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Zehntes Kapitel.
Eine gerichtliche Anklage

Nunmehr wurde Waffenstillstand gemacht. Schon seit einigen Wochen hatte sich weder ein feindlicher, noch freundlicher Krieger in Ellersee blicken lassen. Alles freute sich auf den Frieden, den man sehr nahe glaubte, und es war den Leuten, als scheine die Sonne heller und freundlicher in das Dorf. Nur über Lorenz und die Seinigen kam eine große Trübsal. Er wurde beschuldigt, dem Kirchenbauer, einem der reichsten Bauern im Dorfe, eine ansehnliche Summe Geldes in Gold entwendet zu haben.

Die Sache war diese: Lorenz hatte in dem Garten dieses Bauers einige Bäume gepfropft, was er sehr gut verstand. Der Garten war von einer niedrigen, etwas baufälligen Mauer aus Ziegelsteinen umgeben. Lorenz hatte die Pfropfreiser und übrigen Geräthschaften auf die Mauer gelegt, weil sonst kein bequemer Platz vorhanden war. Allein an eben der Stelle hatte der Bauer, hinter einem Ziegelsteine, der los war und leicht konnte herausgenommen werden, mehrere Goldstücke aus Furcht vor feindlicher Plünderung verborgen. Als nun die fremden Krieger aus dem Dorfe abgezogen waren, und der Bauer sein Gold wieder hervorlangen wollte, war es zu seinem Entsetzen nicht mehr vorhanden. Sein Verdacht fiel auf Lorenz. Er wußte, daß es dem Lorenz an Geld gefehlt habe, seinen Pacht ganz zu bezahlen; denn Lorenz hatte ihn damals, als er bei ihm die Bäume pfropfte, wiewohl vergebens, gebeten, ihm Geld vorzustrecken. Der bestürzte Bauer forschte heimlich weiter nach, und vernahm von dem Gerichtsdiener, Lorenz habe, was ihm an dem Pachtgelde gefehlt, in Gold bezahlt. Der Bauer hielt es nun für ausgemacht, Lorenz habe das vermißte Gold gestohlen. Er ging daher zu dem Verwalter in Waldenberg, der zugleich Gerichtshalter war, und verklagte den Lorenz. Der Verwalter war sehr betroffen. Er hatte die Goldstücke noch, die er von Lorenz bekommen, holte sie, verbarg sie aber in der Hand, und fragte den Bauer, von welcher Art und Beschaffenheit die entwendeten Goldstücke gewesen? Sie waren von eben der Sorte. Der Verwalter legte ihm nun die Goldstücke vor. Der Bauer rief höchst erfreut: »Sie sind die nämlichen, die mir Lorenz gestohlen hat!« – und wollte sogleich zugreifen und sie einstecken. Allein der Verwalter sagte: »So schnell geht es nicht! Ich muß den Lorenz zuvor auch noch hören.«

Lorenz wurde gerufen und verhört, wie er zu dem Golde gekommen sey. Er versicherte, daß die Goldstücke sich in den tuchenen Rockknöpfen Ludwigs vorgefunden hätten; er berief sich auf den Zettel, auf dem seine Ehegattin Johanna sowohl den Fund, als was sie davon für Ludwig ausgegeben, getreulich verzeichnet hatte.

Der Verwalter ließ nun durch den Gerichtsdiener unverzüglich Johanna vorrufen, mit dem Befehl, den angeblichen Zettel mitzubringen. Johanna kam zitternd und bebend; sie hielt es schon für eine große Beschämung, von einem Gerichtsdiener vor Gericht geführt zu werden. Lorenz mußte abtreten, und Johanna wurde vernommen; ihre Aussage stimmte genau mit den Aussagen ihres Mannes überein. Das Blatt, das sie mitgebracht, durchsah der Verwalter mit sichtbarem Wohlgefallen. Allein er sagte dennoch: »Das wäre Alles gut; wer steht mir aber dafür, daß Ihr den Zettel nicht in der hinterlistigen Absicht geschrieben habt, im Falle der Handel vor Gericht käme, mich zu hintergehen?«

Er ließ nun auch noch Ludwig rufen; allein daß Ludwig ganz und gar nichts von den Goldstücken wußte, war für Lorenz und Johanna ein bedenklicher Umstand. Der Verwalter war ein strenger Mann, aber gerecht. Er war deßhalb in Verlegenheit, und wußte nicht, ob er der Aussage des Lorenz Glauben beimessen, oder Alles für Lug und Trug, und einen abgeredeten Handel ansehen sollte. Er getraute sich nicht den Lorenz zu verurtheilen, aber auch nicht, ihn loszusprechen. Er ließ die Sache einstweilen beruhen; allein auf Lorenz und Johanna blieb in den Augen vieler Menschen der schwere Verdacht liegen, sie hätten gestohlen.

Die Begebenheit machte in Ellersee großes Aufsehen, und erregte keinen geringen Lärm. In allen Häusern, und wo im Dorfe oder Felde ein Mensch dem andern begegnete, wurde davon gesprochen. Die Kinder des guten Lorenz, Konrad und Lise, kamen oft mit weinenden Augen nach Hause, und klagten es ihren Aeltern, daß sie von andern Kindern ein Diebsgesindel gescholten worden.

Lorenz und Johanna wurden zwar von manchem ehrlichen Bauersmann im Dorfe als verständige und tugendsame, friedliche und arbeitsame Leute geachtet; allein sie hatten doch auch ihre Feinde. Da sie als fremd in das Dorf gekommen, so waren schon deßwegen aller Augen auf sie gerichtet, und manches Löbliche an ihnen, das den Leuten ungewohnt vorkam, wurde getadelt. Den Bauern war es überhaupt nicht recht, daß ein Fremder das schöne herrschaftliche Landgütchen in Pacht bekommen. Ueberdies hätte jener bekannte böse Krall schon früherhin das Gütchen gern gepachtet, und hatte damals die Bauern, die ihn fürchteten, zu überreden gewußt, ihn bei der Verpachtung desselben an den Meistbietenden nicht zu steigern. Krall hatte auch geglaubt, er sey, für ein ganz geringes Pachtgeld, schon wirklich Pächter. Er gerieth daher als, anstatt der erwarteten herrschaftlichen Genehmigung, Lorenz als neuer Pächter ankam, in den heftigsten Zorn, wurde von der Stunde an Lorenzens abgesagter Feind, und schmähte und lästerte bei jeder Gelegenheit über ihn. Jetzt aber behauptete er auf allen Bierbänken, Lorenz sey ein ausgemachter Lügner und Dieb; und der eigennützige Kirchenbauer gab ihm vollkommen Recht, und schalt überdieß noch den Verwalter einen ungerechten Richter, weil er ihm jene Goldstücke, die er ihm in der Kanzlei vorgelegt, nicht sogleich zugesprochen, und den Lorenz nicht zum Ersatze der übrigen Goldstücke verurtheilt habe.

Auch einige Bäuerinnen waren der guten Johanna gar nicht geneigt. Denn Johanna war in einem entfernten Marktflecken, wo sich eine sehr gute Schule befand, von sehr guten Aeltern erzogen worden. Sie hatte eine reinere Aussprache und einen feinern Anstand in ihrem Betragen, und konnte manchen abergläubischen Meinungen der Bäuerinnen zu Ellersee nicht beistimmen. Ueberdieß behielt sie aus ihrem Geburtsorte die dortige Art sich zu kleiden auch hier bei, die zwar bei weitem nicht so kostbar, als jene der Weiber im Dorfe, aber viel netter und zierlicher war. Deßhalb wurde sie von ihnen schon bisher immer mit neidischen Blicken angesehen; nunmehr aber begegneten viele von ihnen ihr und ihrem Manne mit der größten Verachtung.

Lorenz tröstete sich mit seiner Unschuld; Johanna aber war sehr betrübt und weinte oft stille Thränen. Lorenz suchte sie zu erheitern, und ihr mehrmals Trost einzusprechen. »Liebste Johanna,« sagte er einmal zu ihr, als sie noch spät in der Nacht am Fenster saß, und bitterlich weinte, »sieh da den Mond an, der jetzt so schön und hell am Himmel glänzt! Sieh, jetzt kommt eben eine schwarze Wolke und verdunkelt ihn ganz. Allein habe nur eine kleine Weile Geduld. Sieh, jetzt ist die Wolke vorüber gezogen, und der liebe Mond glänzt wieder so hell und schön, wie zuvor. So ist es mit der Unschuld. Sie kann wohl durch Verläumdungen und falsche Anklagen angeschwärzt und verdunkelt werden, aber am Ende trägt sie doch den Sieg davon. So wird Gott auch die Wolken zerstreuen, die jetzt unsere Unschuld bedecken, und sie wird allen Menschen so hell und klar in die Augen leuchten, wie jetzt der Mond.«

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