Josephine Schneider-Foerstl
Die Liebe des Geigerkönigs Radanyi
Josephine Schneider-Foerstl

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Auf der »Columbus« wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben. Alles lief und hastete durcheinander. Wer nicht an Bord blieb, lief eiligst nach der Landungsbrücke, die jede Minute weggeschoben werden konnte.

Nur Radanyi hielt, unbekümmert um alles ringsherum, Andersons beide Hände zwischen den seinen und sah dem Freund in die Augen: »Ich weiß nicht – ich gehe unsagbar schwer – trotz allem. Ich fühle, es ist noch nicht alles zu Ende für mich – ich meine das ganze Verhängnis, das über mir liegt. – Ich habe so ein dunkles Ahnen, daß dies meine letzte Fahrt ist, und daß ich nie wiederkomme – nie wieder!«

»Ach, Unsinn!«, sagte Anderson und wurde dabei eines jämmerlich wehmütigen Gefühls nicht los. »Das ist der Abschied, Elemer. Da ist die Stimmung immer etwas düster!«

»Kann sein. – Ich fürchte, die Ueberfahrt wird mir schrecklich lang, obwohl ich tausend Gedanken in mir trage: immer frage ich mich, ob sie noch diese großen, unschuldigen Augen hat und diesen zierlich weichen Mund und dieses blonde Haar. Aber, wenn ich dann daran denke, daß sie nun zwei Jahre lang einem anderen gehört hat und ihm Weib gewesen ist. dann friert es mich bis in die Knochen!«

»Dann denkst du eben nicht daran. Es ist ja doch nun einmal nichts mehr zu ändern an der Sache!«

»Nein, nichts mehr zu ändern!«

Es sollte gleichmütig klingen, aber es schwang eine mühsam verhaltene Erschütterung mit.

»Und wenn ihr euch dann ausgesprochen habt und einig seid,« sprach Anderson, um Radanyi auf andere Gedanken zu bringen, »dann bringst du sie uns herüber. Ihr seid mein Gast. Wir fahren an den Michigan. Sag ihr, wie schön es da ist. Keine Seele stört euch, ihr braucht keinen gesellschaftlichen Verkehr zu pflegen, wenn ihr nicht wollt ... vielleicht ...«, er sprach nicht fertig und preßte Radanyis Finger zwischen den seinen.

Das letzte Zeichen, das die Nichtpassagiere von Bord rief, ertönte. Anderson zog Elemer noch bis mit an die Laufbrücke.

»Nimm Ellen van der Veldt an dein Herz, Harald.«

Anderson nickte.

»Und vergeßt mich nicht – vergeßt mich nicht!«

Es war ein eigentümlicher Blick, mit dem Radanyi den Freund dabei ansah. Anderson wurde es ungemütlich dabei.

Er mußte ihm unbedingt noch ein Versprechen abnehmen.

»Und du wirst schreiben, Elemer! Du machst es nicht noch einmal so, wie bei ihr. – – –«

Radanyi schüttelte den Kopf. »So lang ich lebe, sollst du von mir hören – und wenn ich schweige – bin ich tot!«

»Elemer!« sagte Harald bittend.

»Dann bin ich tot!« wiederholte Radanyi. Sein Blick ging über den Freund hinweg.

»Wenn ich mit dir kommen könnte!« erregte sich Anderson. – »Mach ihr keine Vorwürfe, wenn du hinüberkommst, – du mußt ganz ruhig sein, wenn du zu ihr gehst. Nicht aufregen, Elemer – um Gotteswillen nicht aufregen. Das macht alles schlimmer. Und wenn – wenn ihr euch nicht mehr zusammenfindet, dann kommst du wieder, das heißt ich hole dich!«

»Glaubst du?« sagte Radanyi gedrückt.

»Nein, nein – es wird schon alles gut werden. – Leb wohl! – Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen! Und, Harald – vergiß nicht, Ellen van der Veldt von mir zu grüßen. – Sie soll verzeihen! – Ich kann nicht anders!«

»Ja. – Ich will's bestellen. Darüber sei gang ruhig und sorg dich nicht. Und keine schwarzen Gedanken, mein Lieber.«

»Ich habe ja Zeit dafür!« meinte Radanyi mit einem müden Lächeln. – »Sechs Tage Überfahrt! Eine Ewigkeit!«

Das letzte Zeichen!

Anderson mußte springen, um von Deck zu kommen. Ein Zittern ging durch den stählernen Riesenleib, der Radanyi nach Europa trug. Ein letztes Grüßen noch – ein Winken – der »Columbus« schwamm, wurde kleiner, schrumpfte zu einer Nußschale zusammen und war zuletzt nur noch ein winziger, schwarzer Punkt.

Anderson ließ ihn nicht aus den Augen, bis diese vorschwammen. Langsam, mit hängenden Armen ging er nach seinem Wagen.

Radanyi war mit Auspacken in seiner Kabine beschäftigt, Harald hatte ihm einen Wohn- und einen Schlafraum besorgt. Es war ungemein gemütlich.

Draußen schmeichelten und kosten die weißen, leichtfüßigen Schaumkronen des Ozeans gegen die Fenster. Smaragdgrünes Licht schuf eine eigene Färbung. Das leichte Schaukeln behagte ihm. Die Seekrankheit gab es für ihn nicht.

Er klingelte.

Ein Steward kam und frug nach seinen Wünschen.

Er wollte allein speisen. Wenigstens heute. Er hatte keine Lust, gleich am ersten Abend unter Menschen zu gehen, mit Fremden Fühlung zu nehmen und Bekanntschaften anzuknüpfen. Schlimm genug, daß so viele erste Newyorker Familien mit an Bord waren. Man hatte schon getuschelt, als er nach seiner Kabine ging. Aber sie sollten sich täuschen. Er würde die meiste Zeit unsichtbar bleiben.

»Der Geigerkönig!« rief die kleine Rotschild ganz ungeniert, als er über die Laufbrücke kam. Und dann hatten ihn ein halbes hundert Blicke angestarrt, unbekümmert um das hochmütige Gesicht, das er zur Schau trug.

Sie hofften wohl, er würde unten im Konzertsaal seine Geige einmal hören lassen. Aber er würde nicht spielen. Nicht um eine halbe Million Dollar. Die mochten tun, was sie wollten und er tat auch, was und wie es ihm paßte.

Er schlief schlecht die erste Nacht. Seine Träume waren ein wüstes Durcheinander. Schmutzige Wasser hatte er gesehen, und einen Berg zerbrochener Sektgläser und Rauch und der Csikos zu Hause ritt auf seinem Braunen und brach sich das Genick.

Er begrüßte aufatmend das erste schwache Frühlicht und stieg hinauf an Deck. Niemand war noch anwesend von den Passagieren. Nur die kleine Rotschild stand neben dem Offizier, der die Nacht Jour gehabt hatte, und schnubberte vergnügt die Morgenluft ein. Er wandte den beiden den Rücken und bog sich über die Brüstung.

Mittags saß er im Speisesaal. Das war doch ein wenig unterhaltender als so mutterseelenallein auf seiner Kabine zu dinieren. Am Nachmittag schlief er und das Abendbrot ließ er sich wieder allein servieren.

Es war gräßlich, wie die Zeit sich schleppte und die Gedanken mit. Ob sie wohl schon wieder gesund war – ob sie sehr viel gelitten hatte? – Sehr viel? – Ob sie erwartete und ahnte, daß er kam. Er begrüßte die Nacht so dankbar, wie er das Frühlicht begrüßt hatte.

Am dritten Tag saß kaum mehr die Hälfte der Passagiere beim Mittagstisch. Nur er sah noch vollkommen unbehelligt von der gefürchteten Seekrankheit an seinem Fensterplatz und schief von ihm hinüber die kleine Rotschild. Sie aß mit Behagen, ließ ihre großen, braunen Rehaugen nach Muse wandern und entwickelte einen Appetit, der Neid erregte.

Erst zwei Tage später bevölkerte sich das Promenadendeck wieder. Bleiche, übernächtige Gesichter kamen zum Vorschein. Beinahe alle Liegestühle waren besetzt. Man hörte wieder lachen, reckelte sich in der Sonne, trank seinen Mokka, machte ein Spielchen und tat zuletzt, als sei gar nichts gewesen.

Radanyi lag in einem hellen Flanellanzug langausgestreckt in seinem Faulenzer und las zur Abwechslung. Aber wenn er die Seite umblätterte, wußte er meist nicht mehr, was er gelesen hatte. Durch eine Wand von Blattpflanzen halbwegs getrennt, hörte er die Unterhaltung einer größeren Gesellschaft. Er blickte unauffällig hinüber. Es waren ein alter Herr und ein paar Damen, jüngere und ältere. Sie unterhielten sich sehr distinguiert und sprachen von Börsengeschäften und Reiserouten.

Eine helle, glockenreine Mädchenstimme mischte sich mitten hinein.

»Aber Siddi!« sagte die eine der älteren Damen rügend. »Das macht man doch nicht. – Was ist das nur wieder für ein Benehmen!«

»Ach, Mama! – Benehmen! –« Sie hing sich in den Arm des eben hinzutretenden Herrn. »Ist das nicht zum Davonlaufen, Vater? – Nun renne ich schon seit fünf Tagen hinter dem Geigerkönig Radanyi her und kann diesen gräßlichen Menschen nicht auf meine Platte bringen!«

Elemer biß sich auf die Lippen. Ein schadenfrohes Lachen ging über sein Gesicht. Er neigte sich ein bißchen vor, so daß sein Gesicht gerade der Sprecherin zugekehrt war.

»Wenn er so gräßlich ist, möchte ich ihn gar nicht auf meiner Platte haben, Miß Rotschild.«

Vollkommen verblüfft starrte sie ihn an. Sie hatte ihn erst gar nicht erkannt. Weiße Flanellanzüge gab es zu Dutzenden an Bord. Daß in diesem einen gerade der Geigerkönig steckte, das konnte sie doch nicht ahnen.

Aber schnell gefaßt, hob sie die Kamera.

Ebenso rasch hatte Radanyi sich umgewandt und steckte den Kopf tief in sein Buch.

Sie stampfte auf und gebrauchte ein amerikanisches Scheltwort, das ihr einen scharfen Tadel der Mutter eintrug.

Dann lief sie an ihm vorüber, die Treppe hinunter, nicht ohne sich noch einmal nach ihm umgesehen zu haben. Er hielt beharrlich das Gesicht gesenkt. Nur seine Mundwinkel zuckten in vergnügtem Lachen.

Sie war so recht der Typ einer Tochter aus der fünften Avenue.

Nun war er ja wohl für heute sicher vor ihr. Er erhob sich ohne Eile und ging nach dem Rauchsalon. Es saßen nur wenige Herren dort. Meist ältere und Junggesellen. Er suchte sich einen Platz an einem der Fenster und verfolgte gedankenverloren das Wellenspiel, das draußen in stetem Wechsel von Farbe und Form vorbeiglitt. Seine Gedanken hasteten vorwärts durch die Wasserwüste, hin zu ihr. Er suchte sie bald in der Herrenstraße, bald im Landhaus Gellern, dann in der Klinik. Und fand sie nirgends. Je mehr er an sie dachte, desto unklarer wurde ihm ihr Bild. Mit jeder Stunde wurde er ungeduldiger und gedrückter.

Den Arm auf die Lehne des breiten Klubsessels gestützt, träumte er mit wachen Augen. In seinen Zügen lag wieder jenes Etwas, von dem Anderson sagte, daß es einen weinen machen könnte.

Siddi Rotschild kam soeben aus dem Damensalon, die Kamera unter dem Arm. Überrascht blieb sie vor der offenen Türe des Raucherabteils stehen. Sie getraute sich kaum zu atmen. Vorsichtig hob sie den kleinen Apparat. – Ein leises Knacken.–

Radanyi wandte den Kopf.

Da knixte sie auch schon mit einem schadenfrohen Lächeln.

»Ich danke vielmals, Herr Geigerkönig!« – und weg war sie.

»Der Kobold!« sagte ein Herr ihm gegenüber. »Einziges Kind! – Jeder Wunsch wird erfüllt. – Aber unverdorben!«

Radanyi wunderte sich über sich selbst. Er empfand nicht einmal Aerger darüber. Nachdem er sich eine Zigarre in Brand gesteckt und diese zur Hälfte geraucht hatte, ging er an Deck.

Die Nacht versprach wunderbar zu werden. Hinter dem »Columbus« zogen Delphine. Springende Fische schossen über den Gischt, der am Bug des Schiffes sich hochtürmte. Ringsum blaugoldne Einsamkeit. Eilende Wolken über und Wellengeplätscher unter sich.

Und so verglänzte, verrann in Träumerei und Nichtstun ein Tag nach dem anderen. – Morgen noch und übermorgen.

Ein leichter Schritt näherte sich ihm. Er sah zurück und blickte in Siddi Rotschilds feingerötetes Mädchengesicht.

Die festen, braunen Zöpfe baumelten ihr über die Schultern. Sie war entwickelt – mehr als vielleicht gut war für ihre sechzehn Jahre. Nur das Gesichtchen war kindlich rührend. Die braunen Augen sahen offen und ohne jedes Berechnen in die Welt.

Ohne Schüchternheit zu zeigen, trat sie dicht neben Radanyi und hielt ihm sein Bild in einem fürsorglichen Abstand entgegen.

»Das ist aber rasch gegangen!« sagte er lobend.

»Nicht wahr?«

Er betrachtete es lächelnd. »Und so hübsch haben Sie mich gemacht. Da kann ich ordentlich stolz auf mich sein! – Bekomme ich wohl auch eins – fürs Stillesitzen?«

Sie blitzte ihn entrüstet an. »Bewahre! – Wenn Sie sich sehen wollen, Herr Radanyi, dann gucken Sie gefälligst in den Spiegel. Der zeigt Sie noch besser, wie meine Platte. – Aber unterschreiben dürfen Sie!«

»Wirklich?« staunte er.

Er nahm seine Brieftasche heraus und setzte auf das freie Rändchen unter dem Photo seinen Namen. Mit einer Verneigung gab er es ihr zurück.

»Das kann aber unmöglich jemand lesen!« zankte sie verärgert.

»Das Schiff schlenkert so!« entschuldigte er sich mit verhaltenem Lachen.

»Schreiben Sie immer so schlecht?«

»Nein, nicht immer. – Nur bei besonderen Gelegenheiten.«

Sie nagte an ihrer Unterlippe und warf beide Zöpfe zurück.

»Ich hatte Ihnen was sagen wollen, Herr Radanyi. – Aber nun mag ich nicht mehr!«

»Warum denn?« Er griff nach ihren weißen, gepflegten Kinderhänden und sah ihr freundlich in das hochgerötete Gesichtchen.

Das stimmte sie weich. Sie überließ ihm willenlos ihre kühlen Finger und neigte sich etwas gegen ihn. »Würden Sie jemand helfen, Herr Radanyi, wenn Sie könnten?«

»Selbstverständlich. – Es kommt darauf an!« schwächte er seine Zusage ab.

»Nein, es kommt nicht darauf an. Wenn man jemand helfen will, dann tut man es doch. – Gehen Sie ein bißchen mit mir promenieren. Herr Radanyi.«– Sie sah sich in aller Geschwindigkeit suchend um. »Die Mama sagt nämlich immer, es schickt sich nicht, wenn man mit einem Herrn so herumsteht. – Mit Ihnen am allerwenigsten.«

»Ei, siehe da!« Er tat halb gekränkt. »Warum denn gerade mit mir? – Bin ich gefährlicher als die anderen?«

Sie hob beide Achseln. »Die Mama sagt es. – Das heißt, es sagen's alle, man müsse sich unbedingt in Sie verlieben, – ob man will oder nicht!«

»Oh – –!« sagte er belustigt. »Aber Sie machen eine Ausnahme, liebe, kleine Siddi! – Nicht wahr? – Dafür promeniere ich jetzt mit Ihnen. – Vor aller Augen. – Darf ich mir erlauben?« Er bot ihr mit seiner ganzen gewinnenden Liebenswürdigkeit den Arm.

Sie erglühte selig und legte ohne Zögern ihre Hand darauf. Er merkte wie sie zitterte. Er dachte an Eve Mi. Genau so hatte diese in den Kindertagen sich an ihn geschmiegt. So halb Kind – halb unbewußtes Weib.

Er zog ihren Arm fester in den seinen. »Nun kriege ich aber Ihr Geheimnis zu hören! Ja, Siddi!«

Sie nickte rasch. »Ich habe gelauscht!« sagte sie und freute sich über die maßlos erstaunten Blicke, die ihr folgten.

»Das darf man aber nicht!« tadelte er gutmütig.

»Sie brauchen's ja nicht zu klatschen, Herr Radanyi. – Oder?«

»Nein, nein!« beruhigte er. »Was eine Dame mir anvertraut, das sag ich doch nicht weiter!«

»Also, ich habe in der Kapitänskajüte gestanden. Und da hat der Schiffsarzt einem Deckoffizier erzählt, daß auf Zwischendeck eine Familie ist, die heute Selbstmord begehen wollte. Der Mann hatte sich bereits die Pulsader geöffnet und wollte es noch seiner Frau und den Kindern tun, aber der Steward kam gerade dazwischen. Man hat ihnen nämlich die ganze Barschaft gestohlen, als sie an Deck gingen. – Nun hat er nichts mehr!«

Das letzte klang so rührend kindlich mitleidig, daß Radanyi die Hand seiner Begleiterin an seine Lippen hob. Ihre Augen glänzten ihn zwischen Tränen an.

»Der arme Mensch!« sagte er teilnehmend, zog seine Brieftasche und entnahm ihr eine Hundertdollarnote. »Das wollen wir dem Kapitän geben für ihn, ja?«

Er sah die Enttäuschung in ihrem Gesichte. »Das habe ich mir gedacht, daß Sie das tun,« meinte sie offenherzig. »Aber das wollte ich ja nicht. Wenn ich ein paar Dollar haben wollte, dann hatte ich ja nur zu Papa zu gehen gebraucht. – Der gibt mir, ohne zu fragen. Aber ich hatte mir etwas anderes gedacht!«

»Was denn?« frug er neugierig. Er zog sie wieder fester gegen sich. Die Sechzehnjährige begann ihn zu interessieren. Sie war nicht bloß der kleine, verwöhnte Kobold, für den er und die anderen sie hielten. Die junge Amerikanerin hatte auch ein Herz – ein gutes Herz. Edel und mitfühlend. Sie war zum lieb haben.

»Also, liebe Siddi!« ermunterte er sie.

»Also – ich – ach, Herr Radanyi, – es traut sich ja kein Mensch was zu Ihnen zu sagen. Der Kapitän hat es selbst erzählt bei Tisch, daß Sie strickte erklärt haben, Sie würden keinen Ton spielen, so lange Sie an Bord sind. – Nun und da hat es eben auch keiner mehr gewagt, Sie darum zu bitten. – Aber heute!« Ihre braunen Augen bettelten! »Sehen Sie, Herr Radanyi, bloß ein einziges Stück auf Ihrer Geige und dem armen Menschen ist geholfen!«

Radanyi schwieg, steckte den Hundertdollarschein achtlos in die Außentasche seines Jackettanzuges und kniff die Lippen zusammen.

Er fühlte, wie Siddis Hände über die seinen strichen. Ihre Augen bettelten noch immer. »Nicht böse sein, Herr Radanyi. – Wenn Sie durchaus nicht wollen, dann helfe ich ihm allein!«

»So?« meinte er verwundert. »Wie denn?«

»Sehr einfach, Herr Radanyi. – Ich mache tausend Bilderabzüge von Ihnen. Die verkaufe ich. – Jeden für einen Dollar. Darunter nicht, höchstens darüber!«

»Das ist Erpressung!« warnte er »und Wucher!«

»Das ist ganz gleich. Dann hat jeder Halunke, der hier auf dem Schiff herumläuft, ein Bild von Ihnen. Wer am meisten bezahlt, der hat den Vorrang!«

Er lachte ihr in die großen Kinderaugen. »Sie sind ein tadelloses Kerlchen, Miß Siddi! – Lassen Sie die tausend Abzüge. – Ich geige heute abend. – Für Sie – und den armen Menschen!«

»Herr Radanyi!«

Sie sah sich um, warf blitzschnell beide Arme um seinen Hals und küßte ihn.

Das war ein Augenblick gewesen. – Er sah im nächsten nichts mehr als ein paar schwere, baumelnde Zöpfe, die hinter der Kajütentreppe verschwanden.

Das Schiff stampfte seinen Trott, Meile um Meile. Immer näher der Küste. Das helle Licht des Vollmondes badete sich in der Unendlichkeit des Meeres. Die Wellen trugen silberglitzernde Kronen und Krönchen. Wo sie das Schiff bespülten, schienen sie weiße, lockende Nixenarme zu sein, die Sehnsucht nach den Glücklichen trugen, die der »Columbus« dem Festlande entgegenführte.

Eine weiche, säuselnde Brise strich über Deck. Es war leer. Nur einige wachhabende Offiziere promenierten und ließen den Zauber der Mondnacht an sich vorüberfluten. Die Passagiere saßen im Speisesaal. Nur Miß Siddi und der Geigerkönig gehörten zu den Säumigen.

Wenige Minuten später kam Radanyi die Treppe herauf. Er war in Frack und Weste und hatte die Geige leicht unter den Arm geklemmt.

Siddi hatte ihm aufgelauert. Wie ein Kätzchen schmiegte sie sich an ihn und streichelte seine Rechte. »Darf ich es unten sagen, daß Sie spielen, Herr Radanyi?«

Er fuhr liebkosend über die erhitzten Wangen. »Nein. Verderben Sie mir die Freude nicht, kleine Siddi. Ich will ausprobieren, ob ich für den Rattenfänger von Hameln tauge!«

Sie schob zutraulich ihre Hand in seine freie Linke. »Darf ich mitkommen?«

»Natürlich, Kindchen. – Wir sind doch Freunde!«

»Hier – hier!« Sie zog ihn am Ärmel vorwärts. »Da müssen Sie sich herstellen.«

Sie schob ihn kräftig vor sich her, gegen die Wand einer Blattwerkgruppe.

Er gehorchte ohne Widerrede. Sie postierte ihn ganz in den Schatten. Nur seine weiße Hemdbrust und der Streifen der Manschette leuchteten verschwommen auf.

»Was soll ich denn spielen?« sagte er, hielt ihre Hand fest und sah sie lächelnd an.

Sie zog die Stirne glatt. »Ach, das ist gleich. – Von Ihnen ist alles schön!«

Er nickte und setzte den Bogen an.

Kaum kamen die ersten Töne über Deck gezogen, umstanden ihn schon ein halbes Dutzend Offiziere. Die Stewards, die keinen Dienst zu versehen hatten, schlichen über die Treppe und lauschten. Siddi aber nahm sechs bis sieben Stufen in einem Satz und riß die Türen des Speisesaales auf.

»Der Geigerkönig spielt an Bord!«

Mitten in das Schwatzen, Lachen, Gläserklirren klang die Botschaft. Man war erst verblüfft, dann ungläubig überrascht, ob die kleine Rotschild nicht irgendeine Ente zum besten gab. Siddi war schon wieder verschwunden.

»Es stimmt, meine Herrschaften!« fagte der Kapitän, unter die Türe tretend und sich sofort wieder entfernend.

Ein allgemeines, hastiges Erheben war die Folge. Alles drängte, rückte, schob, um hinauszukommen. Wenn der Geigerkönig spielte, konnte man auch ruhig einmal das Abendessen im Stiche lassen.

Alt und jung strömte über die Kajütentreppe hinauf an Bord. Keine Stimme klang auf. Nicht einmal ein Flüstern wurde hörbar. Nur Radanyis Geige sang, jauchzte, schrie in Tränen auf und hielt Zwiesprache mit allen, die ihr lauschten.

Die Damen strichen insgeheim die Tränen aus den Augen. Junge Paare klammerten verstohlen die Hände ineinander. Siddi Rotschild kauerte dicht hinter der Blattwand und drückte ihr nasses Gesichtchen gegen die Stelle, wo sie drüben seinen Kopf vermutete.

Der Vater trat auf den Zehenspitzen zu ihr und zog sie behutsam an sich. Schluchzend preßte sie sich enge gegen ihn.

»Ruhig, ruhig, mein Liebling!« mahnte er. Er war ratlos.

Sein Kind war verliebt und wußte es nicht. Und das war gut. Wenn er ihr auch alles Glück der Erde gönnte, mit Geld ließ es sich nicht erkaufen. Und der Geigerkönig, der liebte wohl schon längst ein Weib, oder mehrere. Mit Künstlern konnte man nicht rechnen und nicht rechten.

Siddi hatte den Kapitän eingeweiht. Er kam nun an der Seite des Zwischendecklers, der durch den Diebstahl so schwer geschädigt wurden war. Ein paar Worte der Aufklärung von Seite des Kapitäns und die Herren öffneten ohne Zögern ihre gespickten Brieftaschen.

Siddi griff in die Brustfalten ihres Kleides, zog kurz entschlössen Radanyis Bild mit seiner Unterschrift heraus und reichte es ihm.

Scheine raschelten und wuchsen in der Hand des unbekannten Mannes zu einem Bündel an. Er konnte nicht danken. Die Tränen stürzten ihm über die Wangen.

Der Mann blickte darauf. – Ein unartikulierter Laut! – Dann stürzte er nach vorwärts, wo eben die letzten Geigentöne verklangen.

»Herr Radanyi!«

Die Passagiere standen wie eine Mauer um ihn. Er drängte sich durch.

»Herr Radanyi!«

Beide Hände streckte er Elemer entgegen. – Einen Augenblick war dieser überrascht, dann kam das Erinnern.

»Lieber Rinker! – Das heiß ich wirklich einen Zufall!«

Er griff nach dessen Händen, aber der hatte schon nach den seinen gefaßt und drückte seine Lippen darauf, immer und immer wieder.

»Herr Radanyi ich – ich –« Er schluckte und brachte kein verständliches Wort hervor. »Das ist jetzt schon das zweitemal, daß Sie mir Hilfe bringen. – Aber diesmal hab ich es nicht aus Leichtsinn verschuldet. Es war ein Unglück!«

»Ich weiß es, lieber Rinker. – Miß Siddi! –« Er hatte sie erspäht und zog sie an seine Seite und ihren Arm durch den seinen. »Die kleine Miß hat mindestens das gleiche Verdienst wie ich. Die hat mir von Ihrem Unglück erzählt.«

Rinker wagte kaum, die weiche Hand in die seine zu nehmen.

»Sie bringen wohl Frau und Kinder zurück in die Heimat?« frug Elemer.

»Ja, Herr Radanyi. – Meine Frau hat ein kleines Häuschen geerbt in der Nähe Wiens. Da wollten wir jetzt einziehen. Die Möbel wollte ich von dem Geld kaufen, das mir der Halunke gestohlen hat!«

»Aber jetzt reicht es wieder?« sagte Radanyi lächelnd.

Verlegen sah Rinker auf das Bündel von Dollarscheinen, das er noch immer in der Hand hielt.

»Ja, ja! Herr Radanyi!« stieß er hervor. »Mein Gott, ich soll ja eigentlich einen Teil davon zurückgeben, denn es ist gewiß zehnmal so viel, als ich zuerst gehabt habe. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht so reich gewesen. Und ich wollt – ach, Herr Radanyi – ich wollt, es käme auch einmal ein Tag, daß ich Ihnen heimzahlen könnte, was Sie für mich getan haben!«

»Vielleicht!« sagte Elemer mit einem Lächeln. »Ich werde mit dem Kapitän vereinbaren, daß Sie von morgen ab das Essen aus der 1. Klasse erhalten. Ihrer Frau und ihren Kindern wird es gewiß wohl tun. – Und da wir das gleiche Reiseziel haben, treffen wir uns vielleicht einmal in Wien. – Auf Wiedersehen, lieber Rinker!«

Rinker küßte ihm nochmals die Hand, so viel er auch wehrte, und Miß Siddi auch.

»Unser Herrgott wird's recht machen, Herr Radanyi, ich kann's nicht!« –

Und dann war Radanyi endlich an einem Vormittag in Wien.

Er fuhr mit dem Kraftwagen zuerst in das Palasthotel, wo er Zimmer für sich bestellt hatte. Er freute sich wie ein Kind, als er die Ringstraße hinunterfuhr. – Nun war er erst so eigentlich wieder zu Haus. Wie wonnig das war! Gar nicht zu beschreiben. Alles, alles war anders als drüben, beinahe gemütlich großväterlich, obwohl wahrhaftig der Verkehr nichts an Lebhaftigkeit zu wünschen übrig ließ. Und hier in Wien war auch alles, was er liebte. Haller, Ballins, der alte Stefan und – sie, seine Eve Maria.

Fatal war es nur, daß solch ein blöder Anfall von Kopfgrippe ihn beinahe eine ganze Woche in Hamburg aufgehalten hatte. Rinker saß wohl längst mit den Seinen in dem ererbten Häuschen draußen vor dem Burgfrieden Wiens und freute sich der langentbehrten Heimat.

Der Wagen hielt. Mit elastischen Schritten betrat Radanyi das Hotel.

Der Name Radanyi schien ein Magnet zu sein. Der Direktor und die Chefs der Rezeption waren zu seiner Begrüßung erschienen. In seine Zimmer geleitet, war er sofort heimisch. Keine öde Hoteleleganz! Die Wohnlichkeit stand über dem Prunk. Der Luxus sprach nur aus der Qualität der Teppiche, der Vorhänge und des Wandschmuckes. Geräuschlos wurden seine Koffer in das Ankleidezimmer gestellt. Er begann sich wenige Minuten später umzukleiden. Obwohl er die ganze Nacht von Hamburg her durchgefahren war, verspürte er keine Müdigkeit.

Der Etagenkellner kam nach seinen Wünschen zu fragen und versicherte, ein Auto sei zu jeder Minute für Herrn Radanyi zur Verfügung.

Einer der allwissenden Portiers gab, ohne mit der Wimper zu zucken, die Auskunft, daß die Baronin Gellern das Landhaus ihres verstorbenen Mannes bewohne. »Cottage 16.«

Das Herz klopfte Elemer, als er in den Fond stieg, zu ihr zu fahren. Nun mit einem Male hatte er beinahe Furcht. Wie würde sie ihn empfangen. Aber dann gewann wieder die Freude die Oberhand. Wenn sie ihn sah, wenn er sie bat, zu vergeben, wenn er ihr alles erklärte, würde sie gewiß verzeihen und wie in den Kinderjahren vertrauensvoll ihre Hände in die seinen legen und dann die Arme um ihn schlingen. Liebe konnte ja nicht sterben, kann ja nicht verdorren, ach und die ihre war so groß gewesen und die seine war es noch.

Als der Wagen vor dem hohen, geschnörkelten Gittertore des Hauses Gellern hielt, glaubte Radanyi seinen Fuß nicht zu Boden setzen zu können. Aus diesem Garten – durch diese Türe – war sie an jenem Abend an Gellerns Arm gekommen. Und dann war sie das Weib dieses Mannes geworden. Nun kroch er wieder heran, der furchtbare Gedanke, daß sie zwei Jahre einem anderen gehört hatte. Er fühlte beinahe ein Uebelsein dabei.

Zögernd stieg er vom Trittbrett und bedeutete dem Chauffeur zu warten.

Das Tor war unversperrt; als er auf die Klinke drückte, gab diese sofort nach. Die Auffahrt lag im sonneglitzernden Kies des Früh-Nachmittags. Mächtige Bosquetts flankierten den breiten Weg. Wie eine Ehrenwache von Grenadieren standen Malven in Reih und Glied. Dazwischen leuchtete brennendes Rot, sattes Ocker und zartes Blau von riesenhaft aufstrebenden Schwertlilien. Eine Fontäne, die im Mittel ruhte, schickte ihr weißes, sprühendes Wasser in die Nachmittagsstille, die feierlich, mit domhaftem Gepräge über dem ganzen lag. Das Auffallen der Millionen von Tropfen auf den Spiegel des Bassins war der einzige Laut, der das Schweigen durchbrach.

Eine weiße Steinbrüstung, die auf zwei mächtigen Säulen eine breitausladende Veranda trug, zeigte sich auf der Südseite. Sie war beinahe vollständig von Grün überwuchert.

Radanyi sah sich suchend um. Niemand, der ihm den Weg wies. Langsam, beinahe zögernd stieg er die Steintreppe hinauf, über die der Park bereits seine ersten Schatten warf.

Wenn nur das Herz nicht so übermäßig laut klopfen wollte. Er drückte stehenbleibend beide Hände dagegen. Nur ruhig sein jetzt – ganz ruhig sein. Gar nichts mehr denken – gar nichts mehr. – Es hüpfte zu sprunghaft durcheinander.

Zwei hohe, weitoffenstehende Flügeltüren führten ins Innere. Radanyi weitete seine Augen. Aber er konnte vorerst nichts sehen. Ueberhaupt nichts unterscheiden. Die Jalousien waren herabgelassen und warfen über alles in dem Raume, der sich ihm zeigte, ein grünliches Dämmer. Dann gewöhnte sich das Auge an die matte Helle. Elemer sah eine weiße Statue aus einer der Ecken leuchten, nicht weit davon ein Fell im gleichen Farbenton. Die Wände schienen mit Gobelins behangen zu sein. Und dann –

Unwillkürlich legte er die linke Hand fest um den Griff der Türklinke. In einem Stuhle, im Rücken den schwarzen Marmor des Kamins saß eine Frauengestalt, deren feines, blasses Gesicht tief herabgeneigt war. Ihr schwarzes Kleid verschwamm mit dem Hintergründe. Die blonde Haarkrone schillerte wie rötliche Bronce. – Eva Maria schlief.

Radanyi machte einen Schritt nach vorwärts. Da hob ein etwas, das sich bis jetzt zu Füßen der Schläferin hingestreckt gehalten hatte, den Kopf und sah ihn mit funkelnden Augen an. Mit einem warnenden Knurren setzte eine mächtige Dogge sich sprungbereit auf die Füße.

Dadurch wurde ihre Herrin geweckt. Sie sah auf, erblickte Radanyi und verfärbte sich bis in die Lippen. Mit der Rechten griff sie nach dem Halsband des Tieres. Die Linke blieb reglos im Schoße liegen. Sie bemühte sich, sich zu erheben. Aber es blieb bei einem Versuch.

Im nächsten Augenblick war er an ihrer Seite, beugte sich herab und küßte ihre Hand, die sie ihm willenlos überließ. Seine Augen suchten die ihren. Unwillkürlich ließ er ihre Finger frei. Der Blick, der ihn getroffen, sprach nicht mehr zu seinem Herzen. Er war kühl und fremd. Sie deutete wortlos nach einem der Stühle, die unweit dem ihren standen.

Er legte nur den Hut beiseite und blieb vor ihr stehen.

»Eva Maria, findest du nicht einmal einen Gruß für mich?«

Ein Zusammenzucken war alles.

Er beherrschte sich mühsam. »Ich habe vom Tode deines Mannes gehört und deiner Erkrankung und bin herüber gekommen, an deiner Seite zu sein, wenn du jemand benötigst!« sagte er heiser.

Sie spielte mit dem Halsband des Tieres. »Du kommst reichlich spät! Ich benötige niemand mehr!«

»Auch mich nicht, Eve Mi?«

Sie schüttelte ohne ihn anzusehen den Kopf.

Er fühlte ein Brausen in sich, ein Wallen, wie eine Flut sich heranwälzt. Das heiße Blut seines Vaters fuhr jählings durch seine Adern und sein Wille hatte nicht mehr die Kraft es zu bändigen. Hundert-, nein, tausendmal hatte er sich während all den Tagen zum Vorsatz gemacht, ich will ihr keine Anklage ins Gesicht schleudern, ich will sie nicht zur Rechenschaft ziehen, ganz wie ein hilfloses, krankes Kind will ich sie behandeln. Und nun war alles vergessen. So durfte sie nicht sein, das ertrug er einfach nicht.

Nun gab es keine Schonung mehr für sie. Er gedachte nicht mehr seiner und ihrer Liebe, nur mehr an all das Leid, das ihm durch sie geworden war. Sein ganzer Körper zitterte. »Hab ich nicht recht gehabt damals, ehe ich ging, daß der Zigeuner dir nicht gut genug ist? Kaum hatte ich den letzten Kuß noch von dir auf den Lippen, bist du wohl schon in Gellerns Arm gelegen und hast gelacht über den Narren, der sein Herzblut für dich gegeben hätte. So eine bist du! Und ich habe gewuchert drüben für dich,« er hielt keuchend inne. »Wie ein Bettelgeiger bin ich von Ort zu Ort gezogen, damit du leben könntest, wie eine Fürstin, wenn ich dich einmal holen kann. Mit keinem Wort hast du mich vorbereitet auf den Schlag, mit dem du mich treffen wolltest, von einem anderen mußte ich's erfahren, und da war es zu spät. Das hast du gewußt und mit deinem Liebsten ausgeklügelt, daß es nichts mehr zu ändern gab, wenn die Nachricht drüben mich erreichte. Was aus mir wird, daß war dir nebensächlich!«

Sie sagte kein Wort.

»Sprich!« schrie er sie zornig an. »Warum hast du mir das Wort gebrochen und hast den andern genommen und ich bin fast zugrunde gegangen daran. – So armselig war deine Liebe! So armselig! – Und ich habe an dich geglaubt!«

»Elemer!«

Er schnitt ihr die Rede mit einer Geste ab. »Verteidige dich doch, wenn du kannst! – Aber du kannst ja nicht. Er war da und hat dich geküßt und im Arm gehalten und ich habe drüben für dich gegeigt. Aber seine Küsse waren dir mehr! – Seine Küsse und – und – sein Geld!«

»Ja, sein Geld!« zitterte ihre Stimme in die seine.

Sie hielt die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelehnt. Wußte er oder sagte er es nur, um ihr wehe zu tun.

»Also verkauft hast du dich!« sagte er wegwerfend.

»Ja, verkauft! – Aber du trägst die Schuld. Nicht ich, du bist es gewesen, der mich feil hielt!«

»Eve Mi!«

»Wir waren in Not! – Es gab sonst keine Rettung!«

»Und ich? – Warum hast du dich nicht an mich gewandt? – Du wußtest, daß ich meinen letzten Pfennig für dich gab!«

»Ich wußte nichts!« sagte sie ruhig. »Die Zeitungen nannten dich den zukünftigen Schwiegersohn Piers van der Veldt. Man geht nicht zu dem Geliebten einer anderen betteln!«

Er biß die Zähne aufeinander und wischte sich über die Stirne. »Das war Lüge – nichts als Lüge. Was die Zeitungen sagten, das glaubtest du. Was ich sagte, das galt dir nichts. Du hast dich nicht gefürchtet und nicht gescheut, Gellerns Weib zu werden, und warst doch mein Eigen!«

Sie sah zum erstenmal voll zu ihm auf. »Du hattest kein Anrecht mehr an mich!«

Er ließ sie nicht aus dem Auge. »Und der Schwur, den du mir gabst? ... Dein ...«

Sie unterbrach ihn rasch. »Den hast du selbst gelöst, als du so lange schwiegst, daß ich denken mußte, du habest mich längst vergessen.«

Sie hörte, wie sein Atem ging. Seine Augen flimmerten. Sein war die Schuld. Er konnte alles drehen und deuten wie er wollte. Eine einzige Zeile von ihm, ein einziges Wort der Liebe und des Gedankens hätte ihm die Braut erhalten und sie nicht in die Arme Gellerns getrieben.

»Eve Mi!«, sagte er, nach ihren Händen greifend. »Eve Mi! – Ich nehme alles auf mich. – Ich habe gefehlt. Das hätte ich nicht tun dürfen. Harald Anderson hat Recht gehabt. Aber Eve Mi, nimm dafür alles, was ich gelitten habe. Frage Harald und Ellen van der Veldt, wenn du mir nicht glauben kannst. Sie wissen, wie es um mich stand.«

Sie entgegnete kein Wort.

Er begann ihre Hand zu streicheln wie er es früher immer getan hatte. »War Gellern gut zu dir? – Sag, Liebes, warst du glücklich an seiner Seite!«

Sie nickte und suchte ihre Hände von den seinen frei zu machen. Er stöhnte kaum hörbar auf. Glücklich war sie gewesen! – Und er? – Und er? – Seine Finger hielten die ihren immer fester umschlossen.

»Bist du wieder wohl jetzt? – Du bist krank gewesen, habe ich drüben gehört!« Er liebkoste sie mit den Augen. Wie schmal das schöne Gesicht geworden war.

»Freust du dich, daß ich gekommen bin, Eve Mi?« Er blickte sie erwartungsvoll an.

»Ja!« sagte sie ohne Erregung. »Es ist gut von dir, daß du mich besuchst!«

»Ich werde nie mehr fortgehen, Eve Mi!«

Sie nickte nur und sah den Schatten zu, wie sie gaukelnd vom Abendwind geschoben über die Terrasse huschten.

»Du wirst wieder Konzerte geben?«

»Ja, Eve Mi! Und wenn du erlaubst, werde ich öfters zu dir kommen!«

»So oft du willst! Ich werde aber nicht mehr lange bleiben. – Ich gedenke nach Schottland zu gehen.«

»Nach Schottland, wiederholte er erschrocken. »Schon bald?«

»Noch vor dem Winter!«

Er rechnete. Jetzt hatte man Anfang Juli. Aber er konnte nicht warten bis zu der Stunde, in der sie ging. Gleich wollte er sich den Bescheid holen, von dem das Schicksal seines ganzen zukünftigen Lebens abhing. Nur Hoffnung wenn sie ihm gab. Dann wollte er geduldig warten. Erst hier und dann, wenn sie nach Schottland ging, wollte er hinüber nach England, damit er stets in ihrer Nähe blieb.

»Eve Mi!« Er hörte die Unsicherheit seiner eigenen Stimme. »Ich möchte dich etwas fragen – laß mir deine Hände – du brauchst keine Furcht vor mir zu haben,« sagte er bittend, als sie versuchte, ihre Finger aus den seinen zu ziehen. »Wenn ich nun beginne, ein zweitesmal um deine Liebe zu werben, wirst du mir dann wieder Braut werden, wie damals, als ich ging?«

Sie schüttelte den Kopf. Er erschrak.

»Nein, Eve Mi?«

»Nein!«

»Weshalb?« stieß er heraus.

»Ich schulde dir keine Rechenschaft darüber!« sagte sie freundlich, aber mit einer merklichen Kühle im Ton. An ihren Augen sah er, daß alles In-sie-Dringen zwecklos sein würde.

Alle Fassung verlierend, stürzte er vor ihr in die Knie und beide Arme in ihren Schoß legend, barg er das Gesicht hinein. Sie sah das verstreute Silber in seinem Haar aufblitzen und erschrak so sehr darüber, daß ihre Hände reglos blieben. Sie fand kein Wort. Das Mitleid und die Liebe in ihr stritten sich mit dem Weibesstolz, der sich solange verraten geglaubt hatte.

Nein, sie konnte nicht! – Jetzt nicht! – Es war alles noch zu frisch und zu wund in ihr. Und dann – es frug sich, ob sie zum mindesten nicht eben soviel gelitten hatte als er. Und sie hatte in all der schrecklichen Zeit ganz allein mit sich selbst zurechtkommen müssen. – Er mußte es nun eben auch. Sie war kühler, reifer geworden, nicht mehr das liebesselige Mädchen, das vor drei Jahren an seinem Halse hing. – Und daß alles so gekommen war für sie beide, war nur seine Schuld. Nicht Mitleid und Liebe, nur gekränkter Stolz allein hielt in diesem Augenblick des Abwägens die Wagschale in den Händen. Er überschrie die Stimme ihres Herzens, das dem Geliebten der Jugendtage trotz alledem noch immer zu eigen war. Sie versuchte nicht einmal, ihn mit einem liebevollen Wort zu trösten, ihm zu sagen, komm wieder, vielleicht daß wir zu einer anderen Stunde uns wiederfinden. Nur Schweigen hatte sie für ihn.

Als er das Gesicht zu ihr aufhob, war es weiß und zuckend. Er suchte ihre Augen. Aber sie blickten an ihm vorbei. Taumelnd erhob er sich.

»Eva Maria, wiederhole dein Nein – dann will ich gehen!«

»Nein!« sagte sie ohne Zögern. Sie durfte nicht warten damit, sonst wurde es ein Ja. Aber sie mußte dabei die Augen schließen, um ihn nicht zu sehen.

Er beugte sich nieder und küßte, ohne sie zu berühren, die eine ihrer Hände, die auf der Lehne des Stuhles ruhte. Dann griff er nach seinem Hut und ging nach der offenen Türe über der Terrasse die Stufen hinab.

Die Augen der Dogge folgten ihm, mit leisem Knurren fletschte sie die Zähne.

»Elemer!« schrie Eva Maria auf. – »Elemer!« –

Das Rauschen der Fontäne zog den Ruf restlos in sich ein. Radanyi hatte ihn nicht gehört. Der Kies knirschte unter seinem raschen Schritt, gleich darauf kam das Rattern eines Wagens durch die Stille. Das war das letzte, was das Schweigen unterbrach.

»Herr Radanyi wollen schon wieder reisen?« sagte der Portier erstaunt, als Elemer in das Hotel zurückgekehrt den Auftrag gab, daß seine Koffer nach der Bahn geschafft würden.

»Lassen Sie bitte die Sachen in die amtliche Gepäckaufbewahrung bringen,« ersuchte er. »Ich treffe dort meine Anordnungen selbst.« Er beglich die Zimmerrechnung und schritt eiligst die Straße hinab, machte noch einmal kehrt und trat zu dem Portier in die Loge. »Könnten Sie mir meine Geige herunterbringen lassen? Ich möchte sie sehr gerne selbst mit mir nehmen. Sie ist ein wertvolles Stück und ich will sie nicht unter all dem anderen verstaut haben!«

»Sofort, Herr Radanyi!«

Ein Boy brachte sie ihm wenige Minuten später im Sprunge die Treppe herab.

Radanyi drückte ihm einen Schein in die Hand. »Das ist rasch gegangen, mein Junge!«

Die Nachmittagssonne flutete blendend auf dem spiegelnden Asphalt. Radanyi ging erst ohne Eile eine Strecke abwärts und blieb dann vor einer Waffenhandlung stehen. Nach kurzem Zögern trat er ein und frug nach einem Browning. »Haben Sie keinen kleineren?« sagte er, die vor ihm liegenden mit den Augen prüfend. »Die hier sind alle so unhandlich!«

Der Verläufer legte ihm sofort andere vor. Elemer umspannte eines der Stücke mit der Hand. Sie deckte die Waffe fast völlig. Er nickte zustimmend.

»Soll er geladen werden?« forschte der Mann hinter dem Ladentische.

Radanyi bejahte mechanisch.

Als die erste Kugel im Laufe steckte, legte er die Hand darauf. »Lassen Sie! – – Es genügt vollkommen!«


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