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Fünftes Kapitel

Graf Subotin hatte seine Gäste um zehn Uhr gebeten, er entschuldigte sich, daß er sie nicht wie sonst empfangen könnte.

»Die Maskenfreiheit spricht mich wegen dieses scheinbaren Mangels an Höflichkeit frei,« sagte er, »ich werde erst erscheinen, wenn alle versammelt sind und so mein Inkognito unter der Verkleidung wahren.«

Kurz vor zehn Uhr schlüpfte Michail in den Ahnensaal, der schon im Licht der vielen Kerzen strahlte. Er blickte sich scheu um, dann stieg er auf einen Stuhl und zerrte die Draperie von dem Bilde des schwarzen Obersten. Ein höhnisches Lächeln zuckte um des Dieners Mund, und er rieb sich vergnügt die Hände.

»So,« sagte er, »der Schwarze soll zusehen. Ha! Ha! Ha! Was wird mein Gestrenger dazu sagen?«

Gegen elf Uhr waren alle Gäste erschienen, etwa achtzig Personen. Außer sämtlichen Nachbarn waren noch die Offiziere eines in der Nähe in Garnison liegenden Husarenregiments als flotte Tänzer geladen. Akulina legte eben die letzte Hand an den Anzug ihres Herrn, zufrieden schmunzelnd betrachtete sie ihn.

»Du bist fertig, betrachte Dich einmal im Spiegel, Nicolaj Petrowitsch. Ich wette, daß keiner der anderen Herrn so stattlich aussieht, wie Du, mein Seelchen.« Sie hob den silbernen Armleuchter empor.

Das Glas des großen Stehspiegels warf Subotins ganze Figur zurück. Lächelnd blickte er sich an und wahrlich, er konnte zufrieden sein. Seine hohe, elegante Gestalt sah prächtig in der Bojarentracht aus. Weicher, grüner Samt mit Zobel verbrämt bildete den Hauptbestandteil des nach russischem altertümlichen Schnitt angefertigten Rockes und der faltigen Beinkleider, blitzende Goldstickereien umzierten den Samt. Auf der rechten Schulter trug Subotin einen kirschroten Dolman, der ebenfalls mit Zobel verbrämt und mit weißem Atlas gefüttert war. Ein kaukasischer, schöngearbeiteter Dolch funkelte an dem silbernen Gürtel, und das Schwert hing an breitem Bandelier an der Seite. Weiche, gelbe Stiefel mit klirrenden Sporen bedeckten die ungewöhnlich schmalen Füße Subotins, und die hohe Zobelmütze mit dem Reiherbusch und dem blitzenden Brillantstern saß keck auf dem hübschen Männerkopf. Die Familienjuwelen funkelten auf dem Anzuge des Schloßherrn von Antonowka.

»Stecke mir noch diese Brosche an die linke Schulter,« befahl der Graf der Amme, »so, nun noch die Maske.« Behenden Schrittes eilte Subotin auf den Tisch zu und ergriff die kleine mit einer Spitze besetzte Halbmaske aus schwarzem Samt.

»Du hinkst heute nicht,« bemerkte Akulina verwundert, »ich habe bemerkt, daß Du zuweilen ganz gut gehst.«

»Ich habe mir einen höheren inneren Hacken in dem Stiefel machen lassen, damit man mich nicht an meinem Gebrechen erkennt,« antwortete der Graf schnell, indem er die Halbmaske vorlegte, »nun lebe wohl, Alte, es ist die höchste Zeit.«

Als Subotin den Ballsaal betrat, wogte bereits eine bunte Menge darin auf und nieder, und die Musikkapelle spielte einen Marsch. Es war ein farbenreiches, herrliches Bild, das sich dem Eintretenden bot. Alle hatten gewetteifert, sich in der Pracht der Kostüme zu überbieten, die verschiedensten Masken tummelten sich auf dem spiegelblanken Parkett, man lachte und intrigierte, man erriet und trieb lustigen Mummenschanz, glaubte Bekannte zu finden und stand im nächsten Augenblicke verblüfft da. Das laute, ausgelassene Faschingstreiben, das sonst in die russische Butterwoche Karnevalswoche am Schlusse der Fastenzeit. gehört, entwickelte sich heute im strahlenden Kerzenglanz des Ahnensaales von Antonowka. Ein Gefühl gesättigten Stolzes schwellte die Brust dessen, der dieses glänzende Fest gab, auf dessen Geheiß sich die farbenreiche Pracht entwickelt hatte. Den Kopf zurückgeworfen, die Hand am Schwerte, den rechten Fuß etwas vorgestreckt, stand Nicolaj Petrowitsch da, ein König in seinem Reich, ein Allmächtiger durch seinen Reichtum. Die stattliche Erscheinung des Bojaren erregte sofort die Aufmerksamkeit, mehrere junge Damen ergriffen den Arm des Grafen und suchten ihn zu erkennen.

»Falsch, meine Schöne,« sagte Subotin mit völlig veränderter Stimme, »Du kennst meinen Namen nicht.«

So ging es mehreremal. Zuletzt wehrte sich der Bojare fast ungeduldig gegen die ihn Umschwärmenden. Seine Augen forschten sehnsüchtig nach derjenigen, für die sein Herz so heiß schlug. Sollte Natalia Wladimirowna nicht mitgekommen sein? Entzog sie sich ihm? Unmutig biß sich der Graf in die Lippen. Er hatte sich Bart und Schnurrbart heute schwarz gefärbt, um nicht erkannt zu werden.

»Fürchtet sie sich, jene Frage zu hören, die mir auf der Zunge brennt?« dachte Subotin, »doch halt, da ist sie. Ja, es muß jene Wassernixe sein am Arme des Polichinell, niemand hat so schönes, goldblondes Haar wie Natascha. Und an der linken Schulter blitzt der Familienschmuck meines Hauses, kein Zweifel, sie ist es!«

Er eilte dem Paare nach.

»Erlaube mir, an Deiner andern Seite zu gehen, holdes Märchenwesen,« sagte Nicolaj leise und zog den weißen Arm durch den eigenen. Er fühlte, daß das junge Mädchen heftig zitterte.

Zum Glück wurde der Polichinell von einer in gelbe Seide gekleideten Marquise angeredet und verschwand mit ihr in dem Maskengewühl. Subotin blieb mit der Nixe allein. Die Klänge der Glinkaschen Polonäse aus »Das Leben für den Zar« ertönte jetzt, Paar an Paar fand sich. Es war ein langer, prächtiger Zug, der durch den Saal dahinschritt.

»Ich habe Sie gleich erkannt, Natalia Wladimirowna,« flüsterte Subotin seiner Dame zu.

Sie lachte etwas gezwungen.

»Ich glaube, das war nicht schwer, ich trage ja das Abzeichen, wie Sie es wünschten.«

Ihre Stimme klang leise und ängstlich.

»Nicht allein daran erkannte ich Sie, Natalia, niemand hat so köstliches, blondes Haar, niemand eine so anmutige, biegsame Gestalt wie Sie, Sie, die ich –«

»Nicht so laut,« unterbrach ihre flehende Stimme ihn mitten im Satz, »man könnte Sie hören, und ich möchte doch den andern Masken gegenüber mein Inkognito beibehalten.«

»Sie haben recht, ich schweige. Aber später, später werde ich jene Frage an Sie richten, an der mir alles liegt. O, seien Sie dann kein kühles Märchenwesen, sondern ein Weib, ein Wesen mit rotem, warmem Blut und Herzen.«

»Wer weiß,« entgegnete Natascha sehr leise und träumend.

Subotins Augen funkelten, und er preßte den zarten Arm Natalias fast schmerzhaft an sich.

»Spielen Sie nicht mit der Leidenschaft, die Sie entfachten, wehe Ihnen, wenn Sie es tun.«

Ein dumpfes Grollen bebte in seiner Stimme.

Wie von einer dämonischen Macht überwältigt, mußte Natalia das schöne, mit Wasserlilien geschmückte Haupt senken, sie fühlte sich wie hypnotisiert von dem stärkeren Willen dieses Mannes, der eine fast unheimliche Gewalt über sie gewonnen hatte.

Die Polonäse war zu Ende, der Walzer aus »Eugen Onegin« ließ seine Klänge ertönen. Die Paare wirbelten bunt durcheinander. Natalia fühlte des Grafen Arm um sich, er trug sie fast durch den Saal, er stürmte mit ihr vorwärts, wilder, immer wilder. Und sie fühlte sein Herz pochen, sie fürchtete sich vor ihm. Endlich gab er sie frei. Bleich und taumelnd sank das junge Mädchen auf einen Sessel neben einer russischen Hofdame aus der Zeit Katharinas der Großen. Es war die Mutter Nataschas, Frau von Tscherbatkin.

»Nun, seid Ihr verlobt?« fragt sie leise und ungeduldig. Natalia kann nicht sprechen, sie schüttelt bloß den Kopf.

»Dann wird er später mit Dir sprechen. Du mußt ja sagen, mein Täubchen, unsere ganze Existenz hängt davon ab, vergiß es nicht.«

Natalia nickt schwer mit dem lieblichen Köpfchen. Ihr ist trostlos zumute. Sie tritt in ein Nebenzimmer und schaut in die Sommernacht hinaus. Draußen liegt silberner Mondschein auf Baum und Strauch, auf den großen, schöngepflegten Rasenplätzen des Schloßgartens. Und plötzlich muß Natalia an Alexander Kyrillowitsch denken, an ihn, der jetzt in seiner Garnison angekommen ist.

»Man vegetiert dort nur,« hatte er geäußert, »aber ich habe Ehrgeiz, ich arbeite, um auf die Akademie nach Petersburg zu kommen, denn ich muß schnell Karriere machen.«

Sie kennt die treibende Macht, die ihn dazu bewegt. »Sascha,« denkt sie traurig, »armer Sascha, ich muß Dir wehe tun, ich kann nicht anders, Gott helfe uns beiden.«

Subotin steht an der Wand des Ahnensaales, gerade gegenüber dem Bilde des schwarzen Obersten. Er ist in glücklicher, erregter Stimmung, der Glanz des wohlgelungenen Festes, die Erwartung der nächsten Stunden, die ihm das geliebte, schöne Mädchen in die Arme treiben müssen, versetzen ihn in einen wahren Freudenrausch. Und mit einem Male sinkt diese frohe Stimmung, etwas Ungreifbares, Fürchterliches scheint heranzukriechen, wie gelähmt kommt er sich vor. Ist es doch, als blickten ihn ein Paar finstere Augen an, drohend, durchbohrend. Ein eisiger Schauer kriecht über des Schloßherrn Rücken. Er hebt den Blick und muß einen Schrei gewaltsam zurückdrängen. Die Draperie ist von dem Bilde des schwarzen Obersten gesunken, das unheimliche, blasse Antlitz, von dunklem Bart umrahmt, sieht auf Nicolaj Petrowitsch hernieder. Subotin eilt davon wie von Furien gejagt, er stürzt zum Büfett und trinkt Wein, viel Wein, er hat es nötig, um aufrecht stehen zu können, die Kniee knicken unter ihm ein.

Der Ball nimmt seinen Fortgang, immer höher steigt die Ausgelassenheit. Die Uhr ist bald eins, die Demaskierung naht. Ein auserlesenes Mahl erwartet in dem großen Speisesaal die Gäste des Grafen. Im Schmuck des alten Familiensilbers und Kristalles prangt die lange Tafel, auf der Blumen in verschwenderischer Fülle verstreut liegen.

Subotin ist entschlossen, noch vor der Demaskierung die Aussprache mit Natascha herbeizuführen, um seine Verlobung beim Souper zu verkündigen. Vor einer Weile hat Nicolaj das junge Mädchen im Park verschwinden sehen, er folgt ihr, das Herz voll heißer Sehnsucht.

Nun steht er vor ihr, die sich halb abgewandt hat, der Graf hat die Samtmaske entfernt, auch Natalias holde Züge sind ohne die Verhüllung. Sie ist sehr bleich, aber ruhig. Da ergreift Nicolaj Petrowitsch die beiden schlanken Mädchenhände und spricht zu Natascha in bebenden Tönen höchster Leidenschaft von seiner Liebe.

»Antworten Sie mir,« fleht er, »werden Sie mich erhören, werden Sie meine Frau werden?«

Tief gesenkten Hauptes, halb ohnmächtig, hat das arme junge Wesen ihr Gesicht mit den Händen verhüllt, sie weint leise.

Es raschelt hinter dem Paare, Subotin blickt sich um. Das Blut erstarrt ihm in den Adern.

Sie sind nicht mehr allein, ein Dritter ist gespenstisch aufgetaucht, mit drohend erhobenem Arm scheint er wie aus der Erde gewachsen.

Es ist der schwarze Oberst.

Der böse Geist des Schlosses.

Wie er im Ahnensaale hängt und aus dem Rahmen niederblickt, so erscheint er seinem Ururenkel. Die breitschultrige Gestalt trägt dieselbe Uniform, aber das Gesicht ist nicht deutlich sichtbar, nur der dunkele Bart umrahmt die fahlen Züge. Dreimal hebt das Gespenst des Schwarzen die Hand gegen Nicolaj Petrowitsch; der weiße Stulphandschuh ist nicht vergessen, er ist ganz so wie auf dem Bilde.

Es schlägt eins vom Turm, – spurlos ist der unheimliche Oberst verschwunden. Sein Erscheinen hat kaum einige Sekunden gedauert, Natalia hat ihn nicht gesehen. Subotin streicht sich über das Gesicht.

»Träumte ich eben?« fragt sich der Graf, »ist mir wirklich der böse Geist Antonowkas erschienen, dessen Anblick Unheil bedeutet? Soll es eine Warnung sein, die begehrliche Hand nicht nach dem jungen, unschuldigen Wesen auszustrecken, um sie an mich zu fesseln?«

In den Büschen schlugen die Nachtigallen und die blauen Fliederdolden dufteten betäubend. – –

Endlich raffte sich Natalia auf.

»Ich kann Ihnen heute nicht antworten,« sagte sie, »geben Sie mir Zeit, warten Sie noch etwas.«

Er wagt es nicht, sie zu bestürmen, sie schreitet langsam an ihm vorbei dem Hause zu.

Die Klänge einer feurigen Masurka mischen sich mit dem Schluchzen und Jubeln der Nachtigallen.

Subotin folgt Natalia nicht.

Er lehnt regungslos an dem Stamm einer mächtigen Buche und blickt der hellen Mädchengestalt nach, Zorn und Enttäuschung in der Brust. Und in diese Gefühle mischt sich noch ein drittes, eine unbestimmte Furcht vor etwas, das näher, näher an ihn heranschleicht. – –

Der Ball verläuft zur Zufriedenheit der Gäste. Seit langem hat man sich nicht so gut unterhalten. Das Souper war exquisit, und der Champagner floß in Strömen. Der Wirt des Maskenfestes strahlte in heiterster Laune und bezauberte jung und alt durch seine Liebenswürdigkeit.

»Wie er sich verstellen kann,« dachte Natalia, »er ist mir ein Rätsel.«

Ein prächtiges Feuerwerk schloß das wohlgelungene Maskenfest. Erst als es schon heller Tag war, verließ der letzte Wagen das gastliche Haus.


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