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Fünftes Kapitel.
Hertas Briefe an ihre Freundinnen.

»Adieu, auf Wiedersehen!«

»Recht viel Vergnügen!«

»Schreibe recht bald!« klang es durcheinander.

Ilse und Edith standen auf dem Perron und wehten mit dem Tüchlein, denn wieder galt es, einer Freundin das Geleit zu geben. Wochen waren seit Lillis Abreise vergangen, als auch die zweite Kränzchenschwester abdampfte.

Arm in Arm schritten die »Hinterbliebenen«, Ilse und Edith, heim, sie waren ganz traurig, daß sie nun nur noch zu zweien geblieben.

Unterwegs begegneten ihnen Herbert, Rolf Jäger und Hugo Lißner, die ehrerbietig grüßten.

»Nun,« redete Herbert die Schwestern an, »ist eure Kränzchenschwester abgedampft?«

»Leider!«

»Ach, leider konntet ihr von Fräulein Lilli sagen, Herta, das oberflächliche Ding –«

»Bitte, laß das, Herta ist unsere Freundin!« entgegnete Ilse pikiert.

»Gratuliere dazu!«

Die jungen Herren lachten und zogen grüßend von dannen.

Während nun Ilse ihre Sprachstudien aufnahm und Edith sich mit Handarbeiten, Tennis usw. die Zeit vertrieb, verlebte Herta frohe Stunden. Die Freundinnen, die auch jetzt noch allwöchentlich ihr Kränzchen zu zweien abhielten, lasen mit Vergnügen Hertas Briefe.

I.

»Geliebte Kränzchenschwestern!

Nun sind wir schon drei Wochen hier, und ich habe euch noch kein Lebenszeichen von uns gegeben. Verzeiht, aber ich kam wirklich nicht zum Schreiben.

Hier herrscht nämlich ein äußerst reges Leben, was mir ausnehmend gefällt. Die Damen vom Lande nehmen es wahr, wenn Städter kommen, eine Einladung folgt der anderen. Obgleich ich die jüngste der Damen bin (oder soll ich sagen, weil? – ) werde ich riesig gefeiert. Mama steckt eine bedenkliche Miene auf, ich glaube, die Süße fürchtet die Konkurrenz.

Aber zu beklagen hat sie sich wirklich nicht; es ist nämlich ein alter General in der Nähe, Besitzer eines Ritterguts – nebenbei Exzellenz – der sich für meine schöne Mama interessiert. Natürlich sage ich das euch unter strengster Diskretion, und nur unter dem Einflusse eines Glücksrausches, der mich befällt, wenn ich denke, daß ich ein Exzellenztöchterlein werden könnte!

Natürlich lasse ich mir noch nichts merken, aber wenn Muttel mich fragen sollte, wie ich darüber denke, werde ich ihr sehr zuraten, Frau Generalin zu werden, obgleich Geschmack dazu gehört, den alten Herrn zu heiraten. (Als Tochter möchte ich ihm auch nie einen Kuß geben, brrr, der Schnurrbart, der beim Trinken immer naß wird!) Aber Mama dürfte schon aus Liebe zu mir einen eventuellen Heiratsantrag nicht ablehnen, denn wir würden sehr reich werden.

Ihr wißt, wie ich mir immer ein Gespann gewünscht habe. Der General hat tadellose Rappen, Schimmel und diverse Wagen dazu. Als erstes Geschenk bäte ich mir ein Reitpferd aus.

Wirklich, es ist genant, daß ich nicht reiten kann, und wie die alten Damen im Wagen sitzen muß, während die jungen mit den Herren der hiesigen Gesellschaft uns vorausreiten.

Uebrigens ist ein angeheirateter Verwandter unserer Tante recht nett zu mir und hat schon einigemal zu meinen Gunsten darauf verzichtet, mit auszureiten.

Er ist Fähnrich (leider Infanterist), hat dunkelblondes, gescheiteltes Haar, ein dito Schnurrbärtchen und kleidet sich patent, wenn er Zivil trägt. Beim Tennis natürlich immer weiß – mit rotem oder blauem Gürtel. Auch ist er Besitzer zweier Panamahüte, die zum Gürtel entsprechende Bänder haben. Seine Filzhüte sind lila, braun, blau, ganz modern wie Damenhüte. Parfüm Juchten. Nun werdet ihr begierig sein, zu erfahren, wie er heißt: Hans Joachim von Halden ... Die Tante nennt ihn kurz Jochim, was er mit Recht sehr geschmacklos findet.

Ueberhaupt die Tante, was sie für faux pas macht! Schon in ihrem Aeußern. Ich muß mir wirklich das Vergnügen machen, sie euch zu schildern (nächstens male ich sie und stifte das Bild dem Kränzchen). Wollte ich sie als Farbe in meinen Kasten einrangieren – natürlich unter Braun.

Mutter meint, sie sei fast so groß wie mein seliger Großvater. Sie ist mager, hat verwischt kastanienbraunes Haar, kupferfarbigen Teint, Haut wie Leder und ist von unnatürlichem Anstand. Wir beide, Joachim und ich, dürfen nicht einmal allein in den Wald gehen, die Glühwürmchen könnten sich darob empören!

Und wenn ich mir auch gar nichts aus dem eleganten Jüngling mache, nur um der »Braunen« ein Schnippchen zu schlagen, gehe ich auf seine abenteuerlichen Vorschläge ein.

So sprang ich skrupellos auf, als er am Wege mit dem Dogcart vorüberfuhr und mich aufforderte, mit ihm zu kommen.

Das Gesicht hättet ihr sehen sollen, als uns die alte Dame ankommen sah!

Man saß gerade auf der Veranda beim Nachmittagskaffee. Die Tante nahm ihre Brille ab (sie trägt dieses veraltete Ding, wenn sie die Zeitung liest) und fragte mich, wie alt ich sei; und Hans Joachim, ob er wisse, was man einer jungen Dame aus der Familie schulde. Mama war empört, daß ich die Gastfreundschaft so lohne, Aergernis zu erregen. Um es wieder gut zu machen, las ich später der »Braunen« die Zeitung vor.

Sie interessierte sich – Gegensätze berühren sich – nur für Kirchengeschichte und Gerichtsverhandlungen.

Diese verarbeitet sie mit Wonne. Hans Joachim lacht sich halbtot darüber, mit welch grausamem Genuß sie diese Abhandlungen verfolgt. Er sitzt scheinbar still dabei, wenn ich lese. Sie unterbricht mich fortwährend, teils durch empörte Zurufe, teils enttäuscht oder befriedigt. Jedenfalls aber regt sie das Urteil immer auf. Kaum bin ich dann mit Vorlesen fertig, setzt sie ihre Brille auf und überliest das Vorgelesene. Dann erzählt sie allen, die sich ihr nahen, von den Mordsgeschichten, und jedem in anderer Tonart.

Edith, wenn Du noch unter die Schriftsteller gehen solltest, diesen Typ von Tantenart solltest Du Dir nicht entgehen lassen. Vielleicht lernst Du sie kennen, wenn Mama Exzellenz wird und ich Euch zu mir einladen kann. – –

Habt Ihr schon etwas von Lilli gehört? Die wird gewiß viel Schöneres erleben als wir alle drei. Hans Joachim gedenkt auch einmal eine Weltreise zu unternehmen; seine Eltern müssen sehr reich sein, sie haben eine Villa bei Dresden und leben bon,(Er ist der Brudersohn von Tantes Schwägerin.) –

Eigentlich bin ich furchtbar neugierig, wohin wir alle viere mal unsere Hochzeitsreise machen werden. Denkt Ihr noch an das Ring-Orakel? – Heute regnet es. Dann ist es sehr langweilig in Ponnwitz. Das Wohnzimmer hat wenig Licht, die Fenster sind mit Wein umrankt, ebenso der Vorbau, was die Helligkeit sehr beeinträchtigt. Die Einrichtung ist altmodisch und langstielig. Eß- und Wohnzimmer sind ein Raum. In der Mitte des Zimmers steht ein breiter Tisch, um diesen herum hochlehnige Stühle. An der Wand ein breites, altes Sofa, der stereotype lange Spiegel – und daß ich es nicht vergesse, zwei Oleanderbäume in großen Kübeln stehen noch im Zimmer! Stimmungsvoll, was? –

Von den Nachbarn kommt wohl heute niemand herüber, Joachim ist zur Stadt gefahren, Mama liest, Tante häkelt Wollröckchen für arme Kinder zu Weihnachten, rührend, nicht?

Hoffentlich kommt der General, damit Mama ein wenig auftaut. Ich habe schon Angst, sie reist ab, und die herrliche Aussicht auf eine reiche Heirat geht flöten. Natürlich würden wir auf seinem Rittergut nur zeitweise sein, ich denke mir Berlin als Aufenthalt herrlich.

Wollen sehen, wie sich alles entwickeln wird!

Für heute, Ihr lieben Kränzchenschwestern, seid herzinnigst geküßt von Eurer des Mottos gedenkenden Freundin

Herta Wittner.

II.

Herzliebste Kränzchenschwestern!

Ist doch alles anders gekommen!

Hans Joachim, der Weltreisende in spe sitzt noch bei der ledernen Tante, und ich mache die Reisen. Dieser selbstlose Kavalier hat seine Eltern veranlaßt, uns einzuladen, nachdem es auf dem Lande bei dem anhaltenden Regen unerträglich geworden, und so sind wir denn in der sächsischen Hauptstadt, wo es uns ausnehmend gefällt.

Das internationale Gewimmel in den Straßen, jetzt, in der Reisesaison wohl noch erhöht, ist ungemein reizvoll für mich. Ich möchte den ganzen Tag umherstrolchen, wenn Mama es gestatten würde. Eine eingehende Schilderung der Stadt zu geben, müßt Ihr mir erlassen, Ihr könnt sie besser beschrieben in irgend einem Reisebuch nachlesen. Lieber will ich Euch den hochherrschaftlichen Haushalt unserer Gastgeber beschreiben. Aber erst ein wenig Eitelkeit! ... Hans Joachim überreichte mir beim Abschied neben dem üblichen Bukett ein feines Kettchen, so dünn wie ein Haar, dessen kostbarer Anhänger die Anschrift trug:

»Zum Andenken an trautverlebte Stunden.«

Ist das nicht überaus sinnig?

Selbst Tante Braun, oder besser gesagt die braune Tante, fand es auch.

In Dresden werde ich ungemein gefeiert. Gestern fragte ich den Schaffner in der Straßenbahn, ob wir an der Bildergalerie vorüberkämen, ich wolle aussteigen und sie mir ansehen.

Gleich erbietet sich ein junger Herr, sie mir zu zeigen, steigt mit mir aus und erweist sich als liebenswürdiger Cicerone. Natürlich stellt er sich vor. Ich tat es aber nicht, mag er denken, ich sei irgend eine herabgestiegene Hoheit.

Bei Tisch erzähle ich von dieser Galanterie, was Mama sehr chokierte. »Eine junge Dame dürfe die Begleitung eines Fremden niemals annehmen,« meint sie.

Herr v. Halden lachte.

»Die Jugend von heute!«

Frau v. Halden erzählte, daß sie bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahre niemals allein ausgehen durfte. Und dann wurden Beispiele von so hohen Tugenden und Ehrbarkeiten gebracht, daß mir ganz übel ward.

Frau v. Halden kleidet sich sehr elegant, aber so nett ihr Gatte ist, so wenig ansprechend ist sie.

Die Tochter, die sie nicht hat, – kann sich freuen.

»Ich habe mir immer ein Töchterchen gewünscht,« flötete sie, als wir ankamen und sie mich meiner Mutter neidete (sie findet mich bildhübsch), »da kam statt dessen ein frischer Bub.«

Natürlich sang nun ihrerseits meine Mama Hans Joachims Lob, – der gute Kerl hat uns ja auch Dresden ermöglicht – und beide Damen freundeten sich innigst an. –

Jetzt soll ich immer nur den Wagen benutzen, übrigens haben sie ein famoses Gespann, aber es macht mir mehr Spaß, kleine Streifzüge durch die Stadt zu machen. Ich sehe mir so gern die Schaufenster an und suche mir in Gedanken viel schöne Sachen aus.

Ob ich wohl mal so recht, recht reich werde? – – Mama hat sich erschreckend eilig vom General verabschiedet, ich fürchte, sie macht »rechtsum Kehrt«.

Nehmt für heute mit dem wenigen fürlieb, nächstens schreibe ich mehr. Ich gedenke nämlich noch eine Entdeckungsreise zu machen. Das Stubenmädchen erzählte mir von einer Kartenlegerin, die unweit von hier wohnen soll, ich möchte wirklich mal orakeln lassen, was mit dem Alten wird.

Mutter hat gestern furchtbar gelacht, als ich derb an zu tippen wagte. Ich fragte nämlich frisch drauf los: »Muttel, setzst du einen Generalstreik in Szene?«

Nun aber genug, auf zur Phytia! Lebt wohl und gedenket

Eurer
Herta.«

III.

Ihr lieben Mädels.

Zunächst Dank für Eure guten Berichte; auch über Lillis Befinden. Ich wäre neidisch auf sie, hätte ich nichts Besseres zu tun. Hier überstürzen sich die Ereignisse.

Zunächst: Ich trage jetzt eine andere Frisur! »Zum Verlieben«, meinte Frau von Haldens Zofe, als sie dieses Kunstwerk von Lockengebäude fertig gebracht hatte.

Mama erhob Einspruch, ich sei viel zu jung dazu, ich solle die Schleifengarnitur beibehalten usw. Und inmitten der Debatte erscheint der Briefträger mit einem Brief, der auf der Adresse die langgezogenen, altmodischen Buchstaben der Tante trägt.

Mutter las, und gleich darauf ward zum Packen geblasen. Die Tante hatte nämlich die Ankunft des Generals signalisiert, und nach einer Unterredung mit Hans Joachims Eltern ward beschlossen, daß wir uns, Mutter und ich, vor dem General in ein kleines Oertchen der sächsischen Schweiz verkriechen sollten.

So hat sich die Szenerie verwandelt, wir sind auf »Sommerlogis« in Wehlen, einem allerliebsten Oertchen am Fuße der Bastei.

Der Fluß ist belebt, fast wie der Rhein, alle Augenblicke kommen dichtbesetzte Schiffe mit vielen Touristen, die zu mustern mich riesig amüsiert.

Ein Adonis, meist ganz weiß gekleidet, mit rehfarbigem Schlips und dito breitem Gürtel, macht mir den Hof. Schlank wie eine Gerte, mit schwarzem Schnurrbärtchen und mandelförmigen Augen, die sehr verliebt blicken können, entspricht er ganz meinem Geschmack.

Auf einem bescheidenen Réunionchen hab ich allein mit ihm getanzt. Mama wollte erst nicht hingehen, schließlich bekam ich sie doch dazu. Sie gestattet mir auch Spaziergänge mit dem Adonis zu machen, der, wie Mutter sich erst überzeugt hat, »ein wohlerzogener Jüngling« ist. –

Gestern abend kam mit voller Musik und festlicher Beleuchtung ein großer Dampfer; fast so groß wie ein Amerika-Dampfer, sagte eine Dame, die schon zweimal den Ozean durchschifft hatte. Lachen und Singen tönte zu uns herüber. Der Gastwirt am Elbstrande ließ buntes Feuerwerk aufgehen und beleuchtete die dunkle Wasserfläche und das bunte Getriebe auf dem dreistöckigen Schiffe. Auf Deck wurde getanzt.

Woher mögen sie gekommen sein, wohin mögen sie gehen all die fröhlichen Menschen?

Ein gegenseitiges Grüßen, Hurrarufen – das bengalische Feuer erlischt, mehr und mehr entfernen sich die Lichter der Kajüten sowie die Bogenlampen des Decks, und alles liegt wieder in Dunkel gehüllt da. –

An dem langen Tisch bei uns saßen zwei junge Ehepaare mit sehr romantischem Schicksal. Der Adonis erzählt mir nämlich alles. Das erste ist besonders interessant. Er ist Künstler, sie eine faszinierende Ungarin. Sie wandern immer, sind kaum ein paar Monate an einem Ort und lernen die Welt kennen.

Ich beneide sie darum. Mama bedauert sie. Ueberhaupt sind die Damen auf ihn nicht gut zu sprechen. Er spielt ein wenig den Tyrannen und quält die hübsche Frau mit seinen Launen. Ich würde ihm aber viel verzeihen, denn er hat Geschmack und sucht für seine Gattin wundervolle Hüte aus. Gestern trug sie einen solchen, in altrosa gehalten, idealschön. Dann haben sie eine allerliebste kleine Bulldogge, die sich oft warm an mich anschmiegt und sehr empfänglich für Zärtlichkeiten und Speisereste ist. Das andere Ehepaar sieht fast zu jung aus, als daß ein hübscher, blonder Bub Mama und Papa ruft.

Er hat elegischen Gesichtsausdruck und schwärmerische Augen. Sie ist ein frischer Gegensatz zu ihm. Er hat sie – was ich ihm hoch anrechne und sehr romantisch finde – gegen den Willen seiner Eltern geheiratet. Die Trauung soll besonders phantastisch gewesen sein. Aus diesem Grunde sind sie mir sehr interessant; wir sind sehr lustig miteinander.

Gestern abend war im Hotel Konzert. Der Adonis hatte mit vielem Schick eine Gesellschaft entriert. (Auch ein Amerikaner, stumm wie ein Fisch, mit dummen Kuhaugen war anwesend.) Für uns war ein Tisch, dicht neben der Elbe, gedeckt und durch Windlämpchen beleuchtet. Die jungen Herren brannten abwechselnd Feuerwerk ab, das von der Hotel-Verwaltung erwidert wurde.

So war die Szenerie bald von der Wasser- bald von der Häuserseite beleuchtet. Zwischendurch flogen wie Pfeile die Dampfer durch die dunkle Flut. Die Herren brachten sich durch Bowle in gehobene Stimmung. Und einer von diesen schlug vor, ihre Zusammenkunft beim Angeln zu sanktionieren und einen Verein zu gründen.

Mit Wonne gingen alle darauf ein. »Wenn zwei Deutsche zusammenkommen, gründen sie einen Verein,« sagt Heine. Und dieser pompöse Verein bekam den lieblichen Namen »Zum Fischkopf«.

Den Vorsitzenden ließ man hochleben. Die Musik setzte mit einem Tusch ein, es war zum Radschlagen lustig.

Schließlich tanzte man auf grüner Matte, und dann erloschen die Feuer, und man begab sich zur Ruhe. –

Den Adonis – übrigens Erich heißt er – habe ich zu meinem Pagen ernannt. Mit ihm wetteifert ein etwas zu dick geratenes Studentlein um meine Gunst. Natürlich ließ ich ihn gründlich abfallen, nachdem er mich gestern abend – wohl infolge der Bowle – einmal »Kleines« und das andere Mal »Puppe« genannt hat. –

Heute haben wir die ganze Gesellschaft schwimmen lassen; im wahren Sinne des Wortes. Wir saßen an der Elbe, die Herren kamen aus ihren Kabinen, pladautz ins Wasser, und nun begann ein Wettschwimmen. Mit dem Kahn fuhr ein Fischer nach, für etwaige Erschöpfungsfälle.

Die Bulldogge, Ninki, blieb in meiner beglückenden Nähe, sie legte sich mir zu Füßen, was sich in Anbetracht meines lila Empirekleides (das Tier hat graumeliertes Fell) malerisch ausnahm.

Mama fand das Schwimmen nicht nett, mußte aber die Waffen strecken, als man ihr entgegnete, in Norderney statte man sich im Wasser sogar Visite ab. –

Mein Page hat die braune Tante drollig besungen, nachdem ich sie ihm genügend geschildert. Als er mir ein Feldbukett von seinem Spaziergang im Uffenwalder Grund mitbrachte, fand ich ein Zettelchen zwischen zierlichen Farnen, darauf stand:

Von allen den schönsten Frau'n
Gefällt mir am besten die Tante Braun.
Natürlich in der Ferne,
Hätt' in der Nähe sie weniger gerne.
Doch heißen Dank möcht' ich ihr sagen,
Daß sie sich nicht mit der Nichte vertragen;
Sonst hätte ich sie nicht in Wehlen gesehn,
So rosig, so jung und morgenschön.

Mama hielt mir hierob eine gut stilisierte und wirklich zu Herzen gehende Rede, ob man so Gastfreundschaft belohne, daß man seine eigene Verwandte, noch dazu als komische Figur, hinstelle und sie glossieren lasse usw. Ich ward ganz gerührt und bitte in Gedanken der Tante, die es ja so gut mit uns allen meint, alles ab. Ja, ich küsse ihre ledernen Wangen. (Ob wir wohl auch mal so aussehen wenn wir älter werden?)

Nun aber schließe ich für lange Zeit, Muttchen beginnt sich zu langweilen, entweder wir gehen nochmals nach Dresden zurück oder Ihr seht bald in höchsteigener Person

Eure Kränzchenschwester
Herta.

IV.

Liebe Kränzchenschwestern.

Das muß ich Euch doch noch schreiben. Haben wir gestern gelacht! Es war zum Brüllen.

Unsere Hausgenossin, Miß Salem, erhält ein Telegramm von ihrer Freundin, sie würde am Sonntag mit ihrer Tochter von Dresden aus einen Abstecher nach Wehlen machen.

Gleich ist die Tafelrunde Feuer und Flamme, der, wie es scheint, sehr beliebten Dame einen ulkigen Empfang zu bereiten.

Man beriet hin und her, und schließlich wird folgendes Programm entworfen:

Abholung von der Bahn durch die ganze Gesellschaft.

Die Ehrenjünglinge – die Ehrenjungfrauen waren nur durch mich vertreten – ließen schleunigst eine Girlande machen, mit welcher man durch Fahnenstangen eine Art Baldachin gestaltet. Dieser wurde von vier der Herren getragen.

In einer Bude mit »Andenken« wurden niedliche Sachen ausgesucht und an Bergstöcken, die Sträußchen trugen, befestigt. Nun ging es zu zwölf Personen nach der kleinen Bahnstation, wo eine malerische Gruppe der Ankunft des Zuges harrte.

Ein brausendes Hurra sollte die erste Ueberraschung sein, das Herr Pich, der kleine Tyrann mit den melancholischen Augen, einstudiert hatte.

Jetzt nahte der Zug ... die Spannung steigt ... er fährt ein, und vor den erstaunten Passagieren und den noch erstaunteren erwarteten Damen, erscholl das Hurra aus zwölf Kehlen.

Unter dem Vortritt der Ehrenjünglinge mit dem Blumen-Baldachin wurden beide Damen eingeholt.

Mit Grazie und verblüffend schnell hatten diese die Situation erfaßt und fanden sich in die Rolle der Fürstinnen gut hinein. Hoheitsvoll schritten sie die Front ab und grüßten rechts und links. Dann setzte sich der Zug in Bewegung.

Die Passanten wußten erst nicht, was aus der seltsamen Gruppe zu machen sei, dann gewannen auch sie dieser Szene die komische Seite ab, und nicht wenige schlossen sich dem sonderbaren Zuge an.

Ein Spaßvogel imitierte den Bürgermeister. Als man auf dem Marktplatz angekommen war, trat er vor und hielt eine zu ulkige Anrede, die ich Euch gekürzt hier wiedergebe:

»Durchlauchtigste Frau!

Mit heißem Dank für dero gütiges Erscheinen zur Enthüllung des Standbildes, heiße ich Sie und Prinzessin-Tochter ehrerbietigst willkommen. Es war uns ein Bedürfnis in unserer Stadt, den ruhmreichen Namen dero Ahnen zu verewigen, und die echte Weihe erhält die Feier durch die Anwesenheit Euer Durchlaucht.

Und so falle denn die Hülle!«

Erich riß mit geschäftiger Hand eine Papierrolle von einem Etwas, das die andern schnellstens gebaut und das auch uns überraschen sollte. Zum Gaudium aller sah man den kleinen Herrn Pich in einer unbeschreiblichen Attitüde auf einem Hammel reitend, der sonst in Freiheit dressiert im Städtchen herumzulaufen pflegte.

Aber das Gelächter könnt Ihr Euch nicht vorstellen! Die angesammelten Leute brüllten und johlten und riefen hoch!!

Als sich der Sturm etwas gelegt hatte, trat die »Fürstin« vor und antwortete:

»Herr Bürgermeister!

Meinen fürstlichen Dank für den warmen Empfang, den Sie mir und der Prinzessin bereitet haben.

Freudig bin ich hierher geeilt, um der feierlichen Enthüllung beiwohnen zu können. Allein Sie werden mir gestatten, zu bemerken, daß die Hammel unserer Ahnen nicht so plebejisch fett gewesen wie dieser auf dem Standbild, und daß unser Ahnherr weniger krumme Beine gehabt als die Reiterstatue.

Immerhin geruhe ich, dem Künstler sowohl als allen Anwesenden, den Orden der heiligen Henriette zu verleihen, und Ihnen, Herr Bürgermeister, den Kohnorden erster Klasse.«

Dankend verbeugte sich hierauf der also Angeredete, die Damen umringten die »Fürstin«, die so prompt zu antworten verstand und drückten ihr die Hand. Es gab ein Durcheinander von Stimmengewirr und Gelächter ringsumher, und selbst aus den Fenstern der ehrsamen Bürger, die dem seltsamen Vorgang amüsiert zugeschaut, erschollen Bravorufe.

Nochmals ertönte es hoch, hoch, und die Feier war beendet.

Am Nachmittag war die ganze Gesellschaft zu Miß Salem eingeladen, wo der Kaffeetisch auf der Veranda, mit Blumen geschmückt, hübsch gedeckt war.

Ich saß neben Erich, der mit der imitierten »Prinzessin« kokettierte, was mich sehr kalt ließ. Heute hatte auch Hans Joachim geschrieben, er hat Sehnsucht nach einer jungen Dame mit schwarzem Haar und dunklen Augen ... wer sieht so aus?? Ratet!

Nun sehen wir uns bald. Auf das Wiedersehen freut sich

Eure
Herta

V.

Ihr Lieben!

Gestern sind wir mit dem Luxusdampfer »Kaiser Wilhelm« nach Schandau gefahren. (Zurück mit der »Kaiserin Augusta«, – patriotischer kann man doch nicht sein?) Als wir an der Festung Königsstein vorüberkamen, gedachte ich des Leutnants Zerbst, der ein Jahr dort »fern von Madrid« leben mußte.

Mutter sprach wehmütig über den armen Studenten, den er vor nun zwei Jahren im Duell erschossen hatte. Das war doch auch ein Jammer, und nicht mal eine Dame gab zum Zweikampf Anlaß, das wäre noch romantisch gewesen, nein, um ein unbedachtes Wort ward auf Leben und Tod gekämpft.

Eine Dame unserer Gesellschaft kennt die arme Mutter des Erschossenen und erzählte uns, wie erschütternd es gewesen sei, sie so verzweifelt an der Bahre ihres einzigen Sohnes zu sehen. Wollen wir Kränzchenschwestern dahin zu wirken suchen, daß durch uns niemals Aergernis kommt und wir keine indirekte Schuld auf uns laden. Wirklich, hier schweigt mein Uebermut, ich mußte weinen, als ich die Leidensgeschichte der armen Mutter gehört. –

Schandau hat mir nicht sonderlich gefallen, da will ich lieber im idyllischen Wehlen sein als dort. Es wimmelt von Fremden aller Nationen, aber über dem Städtchen liegt für mich etwas wie Langeweile.

Wir fuhren zum Wasserfall, zum Kuhstall und lasen bei gutem Humor viele Inschriften.

Jemand hatte geschrieben:

»Hier oben ist Fräulein Amalie gewesen
Und hat verbotene Romane gelesen.«

Darunter steht von anderer Hand geschrieben (natürlich von einem Berliner):

»Warum tut sie det so hoch,
Det kann sie unten ooch!«

Mein Page verewigte sich mit folgenden Strophen:

Wanderer, begreife mein Glück
Und denke mit mir daran zurück.
Hier stand ich zur Seite einer lieblichen Maid,
Schwarzäugig und rosig und riesig gescheit.
So schön auch die Berge,
So schön auch das Tal,
Ich bliebe beim Mägdlein,
Hätt' ich die Wahl.

Schnell schritten wir weiter, Mama brauchte den Blödsinn nicht zu lesen.

Ueber einen Spruch haben wir noch sehr gelacht; stand da zu lesen:

»Schreite nur weiter, verehrte Dern.
Ich bleibe hier sitzen und lieb dich von fern. –«

Gegen Abend fuhren wir wieder unserm Sommerlogis zu, ein Leierkasten spielte auf dem Schiff melancholische Weisen. Erich machte schmachtende Augen, Miß Salem gähnte fortwährend. Der dicke Student bot mir Konfekt an, das er in Schandau gekauft hatte und versuchte, eine Unterhaltung anzubahnen. Aber wir alle waren todmüde und froh, als wir heimkamen. Gleich begaben wir uns zu Bett und schliefen bis in den anderen Tag hinein.

Und nun sende ich Euch meine schönsten Morgengrüße.

Eure
Herta.


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