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Dreizehntes Kapitel.
Lillis Hochzeit.

Die schweren Flügeltüren der Petrikirche waren weit geöffnet.

Die Kirche war mit riesigen Lorbeerbäumen, Orchideen, Myrten und Palmen geschmückt. Der Altar erglänzte in Seide und Purpur, und von den hohen Kandelabern strahlte das Licht der Wachskerzen.

Dicke Teppiche dämpften die Schritte der Hin- und Herhuschenden; im Schiff und auf der Empore drängten sich bereits die Bekannten, welche der Trauung beizuwohnen hergeeilt waren.

Vor dem Portal harrte eine Schar Neugieriger der Ausfahrt, denn schon rollten die Hochzeitswagen heran, denen reichgekleidete Damen und elegante Herren in Zivil und Uniform entstiegen.

Endlich kam das Brautpaar in einer mit gelbem Atlas ausgeschlagenen Brautkutsche.

Ein Laut der Bewunderung ging von Mund zu Mund.

Entzückend sah Lilli in einem weißen Crêpe de chine-Kleid aus.

Ein Myrtentuff prangte an der Brust, und Myrtenzweiglein umrahmten die lange Schleppe.

In ihrem rötlichen Haar thronte die Myrtenkrone.

Der lange Schleier umwallte die liebliche Gestalt.

Herbert überragte seine Braut um Kopfeslänge und führte sie stolz und glücklich die teppichbelegten Stufen hinauf.

Von der Sakristei aus setzte sich alsbald der Hochzeitszug in Bewegung.

Voraus schritten zwei reizende kleine Mädchen, in Rosa gekleidet, mit weißen Schuhen, Rosenkränze im lockigen Haar tragend; sie streuten dem Brautpaar Blumen.

Ihnen folgten unter den feierlichen Klängen der Orgel Lilli und Herbert, begleitet von den Brautjungfern.

Die jungen Mädchen waren farbig gekleidet, in hellblau, grün und lila. Am Altar bildeten sie einen Halbkreis um das Brautpaar und gaben in ihrer Anmut und Lieblichkeit ein wunderschönes Bild. Neben den Eltern der Braut saßen die ehemaligen Kränzchenschwestern Ilse, Edith und Herta.

Erstere geführt von Rechtsanwalt Hilscher, Edith von ihrem Gatten in Galauniform, und Herta von Hans Joachim.

Unter den weiteren Hochzeitsgästen fiel eine Dame durch ihre aparte Schönheit auf.

Es war Matra Agnosticos, die junge Bildhauerin, die von Paris aus, wo sie ihren Studien oblag, hierher geeilt war, um am Hochzeitstage ihrer deutschen Freundin teilzunehmen.

Ihr griechisches Gewand fiel in weichen Falten an ihr herab, breite Goldborten umgaben Saum und Tunika desselben. Eine Goldspange schmückte das reiche Haar, und Armbänder Ober- und Unterarm.

Tante Hanna, in silbergrauem Atlas, stand unweit von ihr.

Beider Augen begegneten sich und lächelten sich zu. Beide hatten denselben Gedanken, wie wundersam spielt das Schicksal, das sie nach dem Abschied von Griechenland hier wieder in der deutschen Kirche zusammenführte.

Von der Empore erscholl jetzt wundervoller Gesang, dann begann die Predigt, der die Trauungsformel folgte.

Die Frage, ob Herbert die Jungfrau Maria Lilli Flatow zur Ehegemahlin nehmen wolle, beantwortete dieser freudig und stolz, so daß es durch das weite Kirchenschiff hallte, mit einem lauten »Ja!« – Das »Ja« der Braut klang verschämt und zärtlich.

Jetzt wurden die Ringe gewechselt, und auf weißseidenen Kissen knieend, empfing das Brautpaar, unter dem feierlichen Geläute der Kirchenglocken, den Segen.

Von brausendem Orgelklang begleitet, verließ das junge Paar als Eheleute, gefolgt von dem Hochzeitszug, die Kirche.

Im Hotel Kaiserhof, wo die Hochzeitsfeier stattfand, erglänzte die Tafel in Silber und Kristall.

Das schneeige Damasttuch war mit kleinen Myrtenblüten übersät.

Kleine Bäumchen in Biedermeierstil, mit grünen Blätterketten verbunden, zogen sich um die ganze Tafel.

Inmitten derselben stand auf einem, durch Spiegel imitierten See, das wohlnachgebildete Schiffchen, in welchem Lilli ihre Reise nach Griechenland angetreten hatte.

Diesmal bestand seine Ladung aus den Früchten des Südens: Orangen, Apfelsinen, Datteln, Mandeln, Traubenrosinen usw.

Die Menükarten trugen in Herzform die gelungenen Bilder des Brautpaares, das allgemeine Freude erweckte.

Als die Neuvermählten jetzt den strahlend erleuchteten Saal betraten, setzte die Musik mit den wuchtigen Klängen des Mendelssohnschen Hochzeitsmarsches ein.

Lillis liebliches Gesichtchen war etwas bleich. Es klangen noch in ihrer Seele die zu Herzen gehenden Worte des Pastors, und sie empfand die Verantwortlichkeit ihres künftigen Lebens als Gattin voll und ganz.

Nun ging es zur Tafel!

Ein farbenprächtigeres Bild hatte der »Kaiserhof« lange nicht gesehen.

Auf silbernen Platten reichten geschäftige Diener auserlesene Gerichte dar. In den Gläsern funkelte und perlte der Wein und entfesselte die Lebensgeister.

Den ersten Toast brachte Rechtsanwalt Hilscher.

»Ich habe,« so sprach er, »Leid und Freud', von der Schule bis zum Altar, wohin wir ihn heute begleitet haben – mit meinem Freunde Herbert, dem neugebackenen Ehemann, geteilt. Alle Phasen der Liebe zu seiner Lilli vertraute er mir an, und was am schwersten zu ertragen war – dutzendweise mußte ich Gedichte auf seine Angebetete auf meiner Bude anhören.

Während dieses Schiff, das hier zur Zierde des Tisches steht, ein blühendes, schönes Mädchen nach Griechenland trug, traf mich das Los, Tröster eines vereinsamten, sehnsuchtsvollen Jünglings zu sein. –

Sie sehen, hochverehrte Anwesende, ich habe mir redlich die Freude verdient, den Freund im Hafen der Ehe einlaufen zu sehen. Deshalb gestatte ich mir auch als erster auf das Wohl der Neuvermählten zu trinken, und bitte Sie alle mit mir Ihre Gläser zu erheben. Das junge Paar lebe hoch, hoch, hoch!«

Man lachte, trank sich zu, und Scherzworte flogen hin und her.

Nun aber kam ein Toast, in welchem der fehlenden Mutter Herberts gedacht wurde.

Ilse wischte sich eine Träne nach der anderen aus den Augen.

Nur Rechtsanwalt Hilscher sah es und fühlte nach, was in der Seele des jungen Mädchens, das ihm sehr teuer war, vorging.

Er haschte nach ihrer Hand. Wortlos blickten sie sich an und verstanden sich.

Sie wußte, er fühlte mit ihr.

»Heute dürfen Sie nicht traurig sein,« sagte er, »der Bruder führt Ihre liebste Freundin heim.« –

Beim Champagner, bevor die Tafel aufgehoben wurde, drohte von einem Ende derselben her ein Mißton.

Herta hatte sich erhoben, und kam, das Champagnerglas in der Hand, auf Edith zu, um mit ihr anzustoßen.

Entzückend sah sie in einem dekolletierten Crêpe de chine-Kleid aus. Auf ihrem weißen Hals glänzte ein Perlenhalsband. Sie war mit die schönste Dame der Gesellschaft, bewundernd sah man ihr nach.

Jetzt stand sie vor Edith – und diese wandte sich ab.

Vom oberen Ende der Tafel aus hatte die Braut den Vorgang beobachtet.

Sofort erhob sie sich und schritt, ihrem Herzen folgend, auf die Freundinnen zu.

Sie umarmte beide und zog sie an sich. Das sah entzückend aus. Lilli im Kranz und Schleier, ganz in Weiß, an der einen Seite Herta in Rot, an der anderen Edith in einer heliotropfarbigen Empirerobe.

»Liebe, liebe Kränzchenschwestern,« schmeichelte sie, und ihr goldiges Gesichtchen schaute aus dem Schleier rein und hold heraus. »Als Hochzeitsgeschenk bitte ich mir eure Versöhnung aus, das werdet ihr mir nicht abschlagen. Kommt,« – sie ergriff »in Champagnerglas, winkte auch Ilse zu sich und erfaßte deren Hand.

Dann sprach sie:

»Ich trinke auf das Wohl meiner lieben Kränzchenschwestern, die durch ihre Anwesenheit mein Hochzeitsfest verschönen kamen. Aus einem Glase wollen wir vier trinken und dann unser Glas der Vergangenheit weihen, in der alles verziehen sein soll, das je unsere Stimmung getrübt!«

Sie nippte am Glase und reichte es Edith.

»Ich bitte, Schwesterlein, trinke der Herta zu.«

Alle sahen auf Edith ... wird sie es tun? –

Da griff sie – ihr gutes Herz hatte gesprochen – nach dem Glase, trank daraus und reichte es dann Herta.

Bewegt nippte diese am Wein und küßte Edith. Zuletzt trank Ilse. Dann reichten sich die ehemaligen Kränzchenschwestern die Hände, und wie aus einem Munde ertönte es:

»Treu sein sei unser Panier!«

Herta war ganz bleich geworden.

»Seid versichert,« sagte sie leise, »jetzt werde ich es sein!« – -

Das Eis war zwischen ihnen gebrochen, sie setzten sich, wie in früheren Zeiten zusammen, und erzählten sich von allem möglichen. Herta fand nicht Worte genug, Edith für die Fürsorge, die sie ihrem Gatten hatte angedeihen lassen, zu danken.

»Willst du mir nicht lieber etwas von deinem Kinde erzählen?« lenkte Edith ab.

Ein freudiges Erröten ging über das Gesicht der jungen Mutter.

»Aber gewiß, du weißt doch, daß Hans Joachim unsere Kleine nach dir genannt hat? Es ist ein goldiges kleines Wesen, das du dir recht bald ansehen mußt. Es fängt schon an so hübsch zu plaudern.«

Durch Ediths Seele zog ein Gedicht Carmen Sylvas:

»Ihr Menschen, ich bin Mutter,
Mein Kind hat Mutter gesagt.«

Und ihr war es, als müßte sie den Herrgott bitten, daß auch ihr ein solches Glück beschert werden möge. – –

Ilse sprach von ihren Plänen, und daß sie bei ihrem Vater zu bleiben gedachte. Da lachte Herta. »Du, nach dem, was du hier sagst, hätte das Ringorakel damals recht gehabt.«

»Du bist ein edler Mensch, der stets das Richtige trifft,« meinte Edith und ergriff Ilsens Hand. »Elternliebe ist etwas Heiliges und will ungeteilt sein.

Widme dich nur ganz deinem alten Vater, laß keinen Fremden um ihn sein; bezahlte Fürsorge kann ein einsames Herz nicht erwärmen, nichts kann den Eltern ein Kinderherz, und nichts dem Kinde das Elternherz ersetzen.« –

»Holla!« gebot Herta, »in welch Fahrwasser sind wir geraten? Auf einer fröhlichen Hochzeit dürfen wir doch nicht so arg Trübsal blasen? – Und ich bin so glücklich, so doppelt glücklich, daß wir alle wieder vereint sind, kommt, wir setzen uns zu den andern, tanzen wollen wir, tanzen!«

Und bald darauf drehten sich die Kränzchenschwestern im graziösen Tanz, und waren wie vor Jahren so recht von Herzen fröhlich, herrschte doch Lust und Leben um sie herum, und sie selbst fühlten sich in Jugend und Schönheit erglänzen, und man huldigte ihnen von allen Seiten.

Ganz besonders viel gelacht wurde in einem Teil des Saales, wo sich die Brautjungfern gruppiert hatten. Zum Teil hatten sie Herberts Jugendfreunde zu Tischherren, die alle heiterer Natur waren.

Neben Erna Bosse saß Doktor Conrad Arnold. Neben Paula Merkel, Rolf Jäger, der ehemalige lustige Kunstpfeifer. Neben Cilly Oppen, Bill Owenberg. Neben Else Winter, Hugo Lißner; sie alle unterhielten sich glänzend.

»Ich bin nur neugierig, wer beim Kranzabtanzen zuerst gefangen wird,« sagte Paula Merkel zu Doktor Jäger.

»Gefangen wird? – Was meinen Sie damit?«

»Kennen Sie die Sitte nicht? Sie ist eine sehr amüsante. Bei uns daheim wird sie nie umgangen. Aber vielleicht ist sie eine kleinstädtische!«

»Wollen Sie mir nicht, bitte, sagen, worum es sich handelt?«

»Wenn sich ein Hochzeitsfest dem Ende zuneigt, wird die Braut noch in Kranz und Schleier in die Mitte des Saales geführt. Die Brautjungfern bilden einen Kreis um sie. Unter Absingen des Liedes:

»Wir winden dir den Jungfernkranz«

wird der Schleier abgesteckt und der Braut die Augen verbunden.

Die jungen Mädchen tanzen nun so dicht, daß sie von ihr erhascht werden können, um die Braut herum. Wer zuerst gefangen wird – wird die nächstfolgende Braut.«

»Und wie steht es mit den Junggesellen, dürfen die sich nicht auch fangen lassen?« neckte Doktor Jäger.

»Das ginge auch,« sagte Else Winter, die zugehört hatte. »Man verbindet einfach dem Bräutigam die Augen.« – – –

Beim Tanz meinte Rechtsanwalt Hilscher zu Ilse:

»Ich wünschte sehnlichst, Sie würden die nächstfolgende Braut.«

Ilse wurde über und über rot.

»Ich heirate nicht,« entgegnete sie sanft.

»Ei, ei, wollen Sie sich mit Klostermauern umgeben?«

Sie lächelte. »Zu Hause wird es sein, wo sich mein Leben abspielen wird. Mein Vater hat mich nötig, wenn er alt wird. Er soll sich nicht vereinsamt und verlassen fühlen. Mein schneller Gang wird sich seinem müden anpassen. Meine jungen Augen werden für seine schwach gewordenen Umschau halten, und meine Hände werden ihn pflegen.«

»Und später, später, wenn er mal nicht mehr sein wird?«

»O, daran will ich nicht denken!«

»Aber ich will zuschauen, wie Ilse Lutzner waltet, will ihr edles Herz zu erringen suchen, und werde warten, bis es aller Pflichten bar, einstmals für mich sprechen wird.« –

Während dieses Gesprächs drehten sich fröhliche Paare im Tanze, sangen Geigen, tönten die Trompeten.

Und dann war die Zeit herangekommen, wo der Myrtenkranz abgetanzt werden sollte, und um die Braut herum erklangen hell die Stimmen der Mädchen:

»Wir winden dir den Jungfernkranz
Mit veilchenblauer Seide.«

Nach Absingen des Liedes steckten ihr die Brautjungfern den Kranz ab.

Eine tiefe Bewegung überkam Lilli.

Sie blickte dankerfüllt zu den geliebten Eltern, die ihr die Jugend verschönt, die jeden Stein des Anstoßes, jedes Ungemach von ihr ferngehalten hatten, die so selbstlos ihr alles gegeben und nichts von ihr verlangten.

Der Kranz, der Schleier waren Zeichen der neuen Würde; sie ging hiermit aus dem Elternhaus in das Haus des Gatten. Mit dem fallenden Schleier endete die erste, glückliche Jugendzeit ...

Tränen der Dankbarkeit, des Glücks drängten sich in ihre Augen, und eine innere Stimme fragte beklommen: »Werde ich meinen Pflichten genügen können?« – Eine andere jubelte: »Du ziehst in das Haus eines geliebten Mannes.«

Blitzschnell war die Rührung verrauscht. Schon tanzten die Mädchen um sie herum.

Lilli haschte ein-, zweimal, ohne eine der Mädchen fangen zu können; erst beim drittenmal fing sie Paula Merkel.

»Hoch!« rief man. »Hoch die nächstfolgende Braut!«

Das allerliebste junge Mädchen wurde dunkelrot. Doktor Jäger stand neben ihr, als sich aller Augen auf sie richteten.

Die Heiterkeit erreichte noch ihren Höhepunkt, als dieser als der erste Herr vom Bräutigam gefangen wurde. Gleich kombinierte man und gab der Hoffnung Ausdruck, die beiden als Brautpaar begrüßen zu können.

Während des Contre, den Hans Joachim mit Edith und Herta mit Hauptmann von Gerlach tanzte, kleidete sich Lilli zur Hochzeitsreise um.

Unbemerkt hatte sich das Brautpaar entfernt, nur Ilse, die liebevolle Schwester, war ihnen gefolgt und half ihrer Schwägerin in das prall anliegende Reisekostüm aus dunkelblauem Tuch, mit breiten, schwarzen Borten. Ein weißer Automobilschleier bedeckte den kleinen Hut, den sie nun aufsetzte, und legte sich unter dem Kinn zur breiten Schleife, während die langen Enden weit über das lange Jackett gingen. Ein modernes Täschchen hielten ihre grau behandschuhten Hände.

Kaum war sie reisefertig, da trat auch der junge Ehemann herein.

Auch er sah in hellem Reisemantel und ebensolchem Hut stattlich aus und führte glückselig sein junges Frauchen die Treppe herab zu dem harrenden Wagen.

Ilse folgte ihnen und küßte sie herzlichst immer und immer wieder.

Dann sah sie dem rollenden Wagen nach. Ein paar Sekunden blieb sie stehen, ihre Lippen flüsterten:

»Ziehet glücklich von dannen, ihr Lieben, und wenn ihr wiederkehrt – bringt das Glück mit heim!

Ende.

 


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