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Achtes Kapitel.
Die fremden Krieger

Indeß hatte der Herbst, der sich sehr heiter und freundlich eingestellt, die Wälder um Ellersee bunt gefärbt, und noch immer hatte kein Soldat das freundliche Dörflein betreten. Man merkte es nur an den höhern Abgaben, daß es Krieg sey. Allein eines Abends wiederhallte das kleine Thal plötzlich von kriegerischen Trommeln. Ein französisches Regiment zog durch das Dorf, und eine Compagnie davon blieb da, um auf unbestimmte Zeit hier zu verweilen. Johanna war doch etwas ängstlich, die französischen Soldaten möchten dem guten Ludwig, als dem Kinde ausgewanderter Aeltern, feindselig begegnen, und es auch ihr und ihrem Manne entgelten lassen, daß sie ihn in ihr Haus aufgenommen hatten. Es ward dem Lorenz angesagt, auch er werde einen Mann in das Quartier bekommen; er solle sich unter die Linde des Dorfes begeben, um ihn abzuholen.

Ludwig wollte geschwind seinen Sonntagsrock anziehen, um darin dem erwarteten Gaste sein Compliment zu machen. Allein Johanna sagte: »Behalte nur deine Werktagskleider an; es wird gut seyn, wenn du um nichts besser gekleidet erscheinest, als Konrad. Hüte dich auch französisch zu sprechen, und laß bei Leibe kein französisches Wörtlein von dir hören. Unsre fremden Gäste müssen es nicht sogleich wissen, daß du ein kleiner Landsmann von ihnen bist. Wir müssen erst sehen, wie sie sich gegen uns betragen.«

Als der Soldat, ein Mann von ernstem kriegerischem Aussehen, in die reinliche Stube trat, und lauter freundliche Gesichter erblickte, schien er sehr zufrieden. Er setzte sich an den Tisch, und stopfte seine Pfeife. Ludwig brachte eilig Licht, den Taback damit anzuzünden. Konrad brachte einen Krug gutes Bier, und ein sehr reines, helles Trinkglas dazu. Lise deckte indeß den Tisch. Sobald der Mann seine Pfeife ausgeraucht hatte, und sie ausklopfte, trug Lise die Suppe auf. Ludwig brachte hierauf ein Paar gebratene Tauben, und Konrad folgte ihm mit dem Salat. Der ernste Krieger lächelte freundlich, und nickte stillschweigend mit dem Kopfe; es gefiel ihm sehr, daß die Kinder ihn so emsig bedienten. Auch ließ er es sich wohl schmecken. Ludwig setzte sich indeß in die Ecke der Stube, und verwandte kein Auge von dem Manne.

Nach dem Essen kam noch ein anderer Soldat herein, seinen Kameraden zu besuchen, und fing ein lebhaftes Gespräch mit ihm an. Als Ludwig, nach so langer Zeit, seine Muttersprache wieder reden hörte, war es ihm, als höre er eine himmlische Musik. Er sprang auf, und begrüßte die zwei Soldaten in französischer Sprache auf's freundlichste. Die Soldaten schauten den zarten, lieblichen Knaben in Bauernkleidern, der so rein und fertig französisch sprach, verwundert an. Sie zweifelten keinen Augenblick, daß er ein geborner Franzose sey, und fragten ihn, wie er hierher gerathen. Ludwig erzählte, wie er mit seiner Mutter eine Reise gemacht, wie er von dem bösen Kuckuk in den Wald gelockt wurde und sich dort verirrte, wie Lorenz und Johanna ihn so gütig und liebreich aufgenommen, und wie er seit dieser Zeit nichts mehr von seiner Mutter gehört habe. Beide Soldaten bezeigten ihm ihre herzlichste Theilnahme, und wurden gegen Lorenz und Johanna ganz ungemein freundlich. Sie drückten Lorenzen und Johannen kräftig die Hand, und ersuchten Ludwig, auch in ihrem Namen und in deutscher Sprache diesen seinen Pflegeältern zu danken, daß sie ihm so viele Liebe erwiesen.

Am andern Morgen wurde es sogleich unter allen Soldaten im Dorfe bekannt, daß sich ein kleiner Knabe aus Frankreich in dem Dorfe aufhalte. Viele Soldaten kamen in das Haus, ihn zu sehen, und hatten große Freude an ihm. Der Offizier aber, dem Ludwig als ein sehr liebenswürdiger Knabe geschildert wurde, ließ ihn zum Mittagessen einladen. Ludwig eilte sogleich in seine Kammer hinauf, und kam bald wieder festlich gekleidet herab. Er hatte seinen dunkelblauen Rock angezogen; seine Weste und langen Beinkleider waren so weiß wie Schnee. Johanna brachte sein schönes, schwarzlockiges Haar in Ordnung; So schön geputzt und den Hut in der Hand trat er mit seinem gewöhnlichen Anstand in das Zimmer des Offiziers, verneigte sich, und sagte, er rechne es sich zur Ehre, mit ihm speisen zu dürfen. Der Offizier fand großes Wohlgefallen an dem artigen Knaben, und unterhielt sich während der Mahlzeit mit ihm sehr gut; denn Ludwig war ganz ungemein fröhlich und gesprächig.

Der Offizier mit seinen Soldaten zog wieder ab; von Zeit zu Zeit kamen wieder andere. Der kleine Ludwig ward von nun an in dem Dorfe eine Person von großer Wichtigkeit. In vielen Häusern entstand zwischen den fremden Kriegern und den Hauseinwohnern Streit – bloß weil die Einen die Sprache der Andern nicht verstanden. Ludwig wurde gerufen, und half oft mit einigen Worten aus aller Verlegenheit. Oft stand der zarte Knabe unter der Linde des Dorfes zwischen den ergrauten Gemeindemännern und bärtigen Kriegern, die ohne seine Vermittlung einander nicht verstanden hätten, und beide Theile bezeigten ihm ihren Dank. Mancher Trupp kam mit trotzigen Mienen und drohenden Blicken in das Dorf; sobald aber Ludwig sie in ihrer Muttersprache freundlich grüßte, erheiterten sich plötzlich alle Gesichter, und manches Unheil, das sie sonst vielleicht angerichtet hätten, unterblieb.

Die Bauern erkannten es auch, welche große Dienste ihnen Ludwig leiste. »Wenn Ludwig nicht wäre,« sagten sie öfter, »so wäre es uns schon manchmal übel gegangen.« Der Ortsvorstand machte daher den Vorschlag, weil Lorenz schon einen kleinen Franzosen, der dem ganzen Dorfe sehr nützlich sey, im Quartier habe, so solle er künftig von andern Einquartierungen frei seyn. Nach einigem Widerspruch von etlichen Wenigen nahm die Mehrzahl diesen Vorschlag an, und Lorenz, dem es doch etwas schwer fiel, seine zahlreichen Kinder zu ernähren, wurde dadurch sehr erleichtert.

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