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Drittes Kapitel.
Lillis Reise.

Lilli kam aus der Malstunde.

»Mahlzeit, Maria,« sie nickte dem Stubenmädchen, das ihr die Korridortüre öffnete, freundlich zu, lief die mit roten Läufern belegte Treppe empor und schlüpfte in ihr Zimmer.

Nachdem sie die Malutensilien in ihr Schränkchen getan, wusch sie sich fein säuberlich, setzte sich an ihren blaubehangenen Toilettentisch, auf welchem alles in Elfenbein prangte, meist Geschenke von ihrer Tante Hanna, und begann, ihr Haar zu kämmen. Das widerspenstige, rotblonde Geringel fügte sich weder Kamm noch Bürste und stellte sich gleich wieder kraus empor. Eine schwarze Schleife steckte Lilli hinein und schaute sehr befriedigt in den Spiegel.

Nun entnahm sie dem Schrank ein Matrosenkleid, legte einen Batistkragen um und sprang hinab, um der Mutter guten Tag zu sagen.

Frau Dr. Flatow küßte ihr hübsches Töchterchen, nahm es dann an die Hand, führte es in den Erker, wo ihr Lieblingsplätzchen war, und tat sehr geheimnisvoll.

»Nun, Muttchen, was gibt es denn?«

»Etwas sehr Erfreuliches für dich, mein Kind. Ich habe einen Brief von Tante Johanna bekommen.«

»Ei, was schreibt sie denn, darf ich lesen?«

Frau Doktor Flatow hatte inzwischen aus einem Kästchen, das vor ihr auf dem Nähtisch stand, einen Brief entnommen, und entfaltete ihn.

Lilli streckte die Hand danach aus, aber die Mama wehrte ab.

»Nein Kind, laß, ich lese ihn dir vor, so bin ich gleich in der Lage, nochmals einige Stellen genauer durchzusehen.«

Lilli setzte sich neben die Mutter und hörte gespannt zu.

Tante Johanna schrieb:

»Liebe Schwägerin!

Gestern hatte ich Brief aus Griechenland. Frau Konsul Agnosticos ladet mich dringend auf Besuch zu sich ein. Ihr Mann schloß sich dieser Einladung an und droht mit ewiger Feindschaft, wenn ich ablehne. Sie wohnen, schreiben beide, herrlich. Das Konsulat läge am Meer; meine Gesundheit würde hier bestimmt aufgefrischt werden. Ferner wissen sie beide alles so verlockend zu schildern, daß ich nicht abgeneigt wäre, die große Reise zu wagen, wenn – – – Ihr mir Eure Lilli als liebe Gesellschafterin mitgeben würdet.«

Weiter zu lesen vermochte Frau Doktor nicht, denn ihr Töchterchen fiel ihr jubelnd um den Hals.

»Muttchen, Muttchen, ist das herrlich, ach, die goldene Tante Hanna, auch gleich wieder an mich zu denken; Muttchen, ich, nach Griechenland, auf den klassischen Boden der Musen – – – Muttchen, Muttchen, natürlich erlaubt ihr mir mitzugehen, du und Papa, mein goldenes Papchen, nicht?«

»Na, na, nicht so stürmisch, du zerdrückst mich ja, das will noch überlegt sein, will hören, was Papa sagt.«

»Ach, Paps gibt seine Erlaubnis ganz gewiß, der hat seinem Liebling noch nichts abgeschlagen.«

»Du weißt noch nicht, wie strapaziös solch eine Reise ist, siehst alles von der schönsten Seite an, und wenn du Heimweh bekommst –«

»Ach, Mutz, Tante Hanna ist ja mit, 's wird fein, fein.«

Lilli rieb sich vergnügt die Hände und tanzte im Zimmer umher. Weiter vorlesen zu lassen, hatte sie gar keine Geduld, schon war sie aus dem Zimmer und suchte ihren Vater, einen stillen Privatgelehrten, auf.

Der Vater hörte erstaunt von der Einladung, neigte seinen schon etwas graumelierten Kopf hin und her, und meinte dann mit der Mama erst Rücksprache nehmen zu wollen. Der Gedanke, seine Lilli auf lange fortgeben zu sollen, schien ihm nicht behaglich. –

Nachmittags wußten es die Kränzchenschwestern schon, daß der Lilli ein großes Glück blühe. In Herta stieg wieder Neid auf. »Wer doch auch so eine goldige Tante Hanna hätte wie du,« meinte sie. »In unserer Familie ist keine so generös!«

Edith und Ilse waren Feuer und Flamme. Griechenland und Italien sollte die Freundin sehen, und die schönen Briefe, die sie ihnen schreiben würde, am liebsten wäre man gleich mit zur Bahn gegangen.

Aber damit hatte es noch gute Weile. Erst wurde noch viel hin und her korrespondiert, und dann begannen wirklich die Vorbereitungen zur großen Reise.

Beim letzten Kränzchen vor der Abreise, das bei Majors war, sagte Lilli:

»Ihr wißt, daß ich nicht gerne Briefe schreibe. Deshalb will ich es nur gleich ausmachen: Ihr erhaltet Ansichtskarten von allen Gegenden, die wir durchreisen, aber keine Briefe. Dagegen habe ich mein Muttchen gebeten, euch in mein Tagebuch Einsicht nehmen zu lassen. Ich will ein solches auf der Reise in losen Blättern führen und diese von Zeit zu Zeit nach Hause senden.

Und nun noch etwas. Ich habe einen Photographen bestellt, der uns alle zusammen photographieren soll. Solch ein Bild nehme ich der Frau Konsul Agnosticos, Tantens Freundin, mit.«

»Hei! bist du üppig!« sagte Herta. »Photograph ins Haus kommen zu lassen, ist kein billiges Vergnügen.«

»Wenn eine jede ein Bild kauft,« warf Ilse ein, »dann ist das nicht arg.«

»Kommt,« nahm Edith das Wort auf, »probieren wir vor dem Spiegel eine hübsche, ungezwungene Stellung resp. Gruppierung aus. Und hübsch machen soll uns der Photograph; tüchtig schmeicheln, vielleicht hat man dann in Griechenland Verständnis für unsere Schönheit, und es entspinnen sich manche Romane.«

»Ich wette,« warf Herta spitz ein, »du wirst noch einmal Schriftstellerin, denn so viele Romane wie in deinem Kopfe herumrumoren –«

»Bitte, meine Damen, nicht wieder aneinandergeraten,« fiel Ilse ein, als Edith, böse aussehend, antworten wollte. »Uebrigens, wenn die photographische Aufnahme eure Aufmerksamkeit nicht abgelenkt hätte, hätte ich eine Ueberraschung für euch.«

»Heraus damit!« erscholl es.

Ilse griff nach ihrem Handtäschchen und nahm einige Briefe von zweifelhafter Sauberkeit heraus.

»Wißt ihr, was ich hier habe? – Liebesbriefe!«

Ein stürmisches Gelächter der Mädchen.

»Liebes ... du, Liebesbriefe, woher?«

»Ihr kanntet doch unser Stubenmädel, die Zierpuppe, Liese? Gestern ist sie abgezogen und hat eine Anzahl Briefe liegen lassen, die unsere Köchin fand. Das gute Mädchen gönnte sich den Genuß allein zu lesen nicht und holte mich dazu. Na, ich will ihn euch auch nicht vorenthalten, habe mir für euch einige zum Vorlesen ausgebeten.«

»Bitte, halte dich nicht so lange mit der Vorrede auf, laß uns den Inhalt hören.«

Ilse griff nach einem Brief, auf gelbem Papier geschrieben, und las mit verstellter Stimme:

»Gelübtes Fräulein!«

– Einschalten will ich, daß dieser Brief von einem gefühlvollen Schneiderlein ist, und nun gebt acht! Also nochmals:

»Gelübtes Fräulein!«

Hiermit wollte ich Sie mein Herz zu Füßen legen. Denn daß Sie es wissen, ich habe Ihnen lieb und gedenke Ihnen zu ehelichen. Ich habe Sie schon immer mal vom Fenster aus gesehen und peobachtet. Ich hoffe, daß auch ich Ihren Augen angenehm pin.

Als Schneider habe ich mein redliches Auskommen. Ich pin ein gefühlvoller Mensch, wie unser großer Dichter schon sagte: Und wenn das Zarte mit dem Harten, wenn Ernstes sich mit Heiterem paarten, dann gibt es einen guten Klang.«

Schallendes Gelächter der jungen Mädchen unterbrach die Vorlesung.

»O Gott, o Gott, das Schneiderlein, das ist ja köstlich!« rief Edith und bog sich hin und her.

»Schiller dreht sich im Grabe um,« sagte Herta.

»Weiter, weiter,« drängte Lilli, »weiter!«

»Und deshalb, gelübtes Fräulein, biete ich Sie Herz und Hand an. Ihre Antwort wollen Sie doch unter dem Abtreter auf dem Hausflur legen, und werde ich morgen sehen, ob ich ein baar Zeilchen von Sie vorfinde.

Derweilen grüßt Ihnen, Ihr
gelübter
Gottlieb Siegel.«

»Weiß eure Köchin nicht, wie die Antwort an den »Gelübten« unter dem Abtreter gelautet hat?«

Ehe Ilse sich weiter äußern konnte, klingelte es, und das Stubenmädchen meldete den Photographen.

Es wurden drei Aufnahmen gemacht. Eine am Kaffeetisch sitzend, ein Gruppenbild, und auf dem letzten Bilde hatten sich Lilli und Ilse umschlungen und Edith und Hertha liegen ihnen zu Füßen.

Das war das letzte Kränzchen vor Lillis Abreise.

Aber man sollte sich noch einmal treffen, und zwar zur größten Freude der Backfischchen, zu einem Studentenfest, wozu sie bereits seit acht Tagen mit ihren Eltern geladen waren.

Wie schön war die Welt, noch blühte der Mai, noch waren sie glücklich, die jungen Knospen, behütet von der Liebe und Fürsorge der Ihrigen. – – – –

Der Festsaal bot ein buntes Bild.

Es schillerte von Farben. Natürlich wurden die jungen Herren den Kränzchenschwestern vorgestellt. Und diese trugen zur Ehre des Tages ihre Medaillons am Bande, mit ihrem Motto:

»Treu sein sei unser Panier!«

Hertas dunkle Schönheit kam in einem hellblauen Batistkleide mit Valenciennes reizvoll zur Geltung; sie war auch heute neben ihrem Kavalier, einem stattlichen Saxonen, liebenswürdiger, als es sonst der Fall war, denn er gefiel ihr und machte ihr sehr den Hof.

Neben Lilli saß bei Tisch Herbert Lutzner. Sie hatte ein Sträußchen Maiglöckchen, das er ihr dediziert, im rötlichen Haar, und sah entzückend aus.

An Ilsens Seite saß ein Vereinsbruder der Arminia, etwas ernst, würdevoll sah er aus, unterhielt aber seine Dame sehr gut und erzählte zu nette Studentenschnurren. In einem weißen Batistkleide mit Spitzen, die langen blonden Zöpfe zu einem Kranz um den Kopf gelegt, was sie vorzüglich kleidete, sah Ilse ganz verändert aus.

Edith war fast gleich gekleidet. Ihr zur Seite war ein Pauliner mit blauer Mütze und blau-weißem Couleurband. Er war schon im zweiten Semester, und erzählte ihr Schauergeschichten aus der Anatomie.

»Hören Sie auf, hören Sie auf,« rief sie und hielt sich die Ohren zu. Aber ihr Entsetzen schien ihn zu amüsieren, so daß das junge Mädchen plötzlich den guten Einfall hatte, ihren Platz mit Lilli zu wechseln, was Herbert zwar schmerzlich empfand, Lilli aber Spaß machte.

»Laß mich nur machen,« sagte sie, als ihr Edith ins Ohr flüsterte, daß dieser Mensch da scheußlich sei und sie peinige, »ich werd' ihn gut abführen!«

Und wirklich tat sie das zum Gaudium aller, indem sie die Unterhaltung mit der Frage eröffnete, ob ihr der Herr Studiosus nicht was recht Schauerliches aus der Anatomie erzählen könne.

»Wie, meine Gnädige,« lispelte er affektiert, »hier im Ballsaal fachsimpeln?«

»Ja, pardon, ich glaubte eine andere Unterhaltung würde Ihnen kaum zusagen. Und meine Freundin erzählte mir eben, sie habe bisher so hübsch von Ihrem Studium profitiert, daß ich meine medizinischen Kenntnisse auch gern bei Ihnen vergrößern möchte.«

»Ei, ei, besitzen Sie denn schon solche?«

»Aber kolossal! Passen Sie auf: Fliedertee wendet man zum Schwitzen an, Kamillentee lindert Schmerzen, Pfefferminz ist dem Magen dienlich ...«

»Hören Sie auf, hören Sie auf!« wehrte nun auch der Studio ab. »Sie beschämen einen Professor und setzen alle Assistenten in den Schatten.«

»Stimmt! Ich gedenke mich auch mal als »kluge Frau« zu etablieren, wozu ich schon jetzt Unterricht im Gesundbeten nehme.«

»Aber nun, gnädiges Fräulein, sei des grausigen Spiels genug,« bat jetzt seinerseits der Jüngling.

»Ganz gewiß – mein Ziel ist erreicht – meine Freundin, die Sie gepeinigt haben, ist gerächt!«

Damit stand das hübsche Mädchen auf, machte eine Verbeugung und schritt lachend von dannen.

Beim Kotillon wurden die Kränzchenschwestern mit Sträußchen überschüttet, und mit Stolz durften sie sich eingestehen, daß sie zu den bevorzugtesten und gesuchtesten Tänzerinnen gehört hatten.

Als Herta mit ihrer Mama heimfuhr, zählte sie schon im Wagen zehn Sträußchen.

Lilli hatte gar zwölf, nur eins davon schloß sie in ihr Schränkchen; getrocknet sollte es in ihrem Tagebuch eingeschlossen werden, zum Andenken an ihre erste, junge Liebe, an Herbert Lutzner.

Ilse zählte nur acht Sträußchen, aber sie war zufrieden, und gab noch auf dem Heimweg, so müde sie auch war, einige von den Schnurren zum besten, die ihr ihr Tischherr erzählt hatte.

Edith war keine mitteilsame Natur.

»Es war wundervoll!« Damit umfaßte sie alles, entkleidete sich schnell und schlief wie ein Ratz bis zum andern Morgen.


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