, den ich jetzt bei Nacht getan, geschah zu der Stadt Sicherheit und Nutzen. Und du wirst mir geloben, daß kein Mensch außer dir etwas davon erfährt.«

Der alte Handwerksmeister gab das Gelöbnis, nicht wenig geschmeichelt in dem Gedanken, daß er mit dem Gewaltigen ein Geheimnis teile.

Topler nickte ihm zu und ging weiter. Aber er begab sich noch nicht heim, sondern er wollte noch einen Rundgang machen um die Stadtmauer, damit er sähe, ob alles in guter Ordnung wäre. Das stand ihm zu als dem obersten Feldhauptmann der Stadt, und er hatte es schon oft getan. Und je weiter er ging, um so Heller wurden seine Mienen, denn überall waren die Wachen auf ihren Posten, die Schneider am Burgtor, die Metzger am Würzburger Tor, die Sattler am Kobolzeller Tor und alle die anderen. Nirgendswo fehlte einer, nirgendswo traf er einen schlafend an. Zuletzt bestieg er die gewaltige Bastei des Spitaltores, die er selbst einst hatte anlegen lassen, und als er dort vor der Mauerbrüstung stand, zog er den Dolch aus der Scheide und stieß mit der Spitze mehrere Male in die Ritzen der Mauer hinein. Es bröckelte nichts ab. »Der Mörtel ist harter Fels geworden in den Zwanzig Jahren. Die Mauern rennt kein Werkzeug ein, und die steinernen Kugeln der neumodischen Donnerbüchsen müssen daran zerschellen,« sprach er vor sich hin. Dann reckte er die Hand aus nach der Gegend, wo Ansbach lag und murmelte: »Die Stadt ist bereit, der Tanz kann beginnen. Und so komme denn, Burggraf, komme!«


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