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Siebentes Kapitel.
Großer Kummer, Hülfe und frommer Dank

Der gute Pächter Lorenz und seine treffliche Ehegattin Johanna brachten den Sommer bei ihren mancherlei ländlichen Beschäftigungen sehr vergnügt zu. Ihre Kinder, auch Ludwig, halfen, so viel es ihre Kräfte erlaubten, bei der Arbeit, und machten ihnen viele Freude. Allein die Ernte fiel nicht so gut aus, als man erwartet hatte. Lorenz hatte überdieß das Unglück, ein Pferd zu verlieren, und er mußte, da die Feldarbeit dringend war, sogleich ein anderes kaufen, das ihm vieles Geld kostete. Indeß nahte der Tag heran, an dem er das Pachtgeld erlegen sollte; er wußte aber die vollständige Summe nicht aufzubringen. Er fragte bei diesem und jenem wohlhabenden Bauer bescheiden und bittweise an, ob er ihm das fehlende Geld nicht vorstrecken wolle. Allein Diejenigen, die ihm hätten helfen können, wollten nicht; und die ihm gern helfen wollten, konnten nicht. Lorenz und Johanna waren sehr bestürzt; denn in dem Pachtbriefe stand, wenn die betreffende Summe nicht jedesmal an dem bestimmten Tage voll und rund in der herrschaftlichen Kanzlei zu Waldenberg erlegt werde, so habe der Pachtherr sich auf diesen Fall das Recht Vorbehalten, den Pacht aufzukünden, und der Pächter müsse dann auf der Stelle abziehen. Als der gefürchtete Tag anbrach, zählte Lorenz noch einmal alles Geld, das er hatte, zusammen. Allein es fehlten daran noch zwei und zwanzig Gulden. »Ach!« sagte Lorenz bekümmert, »der Herr Verwalter wird freilich sehr unzufrieden seyn. Allein ich hoffe, er werde doch wohl einsehen, daß es bei der geringen Ernte und dem Unglücksfalle, den wir mit dem Pferde gehabt haben, mir unmöglich war, die ganze Summe herauszuschlagen; er wird Nachsicht mit uns haben, und uns, und unsere Kinder nicht verstoßen.«

»Gott geb' es!« sagte Johanna mit weinenden Augen »ich werde indeß aus meinem bekümmerten Mutterherzen unausgesetzt zu Gott flehen, Er wolle unsere armen Kinder, die sonst keine Heimath haben, nicht aus diesem Hause vertreiben lassen.«

»Thu' das,« sagte Lorenz wehmüthig; »ich will es auch thun. Auf dem ganzen Wege bis in die Kanzlei werde ich unausgesetzt zu Gott flehen.« Er blickte schmerzlich zum Himmel, und ging betrübt zur Thüre hinaus.

Der Verwalter war ein strenger Mann, der wenig Worte machte. Er antwortete gar nicht auf Lorenzens Bitten und Vorstellungen. Er zählte das Geld, strich es ein, schrieb eine Quittung über den richtigen Empfang des erhaltenen Geldes, jedoch mit; der Bemerkung, wie viel noch daran fehle, und sagte dann: »Ihr wißt, wie der Pachtbrief lautet. Wenn nicht heute noch vor Sonnenuntergang die zwei und zwanzig Gulden bei Pfennig und Heller hier auf dem Tische liegen, so habt Ihr aufgehört, Pächter zu seyn; Ihr müsset morgen das Haus räumen, und euren Stab weiter setzen. Von Eurer Hauseinrichtung oder Eurem Vieh werde ich so viel zurückbehalten, als die fehlende Summe beträgt. Uebrigens hat sich schon ein anderer Pächter gemeldet, der mehr Pachtgeld, als Ihr, zu bezahlen verspricht.« Er langte den Pachtbrief aus dem Aktenkasten hervor, schlug ihn auseinander und sagte: »Da leset! Den Vertrag habt Ihr unterschrieben. Da steht Euer Name. Daran ist nichts mehr zu ändern. Ihr wißt hiemit meine Meinung, und könnet gehen.«

Lorenz ging mit schwerem Herzen durch den Wald zurück, seiner Wohnung zu. Er dachte beständig daran, was für einen Jammer sein Weib und seine Kinder erheben würden; die Thränen drangen ihm in die Augen, und er seufzte öfter so mächtig, als wollte er die Seele aushauchen. Der Weg führte nicht weit von jenem Eichbaume vorbei, unter dem er den kleinen Ludwig gefunden hatte. Er begab sich auf dem schmalen Seitenwege dahin, kniete unter dem Baume nieder, und betete, mit Inbrunst, mit heißen Thränen und fest gefalteten Händen: »Lieber Gott! Hier auf dieser Stelle kniete Ludwig, als ein armes verlassenes Kind, und flehte mit erhobenen Händchen zu Dir – und Du hast sein Flehen erhört! Nun knie ich hier, und flehe in meiner Noth eben so zu Dir. Ach, laß mein Flehen zu Dir kommen! Erbarme Dich meiner – meines Weibes – meiner Kinder – auch des guten Ludwigs! – Ach Du lieber Gott, Du sagtest ja selbst: Seyd barmherzig, so will ich auch gegen euch barmherzig seyn! Nun, ich habe mich des fremden Kindes erbarmt; erbarme Du Dich nun auch meiner und meiner Kinder! O Du guter Gott, laß mein Flehen nicht unerhört.«

Lorenz stand sehr getrost von seinem Gebete auf. Er war kaum einige hundert Schritte gegangen, so kam ihm seine Johanna eilig entgegen. Lorenz war darüber nicht wenig befremdet, und rief: »Ist etwas Unangenehmes vorgefallen, daß du so eilig hieher kommest?«

Allein sie rief: »Nichts, als Gutes!« und lächelte dabei so heiter, wie ein Engel.

»Nicht wahr,« sagte sie, als sie näher gekommen, »der Verwalter will nicht warten?«

»Nein«, sprach Lorenz bekümmert, »das will er nicht!«

»Das dachte ich wohl!« sagte Johanna mit freudigem Angesichte.

Lorenz sprach: »Und das kannst du mir mit lachendem Munde sagen?«

»Jetzt wohl,« sagte Johanna; denn Gott hat uns geholfen. Mein Herz ist so voll Dank und so voll Freude, daß ich laut jubeln und Gott vor aller Welt danken möchte! – Ich konnte nicht so lange warten, bis du nach Hause kämest; ich mußte dir entgegen eilen, um dir das große Glück, das uns zu Theil ward, sogleich zu verkünden. Gott hat uns wunderbar gerettet! Da sieh einmal!« – Sie öffnete die Hand, und zeigte ihm zwanzig glänzende Goldstücke, alle fast neu geprägt und mit scharfem Rande.

Lorenz traute kaum seinen Augen. »Um Gotteswillen,« rief er, »wie kommst du zu so vielem Golde?« Johanna sagte: »Du könntest Tage, ja wohl Jahre lang rathen, und würdest es doch nicht errathen. Ich will es dir also nur sogleich ausführlich erzählen! Als du fort warest, wurde mir das Herz recht schwer, ach so schwer, daß ich es gar nicht aussprechen kann. Die größeren Kinder waren mit Ludwig in der christlichen Lehre; die kleineren spielten draußen auf dem grünen Rasen im Baumgarten; das kleinste lag in der Wiege, und schlief recht sanft und süß. Ich suchte die Kleidungsstücke der Kinder zusammen, die des Ausbesserns bedurften, und setzte mich an den Tisch in der untern Stube. Ich nähte sehr emsig, und betete dabei beständig, recht aus dem Innersten meines Herzens. Ich blickte dabei bald durch das Fenster auf die Kinder im Garten, bald auf das Kind neben mir in der Wiege. »Ach Gott,« seufzte ich öfter, »erbarme Dich dieser armen Kinder, die von dem Kummer, der mich drückt, und von dem Jammer, der ihnen droht, noch nichts wissen!« Manche Mutterzähre fiel auf das Kinderkleidchen, an dem ich eben nähte. Ich kam nun an Ludwigs blauen Rock, der auch anfängt, hie und da etwas schadhaft zu werden. Ich nähte eine Naht zu, die aufgegangen war, und sah nun noch nach, ob nicht ein oder der andere Knopf beschädigt sey, oder gar fehle. Da bemerkte ich, daß an einem der mit blauem Tuche überzogenen Knöpfe der Rand etwas aufgeritzt sey. Aus der kleinen Ritze schimmerte etwas hell wie Gold hervor. Ich machte die Oeffnung mit dem Nagel des Fingers etwas größer – und ein Goldstück kam zum Vorschein. Du kannst dir denken, wie ich erstaunte. »Lieber Himmel,« dachte ich, »das ist ja Gold? Wie kam dieses da hinein?« Ich sann nach; ich konnte mir nichts Anderes denken, als man müsse es da eingenäht haben, um es zu verbergen. Die Mutter des guten Ludwigs, dachte ich, mußte sich flüchten. Die Geflüchteten sind vielen Gefahren ausgesetzt. Sie suchte daher das Geld auf diese Art vor räuberischen Händen zu verwahren, Sicher enthalten die übrigen Knöpfe auch noch Gold. Ich trennte einen Knopf nach dem andern ab, öffnete den Ueberzug, und fand in jedem ein Goldstück. So kam ich zu diesen zwanzig Dukaten; so hat Gott uns aus der Noth geholfen. Du kannst nun den Herrn Verwalter bezahlen, und wir dürfen mit unserm lieben Kindern wieder in unsrer Wohnung bleiben!«

Lorenz sagte bedenklich: »Ich weiß nicht, ob uns mit dem Gelde geholfen ist! Es ist ja nicht unser; es gehört Ludwigs Mutter. Vor fremden Gute bewahre mich Gott!«

»Mir fiel das auch ein,« sagte Johanna, »und ich überlegte die Sache. Höre einmal, was ich davon denke. Da Ludwigs Mutter' nicht so arm ist, als wir dachten, ja wohl reicher, als wir es sind, so ist sie gewiß bereit, uns für ihr Kind ein billiges Kostgeld zu bezahlen. Wir können es auch mit allem Rechte fordernd. Und da denke ich, ein Gulden für die gänzliche Verpflegung die Woche hindurch sollte nicht zu viel seyn. Ueberdieß haben wir auf Ludwig sonst noch Manches verwendet. Er kam zu Uns, wie er stand und ging, und hatte nicht einmal einen Hut; du kauftest ihm einen hübschen Hut, ich versah ihn mit weißem Zeug, und kleidete ihn in selbst gesponnene, dichtgewebte blaue Leinwand, damit er seinen schönen Rock für die Sonntage sparen könne; wir ließen auf seine alten Schuhe neue Sohlen machen, und schafften ihm ganz neue Schuhe an. So haben wir ihn vom Kopfe bis zu den Füßen gekleidet. Kost und Kleidung beträgt bis diese Stunde schon bei weitem mehr, als zwei und zwanzig Gulden. Nimm du daher diese vier Dukaten hier, die gerade zwei und zwanzig Gulden ausmachen, getrost, und bringe sie dem Verwalter.«

»Wahrhaftig!« rief Lorenz hoch erfreut, »du hast Recht. Wir können die vier Dukaten mit gutem Gewissen für uns verwenden. Gott hat uns aus unsrer großen Noth errettet. Ihm sey Lob und Dank!« – Er schwieg voll frommer, dankbarer Rührung. »Aber,« fing er über eine Weile an, »der Verwalter wird sich wundern, wie ich so schnell zu dem Gelde gekommen bin. Was soll ich ihm sagen, wenn er mich darum fragt?«

»Ei,« sprach Johanna, »sag nur, deine Hausfrau habe dir das Gold gegeben; es sey ein heimliches »Geld, von dem du bis zu dem Augenblick, da ich es dir gab, nichts gewußt habest. Aber nun geh; ich will auch, so schnell ich kann, zu unsern Kindern nach Hause eilen!«

»Komm erst noch ein wenig mit mir!« sagte Lorenz. »Ich muß dir doch den Eichbaum zeigen, unter dem ich den guten Ludwig gefunden habe.« Er ging voran in das Gebüsch, und sie folgte ihm. »Sieh, Johanna,« sagte Lorenz, als sie auf dem kleinen, grünen Platze standen, »dieß ist der Baum, unter dem Ludwig so herzlich zu Gott gefleht hat, und von Ihm erhört wurde. Unter eben diesem Baume flehte auch ich eben jetzt in meiner betrübten Lage zu Gott – und auch mein Gebet wurde erhört. Ach, ich dachte nicht, ja ich hätte es kaum für möglich gehalten, daß ich dem barmherzigen Gott noch in eben dieser Stunde, unter eben dieser Eiche für seine Hülfe in der Noth würde danken können.«

Lorenz sank mit erhobenen Händen und zum Himmel gerichteten Blicken auf die Knie, und rief: »Liebster himmlischer Vater! Eben so innig, als ich vorhin zu Dir betete, möchte ich Dir jetzt danken. Du hast mein Gebet nicht verschmäht; o laß Dir nun auch meinen Dank nicht mißfallen!«

Johanna kniete neben ihren Mann hin, und stimmte in seinen Dank mit ein. Beide freuten sich unaussprechlich, daß der große, allmächtige Gott so liebreich für uns arme Menschen sorge, unser gedenke, und uns aus unsern Nöthen errette; ihre Liebe, ihr Vertrauen zu Gott, ihre kindliche Dankbarkeit gegen Ihn erfüllte ihr Herz mit einer höhern, reinern Freude, als alles Gold der Welt ihnen hätte verschaffen können.

Johanna eilte nach Hause; Lorenz machte sich wieder auf den Weg nach Waldenberg. Es ward ziemlich spät, bis er in sein kleines Thal zurück kam. Der Vollmond stand bereits hoch am Himmel, beleuchtete das freundliche Dörflein, und spiegelte sich in dem stillen See. Johanna saß auf der Bank vor ihrer Hausthüre, und wartete auf ihren lieben Mann. Sie hatte die Kinder schon längst zu Bette gebracht, und das Nachtessen auf die Glut gestellt. Beide gingen nun in die Stube, aßen zusammen auf die Nacht, und redeten von den Begebenheiten des verflossenen Tages.

Lorenz fragte unter Anderm: »Weiß Ludwig davon, daß in seinem Rocke Geld eingenäht war?«

»Nein,« antwortete Johanna. »Ich habe ihn darüber ausgeforscht. »Du, Ludwig,« sagte ich zu ihm, »die Knöpfe in deinem Rocke sind bereits sehr abgenützt. Ich habe sie herausgenommen, und werde sie wegwerfen. Anstatt der tuchenen Knöpfe will ich metallene hineinsetzen, die dauerhafter sind und wie Gold glänzen. Darüber freute er sich sehr, und hatte nichts dagegen einzuwenden. Wenn er von dem Golde gewußt hätte, so hätte er gewiß gesagt, ich solle zuvor das Gold heraus nehmen, ehe ich das Tuch wegwerfe.

»Nun wohl,« sprach Lorenz; »da seine Mutter nicht für rathsam hielt, ihm etwas von dem Golde zu sagen, so sagen wir ihm auch nichts davon.«

»So meine ich auch,« sagte Johanna. »Obwohl er indeß nichts von dem Golde weiß, so soll es doch nur allein für ihn verwendet werden. Ich will schon so gut damit haushalten, als wie mit einem anvertrauten Gute, von dem ich einst Rechenschaft ablegen muß. Ich will Alles, was ich davon ausgebe, fleißig aufschreiben, und gleichsam die Vormünderin des Knaben seyn. – Ich war bisher oft recht bekümmert, woher wir Geld nehmen wollen, ihn zu kleiden. Der lebhafte Knabe ist sogleich wieder mit einem Paar Schuhe fertig. Nun hat Gott auch dafür gesorgt. Die Mutter des guten Ludwigs hat ihm, ohne diese Absicht zu haben, so viel, ja mehr Geld, als er jetzt nöthig hat, mitgegeben, indem sie das Gold in sein Kleid einnähte.«

»Das Gold,« sagte Lorenz, »war ein heimlicher Schatz, den Ludwig, ohne es zu wissen, in unser Haus brachte, und der nun auch uns zum Segen gereicht. Ohne die Beihülfe dieses Geldes hätten wir das Pachtgeld nicht bezahlen können.«

»Sicher nicht,« sagte Johanna. – »Was wir für den Knaben an baarem Gelde ausgelegt haben, ist wenig; was er bei uns verzehrte, achteten wir in der Haushaltung kaum. Wir hätten, wenn wir das Kind nicht zu uns genommen hätten, keine zehn, viel weniger zwei und zwanzig Gulden erspart.«

»So ist es, meine liebste Johanna,« sagte Lorenz. »Wenn wir das Kind nicht in unser Haus aufgenommen hätten, so müßten wir jetzt dieses Haus mit unsern Kindern verlassen. Indem wir diesem Kinde eine Wohlthat erzeigten, hat Gott uns und unsern Kindern durch eben dieses Kind eine noch viel größere Wohlthat erwiesen. – O laß uns Gott loben und preisen, der Alles so weislich fügt, und auch das kleinste Gute, das wir thun, hier oder dort, reichlich belohnt.«

Lorenz blickte gerührt zum Himmel. Johanna faltete die Hände. Beide schwiegen. Es war eine andächtige Stille. Der Mond schien durch die grünen Zweige der Bäume am Hause hell und freundlich in's offene Fenster; die milde Abendluft wehte süße Wohlgerüche der Lindenblüthe herein. Das fromme Dankgebet der guten Leute aber war vor Gott ein angenehmeres Abendopfer, als der köstlichste Weihrauch.

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