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Erstes Kapitel.
O goldene Jugendzeit!

I

In dem elegant eingerichteten Wohnzimmer der Frau Major Wittner war ein junges Mädchen damit beschäftigt, den Kaffeetisch herzurichten.

Daß sie mit ihren Gedanken ganz bei der Sache war, merkte man an dem Eifer, alles recht schön zu gestalten.

Bald überschaute sie von rechts, bald von links, was sie aufgebaut. Als die veilchenumrankten Papierservietten zierlich gefaltet in den Tassen prangten, streute das junge Mädchen duftende Veilchen über den breiten, gestickten Tischläufer. Dann nahm sie behutsam vier Fähnchen, die sie am Abend vorher aus Plastelina geformt hatte und drückte Veilchenköpfe in die eingezeichneten Buchstaben.

Sie lächelte zufrieden. Werden die Kränzchenschwestern erstaunt sein, ihre Namen aus Veilchenköpfchen gebildet zu lesen. Wie hübsch sich dies ausnahm, vor jeder Tasse ein Fähnchen!

»Bitte, Mama, willst du nicht schauen?« Herta Wittner öffnete eine Tür zum Nebenzimmer und rief ihre Mutter, die verwitwete Frau Major herein.

Eine noch jugendliche Gestalt, in moderner Kleidung, betrat das Gemach.

»Originell, gelt?« Herta schmiegte sich an die Mama und sah gespannt in deren Züge.

»Wirklich eine sehr nette Idee mit den Blumen.«

Edith, Lilli, Ilse, Herta,

las sie, ließ dann ihr langgestieltes Lorgnon fallen, das ihr an goldener Kette am Hals hing und sagte nun etwas verstimmt zu ihrer Tochter:

»Siehst du, wie nett du alles arrangieren kannst, wenn es heißt, dich zu zeigen, und bei mir im Haushalt willst du nicht zugreifen. Du machst mir wirklich viel Sorge, Kind. Deine Unlust, dich zu betätigen, ist mir schrecklich. Wie gut könnte ich Emma entbehren, wenn du der Marie zur Hand gehen wolltest. Es geht wirklich über unsere Verhältnisse, drei Dienstboten zu halten.«

»Mutti, du verdirbst mir die Stimmung.« Herta schmollte und wandte sich ab.

Die Majorin seufzte. Immer wenn sie ihrem Töchterchen Vorstellungen machte, hörte sie diese Worte. Und doch sprach sie weiter:

»Ich habe dich verwöhnt, wirft mir Tante Carla vor, vielleicht hat sie recht; aber du bist ein so gescheites Kind, deine Vernunft und deine Liebe zu mir sollten dir sagen, daß du verpflichtet bist, mir beizustehen. Du bist bereits halb erwachsen, man kann schon Ansprüche an dich stellen ...«

War es die verschlossene Miene, die Herta, das schwarzlockige Mädel, jetzt angenommen hatte, war es das überzärtliche Herz der jungen Witwe, ihrem einzigen Kinde gegenüber, die Frau Major brach plötzlich ab, nahm ihr Kind in die Arme und flüsterte: »Herti, Mädele, laß mich doch nicht immer tadeln, sieh, ich freue mich so gern über dich. Gelt, du wirst noch ein Hausmütterchen werden? Wirst mich nicht zwingen, mein einziges Töchterchen in die Pension zu geben, um Haushalten zu lernen, wirst von der Mama lernen, gelt?«

Da küßte Herta die Mama stürmisch, aber sie antwortete nicht.

Als erste kam mit militärischer Pünktlichkeit Ilse Lutzner zum Kränzchen. Herta half ihr ablegen.

»Hast du schon wieder einen neuen Hut? fein!« Sie faßte das Kunstwerk der Putzmacherin mit spitzen Fingern an und drehte es bewundernd hin und her.

»Bild-bildschön,« rief sie entzückt, »etwas Geschmackvolleres habe ich nie gesehen. Bist wohl sehr glücklich?«

»Ach du, eines Hutes wegen! Ich mache mir nicht sehr viel daraus, Mama hat ihn ausgesucht.«

»Alle Achtung – darf ich ihn mal aufsetzen? – Schau mal, kleidet er mich?«

Sie setzte sich vor dem weiß lackierten Spiegel, der auf dem Toilettentisch vor dem Fenster stand, Ilsens Hut auf ihre schwarzen Locken. Der runde graue Strohhut, mit dem Blumenkranz darum, stand zu ihrem blassen Gesicht mit den dunklen Augen ausgezeichnet.

»Schau nur, schau, wie er mich kleidet,« rief sie begeistert. »Ach, Ilse, hast du es gut, was du nicht alles bekommst, bei uns – Mutter rechnet so ... Sie muß es ja auch schließlich ...«

Es klingelte! Die zweite Kränzchenschwester, Lilli Flatow, erschien.

Lilli war die entwickeltste von all den Mädchen. Groß und stark, sah sie wie eine Siebzehnjährige aus, während sie doch erst fünfzehn Jahre zählte. Rötlich-blondes Haar und rehfarbene Augen gaben ihr etwas Apartes, und hätten das runde, helle Gesicht nicht Sommersprossen entstellt, man hätte sie eine Schönheit nennen können. Das sagte Ilses Bruder, dessen Schwarm sie war, auch.

Das Stubenmädchen hatte sie zum Ablegen der Garderobe in Hertas Schlafstübchen geführt, wo die beiden anderen noch über Toiletten debattierten. Lilli trug eine weiße Bluse, blauen Faltenrock und einen selbstgestickten Gürtel. Ein Panamahut, mit schottischer Schärpe aufgesteckt, saß kühn auf dem krausen Haar.

»Servus! Hoffentlich bin ich nicht wieder die letzte. Ich mußte nämlich noch Klavier pauken, habe morgen Stunde.«

»Edith ist noch nicht da; komm, setze dich noch hier zu uns, wir wollen erst hinüber, wenn das Kleeblatt voll ist.«

»Eine Neuigkeit bringe ich!« Lilli machte Schelmenaugen.

»Heraus damit!«

»Nein, erst beim Kaffee!«

Ilse ging unruhig auf dem mit Streumuster versehenen Teppich hin und her. Herta zeigte mit etwas neidischem Gesichtsausdruck deren Hut.

»Hut hin, Hut her,« sagte Lilli und schwang sich auf das Fensterbrett, von wo aus sie die Straße übersehen konnte, »mir ist so etwas schnuppe. Mache mir überhaupt sehr wenig aus Aeußerlichkeiten!«

»Tue nur nicht so!« neckte Herta, »du willst bloß immer der Tugendbold sein, ich weiß aber doch, wer gern in den Spiegel schaut!«

Lilli lachte und nickte der Freundin zu.

»Holla, da kommt Edith!« Sie winkte hinab.

»Einen affigen Gang hat sie!« murrte Herta. »Seht nur, wie der Rock hin und her fliegt.«

»Finde ich gar nicht! Mutter sagt auch, Edith bekommt eine gute Figur und hat eine schöne Haltung.«

»Schau, da kommt wieder die Advokatentochter heraus. Immer verteidigen!«

Ilse lachte. »Und du, Soldatenkind, musterst die Haltung.«

»Aber nun, meine Damen, ich bitte zum Kaffee.« Damit schritt Herta voran, öffnete die Tür und ließ ihre Freundinnen in das Wohnzimmer eintreten.

»Wie entzückend hast du wieder alles arrangiert!« rief Ilse bewunderungsvoll.

»Fein,« sagte Lilli und griff nach dem Fähnchen, das ihren Namen trug.

»Nicht anfassen,« wehrte Herta, »zerbrechliche Ware!«

Nun saßen die jungen Mädchen um den Kaffeetisch, tranken, scherzten und lachten.

»Lilli, die Neuigkeit, bitte, ich brenne vor Ungeduld!« drängte Herta.

»Also: Referendar Arnoldsen hat sich verlobt!«

»Mit wem?« erscholl es aus dem Munde aller zugleich.

»Nun, ratet mal?«

»Mit – mit – ja, weißt du, da zu raten ist schwer, er schnitt mehreren Damen die Cour.«

Lilli erhob sich, um den Eindruck, den sie nun machen würde, zu erhöhen: »Also, Referendar Arnoldsen hat sich mit unserer – Klavierlehrerin verlobt!«

»Mit der Dicks?«

»Na, höre mal, das ist aber eine Geschmacklosigkeit!«

Herta war rot vor Erregung.

»Dann schließt er ja eine Mesalliance! Hat doch sonst den Kopf so hoch getragen und sich über so viele, mit denen sich die Dicks nicht im geringsten messen kann, seinen Spott ausgegossen. Und nun will er dieses bescheidene Gänseblümchen heimführen?«

»Sie ist ganz allerliebst,« fiel Edith ein, »nur von einfacher Herkunft.«

Ilse lachte auf. »Vom ältesten Adel ist auch er nicht! Er arbeitet ja in Papas Kanzlei und wurde mehrmals bei uns zu Tisch geladen. Aber Mama meinte, man merke es ihm an, daß ihm die Kinderstube gefehlt.«

»Aber er ist sehr nett und tanzt brillant. Du weißt, Ilse, daß dein Bruder ihn zum Tanzstundenball mitgebracht hatte.«

»Wie geht es denn eigentlich deinem Herrn Bruder?« fragte Lilli errötend.

»Danke, Li, gut! Er läßt dich grüßen und hat ein Gedicht auf dich gemacht. Ja, ganz gewiß.

›Rothaarig ist mein Schätzchen‹,

beginnt es.«

»Ach du, laß mich!« wehrte Lilli ganz verlegen.

»Kinder, ich habe eine famose Idee,« lenkte Ilse ab, »wollen wir mal sehen, wer von uns sich am ehesten verloben wird?«

»Ja, tun wir das,« stimmten alle zu.

»Wartet,« sagte Herta und erhob sich, »ich will Mama um ihren Trauring bitten, der gehört nämlich dazu, ist sozusagen das Orakel. Und du, Edith, bitte, klingle nach Emma, sie soll ein leeres Wasserglas bringen, das wird ebenfalls dazu gebraucht.«

Nun zog die Gastgeberin einen Faden durch den Trauring, hielt ihn an demselben über dem Glase, senkte die Hand etwas, so daß er mitten darin war, und sprach pathetisch:

»Wie lange wird es noch dauern, bis unsere Kränzchenschwester Edith sich verloben wird?«

Der Faden geriet ins Schwanken, der Ring tippte mit leisem Klang viermal an das Glas und wandte sich um.

»Ach, vier Jahre soll ich noch warten.« Edith zog ein Schmolllippchen. »Auf keinen Fall! Ich denke es mir zu schön, als Braut am Arme eines schneidigen Anbeters einherzustolzieren und Brautvisiten zu machen, je eher, je besser. Nein, liebes Orakel, du hast dich geirrt!«

Die Mädchen lachten.

»Wer kommt jetzt daran?« fragte Herta.

»Bitte ich,« bat Lilli.

»Wie lange wird es dauern, bis unsere Kränzchenschwester Lilli sich verlobt?«

Der Ring pendelte hin und her, hin und her, ohne das Glas zu berühren.

Das hübsche Mädchen machte ganz ängstliche Augen und hing gespannt an Hertas Hand, die zu zittern begann. Endlich kamen drei leise Anschläge, der Ring drehte sich, die Mädchen atmeten auf.

»Na, also doch! Dann bin ich gerade achtzehn.«

»Du, schade, meine Schwägerin wirst du dann nicht; Herbert kann dann noch nicht heiraten, ich glaube – warte mal – dann ist er noch nicht mal Referendar!« meinte Ilse.

»Weißt ja auch gar nicht, ob ich ihn mag!« entgegnete Lilli und nahm ein Stückchen Kuchen vom Teller, um sich nach der ausgestandenen Angst zu stärken.

Jetzt kommt Ilse an die Reihe!

Wieder begann Herta ihre Formel. Der Ring bewegte sich hin und her, hin und her, drehte sich nach langem vergeblichen Winden und schlug nicht an.

»O, du armes Ding, du sollst wohl gar keinen Bräutigam bekommen? – Unsinn, du, die reichste, und was mehr sagen will, die aller-, allerbeste von uns,« schmeichelte Lilli. »Aber bange machen, gilt nicht, wir versuchen es nochmals, gelt, Herta?«

»Nein, das wird sonst langweilig. Ich bin nun an der Reihe und dann Schluß!«

Bei Herta schlug der Ring viermal an.

»Dann wäre ich gerade zwanzig Jahre. Na, aber besser als gar nicht. Arme Ilse,« neckte sie, »solltest du wirklich leer ausgehen, keinen Mann bekommen? – – Aber nun, meine Damen, lassen Sie uns an die Arbeit gehen.«

Die jungen Mädchen holten ihre Handarbeiten heraus, und ein Buch, aus welchem eine jede abwechselnd vorzulesen hatte. Dieses letztere hatte Ilse mitgebracht; sie hatte es von ihrem Bruder als Konfirmationsgeschenk bekommen. Mit fester Hand hatte er ein Gedicht eingeschrieben, das dem Schwesterchen ein Motto für das Leben sein sollte.

Bevor Ilse vorzulesen begann, ging das Buch von Hand zu Hand, Alle wollten Herbert Lutzners Handschrift sehen, denn er stand im Mittelpunkt der Backfisch-Interessen.

»Markante Züge!« meinte Herta.

»Eckige!« warf Edith hin.

»Mindestens Bismarck,« spöttelte Lilli, die stets darauf bedacht war, ihr Interesse durch spitze Redensarten zu verstecken.

»Nun aber los, Ilse, erst lies du uns das Motto vor.«

Ilse begann:

»Wenn dich das streitige Leben zaust,
Straffe die Schulter, balle die Faust!
Nur nicht gleich nach Hilfe schrein,
Von Elend jammern, Pechvögelein,
Denke: »'s ist wie das Leben ist,«
Glaubst du dich Pechling – wirst du's gewiß,
Das Schicksal – fletscht es auch die Zähne –
Im Grunde ist's doch eine feige Hyäne,
Den Stolz heraus, die blitzende Klinge,
Wollen ist Können bei jedem Dinge,
Und besser als klägliches Stirngefurch
Hilft das strenge, prächtige Wörtlein:

»Durch!«

Edith machte ideale Augen, Herta warf die Lippen auf, aber Lilli schlug burschikos auf ihr Bein. »Das gefällt mir! Durch! Ja, durch dick und dünn, wie das Leben für uns auch kommen mag ... Uebrigens, Mädels, erhebt euch von euren Stühlen, wollen wir uns hier feierlichst geloben, was immer kommen mag, wir Kränzchenschwestern werden stets treu zusammenhalten, und eine soll sich auf die andere verlassen können.«

Die gefühlvolle Ilse war ganz blaß geworden, aber auch die anderen waren ernst und reichten sich einander mit festem Druck die Hände. »Und nun,« schlug Lilli vor, »lassen wir uns Münzen prägen mit dem Motto:

»Treu sein, sei unser Panier.«

Abgelenkt durch die feierliche Wendung war zum Vorlesen keine Stimmung. So ward denn noch ein bißchen musiziert. Ilse spielte prächtig Klavier, Edith Geige. Aber Lilli übertrumpfte, wie immer, alle andern. Als diese ihr Konzert beendet hatten, nahm sie eine Mandoline, die an der Wand hing, schlang das breite, blaue Band derselben um ihren Hals, ließ ihre weißen Finger leicht durch die Saiten gleiten und begann mit klarem Stimmchen ein schelmisches Liedchen, das sie nach moderner Art sehr deklamatorisch gestaltete.

Edith und Ilse hörten ihr, sich eng umschlungen haltend, vom Sofa aus zu.

Herta lehnte am Klavier. Lilli selbst nahm, die Mandoline am Arm, eine malerische Stellung ein, indem sie sich auf den großen Kübel einer künstlichen Palme, die eine Ecke ausfüllte, setzte.

Ungesehen lauschte auch Frau Major Wittner durch die halbgeöffnete Tür des Nebenzimmers, als Lilli begann:

»Im Dörfchen, wo ich lebte,
Gar wonnevoll umschwebte
Cerlinde mich.
Ich bat den Genius,
Oft, oft um einen Kuß.
»Ich küsse nie,« sprach sie.
»Ich küsse nie!«

Einst fiel im raschen Tanze
Aus ihrem Lockenkranze
Ein Röschen ihr.
Ich hob's von ihrem Fuß
Und bat um einen Kuß.
»Ich küsse nie,« sprach sie.
»Ich küsse nie!«

Wir spielten Schach und Mühle,
O Glück, bei jedem Spiele
Gewann nur ich.
»Kind zahle mir die Schuld,
Mit einem Kuß voll Huld.«
»Ich küsse nie,« sprach sie.
»Ich küsse nie!«

»An meinem Namenstage,«
Zerfloß in süßer Sprache
Ihr Herzenswunsch.
Ich bat als Angebind
Um einen Kuß geschwind.
»Ich küsse nie,« sprach sie.
»Ich küsse nie!«

Dank einer schönen Stunde
Da bot zum Freundschaftsbunde
Sie mir die Hand.
»Es siegelt unser Band
Ein Kuß mehr als die Hand –«
»Ich küsse nie,« sprach sie.
»Ich küsse nie!«

Als mich von ihr zu trennen, –
Wer kann die Wehmut nennen,
Das Schicksal rief,
Schlug sie den Elfenarm
Um mich so süß und warm.
Da küßte sie und wie!
Da küßte sie!«

Als Lilli geendet, trat Frau Major ins Zimmer hinein und machte ihr ihr Kompliment über den schönen Vortrag.

»Liebe Kinder,« sprach sie alsdann: »Ich habe vom Nebenzimmer aus euren Treuschwur gehört. Damit ist es eine sehr ernste Sache. Ihr seid schon halberwachsene Mädchen und müßt wissen, welche Bedeutung ein Schwur hat. Ihr legt solchen zuerst am Altar ab, bei der Konfirmation, eurem Glauben treu zu bleiben. Am Altar zum zweiten Mal, wenn ihr dem Gatten die Hand fürs Leben reicht. Und der Schwur der Freundschaft legt euch die Verpflichtung auf, für einander einzutreten und in allen Lebenslagen, in die ihr geratet, zueinander zu stehen.«

»Ach, Mutti,« fiel, mit der Sorglosigkeit der Jugend, Herta ein, »sei nur nicht so pathetisch, uns wird es schon allen gut gehen, ›in allen Lebenslagen‹,« persiflierte sie mit frommem Augenaufschlag und legte die Hände aufs Herz.

»Nun, das wünsche ich euch, und nun amüsiert euch weiter gut; ich will nicht stören. Adieu.«

Die Mädchen knicksten, und Frau Major Wittner verließ das Gemach. – – –

Schon hatte sich die Dämmerung herabgesenkt, als die jungen Mädchen das Haus verließen.

»Nanu,« rief Ilse in der Haustür, »das nenne ich aber galant – da ist ja unser Herbert, willst mich abholen?«

Ein hochaufgeschossener, junger Mann trat auf die jungen Mädchen zu, nahm seine rote Primanermütze ab und verbeugte sich linkisch.

»Guten Abend, meine Damen,« sprach er etwas verlegen, »Mama hat mich abkommandiert, die Ilse, meine liebe Schwester, abzuholen.«

Ilse konnte nicht umhin, ein wenig über ihren Bruder zu lächeln, denn es lag ja auf der Hand, daß er nur Lillis wegen gekommen war.

»Bist mein braves Baby,« scherzte sie und schob ihren Arm in den des Bruders. Aber er machte sich los und schritt nun neben Lilli her, die tief errötet war.

»Darf ich fragen, ob Sie sich gut amüsiert haben?«

»Danke, sehr!«

»Fein war es,« warf Edith ein. »Bei Wittners ist es immer am schönsten. Die Herta weiß alles so fein zu arrangieren, es ist stets stilvoll bei ihr.«

»Und das nächste Kränzchen, wo wird das sein?«

»Bei mir,« entgegnete Lilli.

»Ach, wenn ich doch auch kommen dürfte!« schmachtete Herbert.

Die Mädchen lachten.

»Nein, das geht nicht,« nahm Ilse das Wort, »aber wenn Ihr unser Kränzchen mal zu einer Ruderpartie einladen wolltet – das Wetter ist noch herrlich genug dazu, würden wir uns riesig freuen, nicht wahr, Lilli, Edith?«

»Aber sehr, wenn es Mama gestattet,« antwortete Edith, während Lilli sich damit begnügte, ihr voll Wonne in den Arm zu kneifen.

»Werden uns gern das Vergnügen machen,« entgegnete Herbert erfreut. »Paßt es den Damen vielleicht am nächsten Mittwoch? Wir Abiturienten haben da einen Ausflug verabredet. Ich würde mir also erlauben, die Kränzchenschwestern in unseren Ruderklub einzuführen, während die anderen ihre Damen einladen können.«

»Aber dann muß man erst wissen, wer kommt,« meinte Edith vorlaut und machte eine vornehme Bewegung. »Wir dürfen doch nur in unserer Gesellschaftsklasse verkehren.«

»Daß dir nur kein Steinchen aus der Krone fällt,« warf Lilli derb ein.

»Bravo,« flüsterte Herbert neben ihr. Ilse lachte.

»Laß es dir gut bekommen,« sagte sie und reichte Edith die Hand, die vor ihrem Hause stehengeblieben war.

Nun führte man noch Lilli heim, und dann gingen die Geschwister ihrer Behausung zu.

»Na, weißt du, die Edith ist eine Hochnase, der steckt die adelige Mutter im Kopf. Die andern Mädels können sich sehen lassen, eine hübscher als die andere. Freilich, Leo Hilschers Schwarm ist allerdings keine Tochter einer adligen Madame, aber sie ist lieb und freundlich und hat sich stets nett benommen. Und was die andern betrifft, die können sich auch sehen lassen, und – das kannst du deiner lieben Freundin ganz ruhig wiedersagen, alle sind sie hübscher als Edith Waldenburg.«

»Ereifere dich nur nicht so!« beschwichtigte die Schwester, »Edith hat es doch nicht böse gemeint, sie ist ein so gutes Tierchen, daß sie gewiß niemanden beleidigen will.«

»Nein, gewiß nicht, aber so seid ihr jungen Damen, immer gleich so von oben herab. Uebrigens haben wir vier Kähne, ist es dem hochmütigen Dämchen nicht recht, mit anderen zu fahren, so führen wir das Vier-Klassen-System ein. Die Lilli, das ist ein famoser Kerl, hat Edith gut abgeführt,« setzte er schmunzelnd hinzu. – –

Am folgenden Mittwoch fand die Ruderpartie wirklich statt. Es fuhren aber nur die Kränzchenschwestern und Ilsens Bruder mit seinen drei Freunden.

Am Endziel, einem vornehmen Restaurant, wurden sie alle von ihren Müttern, die mit Wagen heraus gefahren waren, erwartet. Herbert hatte zwar versucht, zugunsten seiner Freunde deren Angebetete einzuschmuggeln, aber weder den Müttern unserer Mädchen, noch diesen selbst war dies recht. Also segelte man in gewählter Gesellschaft hinaus.

Abwechselnd saßen die jungen Mädchen am Steuer, während die jungen Herren kräftig drauf los ruderten.

Herta sah schmachtend zu Bill Owenberg hinüber, der im weißen Anzug, dito Strohhut und breitem Sportgürtel ganz famos aussah. Er hatte auch schon einen Anflug von einem Schnurrbärtchen und sang englische Lieder mit weicher Stimme, die über das Wasser scholl.

Ediths Partner war Hugo Lißner, ein stämmiger Jüngling, etwas linkisch, der verlegen mit seiner silbernen Kavalierskette spielte, wenn er sprach.

Fescher war Rudolf Jäger, der Schiller parodierte, daß die jungen Mädel nicht aus dem Lachen herauskamen.

Herbert saß neben Lilli; wenn der Kahn zu schaukeln begann, berührte ihr rotblondes Haar seine Schulter, ihr warmer Atem streifte seine Wange, und ihre zarten Bewegungen, mit denen sie hin und wieder an ihrem Armband nestelte oder ihren Hut rückte, versetzte ihn in einen so glücklichen Rausch, daß er meinte, eine schönere Wasserfahrt sei in dieser Welt niemals gewesen. Aeußerlich verhielt er sich merkwürdig ruhig und beobachtete mehr, als er sprach. Auch Lilli war weniger heiter, als es sonst der Fall zu sein pflegte. Als Herbert sie nach der Verstimmung fragte, antwortete sie seufzend, sie hätte ihren französischen Aufsatz noch nicht gemacht und müsse ihn doch morgen schon vorlesen.

»Ich helfe Ihnen,« flüsterte er, beglückt, ein Geheimnis mit ihr zu haben, »bitte, sagen Sie das Thema, und sollte ich die ganze Nacht hindurch arbeiten, in Verlegenheit lasse ich Sie nicht.«

»Wie freundlich Sie sind,« lispelte Lilli, etwas beschämt, sich helfen zu lassen.

»Ich wollte,« setzte sie jetzt hinzu, »die Schule läge hinter mir. Aber meine Eltern wollen durchaus, daß ich die Selekta noch durchmache.«

Herbert nahm eine bedeutende Miene an und meinte gewichtig: »Ich bin gar nicht dafür, daß Mädchen so viel lernen. Es genügt, daß sie die Wirtschaft verstehen und soviel von der Gelehrsamkeit wissen, um dem Geistesflug ihres zukünftigen Mannes folgen zu können.«

Da verriet sich Lilli durch die vorschnelle Frage, »was gedenken Sie denn zu werden?«

Am liebsten hätte er geantwortet: »Reichsgerichtsrat«, aber es mußte schon etappenartig gehen, und er antwortete daher bescheiden: »Jurist«.

Als sie neuerdings errötete, ein Etwas, das ihr sehr peinlich war, das aber an diesem Tage verschiedene Male geschah, setzte er überlegen lächelnd hinzu: »Aber meine Zukünftige braucht keine Paragraphen zu lernen!« – –

Der peinlichen Situation ward sie entrissen durch Ilse, die plötzlich so lebhaft sich erhob, daß der Kahn ins Schwanken kam, mit ihrem Taschentüchelchen winkte und einen Jodler vom Stapel ließ.

Die ins Gespräch Versunkenen hatten nämlich nicht bemerkt, daß man schon das Ufer sah, von wo aus die liebenswürdigen Mütter bereits nach ihren Lieblingen ausschauten.

Im Restaurant verbrachte man einen köstlichen Nachmittag. Nach dem gemeinsam eingenommenen Kaffee durften die jungen Schüler und Schülerinnen durch Wald und Wiesen schlendern, gaben sich Rätsel auf, verschmähten die Schaukeln und Karussels nicht, die im Garten standen und amüsierten sich köstlich. Und heimwärts ging es durch den mondbeschienenen Wald, in dem Tausende von Glühwürmchen glühten, und aufgeschreckt hie und da ein Eichhörnchen von Ast zu Ast duschte oder auch ein Käuzchen schrie. Ganz andächtig war den Dahinwandelnden zumute; auch die Mütter lauschten der Sprache der Natur.

Jetzt kam man an einer Waldschenke vorüber; ein Spanfeuer erleuchtete das verwitterte Häuschen und ein Leierkasten ließ seine heiseren Töne zu einem Tänzchen ertönen.

Junge Burschen und Mädchen drehten sich nach einer Melodie, und ehe man es sich versah, hatte Terpsichore auch unsere kleine Gesellschaft erfaßt, und zum Gaudium aller hatte der blonde Bill die Kühnheit, die Frau Major um einen Walzer zu bitten, und die jugendliche Mama ließ sich gar nicht lange bitten und tanzte frisch drauf los, so daß ihrem Beispiele die Mädchen mit Jubel folgten.

»Seien Sie beruhigt,« flüsterte Herbert Lilli zu, als diese eine Polka mit ihm tanzte. »Morgen überbringt Ihnen Ilse das fertige thème.«

»O, wie lieb und gut von Ihnen!« gab sie ebenso flüsternd zurück und schaute sich um, ob es auch niemand gehört.

Frau Rechtsanwalt Lutzner, die älteste der Damen, drängte nun aber zum Aufbruch, bevor die Nacht sich vollends senke, und so schritt man rüstig vorwärts, und alle sagten sich, daß sie einen köstlichen Nachmittag verlebt hätten. – – – – – – –


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