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Zwölftes Kapitel.
Belohnung und Strafe

Ludwigs Mutter blieb vorerst zu Waldenberg. Nachdem es Friede geworden, kam auch ihr Gemahl, der Graf, dahin. Die Freude des Grafen und der Gräfin, und ihres einzigen Sohnes Ludwig, sich nach so langer Trennung wieder vereinigt zu sehen, läßt sich nicht mit Worten ausdrücken. Eben so groß, als ihre Freude, war ihr Dank gegen Gott.

Nachdem alle Drei mit großer Lebhaftigkeit einige Stunden hindurch von nichts Anderem sprachen, als von dem was ihnen Alles begegnet, seit sie von einander getrennt worden – da sagte die Gräfin zu ihrem Gemahl: »Nun laß uns überlegen, wie wir Ludwigs Pflegeältern belohnen wollen.«

Der Graf und die Gräfin hatten zwar ihre Güter in Frankreich verloren; allein sie besaßen noch ansehnliche Kapitalien, die sie schon früher in England angelegt hatten. Auch hatte die Gräfin ihren Schmuck von kostbaren Edelsteinen glücklich gerettet. Sie brachte ihr Schmuckkästchen, öffnete es und sagte: »Alle diese edlen Steine hätte ich mit Freuden hingegeben, mein verlorenes Kind wieder zu finden! Sollten wir nun nicht wenigstens Einen dieser Steine, etwa diesen schönen Diamant hier, daran wenden, die Liebe zu vergelten, die Lorenz und Johanna, diese guten Landleute, unserm Kinde erwiesen haben? Wir wollen den Herrn von Waldenberg bitten, daß er das Gütchen, das Lorenz und seine Hausfrau bloß im Pacht haben, uns zu kaufen gebe. Dieses Gütchen wollen wir dann den guten Leuten schenken. So kann ein Edelstein das Glück mehrerer Menschen machen – was sie um uns auch wohl verdient haben.«

Dem Grafen gefiel der Vorschlag sehr wohl. »Ja,« sprach er, »der Diamant soll zum Besten dieser menschenfreundlichen Landleute verkauft werden! Denn sie haben uns einen Edelstein aufbewahrt, gegen den alle diese Steine hier nichts sind – unsern geliebten Sohn Ludwig.«

Der Graf und die Gräfin redeten mit Herrn und Frau von Waldenberg. Frau von Waldenberg zeigte Lust zu dem schönen Steine, der sehr zierlich in einen Ring gefaßt war. Der Werth des Edelsteines betrug indeß nur ungefähr die Hälfte von dem Werthe des Pachtgütchens. Die Gräfin wollte noch ein Paar kleinere Diamanten, die in goldenen Ohrenringen prangten, dazu legen. Allein Herr von Waldenberg sprach: »Das ist nicht nothwendig; das wäre zu viel! Wir wollen es so machen: Sie geben meiner Frau den Diamantring, der ihr so sehr gefällt, und der für sie, als Andenken an eine edle Freundin einen doppelten Werth haben wird. Ich aber gebe dem Lorenz das Pachtgut, das er nur auf neun Jahre gepachtet hat, in Erbpacht, und er soll in Zukunft nur mehr die Hälfte des Pachtgeldes, das er jetzt bezahlt, zu entrichten haben. So kann er das hübsche Gütchen als sein Eigenthum betrachten, nur mit der Verbindlichkeit, jährlich die sehr mäßige Abgabe davon zu entrichten. Er kann sich dann sehr wohl darauf ernähren; ja noch wohl Etwas für seine Kinder erübrigen!«

Der Graf und die Gräfin fanden diesen Vorschlag sehr vernünftig, und der Verwalter mußte sogleich die Schenkungsurkunde ausfertigen.

Herr von Waldenberg wollte nun den Lorenz rufen lassen. Allein die Gräfin sagte: »Nein! Ich und mein Gemahl wollen selbst nach Ellersee fahren, und Ludwig soll seinen geliebten Pflegeältern die Urkunde überreichen.«

Herr von Waldenberg sprach: »Nun wohl, so ist es noch besser. Sie wissen auch eine sehr schöne, edle Art zu geben. Ich und meine Frau werden auch mitfahren.«

Es wurde sogleich angespannt, und man fuhr hin. Die Kutsche hielt vor der Hausthüre der guten Leute. Ludwig sprang voll Freude zuerst aus der Kutsche, und überreichte dem Lorenz die Schrift. Lorenz las, staunte und blickte gerührt zum Himmel; Johanna zitterte vor Freude und rief mit Thränen in den Augen und gefalteten Händen: »Mein Gott, so dürfen wir dieses Haus, in dem wir bisher mit unsern Kindern gleichsam nur zur Miethe wohnten, und die Aecker und Wiesen, die dazu gehören, nunmehr als unser Eigenthum ansehen?«

»So ist es!« sagte Herr von Waldenberg. »Eure Freundlichkeit gegen ein armes Kind, das ohne Obdach umherirrte, hat Euch und Euren Kindern eine eigene Heimath verschafft.«

Frau von Waldenberg fügte noch bei: »So bleibt keine edle That unbelohnt; und so liebreich sie hier auf Erden auch zuweilen belohnt werden mag – in jener Welt wartet auf sie noch ein schönerer Lohn!«

Die Einwohner von ganz Ellersee konnten sich über diesen vornehmen Besuch bei dem armen Lorenz, und über das reiche Geschenk nicht genug wundern; und die reiche Kirchenbäuerin sagte zu ihrem Bauer: »Wenn wir das voraus gewußt hätten, so hätten wir an dem kleinen Franzosen das Werk der Barmherzigkeit gethan, und nicht geruht, bis Lorenz ihn uns in die Kost gegeben hätte.«

Der Kirchenbauer aber sah nun wohl ein, daß der Verdacht, den er wegen der entwendeten Goldstücke auf den rechtschaffenen Lorenz geworfen hatte, falsch gewesen. Er ging zu Lorenz, bekannte reumüthig sein Unrecht, und bat ihn um Verzeihung, daß er ihn überall als einen Dieb verschrieen und verlästert habe. Allein der argwöhnische Bauer richtete nun seinen Verdacht sogleich auf einen Andern, und zwar auf einen Mann, den er bisher für seinen besten Freund gehalten hatte, auf seinen Nachbar Krall. Er ging sogleich nach Waldenberg, erschien vor Amt und sagte, daß er eine neue Klage wegen seiner gestohlenen Goldstücke vorzubringen habe.

»Das ist gewiß wieder eine so dumme Klage, wie die gegen Lorenz,« sprach der Verwalter. »Doch, laßt einmal hören!«

Der Bauer erzählte, nach seiner Art etwas ausführlich: »Als der Franzosenkrieg uns so schnell über den Hals gekommen, wußte ich gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Meine Capitalbriefe und meine armen, seit zwanzig Jahren sauer ersparten Sparpfennige, fünfzig Goldstücke an der Zahl, lagen mir sehr am Herzen. Ich hätte sie gern recht gut vor dem Feinde versteckt, und wußte nicht wohin. Da fragte ich meinen Nachbar Krall um Rath. Der ist ein gescheiter Mann, dachte ich, und hat mir schon oft gut gerathen. Krall sagte zu mir: »Versteck dein Geld heute Nacht hinter einem der lockern Steine in deiner Gartenmauer; da findet es kein Mensch. Deine Papiere laß, wo sie sind; die nimmt dir der Feind nicht.« Dieser Rath gefiel mir sehr wohl; ich befolgte ihn. Nachts um zwölf Uhr, da Alles schlief, schlich ich heimlich und in aller Stille in den Garten. Weil es gar so finster war, zündete mir meine Bäuerin mit der Laterne; denn um das Geld recht geschickt zu verbergen, mußte ich dazu ja doch auch sehen. Das Geld ging mir indeß bei Tag und bei Nacht im Kopfe herum. Sobald die Franzosen fort waren, wollte ich die gut verwahrten Goldstücke wieder aus der Mauer herausnehmen. Allein ich war vor Schrecken fast des Todes; denn leider war nicht ein einziges davon mehr vorhanden. Ich konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun; bevor es Tag wurde, lief ich zu Nachbar Krall, klopfte und polterte an seinem Hause, bis er aufwachte. Ich klagte ihm mein entsetzliches Unglück.«

»Nun,« sprach der Verwalter, »und was sagte Nachbar Krall?«

»Er hat sich recht über mich erzürnt,« sagte der Bauer, »und zu all meinem Unglücke mich noch recht ausgescholten. ›Ich sehe wohl,‹ hat er gesagt, ›wenn der Rath eines gescheiten Mannes gut seyn soll, so muß ihn auch ein gescheiter Mann ausführen. Du aber bist ein dummer Kerl,‹ hat er gesagt; ›du hättest keine Laterne mitnehmen sollen; denn da konnten dich die Leute ja sehen. Da wunderts mich gar nicht,‹ hat er gesagt, ›daß die goldenen Vögel ausgeflogen sind, und daß du das Nest leer gefunden hast. Doch,‹ hat er gesagt, ›ich will dir einen guten Rath geben, wie du sie wieder bekommen kannst. Hast du, als du von dem Lorenz, wiewohl ich dir davon abwehrte, deine Bäume pfropfen ließest, nicht gesehen, daß er dort an der Gartenmauer, die ihn doch nichts anging, sich immer etwas zu schaffen machte? Glaube mir,« hat er gesagt, »das Geld hat kein anderer Mensch gestohlen, als Lorenz. Wenn ich an deiner Stelle wäre, so würde ich ihn verklagen.« »Nun, wie Sie wissen, habe ich auch geklagt; nur habe ich Ihnen damals nicht gesagt, daß Krall mir den Rath gegeben, wo ich das Gold verstecken soll; denn er hat mir befohlen, keiner Seele ein Wörtlein davon zu sagen, daß er mir den guten Rath gegeben habe.«

»Sieh, sieh,« sprach der Verwalter für sich, »so wollte Krall, dieser rachgierige Mensch, sich an Lorenz rächen, und ihn verdächtig machen, und wohl gar aus dem Dorfe bringen, um am Ende an seiner Statt doch noch Pächter zu werden.«

Der Verwalter fragte hierauf den Bauer: »Habt Ihr schon irgend einem Menschen von Eurem neuen Argwohne etwas gesagt?«

»O bei Leibe nicht,« sprach der Bauer, »keiner Seele hab' ich ein Sterbenswörtlein davon gesagt. Ich setzte zwar von langer Zeit her mein größtes Vertrauen in Krall; aber ich traue ihm doch nicht recht, und fürchte mich vor ihm. Er darf es auch nicht inne werden, daß ich ihn verklagt habe. Sagen Sie ihm bei Leibe nichts davon!«

»Nun,« sprach der Verwalter, der bei all seiner Ernsthaftigkeit über die Einfalt des Bauers lächeln mußte, »so schweiget ferner; ich werde Euch wieder rufen lassend«

Der Verwalter kannte den Krall als einen schlauen Kopf, und dachte: »Es könnte gar wohl seyn, daß Krall das Gold in seine Krallen zu bekommen suchte, und dem einfältigen Bauer bloß deßwegen gerathen, das Gold in der Mauer zu verstecken, um den Bauer zu belauschen und das Gold zu holen. Krall ist ein schlechter Hauswirth, ein Schuldenmacher, ein Trinker und Spieler; wenn er das Geld entwendet hat, so hat er sicherlich schon das Meiste davon ausgegeben. Und das wird leicht zu erfahren seyn.«

Er rief seinen Gerichtsdiener, erzählte im Vertrauen ihm die Sache, und trug ihm auf, nachzuforschen, ob Krall nicht irgendwo eine oder die andere seiner vielen Schulden in Gold bezahlt oder sonst Gold ausgegeben habe.

Nach einigen Tagen kam der Gerichtsdiener Morgens in die Kanzlei, und sagte: »Von seinen Schulden hat Krall nicht einen Heller abbezahlt; allein in der Stadt hat er im Wirthshause zum schwarzen Bären eine ganze Nacht hindurch getrunken und gespielt, und da er sehr im Verluste war, einige Goldstücke wechseln lasten. Ich wußte mir ein Paar davon zu verschaffen, die ich für Silbergeld einwechselte. Hier sind sie; sie sind, wie Sie sehen, von der nämlichen Art, wie der Kirchbauer die gestohlenen beschrieben hat.«

Der Verwalter ließ nun durch den Gerichtsdiener den Krall auf der Stelle rufen, und hielt ihm den Diebstahl vor. Krall fing an zu toben und zu wüthen, daß man einen so ehrlichen Mann, wie er sey, wegen solcher ehrlosen Streiche in Verdacht haben könne. Er konnte zwar nicht läugnen, daß er Goldstücke habe wechseln lassen; er betheuerte aber mit hohen Schwüren, daß er sie nicht gestohlen habe.

»Das kann seyn,« sprach der Verwalter; »indeß ist nur noch eine Kleinigkeit in's Reine zu bringen. Ihr habt nachzuweisen, von wem Ihr die Goldstücke eingenommen habt.«

Da erblaßte Krall; er wußte keinen Menschen zu nennen, von dem er die Goldstücke erhalten. Er mußte den Diebstahl einbekennen und wurde zum Ersatze des gestohlenen Geldes, und überdieß als Dieb und Verläumder auf mehrere Jahre zum Zuchthause verurtheilt.

»So geht es,« sagte der Verwalter, »wenn man nicht arbeitsam und sparsam ist, sich dem Trinken und Spielen ergibt, und am Ende gar betrügt und stiehlt. Schlechte Thaten bringen schlechte Früchte, Jammer und Elend; nur Tugend und Rechtschaffenheit machen glücklich. Wie die Unschuld des ehrlichen Lorenz an den Tag gekommen, so ist nun auch Eure Schuld offenbar geworden. Wie Lorenz für seine Redlichkeit und Menschenfreundlichkeit belohnt wurde, so werdet nun Ihr für Eure Falschheit und Euer feindseliges Wesen bestraft.«

Da Krall ohnehin schon viele Schulden hatte, und nun die entwendeten und verschwendeten Goldstücke ersetzen sollte, so mußte er vergantet werden. Er kam an den Bettelstab, und seine Kinder kamen oft an Lorenzens Fenster und bettelten ein Stücklein Brod, und die Leute im Dorfe sagten: »Dieß hat Krall nicht nur wegen seines liederlichen Lebenswandels, seiner Falschheit und seiner Betrügereien, sondern noch besonders wegen seiner Hartherzigkeit gegen den guten Ludwig verdient. Er wollte den armen, verlassenen Knaben aus dem Hause des Lorenz und aus dem Dorfe vertreiben, und mußte nun selbst mit seinen Kindern sein eigenes Haus verlassen.«

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