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Viertes Kapitel.
Die Landleute im Dorfe

Die Ankunft des französischen Knaben war sogleich im ganzen Dorfe bekannt geworden, und machte großes Aufsehen. Es kamen den Tag über eine Menge Kinder und auch viele Mütter zu Lorenz in das Haus, um den fremden Knaben zu sehen. Gegen Abend versammelten sich die Bauern unter der großen Linde, die mitten im Dorfe, nicht weit von der Kirche stand. Denn hier pflegten sie, nach vollbrachtem Tagwerke, auf den Bänken zu ruhen, und bei vertraulichen Gesprächen eine Pfeife Taback zu rauchen. Diesesmal war Ludwig das einzige Gespräch. Ueber eine Weile kam der Ortsvorsteher, und setzte sich zu ihnen. Lorenz bemerkte ihn durch das Fenster, und ging mit Ludwig zu ihm hin, um ihm den Knaben vorzustellen. Lorenz erzählte, wie er das Kind in dem Walde gefunden habe, und sagte dann: »Ich mache Euch hiemit die Anzeige, daß ich das Kind, bis die Mutter es abholt, bei mir behalten werde.«

Die Bauern lobten den Lorenz wegen seiner christlichen Liebe; einige meinten jedoch, Lorenz habe schon Kinder genug zu ernähren; es sey nicht klug von ihm, noch ein fremdes Kind anzunehmen. Einer der Bauern aber, Namens Krall, der kein guter Mensch und gegen Lorenz besonders feindselig gesinnt war, behauptete, man müsse den jungen Franzosen auf der Stelle aus dem Dorfe schaffen. »Denn bedenkt, Nachbarn!« sagte er, »die Ausgewanderten sind Feinde Frankreichs: die französischen Soldaten, vor denen wir keine Stunde sicher sind, werden es uns sehr übel nehmen, daß wir ein Kind ihrer Feinde in unserm Dorfe dulden. Sie werden es uns entgelten lassen, unser Dorf plündern, oder gar in Brand stecken. Ach du lieber Himmel,« rief er, sich recht wehmüthig stellend und mit kläglicher Stimme, »mir ist's, ich sehe unser gutes Dorf schon in Flammen!« – – »Ortsvorsteher,« setzte er noch mit einem grimmigen Blick auf Lorenz bei, »ich mache daher den Antrag, daß Ihr den französischen Knaben noch diesen Abend durch den Gemeinde-Diener über die Gränze bringen lasset – den Lorenz aber, der das Kind hieher schleppte, und sich dadurch als einen Anhänger der Franzosen offenbarte, und uns leicht hätte unglücklich machen können, zu einer gebührenden Strafe an Geld verurtheilet.«

Einige Bauern geriethen über die große Gefahr, in der das Dorf schwebe, in Schrecken, und stimmten dem Krall bei; andere aber, die mehr Verstand und menschliches Gefühl hatten, widersprachen dem Krall mit Nachdruck. Es entstand ein Wortwechsel, und die Bauern sprachen ziemlich laut. Alle Leute im Dorfe, Jung und Alt, Weiber und Kinder, liefen zusammen, theils um dem Streite zuzuhören, theils um den kleinen Franzosen zu sehen, über den der Streit angegangen war.

Als das Gezänk anfing bedenklich zu werden, kam der Pfarrer herbei, hörte eine Weile zu, und sagte dann sehr ruhig: »Liebe Freunde und Pfarrkinder! Ihr ängstet Euch ohne Ursache; und die Gefahr für unser Dorf, die Einige von Euch als sehr groß ansehen, ist gar nicht vorhanden. Die tapfern französischen Krieger sind zu edelmüthig, als daß sie Euch ein Leid zufügen sollten, weil Ihr dieses unschuldige Kind, das von ihrer bürgerlichen Uneinigkeit noch nichts versteht, in Euer Dorf aufgenommen; Ihr werdet Euch vielmehr ihre Zufriedenheit und ihr Wohlgefallen erwerben, wenn Ihr diesem armen, hülflosen Kinde, das doch zu ihrem Volke gehört, freundlich und liebreich begegnet. Sollte jedoch Einer oder der Andere aus ihnen damit unzufrieden seyn, so legt nur alle Schuld auf mich allein. Sagt ihnen, ich habe Euch gerathen, das Kind in Euer Dorf aufzunehmen. Ich werde mich zu verantworten wissen. Ich halte es mit dem Ausspruche: »Thue recht und fürchte Niemand.«

Der Pfarrer nahm hierauf den kleinen Ludwig liebreich bei der Hand, und stellte den holden lieblichen Knaben, der Thränen in den Augen hatte, daß wegen seiner ein so großer Streit entstanden war, in ihre Mitte. »Seht,« sagte der Pfarrer, »ein solches Kind hat einmal unser göttlicher Erlöser in die Mitte seiner Jünger gestellt und zu ihnen gesagt: »Wer Eines von diesen Kleinen aufnimmt, der nimmt mich auf!« Ja, Er warnte die Jünger und sprach zu ihnen noch weiter: »Sehet wohl zu, daß ihr Keines von diesen Kleinen gering achtet; denn Ich sage euch, ihre Engel sehen beständig das Angesicht meines Vaters, der im Himmel ist. Euer Vater im Himmel will nicht, daß Eines von diesen zarten Kleinen verloren gehe.« So sprach unser göttlicher Erlöser. Nun, meine lieben Freunde! Dieses arme Kind hier, der kleine Ludwig, war wirklich verloren; Lorenz, dieser gute Mann, hat es gefunden, und es in sein Haus aufgenommen. Wolltet Ihr ihm nun das wehren? Wolltet Ihr darauf bestehen, das Kind solle verloren bleiben, und gleich einem verlornen Lämmchen in der Welt herum irren? Da würdet Ihr die heiligen Engel Gottes, denen die Kinder lieb sind, betrüben! Unser göttliche Erlöser, der Alles, was man einem solchen Kinde thut, so ansieht, als hätte man es Ihm selbst gethan, würde übel mit Euch zufrieden seyn. Ihr würdet Euch dem himmlischen Vater, der da will, man soll sich solcher verlornen Kinder annehmen, offenbar widersetzen! Nein, meine Freunde, das thut Ihr gewiß nicht; es würde Euch auch keinen Segen bringen. Wenn Ihr aber Alle gegen dieses fremde Kind so liebreich gesinnt seyd, wie der mitleidige Lorenz – das wird Euch und Euren Kindern Segen bringen. Bedenkt, während wir hier unter diesem friedlichen Baume versammelt sind, befinden sich viele Eurer Söhne im Kriege, und sind tausend Gefahren von Kugeln und Schwertern ausgesetzt. Sollte einer oder der andere von diesen braven Jünglingen, fern von Aeltern und Geschwistern, unter freiem Himmel und auf hartem Boden, verwundet und blutend daliegen, und nach Hülfe seufzen – so wird Gott ihm auch gute Menschen zuschicken, die sich seiner erbarmen. Glaubt mir, es wird Euch an Euren eigenen Kindern reichlich vergolten werden, was Ihr an diesem verlassenen, fremden Kinde gethan habt.«

Die Mütter, Schwestern und Bräute der entfernten jungen Krieger fingen an zu weinen; ja manchem Vater, manchem Sohne, manchem alten, betagten Greise standen Zähren in den Augen. Alle versprachen, die Ermahnung ihres ehrwürdigen Pfarrers zu befolgen, lobten den menschenfreundlichen Lorenz, und tadelten den feindseligen Krall, daß er ihnen eine eitle Furcht eingejagt habe, und sie bald zu Thorheit und Sünde verleitet hätte. Der kleine Ludwig aber küßte dem Pfarrer dankbar die Hand, daß er sich seiner so liebreich angenommen habe; und der Pfarrer sprach freundlich, Ludwig solle ihn morgen besuchen.

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