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Elftes Kapitel

Selten hatte ein Prozeß so großes Aufsehen erregt, wie der des Pseudografen Nicolaj Petrowitsch Subotin, den wir von jetzt ab mit seinem richtigen Namen nennen wollen.

Das Bezirksgericht in X. bemächtigte sich der Sache, in fieberhafter Erwartung verfolgte man ihren Verlauf.

Schon am Morgen ihrer Hochzeit erfuhr Natalia alles durch Alexander. Auch Blokowin war nach Kraßlo gefahren. Wie von einem Alp befreit atmete das junge Mädchen auf, mit Tränen in den Augen dankte sie demjenigen, dessen energisches Eingreifen sie gerettet hatte. Auch Herr und Frau von Tscherbatkin waren glücklich, daß ihre Tochter noch nicht die Frau des Verbrechers geworden war.

Blokowin erkannte den Ring, den er einst Nicolaj geschenkt hatte, an dem Finger Natalias, er erzählte viel von seinem Freunde, dessen Wesen und Charakter ganz anders geartet war, als es bei seinem Mörder der Fall war. – Trotz des erdrückenden Beweismaterials leugnete Karmitow zuerst seine Schuld. Sein Verteidiger versuchte ihn zu rechtfertigen, aber der Staatsanwalt des Bezirksgerichtes schlug ihn Punkt um Punkt, so daß die Schuld des Verbrechers tageshell erwiesen wurde.

Ein Arzt hatte den Gefangenen untersucht und erklärt, daß sich kein Beinbruch konstatieren ließe. Auch Akulina trat auf und erzählte, daß ihr Pflegling Nicolaj Petrowitsch kein Muttermal am Arm gehabt habe wie Karmitow. Als man der Amme das Bild Subotins zeigte, erkannte sie die Züge des Grafen trotz der langen Reihe von Jahren. Sie weinte und sagte:

»Und ich habe diesen Betrüger fast ein Jahr lang für meinen Kolja gehalten, Gott schlug meine Augen mit Blindheit.«

Auch Marie Hoffmann erschien als Zeugin. Sie war kaum genesen, ihre Aussage fiel schwer ins Gewicht. Karmitow hatte vor einigen Jahren die Schwester des Försters in Deutschland kennen gelernt und sich mit ihr verlobt, sie aber später verlassen.

Nicolaj Petrowitsch verhinderte in Monte Carlo den Selbstmord des Abenteurers, in dem er seinen Vetter entdeckte. Der edle Menschenfreund nahm sich seiner an und suchte Einfluß auf ihn zu gewinnen. »Die eiserne Hand im Samthandschuh«, so bezeichnete Karmitow das Wesen des Grafen. Scheinbar fügsam, haßte der vom Leben Enterbte den reichen Aristokraten. Als Subotin die große Erbschaft seines Onkels zufiel, keimte zuerst der Gedanke des Mordes in Feodors Kopf. Die Aehnlichkeit mit Nicolaj Petrowitsch, sein den heimatlichen Verhältnissen Fremdsein nährten den Entschluß Karmitows, den Mann zu beseitigen dem er alles dankte. Er wollte an seine Stelle treten und tat es auch. Als Feodor Feodorowitsch das blasse Gesicht seiner verlassenen Braut sah, als er ihre großen Augen voll Abscheu auf sich gerichtet fühlte, wußte er, daß er verloren wäre.

Der Tag, an dem die Geschworenen zusammentraten, war gekommen. Schon zeitig wogte eine zahlreiche Menschenmenge vor dem Bezirksgericht auf und ab. Der riesige Saal war dicht besetzt, in atemloser Spannung lauschte alles auf die Verkündigung des Urteils. Bleich und mit verbissenem Gesicht saß der Gefangene auf der Anklagebank. Er wußte, daß er geächtet dastand, ein Paria, der aus der Gemeinschaft ehrenhafter Menschen ausgestoßen war, ein Verbrecher und ein Sträfling.

»Schuldig, einstimmig als der Mörder seines Wohltäters des Grafen Nicolaj Petrowitsch Subotin erkannt,« so lautete der Spruch der Geschworenen.

Der Staatsanwalt wandte sich an Karmitow.

»Sie sind zur Deportation nach Sibirien verurteilt,« sagte der Beamte langsam und feierlich, »und zwar auf Lebensdauer.«

Ein befriedigtes Gemurmel lief durch die Reihen der Anwesenden.

Man brachte den Verbrecher fort.

Einige Tage später wurde er dem Zuge der Verschickten beigesellt, die die weite Reise nach Sibirien antraten.

Alexander Subotin war nun der Erbe der Güter geworden. Er eilte nach Kraßlo in Begleitung des Herrn von Tscherbatkin, der den Verhandlungen beigewohnt hatte. Schon unterwegs verständigte sich der wackere junge Mann mit dem Vater Natalias und erhielt freudig die Einwilligung, um sie zu werben. – – –

Der neue Besitzer des alten Schlosses steht vor dem jungen Mädchen; in warmen, schlichten Worten spricht er zu ihr von seiner Liebe, er sagt ihr, daß er sie als sein köstlichstes Kleinod hegen und hüten wolle, damit sie das Leid vergesse, das der andere ihr bereitet hat. Mit leisem Jubelruf schlingt Natascha die Arme um den, den sie seit ihrer Kinderzeit kennt und stets geliebt hat.

»Wir wollen sehr glücklich werden, Sascha,« flüstert sie.

»Wir wollen aber auch danach streben, unser Glück zu verdienen,« entgegnet Alexander Subotin ernst. »Der unglückliche Karmitow büßt schwer für sein Verbrechen, Gott ist gerecht.«

Eine helle Träne feuchtet die langen Wimpern Natalias, Alexander sieht es und wehrt ihr nicht. »Weinst Du um den, der einst Dein Verlobter war?« fragt der Leutnant leise.

»Ja, aber Du zürnst mir nicht deshalb,« bittet Natalia innig.

»Nein, ich ehre diese edle Träne,« versetzt Alexander mit tiefem Gefühl, »Gott sei ihm gnädig.«

Es bleibt wenig hinzuzufügen.

Nach einigen Wochen zog das junge Paar als Mann und Frau nach Antonowka. Die Hochzeit wurde auf Wunsch der Liebenden ganz still gefeiert.

Akulina blieb als Kastellanin im Schloß, nachdem Michail ihr lachend erklärte, daß er nie die Absicht gehabt hätte, sie zu heiraten. Der Koffer wurde aus seinem Versteck hervorgeholt und sein Inhalt an die Armen verteilt. Die klagenden Laute sind verstummt, sie rührten von einer Aeolsharfe her, die am Turme angebracht war. Man fand sie nach einer Sturmnacht zertrümmert auf dem Pflaster des Schloßhofes liegen. Die Uniform des schwarzen Obersten hängt nach wie vor an ihrem Platz. In der Ballnacht hatte Michail sie angezogen, um seinen Herrn zu erschrecken. Der schlaue Diener ist jetzt wieder bei der geheimen Polizei angestellt und einer der best bezahltesten, tüchtigsten Mitglieder derselben geworden.

Morschowskoi hatte sich durch den Prozeß Subotin einen Namen gemacht, er wurde schnell befördert und wurde bald Präsident des Kiewer Bezirksgerichtes.

Nachdem sich Marie Hoffmann ganz von ihrem Krankenlager erholt hatte und geistig und körperlich genesen war, fand auch sie ihr Lebensglück. Ihr Retter, der junge Verwalter aus Ostrokino bat sie, seine Frau zu werden. Sie willigte ein, hatte sie doch den allgemein geachteten Mann lieb gewonnen.

In der Familiengruft liegt der so schändlich um sein Leben gekommene Graf Nicolaj Petrowitsch Subotin, ein Marmorengel breitet die Hände segnend über den Metallsarg aus, der den Geburts- und Todestag trägt.

Von seinem Mörder hat man nie mehr gehört.

Er ist in den Eisregionen Sibiriens verschollen.

 

– Ende. –

 

Druck von W. Berg, Ballenstedt.


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