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Zweites Kapitel.
Die Nachtherberge

Ludwig ging mit dem freundlichen Manne durch den Wald hin, nach Ellersee zu. Unterwegs fragte ihn Lorenz, wie das Dorf heiße, in dem seine Mutter zu Mittag speisen wollte. Ludwig wußte es nicht zu nennen; er beschrieb es aber. Er sagte, es liege an einem Berge, auf dem ein schönes, großes Schloß aus dem Walde hervor rage.

»Das ist Waldenberg,« sagte Lorenz; »es ist aber über zwei starke Stunden dahin. Du bist zu müde, heute noch so weit zu gehen. Auch hast du nicht zu Mittag gegessen, und wirst wohl sehr hungerig seyn. Mein Haus ist gar nicht weit von hier. Da mußt du mit mir zuerst auf die Nacht essen; dann nehm' ich dich zu mir auf ein Pferd, und wir galoppiren mit einander nach Waldenberg. In einer Stunde bist du dann wieder bei deiner Mutter.«

Der lebhafte Knabe freute sich sehr, reiten zu dürfen, was er sich schon lange vergebens gewünscht hatte; allein noch mehr freute er sich, heute noch seine Mutter wieder zu sehen. Er hätte vor Freude hüpfen mögen, wenn er nicht so gar müde gewesen wäre.

Sobald Ludwig mit Lorenz aus dem dunkeln Walde heraus kam, erblickte er das freundliche Dörflein Ellersee. Es lag an einem kleinen mit Erlen umkränzten See, und war eben jetzt herrlich von der untergehenden Sonne beleuchtet. Das Haus des guten Lorenz war ihnen das nächste, und sie hatten dahin nur mehr einige hundert Schritte.

Lorenzens Ehegattin, Mutter Johanna, kam mit ihrem kleinsten Kinde auf dem Arme, und von ihren übrigen fünf Kindern umgeben, ihrem Manne aus der Hausthüre entgegen, und rief jammernd: »Hast du es schon gehört? Die französischen rothen Husaren sind heute Mittags in Waldenberg angekommen, und vieles Fußvolk, das ihnen nachzog, hat bereits alle Ortschaften jenseits des Waldes besetzt.«

Lorenz hatte in dem Walde von Allem, was in der übrigen Welt vorging, weder etwas gesehen, noch gehört. Er war daher über die Nachricht, die französischen Krieger seyen so weit vorgedrungen, nicht wenig erstaunt. Noch mehr aber erstaunte die gute Hausmutter Johanna, daß Lorenz schon einen kleinen Franzosen mit nach Hause bringe. Sie betrachtete indeß die zarte, liebliche Gestalt des Knaben mit Wohlgefallen. Die Kinder schauten ihn zuerst eine Weile scheu und betroffen an; sie näherten sich ihm aber nach und nach, und die kleine Lise sagte: »Ich dachte Wunder, wie fürchterlich die Franzosen aussehen; allein wenn alle so hübsch und freundlich sind, wie dieser da, so werden sie uns Kinder wohl nicht fressen.«

Lorenz erzählte seiner Hausfrau, was er von dem Knaben wußte. Sie hatte großes Mitleid mit Ludwig, und sagte: »Ach! da wird der arme Kleine wohl recht hungerig seyn; ich will daher machen, daß die Suppe bald fertig werde.« Sie eilte in die Küche. Die Kinder plauderten indeß mit Ludwig, und die mangelhafte Art, wie er deutsch sprach, belustigte alle sehr.

Sobald die Mutter die Suppe brachte, setzte Ludwig sich mit den Kindern sogleich zu Tische, als wäre er da zu Hause. Mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit brachte er den Löffel voll heißer Suppe zum Munde, und hätte sich beinahe die Lippen verbrannt. »Ach,« rief er, da ihm das Wörtlein heiß nicht sogleich einfiel, »in das Supp' ist viel Sommer!« Die Kinder lachten, allein sie verstanden sehr gut, was er sagen wollte.

Der Vater fragte ihn während des Essens, in welchem Gasthofe zu Waldenberg er eingekehrt habe. »In dem goldenen Wildpret!« sagte Ludwig.

»Er meint den goldenen Hirsch,« sprach der Vater, und verbot den Kindern ihr lautes Gelächter, obwohl er selbst sich des Lachens nicht ganz enthalten konnte. Nach der Suppe brachte die Mutter eine große Schüssel voll schöner, röthlicher Erdäpfel. Ludwig schälte ein Paar, ließ sie aber unberührt auf seinem Teller liegen. Er war gewöhnt, die Erdäpfel nur als eine Beispeise zu eingemachtem Fleische zu essen. Er hätte gern ein eingemachtes Huhn gehabt, wußte es aber in diesem Augenblicke nicht zu nennen. Da blickte er durch das Fenster, deutete auf die Thurmspitze, auf der ein vergoldeter Hahn in der Abendsonne flimmerte, und fragte »Was das?« Die Kinder glaubten, er meine den Thurm, und sagten: »Der Kirchthurm!« »Nun wohl,« sagte Ludwig, »so koch mir jung Kirchthurm!« Aeltern und Kinder lachten nun zusammen.

Der Vater erklärte ihm das lustige Mißverständniß. Die Mutter aber sagte: »Lieber Ludwig, junge Hühner wären für uns Landleute eine zu kostbare Speise; wir verkaufen die Hühner, die wir ziehen, in der Stadt, um für das Geld andere Dinge einzukaufen, die uns nöthiger sind.« Indeß brachte sie ihm etwas Butter zu den Erdäpfeln und gab ihm überdieß noch ein Stück Butterbrod. Er aß Beides mit Lust, und versicherte, es schmecke und sättige so gut, als der beste Braten.

Nach dem Essen sprach der Vater: »Heute, mein lieber Ludwig, können wir nicht mehr zu deiner Mutter reiten. Waldenberg und die ganze Gegend ist von französischem Kriegsvolke besetzt, und da wäre es sehr gefährlich, in der Nacht zu reisen. Du mußt also schon bei uns übernachten, und Geduld haben; morgen frühe wollen wir dann sehen, was zu thun ist.«

Ludwig, der sehr müde und schläfrig war, ergab sich darein, so gern er heute noch seine Mutter gesehen hätte. Die sorgsame Hausmutter Johanna machte ihm oben in der Schlafkammer ihrer Kinder ein reinliches Bettchen zurecht, und Ludwig schlief fast augenblicklich ein.

Als die Mutter alle ihre Kinder zu Bette gebracht hatte, ging sie vor die Hausthüre, und setzte sich zu ihrem Manne auf die Bank. Denn hier saßen sie an schönen Abenden nach vollbrachtem Tagwerke gewöhnlich noch eine Weile, überlegten, was morgen Alles zu thun sey, redeten von der Erziehung ihrer Kinder, und dankten Gott für alle den Tag hindurch empfangene Wohlthaten.

Nachdem Beide eine Weile nachdenkend geschwiegen hatten, sagte Johanna: »Ich halte es für rathsam, daß du morgen vorerst allein, ohne unsern kleinen Gast mitzunehmen, nach Waldenberg gehest. Ludwigs Mutter, die sich vor ihren Landsleuten geflüchtet, hält sich wahrscheinlich im Verborgenen noch dort auf, und wartet, bis der Knabe wieder aufgefunden ist. Brächtest du ihn nun sogleich mit dir, so könnte das gar leicht Aufsehen erregen und der armen Mutter Gefahr bringen.«

»Da hast du Recht,« sprach Lorenz. »Morgen will ich zuerst allein dahin gehen, um der guten Frau Nachricht von ihrem Kinde zu bringen. Sobald der Tag anbricht, will ich mich auf den Weg machen, um sobald möglich dahin zu kommen, und so ihr eine jammervolle Stunde zu ersparen.«

»Das thu',« sagte Johanna; »ach, ich kann mir denken, wie es der guten Mutter um das Herz seyn mag. Ich würde vor Jammer vergehen, wenn ich im fremden Lande eines meiner Kinder verloren hätte. Damit du aber auch eine Ursache angeben kannst, warum du nach Waldenberg kommest, so will ich dir ein halbes Dutzend von unsern schönen, jungen Hühnern mitgeben, die jetzt eben groß genug, und auch so fett sind, daß man sie sogleich braten kann.«

»Das ist klug,« sagte Lorenz. »Die Hühner werden mir anstatt eines Passes dienen, damit ich leichter durch die aufgestellten Wachen hindurch komme. Auch wird die Frau Hirschwirthin, die gar eine brave Frau ist, sie mir sehr gern abkaufen, um die fremden Gäste gut zu bewirthen. Was aber die Hauptsache ist, so kann sie mir über die Mutter des kleinen Ludwigs sicher die beste Auskunft geben. Ich will also den Gang dahin wagen.«

»Es ist allerdings ein kleines Wagstück,« sagte Johanna; »allein da es ein Werk der Barmherzigkeit ist, so wird es mit der Hülfe Gottes gelingen. Dies glaube ich fest; sonst ließe ich bei dieser gefährlichen Kriegszeit dich um alle Welt nicht gehen. Gutes zu thun, ist aber der Beruf eines jeden Menschen; und wer in seinem Berufe wandelt, der wandelt unter Gottes Schutz.«

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