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Siebentes Kapitel.
Ediths Schicksal wendet sich!

Mit dem Erscheinen des Kommerzienrats hatte sich die Lebenslage der Damen Waldenburg überraschend schnell geändert. So überraschend, daß sie es selbst kaum zu fassen vermochten. Und das ging so zu:

Wieder einmal holte Frau Waldenburg am Abend ihre Tochter vom Geschäft ab.

»Mutterle, dir ist etwas besonders Gutes passiert, du siehst ja strahlend aus!« damit begrüßte Edith ihre Mama.

»Ach, Kind ... ich kann es selbst gar nicht fassen, es ist so traumhaft ... aber komm, komm, nur weiter, Stehenbleiben ist hier etwas gefahrvoll!«

»Tut, tut,« sausten Autos vorüber, Droschken, Radfahrer, Omnibusse, und was nicht noch alles, drängten sich zusammen, man hatte alle Ursache, hübsch auf sich aufzupassen.

Erst als man jetzt in eine stille Straße einbog, zog Edith ihrer Mutter Arm fester an sich, schmiegte sich zärtlich an sie und bat: »Nun, Mama, laß hören, was es Gutes gibt.«

»Nein, Liebling, erst wenn wir daheim sind.«

»Nun dann, bitte, laß uns ein schnelleres Tempo nehmen, ich bin furchtbar neugierig. Gewiß war Herbert Lutzner da und hat was Erfreuliches erzählt.«

»Gefehlt! was ganz, ganz anderes ist es. Etwas woran weder du noch ich jemals gedacht hätten.« –

Man war daheim!

Frau Waldenburg entzündete heute zwei Flammen ihrer Gaskrone, und Edith sah, daß der Tisch zierlicher als sonst gedeckt war. Und was für leckerer Aufschnitt stand da und russischer Salat, den sie so gern aß!

»Na höre, Mutz, da gehen ja unerhörte Dinge vor! Haben wir etwa in der Lotterie gewonnen? – Da stehen ja auch noch köstliche Weintrauben und Pfirsiche, Mutz, Mutz, schnell heraus mit der Sprache!«

Tief errötend wie ein junges Mädchen, stand Frau Waldenburg da, und etwas wie Verschämtheit lag über ihrem Gesicht, als sie einen Brief aus der Tasche zog, und ihn ihrer Tochter reichte.

»Hier, mein gutes Kind, mein treuer Kamerad in Not und Elend, lies,« sagte sie gerührt und verließ das Gemach.

Kopfschüttelnd blickte die Tochter der Mutter nach. So eigenartig wie heute hatte sie diese nie gesehen, was war denn los? –

Eiligst zog sie aus einem breiten Kuvert einen ebenso breiten Bogen und überflog den Inhalt.

Wie versteinert blieb sie auf ihrem Platze sitzen.

»Meine Mutter – – meine Mama – – – die Mutz?? – Ja, das – – –,« und mit einemmal durchflutete die helle Freude ihr ganzes Sein, hinausflog sie zur Mutter. Die saß auf ihrem Bette, den Kopf in die Hand gestützt, wie sonst, wenn schwere Sorgen sie niederdrückten, und doch so ganz, ganz, ganz anders.

»Mama, süße, liebe Mama, daß dir das große Glück noch zuteil wird, Mama, Mama, das ist ja hier ein regelrechter Heiratsantrag!«

Und das junge Mädchen küßte die Mutter und die Mutter sie, und beide weinten zuletzt vor Wonne und Dankbarkeit, daß sie endlich allem Elend entronnen sein würden.

Dann aber richtete sich Frau Waldenburg auf und sah dabei so jugendlich aus, daß ihre Tochter sie wie eine Fremde betrachtete, als sie schalkhaft fragte: »Wie denkst du denn darüber?«

»Und wie du denn?« gab die andere ebenfalls schalkhaft zurück.

»Ich habe bereits entschieden, Kind, ich habe dem prächtigen Menschen, der sich uns so warmherzig gezeigt, mein Jawort gegeben.«

Ein tiefer Atemzug entrang sich der Brust des jungen Mädchens, der sie wie von einer großen Last befreite; dann ging sie auf die Mutter zu und küßte sie feierlich.

»Ich gratuliere, Mutter.« Dann lachte Edith, »zu komisch, du Braut ...«, und dann ging es plötzlich durch ihren Sinn: »Der Vater! Ihr armer Vater, der sich das Leben nehmen mußte, der großen Sorgen wegen, und ein anderer holt sich seine schöne Frau, ein anderer würde den Platz des Vaters einnehmen. Sie lief hinaus und weinte, weinte herzbrechend. Die Mutter begriff, was in ihrer Tochter Seele vorging, und ließ sie gewähren. Ihr tapferes Mädchen würde sich schon bald in die Situation hineinfinden, würde begreifen, daß dem Leben Rechnung zu tragen sei, und würde sich gewiß mit dem Manne befreunden, der ihnen beiden ein so herrliches Los zu bereiten versprach.

*

Und er hielt redlich Wort!

Wieder war es ein herrschaftliches Haus, dem Frau Waldenburg, jetzige Frau Kommerzienrat Möller, vorstand, und wieder hatte Edith ihr eigenes, reizend eingerichtetes Zimmer und Bedienung, wie sie es von Kindheit an gewöhnt war. Wenn sie im Landauer ausfuhr, und ihr manch einer vielleicht neidisch nachblickte, flogen ihre Gedanken zurück nach Berlin, zu der Leidenszeit, zu den drei Jahren der Entbehrung und Demütigung.

Und sie hatte diese harte Lehre, die ihr das Leben geboten, nicht umsonst durchgemacht.

Ehrerbietig und liebevoll begegnete sie jetzt jedem, der sich ihr nahte. Nie wollte sie sich jemandem gegenüber höher stellen, nie jemanden verletzen, sie, die gefühlt hatte, wie weh dies tut.

Und es kam der Tag, wonach sie sich jahrelang gesehnt, gesehnt in glühendem Zorn: sie konnte sich wirklich, wie sie so sehnsüchtig gewünscht, an Herta rächen. An Herta, der einstigen Kränzchenschwester, der sie die ihr angetane tiefe Beleidigung und Beschämung nie vergessen konnte. Freilich waren Jahre und Tage darüber vergangen, aber ganz gleich, sie konnte, wie es Herbert Lutzner ihr damals gesagt, über das übermütige, unzarte Wesen triumphieren.

Wie das zuging, werden wir noch hören. –

Wenn sich um das arme Ladenfräulein Edith Waldenburg niemand gekümmert hatte, so standen die Aktien des Kommerzienratstöchterleins anders.

Kaum war sie, mit den nötigen Toiletten ausgerüstet, in ihrem neugewonnenen Vaterhaus eingetroffen und in die Gesellschaft eingeführt, da war sie auch schon der Mittelpunkt dieser.

»Sieh, Mütterchen, was das Geld ausmacht,« sagte sie oft mit Bitterkeit zur Mutter, »jetzt, wo Vaters Reichtum mich umgibt, bin ich hoch in der Achtung gestiegen. Alles umschwärmt mich. Und doch bin ich jetzt eigentlich weniger wert.

»Sie säen nicht,
Sie ernten nicht,« usw.

Ein einfacher Müßiggänger bin ich geworden, weiter nichts.«

»Still, Kind, still, du hast deinen Wert, und niemals werde ich es jemandem verschweigen, welcher Weg hinter uns liegt.« –

Und sie tat es wirklich nicht!

Was sie kommen sah, traf ein, ein schmucker Offizier stand eines Tages vor ihr und hielt um die Hand ihrer Tochter Edith Waldenburg-Möller an.

Die Frau Kommerzienrat sah den Mann durchdringend an, als wollte sie in dessen Herz und Seele lesen, stand auf, kam auf ihn zu und fragte bedächtig:

»Herr Hauptmann, hätten Sie meine Tochter auch geheiratet, wenn Sie kein Vermögen bei ihr voraussetzten?«

»Wo immer ich Fräulein Edith getroffen, und in welcher Lebenslage ich sie gewußt, mein Herz hätte dem hübschen und warmherzigen Mädchen entgegengeschlagen,« war die feierliche Antwort.

»Nun denn, so hören Sie, in welcher Stellung meine Tochter noch vor nicht zu langer Zeit gewesen. Und wenn Sie daran keinen Anstoß nehmen, so lege ich Ihnen nichts in den Weg, sich von Edith das Jawort zu holen.«

Und die Kommerzienrätin erzählte dem Hauptmann von Gerlach alles, was hinter ihr lag.

Ernst und aufmerksam hörte er ihr zu, ging unruhig im Zimmer umher, als habe er ein aufsteigendes Bild niederzukämpfen, stellte sich vor ein breites Fenster und sah hinab in den still daliegenden Garten, wo entlaubte Bäume standen und Herbstblumen ihre kalte Schönheit zeigten.

Eine unheimliche Stille herrschte. Beklommen sah die Rätin auf den stattlichen Mann, von dem sie wußte, daß er das Herz ihrer Edith erobert hatte. Würde er sich jetzt wirklich von ihr zurückziehen? – Würde er sie wirklich aufgeben? – Noch stand der Hauptmann gesenkten Hauptes tiefnachdenklich da. Nun wandte er sich, kam gemessenen Schrittes auf die Dame des Hauses zu, klappte die Sporen aneinander und sagte etwas verlegen:

»Gestatten, gnädige Frau, daß ich mich empfehle.«

Eine tiefe Verbeugung, und er schritt zur Tür hinaus. –

Während Frau Kommerzienrat Möller sehr betroffen zurückblieb, wartete klopfenden Herzens Edith, daß sie in den Salon gerufen wurde. Wußte sie doch, daß der geliebte Mann unten bei der Mutter um sie anhielt.

Gestern, in einer Gesellschaft, hatte er sie gefragt, ob er morgen bei ihren Eltern um sie anhalten dürfe.

Wie glücklich war sie darüber gewesen! Hauptmann von Gerlach war nicht nur ein sehr charaktervoller Mann, er war auch der beliebteste und eleganteste Offizier der Garnison.

Auf jeden Schritt lauschte das erregte Mädchen – nein, man kam nicht, um sie zu rufen.

Arme Edith, jetzt warst du wieder mal die kleine Verkäuferin, über welche man das Kommerzienratstöchterlein vergaß. – – –

Frau Möller hatte nicht das Herz, ihrer Tochter zu sagen, was vorgefallen sei, sie suchte ihren Gatten auf.

»Wie ich den Hauptmann kenne, liebe Marie,« sprach er, »muß dieser erst den Eindruck überwinden, den deine Eröffnung gemacht. Er ist in Vorurteilen erzogen und denkt, am Worte klebt so vieles. Verkäuferin! Vielleicht denkt er dabei an die leichtfertigen Mädchen, die leider so vielfach darunter sind, die sich auffallend kleiden, und am Abend herumschwirren. Wird er sich erst klar, daß es große Unterschiede in jedem Stande gibt, und nur die Person ausschlaggebend ist, wird auch er ein anderes Bild gewinnen. Dir mache ich einen Vorschlag; damit dem Mädchen die Kränkung weniger fühlbar gemacht wird, laß die Koffer packen, wir reisen nach Meran, dem besten Erholungsplatz, den ich kenne.« –

Währenddessen hatte auch Edith begriffen, was vorging. Sie hatte den Hauptmann das Haus verlassen sehen, und ihre Mutter kam nicht zu ihr.

Still saß sie da.

»Wieder eine Prüfung,« sagten ihre bleichen Lippen. Die aufsteigenden Tränen kämpfte sie nieder, kleidete sich um und ging hinunter zu Tisch.

Der Vater sollte ihretwegen nicht warten, die Mutter nicht bekümmert sein. –

Schweigend ward das Mahl eingenommen. Einer war bemüht dem andern die peinliche Lage zu erleichtern.

»Ich schlage eine Spazierfahrt vor,« sagte nach dem Essen der Kommerzienrat und zündete sich eine Zigarre an. »Man muß noch die herrlichen Herbsttage benutzen, bald kommt der Regen.«

»Wir sind dabei,« entgegnete seine Frau.

»Gestattet, daß ich zu Hause bleibe,« bat Edith, »ich habe Kopfweh.«

»Wie es dir paßt, Kind, geh auf dein Zimmer, vielleicht kannst du schlafen.« – –

Der Hauptmann sah den leeren Wagenplatz, als der Kommerzienrat und seine Gemahlin an seinem Hause vorüberfuhren, und es war, als fühle er einen Stich im Herzen. Sie hatte keine Stimmung zum Ausfahren, das arme Mädchen, dem er so wehe getan.

Und wie hatte sie sich in sein Herz eingeschlichen, das zierliche Persönchen mit den klugen Augen und den energischen Zügen! In Gedanken hatte er sie schon oft »seine« Edith genannt, und nun ließ er sie im Stich, weil ... weil ... ein Unbehagen stieg in ihm auf ... nein, er wollte sich seine Edith nicht hinter dem Ladentisch vorstellen, Kartons tragend und Bücklinge machend ... nein, nein, daß ihm seine Liebe, seine tiefe, heiße Liebe so vergällt werden mußte!!

Auch ihm ward es zu eng in seiner Behausung, hinaus in Gottes freie Natur, hinaus in den Wald. Er setzte seine Mütze auf, schnallte den Säbel um und eilte die Treppe hinab. Weit, weit fort wollte er, nur keinen Menschen treffen, nur allein sein.

Tief in den Wald hinein ging er. Die Sonne spielte auf gelbgefärbten Blättern und vergoldete sie mit ihrem Schein, fiel in schrägen Strahlen durch kahle Zweige und beleuchtete von fern, ganz von ferne ein helles Gewand.

Kam dort jemand? ... Der Hauptmann blickte auf, wollte in einen Seitenweg einbiegen ... und blieb doch stehen.

Der Gang, die Haltung? ... war das nicht? – Er schrak fast zusammen, ja, da kam Edith Waldenburg-Möller daher.

Auch sie schien sich in die Waldeinsamkeit geflüchtet zu haben!

Ein Vers fiel ihm ein, den er, als er jung war, in ein Album geschrieben:

Wenn du ein tiefes Leid erfahren,
Tief schmerzlich, unergründlich bang,
Dann flüchte aus den Menschenscharen,
Zum Walde richte deinen Gang.
Die Felsen und die Bäume wissen
Ein Wort zu sagen auch von Schmerz –
Der Sturm, der Blitz hat oft zerrissen
Der Felsenbrust, des Waldes Herz.
Sie werden dir kein Trostwort sagen,
Wie's mitleidsvoll die Menschen tun,
Doch wird ihr Echo mit dir klagen
Und wieder schweigend mit dir ruhn.

Und während seine Seele rezitierte, drängte sich ihm eine Frage auf: »Warum, warum das alles? – War sie in der Stellung, die sie innegehabt, nicht die Dame geblieben? – Hatte sie sich etwas vergeben? – Nein, nur mutig gekämpft hatte sie gegen Mißgeschick, und dafür verdiente sie Ehrerbietung, nicht aber ...

Jetzt waren sie einander näher gekommen, Edith erschrak, als sie den Hauptmann erkannte, sie wollte einen andern Weg einschlagen, aber mit schnellen Schritten kam er auf sie zu.

»Ist es ein Wink des Himmels, daß ich Sie hier in der Waldeinsamkeit treffe, gnädiges Fräulein?«

Edith war so verwirrt, daß sie nicht zu antworten vermochte. In peinlicher Verlegenheit blickte sie zu Boden.

»Edith!« Ihr Name umschmeichelte ihr Ohr, weich und vertraut kam er von seinen Lippen.

Da blickte sie auf.

»Was hat Ihnen Ihre Frau Mutter berichtet?«

»Nichts!«

Das junge Mädchen schritt weiter, der Hauptmann blieb an ihrer Seite.

»Und Sie haben auch nicht gefragt?« –

»Nein, denn ich ahnte den Sachverhalt. Sie wissen nun, Herr Hauptmann, daß ich Verkäuferin gewesen, und das genügt Ihnen, um sich zurückzuziehen.«

Er schwieg.

Sie atmete tief auf. Dann hub sie leidenschaftlich an: »Ehe sich unsere Wege trennen, möchte ich Sie doch über eine Stellung aufklären, die so verschiedentlich aufgefaßt werden kann! Ich habe die jungen Mädchen lieb gewonnen, deswegen drängt es mich für sie zu sprechen. Glauben Sie und Ihre Kameraden nicht, daß das Wort »Verkäuferin« für alle gleichbedeutend zu sein braucht!

Sie denken an die kleinen Mädchen, die am Abend aus dem Geschäft von ihren Anbetern abgeholt werden und diesen mit ihnen verbringen. Aber nein, es gibt auch eine große Anzahl junger Mädchen, denen es erging wie mir, die eben ihr Brot verdienen müssen und nicht in der Lage sind zu wählen, womit. Die sich aber, in welcher Stellung sie auch sein mögen, ihre Würde bewahren, ihre gute Erziehung niemals verleugnen. Und nun, Herr Hauptmann, adieu, wir wollen beide zusehen, daß sich unsere Wege nicht mehr kreuzen.«

Sie wollte gehen, aber er vertrat ihr den Weg.

»Nein, nein, gnädiges Fräulein, nein, mit Ihrem Vorschlag bin ich nicht einverstanden. Ich bitte Sie vielmehr: Lassen Sie unsere Wege zusammengehen; den Lebensweg, Edith! Trage es mir nicht nach, geliebtes Mädchen, daß ich – nach dem Gehörten – erst mit mir ins reine kommen mußte. Du hast recht, was immer man auch sei, die innere Würde adelt den Stand, nicht der Stand den Menschen.«

Sie waren beide ergriffen stehen geblieben, das junge Mädchen und der um Jahre ältere Mann. Er erfaßte ihre Hände.

»Edith, liebe, kluge Edith, darf ich nochmals zu Ihren Eltern kommen und mir ihr herziges Töchterchen zum Weibe erbitten?«

Da flog es wie Sonnenschein über ihre lieblichen Züge, und schalkhaft sagte sie: »Wenn Edith Waldenburg ohne den Anhang »Möller« gut genug ist zur Frau Hauptmann.«

Mit dem Verlobungskuß schloß ihr Leo von Gerlach den Mund. Arm in Arm schritten sie dem Städtchen zu, und am Abend brannten die Lichter, knallten die Pfropfen, – im Hause des Kommerzienrats ward Verlobung gefeiert.


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