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Achtes Kapitel

Der Grund von Subotins Verstimmung lag in dem von ihm argwöhnisch beobachteten Wiedersehen seiner Braut und Alexander Kyrillowitschs.

Ohne zu ahnen, daß Tscherbatkins und Nicolaj Petrowitsch in Netowischki einen Besuch machten, war der Leutnant schon früh morgens auf die Rebhühnerjagd fortgeritten. Er kam gegen fünf Uhr nachmittags zurück, kleidete sich um und betrat nichts ahnend die Veranda, auf der die Familie des Fürsten und die Gäste saßen.

Beim unerwarteten Anblick des geliebten Mädchens übergoß flammende Röte das Gesicht des hübschen Offiziers, seine Haltung drohte ihn zu verlassen.

»Ich muß ihnen gratulieren,« dachte Alexander und trat, äußerlich ruhig, im Innern wilderregt, auf Natalia zu. Sie hatte sich erhoben, befangen und unsicher lehnte sie sich, einer Stütze bedürftig, auf einen Stuhl, sie war ebenfalls rosig erglüht. Jetzt, wo sie den Jugendfreund wiedersah, wallte es heiß in ihrem Herzen auf. Sie hörte eine weiche Stimme, in der ein tiefes Weh zitterte, sie sah seine Augen ernst und traurig auf sich geheftet. Lag nicht eine stumme Anklage in ihnen?

»Ich erlaube mir, Ihnen Glück zu wünschen,« sagte Alexander sehr leise.

Sie erwiderte nichts und neigte nur das blonde Haupt, ein unabwendbares »ich muß« schien in dieser Bewegung zu liegen, etwas rührend Hilfloses, das alles verriet, was der Mund verschwieg.

Nicolaj Petrowitsch beobachtete die beiden jungen Leute mißtrauisch. Eine rasende Eifersucht schlug ihre Krallen in sein Herz, und um sein Eigentumsrecht zu dokumentieren, trat er auf seine Braut zu und legte den Arm fest um ihre zarte Gestalt.

»Komm' hinein, es wird kühl,« sagte er rauh.

Natalia gehorchte. Sie hatte schon früher Gelegenheit gehabt, das herrische Wesen ihres Verlobten kennen und – fürchten zu lernen. Ja, sie fürchtete sich und wußte nicht warum.

War es ein instinktives Gefühl, das Gefühl des reinen, unschuldigen Wesens? War es ein unerklärliches Etwas, das sie mitten in den leidenschaftlichen Zärtlichkeitsausbrüchen des Grafen abstieß und ihr mädchenhaftes Empfinden verletzte? Sie wußte es nicht.

In ihrer offenen Art hatte sie Nicolaj einmal ihre Bedenken eingestanden. Er hatte sie ausgelacht und töricht gescholten.

Heute machte Subotin seiner Braut bittere Vorwürfe.

»Du schwärmst noch immer für diesen Fant,« sagte er gereizt.

»Ich habe ja kein Wort mit ihm gesprochen!« rief Natalia gekränkt.

»Das ist nicht nötig, Dein ganzes Wesen verriet, daß er Dir nicht gleichgültig ist.«

»Kolja,« sagte das junge Mädchen sehr ernst, »so darfst Du nicht sein, Du sollst mir voll und ganz vertrauen, wie auch ich Dir vertraue.«

Sie senkte die Stimme und fuhr fort:

»Daß ich Alexander Kyrillowitsch gern gehabt, sagte ich Dir an unserem Verlobungstage. Aber ich sagte Dir auch, daß ich Dir eine treue und gute Frau werden wolle, es liegt jetzt nur an Dir allein, daß ich das, was gewesen ist, vergesse, hilf mir dazu, Kolja.«

Das Eingeständnis ihrer Jugendneigung ärgerte Subotin, er wurde heftig und überhäufte seine Braut mit unfreundlichen Worten.

Natascha erbleichte. Mit einer hoheitsvollen Gebärde zog sie den Ring mit dem Rubin vom Finger.

»Nimm den Ring zurück,« sagte sie, »ich will frei sein. Wir verstehen uns nicht, da ist es besser, wir trennen uns, ehe es zu spät wird.«

Als der Graf sah, daß sie Ernst machte, packte ihn ein wahnsinniger Schreck, er sank vor dem jungen Mädchen nieder und umklammerte ihre Kniee, er flehte sie an, ihm zu vergeben, die Verlobung nicht zu lösen.

»Ich überlebe es nicht,« versicherte er, »ich liebe Dich bis zur Raserei, Du mußt meine Frau werden, Deine Schönheit hat mich um den Verstand gebracht.«

Traurig blickte Natalia zu dem Knienden nieder. Dieser Mann, der bettelnd und winselnd vor ihr lag, flößte ihr fast Abscheu ein.

»Er liebt nur mein Aeußeres,« dachte sie betrübt, »unsere Seelen bleiben sich ewig fern. Ich fühle es, uns trennen Welten, und so wird es immer zwischen uns sein.«

»Du vermagst alles über mich,« sagte Subotin, »zieh' mich zu Dir empor, schütze mich vor mir selbst, wenn die finsteren Geister die Hand nach mir ausstrecken, und ich ihnen verfalle.«

Starren Blickes sah der Graf in eine Ecke des Zimmers. Wenn er solche Momente des Trübsinns hatte, war er geradezu unheimlich. Und doch regte sich tiefes Mitleid in dem edlen Herzen Nataljas; ihr war es, als sähe sie eine Mission vor sich. Nein, sie wollte nicht fahnenflüchtig werden, sie wollte schlicht und recht ihren Weg gehen und einem Unglücklichen treu zur Seite stehen. Sie hob ihn auf und steckte den Ring wieder an den Finger. Sie sprach zu ihm wie eine Mutter zu ihrem kranken Kinde, mild, freundlich, selbstlos und versöhnend.

Der Zwiespalt seiner Seele schwieg, der Sturm in seinem Herzen legte sich, Subotin vermochte es, seine Eifersucht wenigstens äußerlich zu bändigen.

Auf dem Heimwege nach Kraßlo begegnete dem Wagen der Tscherbatkins der Förster Diedrichsohn, neben ihm saß Marie Hoffmann, seine Schwester, ein hübsches Mädchen mit großen, dunklen Augen. Das Licht der untergehenden Sonne fiel auf ihre Züge. Auch Subotins Gesicht war hell beleuchtet.

Diedrichsohn winkte dem Kutscher, zu halten.

»Ich erlaube mir, dem Herrn Grafen zu melden, daß sich mehrere Wölfe im Ostrokinoschen Wald gezeigt haben. Sie richten vielen Schaden an. Wann befehlen der gnädige Herr Jagd auf die Raubtiere zu machen?«

»Kommen Sie morgen aufs Schloß,« sagte Subotin kurz.

»Zu Befehl,« versetzte der Förster.

Die Wagen trennten sich und rollten nach entgegengesetzten Richtungen auseinander. Jetzt, im hellen Sonnenlicht, hatte Marie Hoffmann Gewißheit erlangt – sie wußte, daß sie sich nicht getäuscht hatte.

Seit diesem Tage wurde Subotins Wesen noch zerfahrener und eigentümlicher, sodaß es allen auffiel.

Mit fieberhafter Hast drängte er auf die Beschleunigung seiner Hochzeit, und häufiger als bisher sprach er den starken Getränken zu. Selbst in Kraßlo ließ er dieser verderblichen Neigung den Zügel schießen und befand sich einigemal in Gegenwart seiner Braut in angetrunkenem Zustande. Natascha fühlte sich immer mehr abgestoßen, sie weinte oft die Nächte hindurch.

Herr von Tscherbatkin war wieder in Geldverlegenheit und wollte bei seinem Schwiegersohn eine zweite Anleihe machen, da sagte Nicolaj Petrowitsch sehr entschieden: »Ich werde Dir nicht eher die zehntausend Rubel geben, bis Natalia meine Frau ist.«

Natürlich tat nun der Vater der Braut alles, um die Hochzeit zu beschleunigen.

Eines Tages ging das junge Mädchen mit rotgeweinten Augen in den Wald. Gestern war Subotin zum erstenmal gegen seine Verlobte maßlos heftig geworden. Er hatte der Flasche wieder reichlich zugesprochen, und es heißt mit Recht: »Im Wein liegt Wahrheit.«

Die wahre Natur des Mannes kam zum Vorschein, wie mit einem Schlage verwandelte sich das Gesicht, die glatte Maske fiel, und das eigentliche Wesen kam zur Geltung. Natalia hatte das Gefühl, als sinke der verhüllende Schleier; mit Entsetzen sagte sie sich, daß sie sich geirrt, als sie gehofft hatte, Subotin mit der Zeit zu lieben.

Alexander war dem jungen Mädchen hin und wieder begegnet, er hatte sich fern gehalten, aber er beobachtete das Brautpaar scharf. Immer fester wurde seine Ueberzeugung, daß der Graf dem Wesen, das sein Weib hätte werden sollen, kein Glück gewähren könne.

»Wie soll ich der armen Natalia helfen?« dachte der Offizier, »ich kann zwar nie auf ihren Besitz rechnen, aber soll ich es mit ansehen, daß sie dem angehört, der gewiß kein guter Mensch ist. Hätte ich die geringste Handhabe, ich würde alle Hebel in Bewegung setzen und die Fessel lösen, die über kurz oder lang zur drückenden Kette werden muß.«

Auch Alexander suchte heute den stillen Wald auf. In traurigen Gedanken versunken, streifte er durch die sich herbstlich färbenden Bäume, da hörte er ganz nahe einen Laut, der ihn stutzen ließ. Es klang wie leises, unterdrücktes Schluchzen. Die Zweige auseinanderbiegend, sah er die, an die er eben dachte, am Boden liegen.

»Natalia, liebe Natascha, Sie weinen!« rief der junge Offizier bestürzt. Er kniete neben ihr nieder und zog sie an sich, ihr Köpfchen sank an seine Brust, und sie schluchzte laut.

»Sprechen Sie, Natalia,« flehte Alexander Kyrillowitsch, »sagen Sie Ihrem treuen Jugendfreunde, was Sie quält. Ich kann es nicht länger ansehen, mein Seelchen, mein goldenes.« In seiner Erregung gab er ihr diese zärtlichen Namen. Er merkte es selbst nicht und sehnte sich nur danach, sie zu trösten, die Tränen von ihren Augen zu trocknen. Natalia suchte sich aus den Armen des Leutnants zu lösen. Er gab sie frei, als er es merkte.

»In drei Wochen ist meine Hochzeit,« sagte sie aufstehend, und eine große Verzweiflung klang aus ihrer Stimme.

»Ich weiß es,« erwiderte Alexander dumpf. »Sie lieben Ihren Bräutigam nicht, Natalia?«

»Ich gab mir redliche Mühe,« lispelte sie.

»Mühe!« rief der junge Offizier, »muß man es? Ich denke, die wahre Liebe kommt über Nacht, wie ein Gewittersturm bricht sie über das Herz herein und reißt uns mit sich fort, jeden Gedanken, jeden Pulsschlag des Menschen erfüllend. Wahre Liebe ist ein seliges Muß, dem man sich beugt, das das ganze Wesen durchdringt und erhellt.«

»Schweigen Sie,« flehte Natalia, »sprechen Sie nicht weiter.«

»Weshalb haben Sie ja gesagt!« rief Alexander erregt, »ich stehe vor einem Rätsel. Ist es der Reichtum, der Sie lockte, der irdische Vorteil, der Sie zu der Verlobung trieb?«

»Nicht für mich,« Natalia stockte, »mein Vater stand vor dem Ruin – er brauchte Geld – der Graf bot sich an unter einer Bedingung zu helfen, und da – da –« sie konnte nicht weitersprechen, aber Alexander Kyrillowitsch hatte verstanden.

»Ja,« sagte er, »jetzt ist mir alles klar, Sie wurden verkauft.«

»Wie bitter Sie es sagen, ich – ich konnte ja nicht anders. Als ich des Grafen Braut wurde, strebte ich danach, ihn glücklich zu machen, ich wollte die Vergangenheit vergessen,« sie zögerte und fuhr fort, »je länger ich verlobt bin, desto seltsamer erscheint mir derjenige, dessen Frau ich werden soll. Ich fürchte mich zuweilen vor ihm, ein dunkeles Etwas steht zwischen uns, er verbirgt es mir.«

»Auch ich habe dieses Gefühl. Ich bin überzeugt, daß es im Vorleben Nicolaj Petrowitschs einen Schatten gibt, etwas, das das Licht scheut. Was ist es? Könnte ich es ergründen, ehe es zu spät ist, ehe Sie seine Frau werden.«

Die beiden Jugendfreunde gingen jetzt nebeneinander durch den Wald. Sie waren verstummt, derselbe Gedanke beschäftigte sie, aber sie scheuten sich, ihn auszusprechen.

»Hier müssen wir uns trennen,« sagte Natalia, als sie den Saum des Waldes erreichten, »leben Sie wohl, Alexander, beten Sie für mich.«

»Fassen Sie Mut,« versetzte der Offizier, »noch ist Ihr Hochzeitstag nicht gekommen, Gott kann Wunder tun und das aufdecken, was sich dem Verstande der Menschen entzieht.«

Sie hielten sich an den Händen, und Auge tauchte in Auge, dann ging das junge Mädchen und Alexander Kyrillowitsch blickte ihr nach, bis sie verschwunden war.

»Pst, pst, ich muß Sie sprechen.«

Neben dem Leutnant steht Michail.

»Was wollen Sie?« fragt Alexander Subotin erstaunt.

»Was geben Sie mir, wenn ich Ihnen zu der Braut verhelfe, die jetzt einem Unwürdigen angehört?«

Erstaunt trat Alexander einen Schritt zurück.

»Einem Unwürdigen,« wiederholte er.

»Kommen Sie tiefer in den Wald hinein, Herr,« sagte Michail vorsichtig, »niemand darf hören, was ich Ihnen zu sagen habe.«

Beide Männer verschwanden im Dickicht der Bäume.

Noch am selben Tage reiste Alexander Subotin ab, niemand wußte wohin.


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